Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur fünften These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 bis These 4 bin ich schon eingegangen. Die fünfte These lautete:

Das Urheberrecht begrenzt die Ansprüche der Rechtinhaber im Alltag der Zivilgesellschaft und im Bildungswesen. Das Urheberrecht schützt etwa den Anspruch der Individuen, urheberrechtlich geschützte Werke im Rahmen von Freundeskreis und Familie zu kopieren und weiterzugeben. Im Bibliotheksbereich kann Ausleihe nicht unterbunden werden. Die Interessen der Allgemeinheit sind allerdings in manchen Bereichen zu wenig geschützt. Krass ist vor allem die lange zeitliche Dauer des urheberrechtlichen Schutzes. So legitim es ist, die Ansprüche von Kreativen zu schützen – Generationen von Erben mit Tantiemenströmen zu versorgen, hat nichts mit der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Kulturproduktion zu tun.  These 5: Das Urheberrecht implementiert im öffentlichen Interesse substantielle Beschränkungen der Ansprüche von Rechteinhabern. Die öffentlichen Interessen bleiben aber untergewichtet, insbesondere bei der Dauer des urheberrechtlichen Schutzes.

Mit dieser These kann ich mich einverstanden erklären, sie wirkt für mich aber etwas zahm. Es werden hier die „Schranken“ des Urheberrechts gemäss Berner Konvention angesprochen und als grosszügige Einschränkungen der unumschränkten Rechte der Rechteinhaber im Interesse der Öffentlichkeit gelobt. Sie würden nur in gewissen Extrempunkten diesem Interesse der Öffentlichkeit nicht genügend gerecht.

Ich akzeptiere aber die als selbstverständlich unterstellten unumschränkten Rechte der Rechteinhaber im Sinne des heute geltenden Urheberrechts grundsätzlich nicht. Wenn geistiges Eigentum keine eigentliche Existenz hat – und auch nicht in der Steuererklärung als Vermögen deklariert wird – dann besteht kein Grundrecht auf ein übertragbares Verbotsmonopol, wie es das heutige Urheberrecht zugunsten der Verwerter, also hauptsächlich der grossen Verleger, Labels und Studios der kulturellen Superstars, darstellt. Wenn Immaterialgüter nicht die Eigenschaften handelbarer Güter haben, dann ist nicht einzusehen, warum es grossmütig sein soll, dem übertragbaren Verbotsmonopol Schranken aufzuerlegen.

Die These behauptet, dass die öffentlichen Interessen untergewichtet bleiben. Das klingt so, als ob eine Erweiterung der Schranken – etwa eine Reduktion der Schutzfristen – den öffentlichen Interessen besser gerecht würden. Es ist sicher richtig, dass man die Fehler der Grundkonstruktion Urheberrecht teilweise mildern kann, indem man die Ausnahmen (Schranken) vergrössert. Letztlich wäre es aber zielführender gar kein Gesetz zu haben, als zwei Gesetze: eines das eine völlig unhaltbar Konstruktion immaterieller Materie enthält und eines, das den daraus abgeleiteten ewigen Totalanspruch im Interesse der Öffentlichkeit teilweise wieder aufhebt.

In den letzten hundert Jahren ist die Gier nach dem grossen Lottogewinn (kulturelle Superstars wie Madonna und J. K. Rowling) auf Kosten der durchschnittlichen Einnahmen der grossen Menge der Kulturschaffenden durch immer weiter gehende Schutzbestimmungen gefördert worden, welche die Einnahmen der Bestseller ins Unermessliche steigen und diejenigen aller anderen auf Null (oder darunter: Druckkostenzuschüsse) sinken liessen.

Die schwerwiegendsten Nachteile des heutigen Urheberrechts sind:

