1. April: GLAM Initiative, Public Domain Jam & Disco Impossible

Diesen Freitag diskutieren Liam Wyatt (Wikipedia Australia), Daniel Boos (Digitale Allmend), Mario
Purkathofer (Dock18) und Kirsty Boyle über Public Domain, Wikipedia, öffentliche Archive und digitale Ökonomien in der Dock18 DISCO IMPOSSIBLE. Wer Fragen hat an Liam Wyatt – einen der Köpfe hinter der Wikipedia – ist herzlich willkommen. Anschliessend Audioperformances von Caleb und Kid Schurke.

20:00 Bar
20:30 Disco impossible Show #2 mit VJ PURK@
21:00 Diskussion mit Liam Wyatt, Daniel Boos, Mario Purkathofer & Kirsty Boyle
22:00 Start der Liveübertragung via DAB auf openbroadcast.ch (bis 24 Uhr)
22:30 Audioperformance von Caleb
23:00 Audioperformance von Kid Schurke
23:30 Open Youtube Base Station

Die Veranstaltung wird live auf tv.dock18.ch übertragen von 20-24 Uhr.

Rote Fabrik Seestrasse 395 CH-Zürich
http://rotefabrik.ch/dock18
http://tv.dock18.ch/

Big (Media) Science mit Lücken

Der kritische Kommentar zum Beitrag über die Qualitätsstudie weist durchaus auf einen wunden Punkt hin, der vielleicht weniger die Imhof-Studie, wohl aber die Kommunikationswissenschaften generell betrifft: Die digitale Medienszene wird weitgehend im Kontext traditioneller Medien analysiert. Neue kommunikative und mediale Formen werden eher oberflächlich gestreift, der Medienbegriff bleibt wenig konturiert. Die entsprechenden Phänomene werden an das Spezialgebiet „New Media“ ausgelagert.

Wir wollen einige Schwächen und Stärken des Mainstream-Ansatzes anhand eines Grundlagenwerks aus den USA ansehen. „Understanding Media in the Digital Age” (1). Es richtet sich an StudentInnen und anspruchsvolle Interessente aus Publizistik und Werbewirtschaft.

Einleitend werden unverzichtbare Basics zu Kommunikation diskutiert: Kommunikation, Sprache, Kultur, Symbole. Ein Grundmodell menschlicher Kommunikation bezieht sich auf die Kette von Shannon-Weaver: Quelle – Sender – Signal – Empfänger – Ziel, beeinflusst durch Störungen. Dieses lineare Modell wird heute als allzu vereinfachend eingeschätzt. Die Autoren bringen weitere Elemente ein: Erfolgreiche Kommunikation basiert auf Elementen wie Genauigkeit, Feedback und Rollenverhalten. Da wird eine Menge Relevantes auf 19 Seiten gepackt.

Was ist ein Massenmedium?

Der Text nennt eine Reihe von Kriterien, welche Massenmedien kennzeichnen: 1. Professionelle Kommunikatoren als Sender  2. Gewünschte Bedeutungen werden von Produktionsspezialisten codiert  3. Als Information via spezialisierte Medien übermittelt  4. Grosse diversifizierte Massenpublika als Empfänger  5. Individuelle Empfänger konstruieren eine Interpretation der Nachricht  6. Empfänger werden beeinflusst. Der Text nennt drei Typen von Massenmedien: Publikationen (so Bücher, Magazine, Zeitungen) Film (vor allem kommerzielle Produktionen) und Elektronische Medien (vor allem Radio und TV, aber auch DVD).

Das sind wertvolle Elemente, das Problem liegt eher beim Ausgelassenen. Neben den herkömmlichen Massenmedien werden keine anderen Medientypen in vergleichbarer Tiefe entwickelt. Es werden keine Tools bereitgestellt, um etwa soziale Netzwerke oder Blogs zu analysieren und allenfalls in verschieden Segmente gliedern zu können. Letzteres ist vermutlich sinnvoll, um eine breit gefächerte Realität vertieft analysieren zu können. Letztlich bleibt darum der Medienbegriff vage, sobald die Welt der grossen Massenmedien verlassen wird.

Aufstieg des Digitalen

Die Forschungscommunity ist seit 1996 gewarnt: „If mass communication researchers continue to largely disregard the research potential of the Internet, their theories of communication will become less useful. Not only will the discipline be left behind, it will also miss an opportunity to explore and rethink answers to some of the central questions of mass communication research, questions that go to the heart of the model of source–message–receiver with which the field has struggled.” (Morris/Ogan).

Die Warnung wird im vorliegenden Band ernst genommen – mit Kapitel 2: Navigating Change – The Rise of Digital an Global Media. Die Geschichte des Internet wird kurz rekapituliert. Die Autoren stellen fest, das digtiale Zeitalter sei „radically different“ vom bisher gekannten. Es gelingt ihnen aber nur in Ansätzen, diese Radikalität zu fassen und zu vertiefen.

Gerne weisen wir auf die beiden interessanten und leider nur kurz angesprochenen Ansätze hin. Es geht um die Begriffe persönliche Medien und intermediäre Kommunikation: Neben Massenmedien gibt es Kommunikationsformen, die in neuer Weise hin zu Individuen adressierbar und von diesen verwendbar sind. Smartphones und Sharingmechanismen sind Beispiele von persönlichen Medien. YouTube ist vorerst ein persönliches Medien, das aber Züge eines Massenmediums annimmt. Auf einer mittleren Ebene können interessierte Personen via intermediäre Kommunikation untereinander in Kontakt treten.

Der Text bleibt leider ziemlich verschwommen. Klarheit herrscht oben, beim Thema klassische Massenmedien, und an der Basis, bei persönlicher Kommunikation. Dazwischen bleibt es wolkig. Vermutlich wird hier ein langfristiger Mangel fortgeschrieben: Die ganze Welt zivilgesellschaftlicher Bewegung und nichtkommerzieller Aktivitäten hat die Medienwissenschaft traditionell kaum interessiert, obwohl hier bereits vor dem digitalen Zeitalter reges Treiben herrschte – vom Pfadiblatt bis zu Mark Morrisroes „Dirt“.

Die Klassiker

In einem späteren Kapitel zur Medienökonomie wird knapp konstatiert, dass die Verlagerung zu digitalen Publikationen das Geschäftsmodell mancher Massenmedien unterminiert und es werden die üblichen Vorschläge aufgelistet, wie dem begegnet werden könnte, etwa mit Stiftungen zugunsten publizistischer Projekte oder Subventionen.

Nach dem ziemlich dünnen Teil über die Digitalisierung schöpfen die Autoren wieder aus dem Vollen. Die klassischen Medien werden ausführlich besprochen, wobei die Autoren besonders dem gedruckten Magazin und dem TV eine vitale Zukunft voraussagen. Themen wie Populärkultur, Marketing, Medienpublikum, Medienwirkungen und Regulierungen werden erörtert.

Da werden Know How Ressourcen sichtbar, die auch bei der Diskussion digitaler und subkultureller Medien nicht ignoriert werden können: Ein Begriff des Politischen und Öffentlichen, Identifikation grosser relevanter Player und eine Top Down Karte, die grossräumige Orientierung erlaubt.

Schwachpunkt im Mainstreamdiskurs der publizistischen Wissenschaft ist die Analyse des digitalen Wandels. In einzelnen Zonen wird aber lebhaft geforscht und publiziert: Im schon genannten Segment der New Media, bei der Nutzungsforschung und zu den online-Standbeinen der traditionellen Medien.

(1) Everette E. Dennis, Melvin L. DeFleur. Understanding Media in the Digital Age. New York : Allyn & Bacon. 2010.

Medien im Qualitätstest

Wie entwickelt sich die Qualität der Schweizer Medien im Zeitalter von Gratiszeitungen und Internet? Dieser Frage geht ein Jahrbuch nach, welches ein Team um Professor Kurt Imhof an der Universität Zürich publiziert hat. Lesegruppe der Digitalen Allmend hat sich mit dem Kapitel über online-Medien beschäftigt. Untersucht wird der Web-Auftritt etablierter Printmedien.

