Die ACTA-Debatte

Es gab eine Zeit, als nur Wenige von ACTA hörten, aber nichts Genaueres wussten. Der kanadische Rechtswissenschaftler Michael Geist gehörte zu den ersten Sachkundigen, der bis dahin geheim gehaltene Details aus den Verhandlungen erfuhr und „leakte“ – und diese Veröffentlichungen zogen rasch Kreise in der internationalen Zivilgesellschaft. In der Schweiz gehörte die Digitale Allmend neben der Swiss Internet User Group (SIUG), der Digitalen Gesellschaft und der Piratenpartei zu den ersten, welche die noch spärlichen Informationen verbreiteten und auch beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE), zuständig für die Schweiz, nachfragten.

Initiiert wurde das Abkommen im Jahr 2008 von den USA und Japan. In insgesamt elf Verhandlungsrunden einigten sich die verhandelnden Länder (neben den beiden Initianten die EU und ihre Mitgliedsstaaten, Mexiko, Singapur, Südkorea, Marokko, Neuseeland, Australien, Kanada und die Schweiz) auf den Vertragstext.

Seit einigen Monaten ist das internationale Handelsabkommen Anti-Counterfeiting Trade Agreement unter dem Kürzel ACTA zum Politikum geworden, noch bevor sich die handverlesenen Vertragsparteien im Oktober 2011 in Japan zur Erstunterzeichnung trafen. Und je mehr Details aus dem Vertragstext bekannt wurden, desto schneller wuchs der Widerstand; die Ausführungsbestimmungen zum umstrittenen Text werden noch immer geheim gehalten und geben Anlass zu Spekulationen. Auch in der Schweiz haben am 11. Februar hunderte Menschen in Zürich, Basel und Genf gegen das Abkommen demonstriert.

Die Kritik an diesem Vertragswerk, das in den nächsten Monaten noch manche parlamentarische Ratifizierungshürden nehmen muss, ist inzwischen so vielfältig, dass sie sich in einem kurzen Blog-Beitrag kaum zusammenfassen lässt. Jedenfalls, so argwöhnen die Kritiker, werden mit ACTA die wirtschaftlichen Interessen von Rechteinhabern und Verwertern, Markeninhabern und Grosskonzernen über das öffentliche Interesse am freien Zugang zu Informationen gestellt. Ausserdem, so ist zu befürchten, lassen die geplanten ACTA-Sanktionen jegliche Verhältnismässigkeit vermissen. Daher verweisen wir nachstehend auf einige wesentliche Links zum Thema:

Copiepresse vs. Google

Nicht nur in der Schweiz wünschen Zeitungen, am finanziellen Erfolg von Google zu partizipieren. Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass ihre hart erarbeiteten Inhalte Google zum finanziellen Erfolg verhelfen und darum mit einem Leistungsschutzrecht pauschal abgegolten werden müssen. Man kann das natürlich auch anders sehen: Googles hart erarbeitete Technologie ermöglicht den Zeitungsinhalten erst international wahrgenommen zu werden. Insofern müsste Google ein Leistungsschutzrecht beanspruchen, das mittels Pauschalabgaben der Zeitungen zu finanzieren ist …

In Belgien hat dieser Widerspruch zu einer legalen Pirouette geführt. Copiepresse, ein Verband zur Wahrnehmung von Urheberrechten der Tagespresse, hat durchgesetzt, dass Google die Artikel des Verlags nicht mehr publizieren darf. Da diese nun von niemandem mehr gefunden werden, klagt er nun gegen den Boykott durch Google. Man wollte ja Google nicht am Publizieren der Links hindern, sondern nur dafür kassieren, dass sie publiziert werden.

Belgische Richter haben im Mai 2011 das Urteil bestätigt, welches die Publikation von Links untersagt.

Damit bestätigen Juristen einmal mehr, dass sie mehrheitlich für Logik nicht viel übrig haben, wenn es um Erhöhung von Pauschalabgaben geht. Einerseits verpflichtet das Gesetz (in der Schweiz, in Deutschland, in Belgien, in der EU und in weltweiten internationalen Übereinkünften), dass zitierte Quellen zwingend angegeben werden müssen. Andererseits untersagt es das Zitieren ohne Abgeltung eines Leistungsschutzes. Das führt dazu, dass sich niemand mehr trauen wird, fremde proprietäre Quellen zu zitieren, denn die finanziellen Folgen sind unkontrollierbar. Nur das Zitieren von unter einer Creative Commons publizierte Quellen ist einigermassen sicher vor den Leistungsschutzansprüchen der Grossverlage.

Creative Commons Event on Friday 23 January in Zurich

We would like to make a preliminary annoucement about a special event on Creative Commons in Zurich on Friday January 23. We will host a a CC Saloon in the Walcheturm. CC use cases and showcases from
Europe will be presented and discussed. Details follow in the next few weeks.

On Saturday January 24, there will be a Creative Commons Meeting with several project leads from Europe.

If you have an interesting project under a CC license and/or would like to contribute to the event or CC Switzerland, please do not hesitate to contact us under team_cc at allmend.ch. Any help is welcome.