  • Übertragbarkeit des Verbotsmonopols, welche in der Situation des mittellosen Urhebers gegenüber dem Risikoinvestor (Verleger, Label, Studio) zur totalen Aufgabe seiner Rechte als Normalzustand führt (s. „normale“ Verlagsverträge).
  • Unsinnige Schutzfristen, welche Witwen, Urenkel und Stiftungsadministratoren ernähren und den winkenden Jackpot-Gewinn ins Unermessliche steigern, während sie gleichzeitig zur Geschichtslosigkeit der heutigen Generation führen. Allfällige Schutzfristen müssten grundsätzlich an das Publikationsdatum und nicht an den Tod des Urhebers gebunden werden, besonders da der einzelne Urheber immer seltener und die Anwendung der Schutzfristen ab Tod einer einfache Gesellschaft von Urhebern immer unsinniger und unmöglicher wird.
  • Pauschalabgaben, die ich für Vorhandensein von Speicher auf meinem Natel bezahlen muss, weil ich damit ja eine Foto machen könnte, auf der ein Plakat mit Raben oder Schäfchen abgebildet ist – ein Werk mit hohem kulturellem Wert! – die von der Pro Litteris unbedingt nach Abzug von Löhnen über 300‘000 Franken pro Person und Jahr für ihre wertvolle Administration der Kulturgüter an die Werbeagentur der SVP auszahlen muss, damit die Kultur der Schweiz nicht untergeht. (N.B.: Für Folgen von Ironie in öffentlichen Meinungsdarstellungen wird nicht gehaftet!) Kultureller Ausdruck ist immer auch Werbung. Die Nutzniesser sind nicht immer die Zwangskonsumenten von Plakaten und Muzak, die immer frech vom Urheberrecht als „Nutzer“ hingestellt werden,  sondern diejenigen, für welche Werbung gemacht wird. Pauschalgebühren sind zutiefst unmoralisch, da sie die Öffentlichkeit mit dem billigen Argument, es wäre zu schwierig oder zu teuer, Einzeleinzüge und Mikropayments zu verlangen, dazu zwingen, die Werbung, die zu ihrer Vernichtung aufruft, auch noch zu bezahlen.
  • Monopolstellung der Verwertungsgesellschaften durch die unheilvolle Verknüpfung von Pauschalabgaben, Kontrahierungszwang und genossenschaftlicher Interessenwahrnehmung. Gegen letztere ist absolut nichts einzuwenden. Die Interessen könnten von mehreren konkurrenzierenden Genossenschaften wahrgenommen werden. Dann gäbe es vielleicht einmal gewerkschaftlich durchgesetzte Musterverträge mit Verlagen, welche diese nicht automatisch zum totalen Rechteinhaber für die nächsten 100 Jahre machen, ohne dass sie auch nur verpflichtet werden, das Werk wirklich zu veröffentlichen. (Hier hat die SSA völlig versagt. Das Verbotsmonopol lädt dazu ein, mit Verbieten des Publizierens Profit zu machen, nicht mit Publizieren.) Pauschalabgaben sind pauschal abzuschaffen. Nur so können die Einnahmen der Urheber steigen.
  • Die immer weiter ausgedehnte Gültigkeit des Urheberrechts für immer „kleinere Münze“ ohne Schöpfungshöhe – wie etwa die vorliegenden schnell zusammengeschriebenen Zeilen. 95% der Anfragen an das IGE betreffen die Frage, ob man ein Werk schützen könne. Die Urheber können also durchaus unterscheiden zwischen alltäglicher Äusserung und einem mit vieler Arbeit hergestellen Werk. Wenn sie ein solches geschaffen haben, wollen sie es mit einem © „schützen“. Es wäre duchaus sinnvoll, eine Registrierungspflicht einzuführen, ohne welche kein Schutz statthat. Dadurch würde auf einen Schlag alles nicht Geschützte gemeinfrei.
  • Die immer weiter gefasste Einschränkung der Erschöpfung des Urheberrechts bei Erwerbung eines Werkexemplars, welche das Ausleihen, Verschenken, Auswendiglernen, Vorsingen, Vorlesen, Übersetzen, Zitieren, Verwenden, Remixen etc. und damit einen beträchtlichen Teil des Kulturschaffens und der Bildung verunmöglicht.

Diese Nachteile des geltenden Urheberrechts könnte man natürlich mittels Erweiterung der Schrankenbestimmungen in der Berner Konvention mildern. Diese könnten etwa die international geforderten Mindestschutzfrist von 70 Jahren p.m.a. (post mortem auctoris) auf 10 Jahre p.p. (post publicationem) reduzieren. Das wäre dann allerdings erst eine optionale Schranke, bis zu der die nationalen Gesetzgebungen die Schutzfristen senken dürften. Man könnte auch als neue Schranke einführen, dass die nationalen Gesetzgebungen keine Übertragbarkeit des Verbotsmonopols vorzusehen brauchen. Aber es bleibt doch immer ein Flickwerk, wo man den einen Unsinn mit einem Gegenunsinn aufzuheben versucht. Das merkt man schon daran, dass man als Durchschnittsbürger und Nichtjurist das Wort „Schranken“ als Einschränkung versteht, während es in diesem Zusammenhang ausgehend von totaler Einschränkung eine Einschränkung von Einschränkungen, also eine Freistellung bedeutet.

Fünfte Antithese:

Die Berner Konvention ist nicht zu korrigieren, sondern zu kündigen.

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