Dreh- und Angelpunkt der Untersuchung bilden vier Qualitätskriterien, die aus einer aufklärerischen Konzeption von Öffentlichkeit und Politik begründet werden:

Vielfalt folgt aus dem Universalitätsanspruch öffentlicher Kommunikation, in der keine Meinung ausgeschlossen sein soll. Das Jahrbuch kritisiert die im online Bereich vorherrschende Boulevardisierung, welche für die Gesellschaft wichtige Ressorts wie Politik oder Wirtschaft an den Rand drängt. Wenn sie behandelt werden, dann in einer emotionalisierenden und personalisierenden Weise.

Relevanz meint gesellschaftliche respektive politische Bedeutung – das Allgemeine, was alle angeht, hat Vorrang. Auch bei diesem Kriterium monieren die AutorInnen, dass „die Onlineinformationsangebote deutlich stärker zu einer personalisierenden und privatisierenden Berichterstattungslogik als die Presseausgaben“ tendieren. Die Webauftritte der Abonnementszeitungen „fokussieren stärker als ihre Printausgaben auf Sport- und Human Interest-Themen“.

Aktualität wird als Kriterium neben der zeitlichen mit einer qualitativen Dimension ausgestattet, was bei uns zu kritischen Kommentaren geführt hat. Die Autoren fassen Aktualität so, dass Medien auch „auch Kontext- und Hintergrundinformation bereitstellen“ sollen. Sie konstatieren in der Folge eine Vorliebe für „episodische Weltbeschreibungen zulasten der reflexiven Einbettung“. Als Ursachen werden Deprofessionalisierung und Ressourcenmangel genannt.

Professionalität wird gefasst als Streben nach Objektivität im Rahmen einer journalistischen Berufskultur. Als entsprechende Normen werden Transparenz, Faktentreue, thematische Kompetenz und Sachlichkeit genannt. Die Studie konstatiert kritisch die vorherrschende Rezyklierung von Agenturmeldungen und Material aus andern Bereichen des Medienkonzerns.

Kritisch haben wir in der Lesegruppe den Objektivitätsbegriff diskutiert, der als absolutes Kriterium nicht fassbar ist. Heruntergebrochen auf konkretere Kriterien wie Faktentreue oder Fachkompetenz entschärft sich das Problem ein Stück weit.

Weiter wurden die zahlreichen Überlappungen im Text bedauert. Zudem macht der Text einen etwas eingleisigen Eindruck, als ob die Tiefqualitätsthese schon vor der Untersuchung festgestanden hätte. Allerdings haben die AutorInnen durchaus auf Material gebaut. Für den online Teil wurden etwa 2000 Samples analysiert. Im Text fehlt allerdings die Herleitung und die Befunde werden etwas hölzern präsentiert. Interessierte LeserInnen folgen fürs Erste besser den guten Fazit-Einschüben, als sich den ganzen Text zu Gemüte zu führen. Empfehlenswert ist ein Gespräch mit Kurt Imhof als DRS2 Download, in dem er das Kriterienset begründet und die wichtigsten Ergebnisse der Studie vorstellt.

Fazit: Die Studie untersucht einen wichtigen Teilaspekt des medialen Strukturwandels anhand von nachvollziehbaren Kriterien und Methoden, aufbauend auf erhobenen Daten. Das bringt ein Gegengewicht zur Masse von Beiträgen, die in Form flauschigen Impressionen daherkommen.

Wozu noch Zeitungen?

Die Lesegruppe hat sich in Interviews aus dem Buch mit dem gleichnamigen Titel (1) vertieft, das den Zusammenbruch des klassischen Geschäftsmodells journalistischer Arbeit in den USA abbildet. Durch die Mittel des Internets ermächtigt verstehen sich interaktive Nutzer zunehmend selber als Schleusenwärter des Nachrichtenflusses und sehen keine Notwendigkeit mehr einer Entgeltung für die Informationsaufbereitung. Zudem führt die Dynamisierung von Nachrichtenzyklen dazu, dass News, kaum gedruckt, auch schon veraltet sind. Wo also Abo- und Verkaufserlöse ausschliesslich am gedruckten Papier hängen, wird es prekär.

Die Anlage des Buches mit ausführlichen Interviews macht deutlich, dass hier keine Statistiken oder absoluten Aussagen zu erwarten sind, sondern Erfahrungen und Einschätzungen von einzelnen Exponenten (darunter namhafte Medienexperten wie Eric Alterman, Jay Rosen, Stephen B. Shepard u.a.), die Einblicke in sehr unterschiedliche journalistische Zugangsweisen und Geschäftsmodelle geben. Sehr anregend zu lesen.

Zwei Interviews als Beispiele:
Mark Fisher ist seit über 20 Jahren Redakteur der Washington Post – mehrfach ausgezeichneter Journalist, Kolumnist, Blogger und Buchautor – und bewertet die dialogischen und partizipatorischen Möglichkeiten der neuen Technologien grundsätzlich als positiv. Insbesondere erwähnt er die Chance der Beschaffung von Daten und Materialien über die Masse der Leser (Crowd-Sourcing), die den Aufbau von aktuellen Datenbeständen erlaube, wie es herkömmlich nicht möglich wäre. Das Ausmass der Beteiligung als Reaktion auf Blogbeiträge bewertet er dagegen als eher gering: Nur wenige Reizthemen würden viele Kommentare provozieren und weniger als fünf Prozent der Leser eines Blogs überhaupt je einen Beitrag schreiben.

Interessant ist die Frage, ob und wie Leserkommentare in die Berichterstattung eingebunden werden. Fisher beurteilt das durchaus positiv, selbst wenn vielleicht das Riskio bestehe, dass die Inhalte drohen, weniger glaubwürdig zu erscheinen, wenn unter seriösen Nachrichtenbeiträgen Verunglimpfungen auftauchen.

Ein kritisches Argument zieht sich allerdings durch seine Äusserungen durch: nur die bereits gut informierten und gebildeten Nutzer könnten die neuen Medienstrukturen positiv nutzen, die breite Masse der Menschen dagegen wäre damit überfordert und würde sich tendenziell von einigermassen informierten zu völlig uninformierten Bürgern entwickeln. Damit aber wären die Probleme des Journalismus in Wirklichkeit zunehmend solche für die Demokratie: wenn nämlich Massenmedien, die helfen können, Politik und Weltläufe zu verstehen, als gemeinsame Basis für die Meinungsbildung wegfallen. Dennoch schliesst er für die USA eine finanzielle Beteiligung des Staates aus Gründen der Gewaltentrennung kategorisch aus.

Eine leicht andere Tonart schlägt Arianna Huffington, Co-Gründerin und Chefredakteurin der nach ihr benannten Huffington Post an. Sie gibt etwa an, dass Nebenwirkungen der Medienrevolution dem geschriebenen Wort zu einer eigentlichen Renaissance verholfen hätten.

Als Ursache für die Unzufriedenheit mit dem traditionellen Journalismus nennt sie eine Vernachlässigung seiner «Watchdog-Funktion»  und spricht von einer zu grossen Nähe zur Macht: Im Vorfeld und während des Irakkriegs etwa wären die traditionellen Medien ihrer Aufgabe nicht nachgekommen, die politisch Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen. Von den neuen Medien verspricht sie sich mehr Transparenz und hofft auf den «Bürgerjournalismus», eine Art Kurzformel für eine Sammlung von Methoden, die sich die Kraft von Online-Gemeinschaften, ihr Wissen, ihre Informationen und Zugänge zunutze machen.

Die Konvergenz von alten und neuen Medien zeigt sich in der Huffington Post wie folgt: die linksliberale Online Zeitung ist eine Art journalistischer Hybrid zwischen Zeitung mit redaktionellen Rubriken und selbst recherchierten Geschichten aus Politik, Wirtschaft, Entertainment einerseits und einer Versammlung von Blogs, Nachrichten aus Communities und verlinkten Nachrichten anderer Medien andererseits.

Huffington bekennt sich dabei zu journalistischen Prinzipien wie Genauigkeit, Fairness und Transparenz. Blogs und Blogging als Echtzeitübertragung von Meinung seien kein Ersatz für investigative Recherchen, aber eine andere Methode der Hintergrundberichterstattung. Es gehe immer um Expertisen und Information, grafisch oder tabellarisch aufbereitete, destillierte und vergleichende Information. Qualitätsmerkmale seien eine starke Stimme und ein distinkter Standpunkt; das Ziel sei unverwechselbare Inhalte zu offerieren und gleichzeitig interaktiver zu werden. Das Geschäftsmodell basiert auf der Aquise von Werbegeldern und befindet sich in der Wachstumsphase; die Blogger sind nicht bezahlt.