EU plant längere Schutzfristen für Musik

Die EU-Kommission überlegt sich, die Leistungsschutzrechte für Musikaufnahmen rückwirkend von 50 auf 95 Jahre zu verlängern. Anders als die Urheberrechte, welche einen Schutz von 70 Jahren nach dem Tod des Autors geniessen, gelten die hier betroffenen Leistungsschutzrechte in der EU momentan 50 Jahre ab Veröffentlichungsdatum eines Werkes.

Mehr dazu auf iRights.info, ORF.at, heise online und Golem.de.

Ars Electronica: A New Cultural Economy

«A New Cultural Economy – wenn Eigentum an seine Grenzen stösst» lautet dieses Jahr das Motto der Ars Electronica. Das «Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft» findet heuer vom 4. bis 9. September in Linz statt. Mit dabei ist auch Joi Ito, Vorstandsmitglied von Creative Commons.

Und so lautet der erste und letzte Satz aus dem Statement zur Ars Electronica 2008:

Das Zeitalter von Copyright und geistigem Eigentum ist abgelaufen

Denn egal, von welcher Seite man sich der Frage nähert – von den Netzpiraten über die Neuerfinder der Allmende zu den Pionieren einer Sharing Economy oder den Apologeten der Creative Industries – wenn Wissen und Content tatsächlich das neue Kapital der postindustriellen Gesellschaft sein sollen, dann muss es fließen, dann muss es zugänglich sein, für alle.

Schwedische Parlamentsabgeordnete fordern Legalisierung von file-sharing

Eine wachsende Gruppe von Schwedischen Parlamentsabgeordneten (ursprünglich 7, aktuell bereits 13) fordert, die Realitäten anzuerkennen und file-sharing zu legalisieren. Karl Sigrid, einer der Abgeordneten, hat die Erklärung der Gruppe auf Englisch übersetzt und in seinem Blog veröffentlich. Darin steht, unter anderem:

Decriminalizing all non-commercial file sharing and forcing the market to adapt is not just the best solution. It’s the only solution, unless we want an ever more extensive control of what citizens do on the Internet. Politicians who play for the antipiracy team should be aware that they have allied themselves with a special interest that is never satisfied and that will always demand that we take additional steps toward the ultimate control state. Today they want to transform the Internet Service Providers into an online police force, and the Antipiracy Bureau wants the authority for themselves to extract the identities of file sharers. Then they can drag the 15-year-old girl who downloaded a Britney Spears song to civil court and sue her.

Diese Einsicht in die Realitäten ist ein grosser Erfolg von der Schwedischen Aktivisten von Piratenbüro, der Piratenpartei und dem Tracker piratebay, die seit Jahren diese Position sehr offensiv vertreten haben.

Es scheint mir, dass sich auch auf offizieller Ebene ein Umdenken ankündigt weil es deutlich wird, dass exzessive Kontrolle über die Kommunikation jedes einzelnen Bürgers sich nicht mit den Grundsätzen einer Gesellschaft nicht verträgt und dass hier gesammtgesellschaftliche Interessen sehr eng definiereten Spezialinteressen gegenüber stehen. Da könnte man fast wieder optimistisch werden ….

Wissensgesellschaft – ein Verschleierungsbegriff?

Wissensgesellschaft – ein Verschleierungsbegriff?

Das jüngste Projekt der Digitalen Allmend hat abgehoben. Zu viert haben wir am 27. November die Lesegruppe Wissensgesellschaft gestartet. So eine Gesprächsrunde zu entwickeln ist eine Herausforderung. Leute mit verschiedenen Hintergründen sollen sich intensiv einbringen und gleichzeitig einen anspruchsvollen Text im Auge behalten. Das ist ganz gut gelungen.

Die Vorteile des Textes von Gemperle / Streckeisen (1) zeigten sich darin, dass niemand von der Position der Autoren begeistert war und der Text aber anregende Schlaglichter auf Entstehung und Vertreter des Konzepts von Wissensgesellschaft wirft. Hier einige der Punkte, um die sich unsere Diskussion gedreht hat.

Kann die Durchdringung mit IT-Technologie als Indikator für die Wissensgesellschaft angesehen werden? Die Autoren meinen nein und kritisieren eine Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco). In der Diskussion wurde bemerkt, dass die Autoren an keiner Stelle nachweisen, dass die kritisierte Studie übertriebene Schlussfolgerungen in Richtung Wissensgesellschaft zieht.

Im Abschnitt zum sozialwissenschaftlichen Post-Syndrom wurden die Ausführungen zu den fünfziger und sechziger Jahren als interessant taxiert. Da wird etwa Daniel Bells „The Coming of the Post-Industrial Society“ vorgestellt. Eher enttäuschte Äusserungen hat es zu den neueren Autoren gegeben, die ziemlich verkürzt „in die Pfanne gehauen“ werden.