1) Stephan Weichert, Leif Kramp, Hans-Jürgen Jakobs (Hg.): Wozu noch Zeitungen? Wie das Internet die Presse revolutioniert. Göttingen, 2009.

1.1.2011 – Public Domain Jam – Neujahresbrunch

Public Domain Jam 2011 – Die Welt vor 70 Jahren gehört uns!
Generationenübergreifender Neujahresbrunch für Kinder und Erwachsene ebenso

Samstag, 1.01.2011, 14-19 Uhr
Cabaret Voltaire, Spiegelgasse 1, Zürich

Mit dem Jahreswechsel fallen tausende von Werken und somit Teile unseres
kulturellen Erbes der Allgemeinheit zu und können künftig frei vervielfältig und
verändert werden. Dabei geht es um ein fundamentales Element des Urheberrechts,
nämlich die zeitliche Begrenzung der Urheberrechte als Ausgleich zwischen den
Interessen des Autoren und der Öffentlichkeit. Alle Werke von Autoren, die seit 70
Jahren verstorben sind, werden weltweit gemeinfrei. Je nach Land variiert diese
Schutz-Dauer zwischen 50 und 70 Jahren nach dem Tod eines Kulturschaffenden, wobei
vereinzelt auch Übergangsfristen aufgrund von Verlängerungen bestehen.

Am Public Domain Jam 2011 begrüssen wir die neuesten Werke, die als Gemeineigentum
in unserer Gesellschaft verfügbar sind. Dabei handelt es sich um all jene Werke,
die von Menschen erstellt wurden, die im Jahr 1940 gestorben sind.

Eingeladen sind Eltern mit ihren Kindern. Gemeinsam mit unseren Kindern verändern
und bearbeiten wir eine Auswahl dieser Werke. Nebenan gibts gemütlichen
Neujahrsbrunch.

So singen wir alte Lieder im Karaokestil, entwickeln dadaistische Collagen mit
Werken von Klee, Emmenegger u.a., übersetzen Gedichte in 17 Sprachen, machen eine
Lesung aus dem Totenbuch und stellen die erste Tortenszene der Filmgeschichte
nach. Dazwischen Musik von 1890 bis 1940 via Grammophon. Daneben haben wir Zeit
für einen gemütlichen Kaffee und brunchen ins neue Jahr mit Werken von Walter
Benjamin und Trotzki. Wir retten das kulturelle Erbe für unsere Kinder!

Die Veranstaltung wird organisiert und unterstützt von Dock18, Digitale Allmend,
Wikimedia CH und Cabaret Voltaire.

== Gemeinfreie Werke und weitere Infos ==
• Autoren deren Werke gemeinfrei werden:
• Telepolis zu Werken die gemeinfrei werden:
• Communia – EU Projekt zum Thema Public Domain
• Weitere Public Domain Days in Europa

== Organisation und Unterstützung ==
• Dock18: http://www.rotefabrik.ch/dock18
• Digitale Allmend: http://blog.allmend.ch
• Wikimedia CH: http://www.wikimedia.ch
• Cabaret Voltaire: http://www.cabaretvoltaire.ch

== Für Fragen und weitere Informationen ==
Webseite und Blog: http://pdjam.wordpress.com
Daniel Boos, boos@allmend.ch, +41 78 767 22 38
Mario Purkathofer, mario.purkathofer@rotefabrik.ch, +41 78 659 32 63

Urheberrecht: Replik auf Kritik

Die zugespitzten Thesen zum Thema Urheberrecht haben ihre Anschubfunktion erfüllt. Sie haben ein umfangreiches Set von kritischen Beiträgen ausgelöst. Lebhafte Debatten machen eine Initiative wie die Digitale Allmend stärker und attraktiver. Eine eingehende Diskussion der Antworten würde den Rahmen des Blogs jedoch sprengen. Hier folgt also keine heroische Verteidigung der Thesen und schon gar nicht des Urheberrechts. Letzteres hat allenfalls einen instrumentellen Status. Es gehört für mich in den Werkzeugkasten und nicht auf den Altar existentieller Fragen. Ich werde mich auf die Thematik konzentrieren, die ich als Gravitationszentrum der Meinungsverschiedenheiten sehe: Die (Un)Gleichbehandlung verschiedener kultureller Aktivitäten.

Die Diskussion dreht sich nicht um Aspekte der Kunst- oder Meinungsfreiheit, sondern um die Gestaltung von ökonomischen Spielräumen für kulturelle Produkte. Wenn es für kulturelle Produkte ein Marktpotential gibt, sind die Produzenten häufig daran interessiert, ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen und ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Das gilt für Wissenschaftlerinnen und Psychiater, Stripperinnen und Programmierer.

Völlig zutreffend weist Hartwig darauf hin, dass Ökonomie und Markt immer „auf den Rahmen der herrschenden Gesetze“ bezogen sind. Dem kann ich nur zustimmen. Weder Markt noch Gesetze oder die Justiz sind spontan entstandene überzeitliche Wesenheiten. Sie sind konstruiert und politisch verhandelbar. Das ist natürlich ganz etwas anderes als das neoliberale Gleichgewichtsmodell. Der Begriff „Marktverzerrung“ (bei These 1) bezieht sich also nicht auf ein imaginäres Marktgleichgewicht! Die Verzerrung bezieht sich auf das Postulat nach einer Gleichbehandlung verschiedener kultureller Schöpfungen.

Eine kurze Bemerkung zum Begriff der Kultur. Früher wurde der Begriff eher mit Kunst gleichgesetzt. Inzwischen bildet Kunst (auch populäre) eine Teilmenge der Kultur, diese wird aber breiter verstanden. Kultur umfasst die gesellschaftliche Sphäre symbolischer Handlungen. In einer zweiten Verwendung wird der Begriff noch weiter gefasst, etwa im Sinn von Kultur der Maya. Kultur umfasst so die Sphäre der symbolischen und materiellen Artefakte – Kultur als Gegenbegriff zu Natur. (Dazu Terry Eagleton – Was ist Kultur?)

Ellison hui – Madonna pfui?

Vor diesem breiten Kulturbegriff plädiere ich dafür, grundsätzlich mal allen ProduzentInnen eine gleiche Chance auf eine ökonomische Nische zuzugestehen. Hartwig sieht das anders und kann nicht nachvollziehen, „warum es schlimm wäre“ wenn gewisse Kategorien von Gütern bessere Marktchance hätten.

Da sehe ich schon ein Begründungsproblem bei Positionen, die einen „free flow“ kultureller Artefakte anstreben und diesen dann sehr selektiv nur bei ausgewählten Spezies einfordern, etwa bei gewissen popkulturellen oder journalistischen Produkten. Aufschlussreicher als die Beispiele (wie die ärmste Madonna…) sind die Auslassungen: einige nicht ganz marginale Zonen symbolischer Produktion beim Staat oder in der IT-Branche. Warum sollen Madonnas Millionen pfui – Ellisons (Oracle) oder Zuckerbergs (Facebook) Milliarden hui sein?

Ohne auf Spekulationen einzutreten darf angenommen werden, dass hier ein starker Mechanismus am Werke ist, der zum vornherein eine Einteilung von kulturellen Tätigkeiten in wertvolle und weniger wertvolle antreibt. Klare Werte und scharfe Urteile sind keine Problem – das „zum vornherein“ hingegen schon. Es ist eine ehrenwerte Haltung, Madonna und ihre Millionen Gaga zu finden. Den Damen (und zahlreicheren viel bescheideneren Mitbetroffenen) die Grundlagen ihres Geschäftsmodells wegknipsen zu wollen, ist jedoch etwas ganz anderes.

Zusatz oder Teil?

Ein wertvolle Stütze für Fundamentalkritik würde sich ergeben, wenn sich das Urheberrecht als aufgepfropft und systemfremd beweisen liesse. Hartwig bringt den Begriff des „zusätzlichen Schutzes“ in die Diskussion ein.

Selbstverständlich ist das Urheberrecht ein spezielles Gebilde, das spezifische Elemente ökonomischer Wertschöpfung schafft und absichert. Nur: Gleiches gilt auch für eine ganze Reihe von anderen Bereichen. Etwa für sexuelle Dienstleistungen, wo Spezialvorschriften Modalitäten der entsprechenden Geschäftsmodelle regeln. Oder für staatliche Aktivitäten. Hier wird nur schon in der Schweiz in Hunderten von Personalgesetzen und Verordnungen das Entgeltmodell für symbolische Produktion im Angestelltenverhältnis konstituiert.

So drehe ich die Idee vom „Rahmen der herrschenden Gesetze“ gegen jede willkürliche Ausgrenzung. Ein grosser Strauss von Gesetzen und juristisch-polizeilichen Einrichtungen bilden das staatliche Dispositiv, das Wertschöpfungsprozesse schafft und schützt. Das Urheberrecht ist eines unter vielen Elementen dieses Dispositivs. Es kann keine Rede davon sein, dass diese Prozesse basierend auf Vertragsmodell naturhaft ablaufen. Auch das hardwarezentrierte Business eines Applestore an der Bahnhofstrasse oder die Services der Cablecom gedeihen nur unter diesem gesetzlichen und polizeilichen Schutzschirm.

Musik, Motoren und Cancun

Die Industrialisierung hat eine anhaltende Verbilligung der materiellen Produktion angestossen. Das gilt auch für die physischen Einrichtungen, auf denen Informationen aufsetzen. Nach dem Bedrucken von Papier und den elektronischen Massenmedien treibt die Informationstechnologie diesen Trend weiter voran. Es entstehen neuartige mediale Kanäle für Kommunikation und Publikation – sowohl für private und zivilgesellschaftliche als auch für professionelle Formen symbolischer Produktion. Es kann also nicht von der Technologie her begründet werden, dass gewisse Formen ökonomischer Wertschöpfung obsolet werden.

Kurz und gut: Ich plädiere für eine Mehr an Berufs-, Existenz- und Geschäftsmöglichkeiten im Reich der Symbole. Seit den neunziger Jahren ist eine Tendenz zur vielschichtigen Entwertung der immateriellen Kultur festzustellen. Der dezente Mittelstand wirft seine Kaufkraft auf Prestige verheissende materielle Güter. Das ist aus zwei Gründen nicht ganz optimal.

Erstens treibt die abnehmende Zahlungsbereitschaft für manche künstlerische oder journalistische Güter die smarten jungen Talente in die Arme des Staates. Vermutlich steht im Grossraum Zürich inzwischen bereits eine Mehrheit von staatlichen Öffentlichkeitsarbeitern einer schrumpfenden Zahl von professionellen JournalistInnen gegenüber. Wer die Existenzmöglichkeiten für kulturelle Freelancer unterspült, darf sich über die ausufernde Staats- und Subventionskultur nicht wundern.

Schliesslich erinnert uns die Klimakonferenz in Cancun an folgendes: Einfach aus ökologischen Gründen würde der wohlhabende Mittelstand gut daran tun, etwas Herzblut und Cash von Blech, Benzin und Beton hin zu immateriellen Gütern zu lenken. Dem Klima würde ein Rebalancing des Branchenmixes sicher nicht schaden: Wie wär’s mit mehr Musik und weniger Motoren?

Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur sechsten These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 bis These 5 bin ich schon eingegangen. Die sechste These lautete:

Die Tatsache, dass das Urheberrecht bisweilen zu Prozessen und Polizeiaktionen führt, nährt gelegentlich den Eindruck, dass hier der Staat selbständig zugunsten von Partikularinteressen agiert. Produzierende Individuen und ganze Szenen von potentiellen Rechteinhabern können das Gesetz aber einfach ignorieren. Nach 20 Jahren Electronica Remixes hat man nicht davon gehört, dass diese Szene von einer Prozesswelle nach der andern heimgesucht wird. Die Frage nach den Akteuren und dem Charakter des Urheberrechts muss also geklärt werden. Dazu These 6: Das Urheberrecht ist ein optionales Framework, das KünstlerInnen selektiv nutzen können durch: Ignorieren, modellierte Nutzungsrechte (Creative Commons), Benützen als Drohgebärde, Abtretung, aktive Rechtsdurchsetzung. Die Kreativen sind die Player.

Optional ist das Urheberrecht in keiner Weise und bei weitem nicht für alle Player. Das sieht aus der Perspektive der Urheber, der Verwerter und der Nutzer – so man diese Unterscheidung als grobe Einteilung zulassen will – doch sehr verschieden aus:

Solange es pauschale Zwangsabgaben gibt, haben die Urheber nicht die Option, dass sie den Nutzern das gebührenlose Kopieren gestatten.

Solange der Regisseur eines Films dessen Urheber ist, haben die kreativ Tätigen nicht die Option, mit gleich langen Spiessen Verträge auszuhandeln.

Solange das übertragbare Verbotsmonopol nur den Interessen der Verwerter (Verlag, Label, Studio) dient, ist es für die Urheber keineswegs optional.

Solange das Verbotsmonopol besteht, ist es auch für die Verwerter keineswegs optional. Sie haben nicht die Freiheit, einen gut laufenden Titel eines anderen Verlegers schöner, besser oder günstiger zu produzieren und auf den Markt zu bringen. Sogar schon das Zitat von „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ auf der Website einer Bildhauerin, wird unter Androhung drakonischer Strafen (“Gegenstandswert” 10’000 EURO, Anwaltsgebühren 775.64) verboten. Eine Prozesslawine ist im Internetbereich durchaus festzustellen. Die Kläger sind selten die Urheber, sondern deren Enkel und Urenkelinnen wie im Fall Valentin. Die haben ja auch besonders viel zum Werk beigetragen! Es ist also generell obligatorisch, in der Schule, in den Bibliotheken, auf dem Web einen grossen Bogen um Werke zu machen, die nicht mindestens 150 Jahre alt sind. Das ist für die Verwerterin Wikipedia nicht optional sondern obligatorisch!

Solange schliesslich nicht einmal die Bezahlung für das Anhören von Vuvuzuela-Lärm oder das Anschauen eines SVP-Plakats für die unfreiwillige Nutzer gratis ist, ist es doch sehr gewagt, das Urheberrecht als optional zu bezeichnen!

Das Urheberrecht ist also grundsätzlich ein Zwang für alle Beteiligten. Es wäre ja noch schöner, wenn wir Gesetze hätten, die optional wären!

Was in der These vermutlich gemeint ist: Die Ausübung des Verbotsmonopols, das im Gesetz den Urhebern zugestanden wird, ist für diese optional. Ein Monopolinhaber kann freiwillig auf die Ausübung seines Monopols verzichten.

Dieser Punkt ist richtig und wichtig und tatsächlich der Ausgangspunkt für die Creative Commons (CC)-Bewegung.

Dabei besteht allerdings ein Problem: Monopolinhaber glauben immer, etwas zu verlieren, wenn sie auf ein gesetzlich garantiertes Monopol freiwillig verzichten. Wenn plötzlich Konkurrenz auf den Markt kommt, müssten sie ja ihre Preise senken!

Diese weitverbreitete Ansicht ist im Bereich Immaterialgüter falsch, weil Konkurrenz in diesem Bereich anders funktioniert und die klassischen ökonomischen Überlegungen nicht auf sie angewendet werden können. Das wissen aber die meisten Urheber nicht. Darum wird die falsche Annahme, dass Kulturschaffende vom ihnen im Urheberrecht zugestandenen Verbotsmonopol profitieren immer noch von vielen geglaubt.

Die Diskussion um das Urheberrecht ist wieder in Gang gekommen, weil die Computertechnologie und das Internet im Bereich der Kreativindustrie einen ökonomischen Strukturwandel bewirkt haben. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sind die Kosten für das Kopieren geistiger Inhalte so tief gesunken, dass der Hauptanteil an der mit einer Publikation eines Werks verbundenen Investition nicht mehr die maschinelle. industrielle Massenproduktion von Werkexemplaren ist, sondern die Herstellung des Werks (des Manuskripts, des Gemäldes, der Tonspur) durch den Urheber. Die geringen mit dem Kopieren verbundene Kosten und die dazugehörige Arbeitszeit wenden die Nutzer gerne selber auf. So müssen auch keine Überproduktionen mehr eingestampft werden.