Wo Gemperle / Streckeisen (andere) linke Positionen kritisieren, machen sie ihr Anliegen dann ziemlich klar. Jede Verwendung von Begriffen wie Informations- oder Wissensgesellschaft scheint für sie „einer kritischen Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit im Wege zu stehen“ (S. 25). In der Diskussion haben wir aber mehrmals festgestellt, dass die Autoren selber auch einer von ihnen kritisierten pauschalisierenden und abstrakten Betrachtung verhaftet bleiben.

Ein lebhaftes Gespräch hat sich um die Frage entwickelt, wie weit Leitvorstellung und Strukturwandel der Wissensgesellschaft direkt zur Ausgrenzung von sozial Schwächeren führt, die nicht mit der Leichtigkeit des smarten Mittelstands agieren können.

In der Diskussion ist auch der Wunsch laut geworden, Grundbegriffe wie Information oder Wissen zumindest ein Stück weit zu klären. Das ist nun zu einem Eintrag in der nice to read Liste geworden, wir suchen einen geeigneten Text dazu. Weiter auf der Liste sind ein Kapitel zu Castells Netzwerkgesellschaft in (2) und ein Text zu Creative Commens (3). Weiter geht’s im Januar.

Urs

1) „Einleitung zur Diskussion ¸ber die Wissensgessellschaft.“ in: Gemperle, M.; Streckeisen, P. (Hrsg.): Ein neues Zeitalter des Wissens? Kritische Beiträge zur Diskussion über die Wissensgesellschaft. Zürich: Seismo, 2007. 280 S.
2) Jochen Steinbicker. Zur Theorie der Informationsgesellschaft: ein Vergleich der Ansätze von Peter Drucker, Daniel Bell und Manuel Castells.
3) „Uses of Creative Commons Licenses“. http://jcmc.indiana.edu/vol13/issue1/kim.html

Frankreich mit neuem anti-piracy plan

soeben in bbc news/technology gelesen:

französische Internet-User, welche beim ‘pirating’ von Filmen oder Musik erwischt werden, könnten schon bald vom Netz getrennt werden.
Gemäss dem Artikel wird eine neue unabhängige anti-piracy Behörde geschaffen, welche von den Kontrollfirmen der Musik- und Filmindustrie bei Verstössen kontaktiert wird.
Nach einer unwirksamen Warnung, wird filesharern mit einer Trennung oder Suspendierung vom Netz gedroht….
Natürlich ist die IFPI euphorisch über diese Schritte.

IFPI fordert 95 Jahre Schutzfrist in der EU

Was haben Angela Merkel und die IFPI gemeinsam? Beide wünschen sich eine Ausweitung geistigen Eigentumsrechte.

An einem Treffen diese Woche traf die Bundeskanzlerin mit der IFPI zusammen, um über die veränderten Rahmenbedingungen «der Musikindustrie als eine der tragenden Säulen der Kreativwirtschaft» zu sprechen, wie in der Medienmitteilung auf der Website der deutschen IFPI zu lesen ist. «Konkret ging es um einen verbesserten Schutz der Rechte und Interessen von Künstlern und Tonträgerherstellern vor Internet-Piraterie und Raubkopien sowie die Frage der Schutzfristen». Wie von der IFPI gewohnt, wird in der Mitteilung darauf hingewiesen, wie gross der Schaden für ihre Branche sei, welcher durch unautorisierte Downloads und Privatkopien entsteht würde.

Von der IFPI wurde eine Reihe von Forderungen an Merkel gestellt, welche die Privatkopie einschränken und Schutzfristen verlängern sollen. Beispielsweise sollen nach der IFPI die Internet-Service-Provider dazu verpflichtet werden, den Service-Vertrag mit Kunden, die Urheberrecht verletzende Inhalte online stellen, zu kündigen. Ein weiterer Punkt auf der Liste verlangt, dass die gesetzliche Schutzfrist für Musikaufnahmen von derzeit 50 Jahren nach der Veröffentlichung auf 95 Jahre verlängert wird.

IFPI-Vertreter mit Angela Merkel und Udo Jürgens

An dem Treffen mit Merkel nahm neben IFPI-Vorsitzenden auch Udo Jürgens teil. Wie Paul McCartney steht er vor dem Problem, dass in den nächsten Jahren die Schutzfrist für seine frühe Aufnahmen ablaufen wird, wenn diese nicht nachträglich noch verlängert wird. Wie Jürgens gegenüber der Musikwoche schilderte, müssten immer mehr Künstler «die bittere Erfahrung machen, dass ihre frühen Aufnahmen [..] ohne eine Entschädigung veröffentlicht und kommerziell ausgewertet werden». Deshalb setzen sich die beiden Leidesgenossen dafür ein, dass auch die Schutzfristen früherer Werke verlängert werden. Damit würden die ersten Beatles-Songs nicht 2012, sondern erst 2057 Public Domain und es wäre sichergestellt, dass Paul McCanrtey bis zu seinem 115. Lebensjahr alle Rechte an den Songs behalten kann.

Übringes hat Lawrence Lessig herausgefunden, dass sich selbst tote Musiker angeblich noch für eine Verlängerung der Schutzfrist für ihre Werke engagieren.

Weiterführende Informationen zu dem Treffen gibt es auf iRights.info und netzpolitik.org.