Damit sind die Urheber und Nutzer erstmals mächtiger geworden als die Verwerter. Nicht überraschend ist, dass die Verwerter, die auf diesen Strukturwandel nicht mit neuen Geschäftsmodellen reagiert haben, dadurch ökonomisch in Schwierigkeiten geraten. Nun klammern sie sich verzweifelt an eine Ausdehnung der Leistungsschutzrechte, bei denen die armen, hungernden Urheber nicht mehr als Feigenblatt für die Gier der Verwerter vorgeschoben werden, wie dies bisher jeweils generell beim Urheberrecht der Fall war, sondern direkt die armen, für die Kultur des Landes und der Welt doch ach so unabdingbaren Verwerter subventioniert werden sollen. Dank Fusionen gibt es weltweit nur noch zwei hauptsächlich betroffene amerikanische Musiklabels und eine Handvoll Filmstudios und ein paar Zeitungsmagnate, die hier nach staatlich garantiertem Schutz schreien.

Ich will hier keineswegs abstreiten, dass die Verwerter durch Korrektorat, Lektorat, Selektion, Organisation von Peer-Reviews etc. nützliche und entlöhnungswürdige Arbeit leisten. Das tun viele andere nicht subventionierte Menschen auch. Die Verwerter brauchen deswegen nicht an den Tropf ungerechtfertigter, öffentlicher Pauschalabgaben gehängt zu werden, sondern sie müssen sich damit abfinden, dass sich die Rollen von Urheber und Verwerter verschoben haben. In Zukunft wird ein Urheber, der das grosse Risiko der Herstellung eines unbestellten Werks trug, als Unternehmer die Dienstleistungen eines Korrektors, Lektors, Packagers, Vermarkters nach aufgewendeter Arbeitszeit einkaufen und nicht mehr gezwungen sein, sein Jackpot-Verbotsmonopol an den übermächtigen Verwerter abzutreten. Damit können die Verwerter wie jeder andere Dienstleister in unserer Gesellschaft ihre Dienstleistungen gegen Geld in Konkurrenz mit anderen anbieten. Der Beitrag des Korrektors zur hohen Kultur braucht ja gegenüber dem des Friseurs nicht unbedingt mit einem Verbots-Gesetz subventioniert zu werden.

Die CC-Bewegung basiert auf der in der Tiefenanalyse von Eckhard Höffner [1],[2] schön dargestellten und überzeugend argumentierten Einsicht, dass das geltende Urheberrecht, die Ausübung des übertragbaren Verbotsmonopols in erster Linie auch den Urhebern schadet. Der freiwillige Verzicht auf ihr Monopol nützt im ungestümen Kreativitätsschub der Internetentwicklung allen kulturell Tätigen, denn der wichtigste Nutzer ist der Urheber. Je mehr man die Nutzer prügelt, desto weniger Werke werden von den Urhebern geschaffen. Das Urheberrecht behindert als Besitzstandswahrungsinstrument die kreative Tätigkeit junger, noch unbekannter Künstler und somit die Entwicklung der Kultur im Ganzen.

Die Creative Commons-Lizenzen sind in dieser Situation ein interessantes gesellschaftliches Experiment: Sie schaffen einen Raum kreativer Werke, wo das Verbotsmonopol in verschiedener Weise einschränkt ist, um damit den – durchaus auch ökonomischen – Nutzen für die Urheber zu optimieren. Nach einigen Jahren dürfte sich herausstellen, dass man mit Creative Commons-Werken besser verdient als mit proprietären. (Die Software-Industrie hat das schon gelernt.) Dann wird das erfolgreichste Creative Commons-Modell ein interessanter Kandidat für ein modernes Urheberrecht sein. Die dann noch wesentlichen „some rights reserved“ werden eine gute Grundlage für die Gestaltung eines urheberrechtlichen Kulturschutzes darstellen, sofern es überhaupt einen solchen braucht.

Aus meiner Sicht wäre es schön, wenn die Creative Commons-Lizenzen noch durch eine frei wählbare Schutzfrist und ein obligatorisches Publikationsdatum (als Teil der Attribution) ergänzt würden. Dann könnte man auch „testen“, welche Schutzfristdauer ökonomisch für alle Beteiligten die beste ist.

Zur sechsten These also keine Antithese, sondern ein Fazit:

Auch wenn das Urheberrecht in den meisten Bereichen das Gegenteil vom ursprünglich Intendierten erreicht und am besten abgeschafft würde, kann man ja internationale Verträge und nationale Gesetzgebung nicht sehr schnell ändern. Je mehr kreativ Tätige allerdings realisieren, dass sie mit einem freiwilligen Verzicht auf ihr Verbotsmonopol ein höheres Einkommen erzielen, desto mehr wird die Creative Commons-Bewegung ein valables Testfeld für die zukünftige Notwendigkeit eines Urheberrechts bzw. seiner Ausgestaltung. Dies um so mehr, als die Creative Commons-Lizenzen weltweit synchron vergleichbar gehalten sind. Sie sind die fundamentalen Stützen kreativer Tätigkeit von morgen!

US-Attacke auf das System der Domänen-Namen

In Amerika sind an die Hundert Domänennamen „beschlagnahmt“ worden, berichtet etwa Heise [1] [2]. Die Begründung dieser Aktion mit fadenscheinigen Urheberrechtsargumenten [3] ist kaum glaubwürdig. Ihre Auswirkung trifft aber einen Nerv des Internet: das System der Domänen-Namen (DNS). Mit einem solchen Vorgehen wird die Aktivität von Millionen von Benutzern weltweit gestört. Man stelle sich vor, was passiert, wenn ein Schurkenstaat dieselbe Methode auf regimekritische Seiten anwendet, auf zentrale Börsen- oder Bankdomänen, auf lebenswichtige Gesundheitssysteme, die heutzutage alle auf dem Internet betrieben werden, oder gleich auf Google. Nach dieser amerikanischen Machtdemonstration, welche Mittel man in einem Cyber-Krieg einsetzen könnte, ist der Anfang vom Ende einer naiven, ungeregelten Informationsfreiheit sichtbar geworden.

Das Experiment

Machen Sie das Experiment selber: In einem ersten Schritt öffnen Sie ein Befehlsfenster, indem Sie unter Windows Start / Ausführen und dort cmd eintippen. (LINUX-Benutzer wissen ohnehin, wie man auf ihrer Version von LINUX ein Befehlsfenster öffnet.) In diesem Fenster tippen Sie folgende Befehle (jeweils gefolgt von der Betätigung der Eingabetaste):

nslookup 208.101.51.56

Die IP-Adresse (Internet-Protokoll-Adresse) 208.101.51.56 war vor der Beschlagnahme die Adresse der Domäne torrent-finder.com, einem beliebten Download-Service, der übrigens kaum mit Urheberrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden kann, Wenn man im Browser die URL http://208.101.51.56 eingibt, kommt man auch immer noch auf den gewünschten Server. Nur, wer kennt schon die IP-Adressen auswendig, die zu den Domänen-Namen in der URL gehören, wenn letztere beschlagnahmt sind?

Die Behörden, welche die Domäne beschlagnahmt haben, waren zu unfähig, den Reverse-Lookup (von IP-Adresse zu Domäne) zu unterbinden. (Den Fehler werden sie beim nächsten Mal nicht mehr machen!) Darum antwortet nslookup mit der Domäne torrent-finder.com, für welche die IP-Adresse registriert ist. Wenn Sie nun

nslookup torrent-finder.com

eintippen, um die zur Domäne torrent-finder.com gehörige IP-Adresse zu finden, erleben Sie eine Überraschung: nslookup antwortet mit 74.81.170.110, dabei hatten wir wieder 208.101.51.56 erwartet. Es kommt oft vor, dass verschiedene Domänen-Namen auf dieselbe IP-Adresse verweisen. Die Domäne der Haupt-IP-Adresse, welche im Reverse-Lookup eingetragen ist, sollte aber schon wieder auf diese IP-Adresse zeigen. Wenn Sie http://74.81.170.110 als URL im Browser eingeben, erscheint dieselbe idiotische Beschlagnahme-Meldung, wie wenn Sie http://torrent-finder.com eingeben. Der Browser benützt den Domänen-Namen-Lookup, der uns von nslookup angezeigt wird, um die IP-Adresse zu finden, von der die angeforderte Seite zu beziehen ist.

Erforschen wir, was hinter diesen neuen IP-Adresse steckt:

nslookup 74.81.170.110

nslookup antwortet mit dem Domänen-Namen unknown.carohosting.net. Wir können das Internet-Domänen-Registrationssystem WHOIS (http://www.internic.com/whois.html) verwenden, um mehr darüber zu erfahren. Wenn wir dort carohosting.net eingeben, erhalten wir die minimale Information, wo der Domänen-Name carohosting.net registriert ist:

Domain Name: CAROHOSTING.NET

Registrar: DOTSTER, INC.

Whois Server: whois.dotster.com

Referral URL: http://www.dotster.com

Name Server: NS1.CAROHOSTING.COM

Name Server: NS2.CAROHOSTING.COM

Status: ok

Updated Date: 10-jul-2010

Creation Date: 09-jul-2007

Expiration Date: 09-jul-2011

Der Whois Server whois.dotster.com stellt sich zwar tot, aber unter http://www.dotster.com findet man den WHOIS Service (https://secure.dotster.com/services/whois.php) dieses in Vancouver, Kanada, domizilierten Registrars. Wenn man dort carohosting.net eintippt, erhält man Auskunft, wer die Domäne registriert hat:

Registrant:

CaroNet Managed Hosting

900 Center Park Drive

Suite A

Charlotte, NC 28217

US

Registrar: DOTSTER

Domain Name: CAROHOSTING.NET

Created on: 09-JUL-07

Expires on: 09-JUL-11

Last Updated on: 19-JUN-10

Administrative, Technical Contact:

Master, Host hostmaster@carohosting.com

CaroNet Managed Hosting

900 Center Park Drive

Suite A

Charlotte, NC 28217

US

980-322-0195

Domain servers in listed order:

NS2.CAROHOSTING.COM

NS1.CAROHOSTING.COM

Es ist möglich, dass diese Firma CaroNet Managed Hosting in Charlotte, NC von Dritten missbraucht wurde. Aber die Nähe zu wichtigen Sitzen der CIA und des NCS (National Clandestine Service – schöner Name!) ist doch auffällig.

Das Problem

Das Experiment sollte einerseits aufzeigen, wie zentral das System der Domänen-Namen ist. Man stelle sich einfach eine beliebige andere Domäne statt torrent-finder.com vor, die so gegen ihren Willen umgeleitet wird. Eine Umleitung braucht auch nicht in einer debilen Urheberrechts-Meldung zu enden. Sie könnte Ihnen auch eine mit der Originalseite verwechselbare Anmeldeseite für Ihr Bankkonto anzeigen und mit den von Ihnen eingegebenen Sicherheitsdaten auf Ihrem Bankkonto beliebiges Unheil anrichten. (Leider ist das gesamte weltweite Telebanking immer noch nicht gegen Mittelsmann-Attacken gefeit, obwohl das nicht so schwierig wäre.) Zur Umleitung ist weder die Information noch die Zustimmung des Domäneninhabers nötig. Dessen Server läuft fröhlich weiter, wenn auch mit eher wenigen Besuchern. Eine Weile lang dürften noch Benutzer mit im Browser gecachten IP-Adressen den richtigen Weg finden.

Andererseits sollte das Experiment demonstrieren, was das System der Domänen-Namen ist und wozu es dient. Sie können im Befehlsfenster jetzt exit tippen, um es zum Verschwinden zu bringen. Das Experiment ist abgeschlossen.

Während das Internet mit seinen IP-Adressen, das Netz zwischen den Netzen, welches Teilnetze global verbindet, zwar lokal leicht verwirrbar ist, besitzt es doch keinen zentralen Mechanismus, mit dem man es global ausser Gefecht setzen kann. Das System der Domänen-Namen jedoch, welches einer Domäne eine IP-Adresse zuordnet, ist hierarchisch aufgebaut. Der hinterste Teil eines Domänen-Namens (.com oder .ch) ist eine sogenannte Top-Level-Domäne. Diese werden für die einzelnen Länder national verwaltet, für die „klassischen“ .com etcetera standen die Server früher im MIT, welches sich gegen jegliche politische Instrumentalisierung wehrte. Heute werden sie von verschiedenen privaten und öffentlichen amerikanischen Institutionen betrieben und sind somit der Jurisdiktion der USA hilflos ausgeliefert. Konkret hat die US-Justiz in diesem Fall in die von VeriSign, Inc. verwalteten Server eingegriffen. (Es dürfte unklug sein, in Zukunft Zertifikate von dieser Firma zu beziehen.) Weil im Ausland verwaltete Top-Level-Domänen nicht ganz so leicht beschlagnahmt werden können, funktioniert etwa die Domäne torrent-finder.info noch.

Die Konsequenzen

Eine der Konsequenzen ist, dass sich normale Benutzer mit den Konzepten IP-Adresse und Domänen-Name vertraut machen müssen, um Kontrolle zu behalten, was mit ihnen passiert. Eine generelle Anzeige der IP-Adresse in Browsern (also was nslookup ausgeben würde) wäre sehr wünschbar. In der Türkei haben die Benutzer schon lange gelernt, wie man die IP-Adresse von YouTube eingibt, um die behördliche (übrigens ebenfalls urheberrechtlich begründete) Zensur zu vermeiden.

Eine andere Konsequenz ist, dass die USA der Welt gezeigt hat, wie man Cyber-Krieg spielt. Es ist zu befürchten, dass diese Welt sich sehr lernfähig zeigen wird.

Der konkreten Bedrohung des Systems der Domänen-Namen kann begegnet werden, wenn man möglichst viele Clone der Top-Level-Domänen-Server aufstellt. Wenn diese historisiert – etwa in der Landesbibliothek – verfügbar sind, kann man wenigstens manuell alte Domänen-IP-Verbindungen nachschauen.

Generell muss man aber wohl die Governance des Internet auf die Länge dem – bisher so liberalen und bequemen – Laisser-Faire-Raum der amerikanischen Justiz entziehen und einer UNO-nahen supranationalen Institution übertragen, welche solche systematischen, menschenverachtenden Verletzungen der internationalen Kommunikation mit der Gewalt ihrer Teilnehmerstaaten sanktionieren kann.

Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur fünften These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 bis These 4 bin ich schon eingegangen. Die fünfte These lautete:

Das Urheberrecht begrenzt die Ansprüche der Rechtinhaber im Alltag der Zivilgesellschaft und im Bildungswesen. Das Urheberrecht schützt etwa den Anspruch der Individuen, urheberrechtlich geschützte Werke im Rahmen von Freundeskreis und Familie zu kopieren und weiterzugeben. Im Bibliotheksbereich kann Ausleihe nicht unterbunden werden. Die Interessen der Allgemeinheit sind allerdings in manchen Bereichen zu wenig geschützt. Krass ist vor allem die lange zeitliche Dauer des urheberrechtlichen Schutzes. So legitim es ist, die Ansprüche von Kreativen zu schützen – Generationen von Erben mit Tantiemenströmen zu versorgen, hat nichts mit der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Kulturproduktion zu tun.  These 5: Das Urheberrecht implementiert im öffentlichen Interesse substantielle Beschränkungen der Ansprüche von Rechteinhabern. Die öffentlichen Interessen bleiben aber untergewichtet, insbesondere bei der Dauer des urheberrechtlichen Schutzes.

Mit dieser These kann ich mich einverstanden erklären, sie wirkt für mich aber etwas zahm. Es werden hier die „Schranken“ des Urheberrechts gemäss Berner Konvention angesprochen und als grosszügige Einschränkungen der unumschränkten Rechte der Rechteinhaber im Interesse der Öffentlichkeit gelobt. Sie würden nur in gewissen Extrempunkten diesem Interesse der Öffentlichkeit nicht genügend gerecht.

Ich akzeptiere aber die als selbstverständlich unterstellten unumschränkten Rechte der Rechteinhaber im Sinne des heute geltenden Urheberrechts grundsätzlich nicht. Wenn geistiges Eigentum keine eigentliche Existenz hat – und auch nicht in der Steuererklärung als Vermögen deklariert wird – dann besteht kein Grundrecht auf ein übertragbares Verbotsmonopol, wie es das heutige Urheberrecht zugunsten der Verwerter, also hauptsächlich der grossen Verleger, Labels und Studios der kulturellen Superstars, darstellt. Wenn Immaterialgüter nicht die Eigenschaften handelbarer Güter haben, dann ist nicht einzusehen, warum es grossmütig sein soll, dem übertragbaren Verbotsmonopol Schranken aufzuerlegen.

Die These behauptet, dass die öffentlichen Interessen untergewichtet bleiben. Das klingt so, als ob eine Erweiterung der Schranken – etwa eine Reduktion der Schutzfristen – den öffentlichen Interessen besser gerecht würden. Es ist sicher richtig, dass man die Fehler der Grundkonstruktion Urheberrecht teilweise mildern kann, indem man die Ausnahmen (Schranken) vergrössert. Letztlich wäre es aber zielführender gar kein Gesetz zu haben, als zwei Gesetze: eines das eine völlig unhaltbar Konstruktion immaterieller Materie enthält und eines, das den daraus abgeleiteten ewigen Totalanspruch im Interesse der Öffentlichkeit teilweise wieder aufhebt.

In den letzten hundert Jahren ist die Gier nach dem grossen Lottogewinn (kulturelle Superstars wie Madonna und J. K. Rowling) auf Kosten der durchschnittlichen Einnahmen der grossen Menge der Kulturschaffenden durch immer weiter gehende Schutzbestimmungen gefördert worden, welche die Einnahmen der Bestseller ins Unermessliche steigen und diejenigen aller anderen auf Null (oder darunter: Druckkostenzuschüsse) sinken liessen.

Die schwerwiegendsten Nachteile des heutigen Urheberrechts sind:

  • Übertragbarkeit des Verbotsmonopols, welche in der Situation des mittellosen Urhebers gegenüber dem Risikoinvestor (Verleger, Label, Studio) zur totalen Aufgabe seiner Rechte als Normalzustand führt (s. „normale“ Verlagsverträge).
  • Unsinnige Schutzfristen, welche Witwen, Urenkel und Stiftungsadministratoren ernähren und den winkenden Jackpot-Gewinn ins Unermessliche steigern, während sie gleichzeitig zur Geschichtslosigkeit der heutigen Generation führen. Allfällige Schutzfristen müssten grundsätzlich an das Publikationsdatum und nicht an den Tod des Urhebers gebunden werden, besonders da der einzelne Urheber immer seltener und die Anwendung der Schutzfristen ab Tod einer einfache Gesellschaft von Urhebern immer unsinniger und unmöglicher wird.
  • Pauschalabgaben, die ich für Vorhandensein von Speicher auf meinem Natel bezahlen muss, weil ich damit ja eine Foto machen könnte, auf der ein Plakat mit Raben oder Schäfchen abgebildet ist – ein Werk mit hohem kulturellem Wert! – die von der Pro Litteris unbedingt nach Abzug von Löhnen über 300‘000 Franken pro Person und Jahr für ihre wertvolle Administration der Kulturgüter an die Werbeagentur der SVP auszahlen muss, damit die Kultur der Schweiz nicht untergeht. (N.B.: Für Folgen von Ironie in öffentlichen Meinungsdarstellungen wird nicht gehaftet!) Kultureller Ausdruck ist immer auch Werbung. Die Nutzniesser sind nicht immer die Zwangskonsumenten von Plakaten und Muzak, die immer frech vom Urheberrecht als „Nutzer“ hingestellt werden,  sondern diejenigen, für welche Werbung gemacht wird. Pauschalgebühren sind zutiefst unmoralisch, da sie die Öffentlichkeit mit dem billigen Argument, es wäre zu schwierig oder zu teuer, Einzeleinzüge und Mikropayments zu verlangen, dazu zwingen, die Werbung, die zu ihrer Vernichtung aufruft, auch noch zu bezahlen.
  • Monopolstellung der Verwertungsgesellschaften durch die unheilvolle Verknüpfung von Pauschalabgaben, Kontrahierungszwang und genossenschaftlicher Interessenwahrnehmung. Gegen letztere ist absolut nichts einzuwenden. Die Interessen könnten von mehreren konkurrenzierenden Genossenschaften wahrgenommen werden. Dann gäbe es vielleicht einmal gewerkschaftlich durchgesetzte Musterverträge mit Verlagen, welche diese nicht automatisch zum totalen Rechteinhaber für die nächsten 100 Jahre machen, ohne dass sie auch nur verpflichtet werden, das Werk wirklich zu veröffentlichen. (Hier hat die SSA völlig versagt. Das Verbotsmonopol lädt dazu ein, mit Verbieten des Publizierens Profit zu machen, nicht mit Publizieren.) Pauschalabgaben sind pauschal abzuschaffen. Nur so können die Einnahmen der Urheber steigen.
  • Die immer weiter ausgedehnte Gültigkeit des Urheberrechts für immer „kleinere Münze“ ohne Schöpfungshöhe – wie etwa die vorliegenden schnell zusammengeschriebenen Zeilen. 95% der Anfragen an das IGE betreffen die Frage, ob man ein Werk schützen könne. Die Urheber können also durchaus unterscheiden zwischen alltäglicher Äusserung und einem mit vieler Arbeit hergestellen Werk. Wenn sie ein solches geschaffen haben, wollen sie es mit einem © „schützen“. Es wäre duchaus sinnvoll, eine Registrierungspflicht einzuführen, ohne welche kein Schutz statthat. Dadurch würde auf einen Schlag alles nicht Geschützte gemeinfrei.
  • Die immer weiter gefasste Einschränkung der Erschöpfung des Urheberrechts bei Erwerbung eines Werkexemplars, welche das Ausleihen, Verschenken, Auswendiglernen, Vorsingen, Vorlesen, Übersetzen, Zitieren, Verwenden, Remixen etc. und damit einen beträchtlichen Teil des Kulturschaffens und der Bildung verunmöglicht.

Diese Nachteile des geltenden Urheberrechts könnte man natürlich mittels Erweiterung der Schrankenbestimmungen in der Berner Konvention mildern. Diese könnten etwa die international geforderten Mindestschutzfrist von 70 Jahren p.m.a. (post mortem auctoris) auf 10 Jahre p.p. (post publicationem) reduzieren. Das wäre dann allerdings erst eine optionale Schranke, bis zu der die nationalen Gesetzgebungen die Schutzfristen senken dürften. Man könnte auch als neue Schranke einführen, dass die nationalen Gesetzgebungen keine Übertragbarkeit des Verbotsmonopols vorzusehen brauchen. Aber es bleibt doch immer ein Flickwerk, wo man den einen Unsinn mit einem Gegenunsinn aufzuheben versucht. Das merkt man schon daran, dass man als Durchschnittsbürger und Nichtjurist das Wort „Schranken“ als Einschränkung versteht, während es in diesem Zusammenhang ausgehend von totaler Einschränkung eine Einschränkung von Einschränkungen, also eine Freistellung bedeutet.

Fünfte Antithese:

Die Berner Konvention ist nicht zu korrigieren, sondern zu kündigen.

Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur vierten These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 bis These 3 bin ich schon eingegangen. Die vierte These lautete:

Der übergeordnete Wert der Informations- und Meinungsfreiheit setzt Prioritäten. Schutzrechte wie das Urheberrecht dürfen Grundrechte nicht tangieren. Das Gesetz handhabt die Problematik, indem Information, Wissen oder Meinungen gar nicht reguliert werden, meint These 4: Das Urheberrecht stellt keine substantielle Einschränkung der Information- und Meinungsfreiheit dar. Es reguliert nicht den Fluss von Informationen, Wissen oder Meinungen, sondern die Handhabung konkreter Instanzen, der Werke. Auch Zusammenfassungen, Informationen, Wissen oder Meinungen zu Werken können frei zirkulieren.

Diese These wehrt einen Einwand gegen das Urheberrecht ab, der eher selten erhoben wird. Dass zentrale Verfassungsfreiheiten vom Urheberrecht kaum eingeschränkt werden, trifft wohl auf das heutige Urheberrecht in der Schweiz grossenteils zu.

Die dauernde Verschärfung des Urheberrechts hat aber doch einige Breschen auch in die Informations- und Meinungsfreiheit geschlagen:

  • Die Meinungsfreiheit Sehbehinderter wird massiv beeinträchtigt durch urheberrechtliche Forderungen an Blindenbibliotheken und die Pauschalabgaben auf Leerkassetten und CD- und DVD-Rohlingen. Auf der Basis dieses ökonomischen Drucks und der widerlichen juristischen Drohhaltung der Rechteinhaber, die mit Millionenrisiken für die Blindenbibliotheken verbunden sind, verzichten viele Organisationen darauf, Informationen Behinderten zugänglich zu machen.
  • Ich kenne privat ganz konkret eine erstaunliche Anzahl von Dokumentarfilmen, die nicht mehr hergestellt werden können, weil in der Realität das Aufnehmen von geschützten Plakaten, Corbusier-Stühlen, Musik nicht vermeidbar sind und der Aufwand für die Rechtebeschaffung jegliches Mass überschritten hat. Ausserdem müssen Dokumentarfilme oft mit historischem Film- und Bildmaterial arbeiten. Während eine Nachrichtensendung „gemeinfreie“ News ausstrahlt, ist jedoch die archivierte Nachrichtensendung oft bzw. angeblich urheberrechtlich geschützt und gilt in Dokumentarfilmen nicht als Zitat. Der Dokumentarfilm der Zukunft findet in einem weissen Raum mit schalldichten Wänden statt.
  • Die Tatsache, dass wegen dem Exklusivitätsmonopol der Urheber viele historischen Dokumente, die ja inzwischen wegen lächerlich tief angesetzter Schöpfungshöhe alle „Werke“ sind, erst nach 100 Jahren wieder zugänglich werden, hat zu einer generellen Geschichtslosigkeit der jüngeren Generation geführt, die eben leider überhaupt keinen freien Zugang zu älteren Informationen, zu älterer Literatur, zu alten Schlagern hat. Deren Publikation wird von den Rechteinhabern systematisch mit Hilfe es Urheberrechts blockiert, weil ältere kulturelle Werke den Konsum der neueren konkurrenzieren könnten. Das Urheberrecht als Verbotsmonopol dient eben vor allem dem Verbieten und dem Unterdrücken von Kultur.
  • Zusammenfassungen, Nacherzählungen von Werken werden von Rechteinhabern regelmässig verboten und das Verbot wird von den Gerichten geschützt.
  • Der Fluss von Informationen wird von Rechteinhabern (Zeitungsimperien) behindert, die Abgaben auf der Publikation von Links (z.B. in Suchmaschinen) fordern. Die Abgaben auf Weiterleitungen hindert Schulen daran, Schulsendungen zu zeigen. Bei Weiterleitungen geht es doch sicherlich um den „Fluss“ von Informationen?

Vierte Antithese:

Auch wenn es heute noch grossenteils richtig ist, dass die Informations- und Meinungsfreiheit nicht zentral vom Urheberrecht behindert wird, sind doch überall Ansätze dazu sichtbar. Eine ökonomische Behinderung ist überall sichtbar. Damit werden ökonomisch Schwache vom freien Fluss der Information ausgeschlossen. Die Macht des Ausschlusses ist in den Händen der Monopolinhaber, deren ökonomische Macht vom Urheberrecht gesetzlich garantiert wird. Wehret den Anfängen!

Nachtrag:

Es ist sehr schwer, zu quantifizieren, wieviele Werke, vom Urheberrecht verhindert, nicht geschaffen wurden, da diese eben gar nie das Licht der Welt erblickten. Aber es ist unzweifelhaft, dass das übertragbare Verbotsmonopol dazu führt, dass es verwaiste Werke gibt und dass es der heutigen Generation schwierig bis unmöglich gemacht wird, sich über die Zeit vor fünfzig Jahren zu informieren.

Ein Beispiel: Ich wollte einer Nichte die Bedeutung von Hörspielen in den Sechzigerjahren erklären. Polizischt Wäckerli und der Hügü-Töbeli und so. Aber auch unbekanntere, wie das wunderbare Stück über die zwei Wassertropfen, die in der Heizung eines Hauses von Heizkörper zu Heizkörper wandern und den akustischen Ereignissen in jedem Zimmer lauschen. Der ältere, der mehrere Jahrtausende alt war, seit er zum letzten Mal aus einer Wolke kondensiert zu Boden fiel, erklärt dem jüngeren, dass man die Menschen auf „Ernährung und Vermehrung“ reduzieren kann und erklärt aus diesem Grundsatz heraus die Streitereien, Liebesszenen, Leiden, die man in den verschiedenen Zimmern und Wohnungen ansatzweise mitbekommt.

Ich suchte – Internet sei Dank! (http://www.zeit.de/1965/50/Hoerspiel-fuer-zwei) – nach dem Stück und fand heraus, dass es von Karl Wittlinger stammt. Ich hätte wenigstens das Drehbuch gerne den Jungen gezeigt und wandte mich an die „Felix Bloch Erben Verlag GmbH“ beim Amtsgericht Charlottenburg mit der Bitte, mir eine Fotokopie des Stücks anzubieten. Ich sei bereit, einen anständigen Betrag dafür zu bezahlen. Das Amtsgericht teilte mir mit, dass die Rechte von der „Musikverlag und Bühnenvertrieb Zürich AG“ verwaltet werden. Dieser teilte mir mit, dass er weder eine Aufnahme noch ein Buch des Stücks besitze. Einer Bestellung von Privatpersonen könne nicht entsprochen werden. Sie würden nur Aufführungsrechte verkaufen. Wie soll jemand den Plan einer Aufführung entwickeln, wenn niemand das Drehbuch zu lesen bekommt?

Es ist mir nicht ganz klar, ob es nun wirklich kein Werkexemplar mehr gibt sondern nur noch das körperlose, handelbare Verbotsmonopol. Jedenfalls war niemand bereit – auch für mehrere hundert Franken – eine Fotokopie zu machen oder eine Audiokopie von Radio DRS anzufordern.

Ist die Blockierung des Zugangs zur Kultur der eigenen Geschichte keine Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit?

Dann noch ein Beispiel, wo das Urheberrecht durchaus sachfremd bewusst zur politischen Zensur und Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit benutzt wird: Der Staat Bayern verbietet als Rechteinhaber den Nachdruck von Hitlers „Mein Kampf“. Damit fördert er einerseits die Geschichtslosigkeit der heutigen Jugend und die mythologische Überhöhung dieses Politikers bei den jugendlichen Neonazis. Man kann beim besten Willen heute nicht mehr behaupten, dass dieses Buch die Massen zum Rassismus bekehren könnte. Es ist derart konfus, dass eher der gegenteilige Effekt eintreten dürfte. Das war übrigens schon zu Zeiten seiner Ersterscheinung der Fall. Hitler ist nicht wegen sondern trotz diesem Unsinn an die Macht gekommen. Das Buch charakterisiert aber gut, welche irrationalen Ängste und Wahnvorstellungen damals an die Oberfläche gespült wurden. Man kann daraus viel über das Ausbrechen etwa des Bosnienkonflikts lernen. Vielleicht sogar ein bisschen über die Verhinderung ähnlichen Wahnsinns … Aber das Urheberrecht verbietet es! Ich bin gespannt, ob am 1.1.2016, wenn die 70 Jahre nach dem Tod des Autors abgelaufen sein werden, am Public Domain Day ein neues Gesetz den freien Zugang zu den Schriften desjenigen Mannes behindern wird, der eine der grössten Katastrophen der europäischen Geschichte bewirkt hat.

Schliesslich besteht natürlich eine brutale und flächendeckende Zensur der Meinungen, die sich gegen das Urheberrecht wenden. Jemand, der so etwas schreibt, findet keinen Verleger, wird von den Vertrieben boykottiert und kommt nicht in den Buchhandel. Das Verbotsmonopol und die durch dieses geförderten kartellistischen Strukturen des SBVV und der Buchpreisbindung werden bis zum letzten Tropfen ausgesaftet, um diese Meinung zu unterdrücken. Man sehe sich mal an, wie das schon erwähnte geniale Werk von Eckhard Höffner zu diesem Thema behandelt wird.