Waschmaschine fürs Internet

Es gärt mal wieder da draussen. “Kinder” sollen durch Netzfilter vor terroristischer Beeinflussung geschützt werden. Und der Begriff des Terrorismus bleibt natürlich mal wieder undefiniert. In dem Zusammenhang werden zudem auch andere gruselige Ideen diskutiert, wie der Zwang, richtige Namen zu nutzen im Internet. Und sonderlich demokratisch scheint die Sache auch auch nicht abzulaufen, sondern es wird wieder einmal hinter verschlossenen Türen gesprochen.

CleanIT ist ein Projekt von verschiedenen europäischen Regierungen und privaten Organisation. Das Hauptziel ist die Eindämmung der Nutzung des Internets durch Terroristen. Dargestellt wird die Sache so, wie wenn es um den Schutz von Kindern vor terroristischen Inhalten ginge, und um anderweitig einfach beeinflussbarer Personen. Solche Personen sollten nicht radikalisiert oder anderweitig geschädigt werden durch den Kontakt mit entsprechenden Inhalten (vgl. den Link).

Pascal Gloor, Vize der Piratenpartei Schweiz und zugleich Präsident eines Schweizer Provider-Verbands, geht davon aus, dass Partizipation in solchen Prozessen mehr bewirkt als Verweigerung, weshalb er sich engagiert. Das kann ich nur unterstützen. Denn ich will wissen, was diese Leute genau vorhaben, und ich hoffe, dass Pascals Bestrebungen, in der Gruppe für mehr Transparenz zu sorgen, erhört werden.

Zur Sache selber: Dass man Parental Control (Jugendschutz im Netz) nun plötzlich auf Terrorismus ausdehnt, überrascht mich. So gross scheint mir das Problem, dass Teenager von islamistischen oder rechts- oder linksextremistischen Gruppen gekapert werden können, nicht. Und wer glaubt denn ernsthaft an die Wirksamkeit von solchen Mechanismen? Ein paar Spinner wird es immer geben. Zudem betrifft die Massnahme am Ende ja nicht nur “Kinder” und “leicht beeinflussbare Personen”, sondern die Inhalte werden generell vom Netz ferngehalten. Es geht also um eine generelle Zensurmassnahme, nicht nur um Jugendschutz!

Zensur als Mittel zur politischen Steuerung sollten wir aber in jedem Fall sehr kritisch sehen. Oder hat die chinesische Methode wirklich schon Eingang in unser westliches Denken gefunden? Zudem gibt es bereits eine Strafnorm in der Schweiz, die in letzter Zeit auch öfters zur Anwendung gelangt (nicht zuletzt dank einem sehr engagierten Zürcher Anwalt).

Dass Eltern ihre Kinder vor sexuellen Schweinereien schützen wollen, ist nachvollziehbar. Was diesen Schutz angeht, bin ich aber der Auffassung, dass solche Filter vollständig durch die Eltern kontrollierbar sein müssen. Das Argument für eine netzbasierte Implementierung solcher Filter (anstelle von lokaler Software auf dem PC) geht dabei dahin, dass netzbasierte Filter weniger einfach zu umgehen seien als Schutzsoftware auf dem Computer selber. Gut möglich, denn Sohnemann versteht oft einiges mehr von IT als Mama und Papa. Andererseits besteht ein Risiko, dass bei einer netzbasierten Lösung plötzlich Begehrlichkeiten geweckt werden, die Filter doch noch etwas zu pimpen: Was spricht dagegen, wenn die Zensurinfrastruktur schon mal vor Ort ist, nicht noch einzwei weitere Suchbegriffe und Webseiten einzubauen? Zum Beispiel “Piratenpartei”? Oder “Grüne”? Oder “Musikdownload”? Oder “Anti-WEF-Demo”?

Die zentrale Frage ist, ob eine solche Zensurinfrastruktur demokratisch irgendwie kontrollierbar wäre. Und da bin ich sehr skeptisch: Denn die meisten Leute haben wenig Verständnis von den Vorgängen im Netz und schenken der Sache zu viel Vertrauen. Hinzu kommt, dass Überwachungsmassnahmen gar nicht so unpopulär sind. Das Argument “Terrorismusbekämpfung” taucht daher wohl nicht von ungefähr als Begründung für das Projekt auf. Ich meine, wer kann da schon ernsthaft dagegen sein?

Unter dem Strich:

1) Filtermassnahmen im Netz sind des Teufels, da nicht kontrollierbar. Von mir aus kann man die Eltern technisch unterstützen bei ihren eigenen Bemühungen, z.B. indem man sie mit einem Router ausstattet, der Filterung unterstützt, und der durch ein nicht filterndes Gerät ersetzt werden kann, wie der Kommentator im zitierten Artikel das vorschlägt. Aber auch da muss die Filterung absolut transparent sein. Und selbstverständlich nur “opt-in”, d.h. wenn die Eltern den Schutz explizit wünschen.

2) Ein Zwang, auf dem Netz mit Realnamen zu kommunizieren, ist strikte zu bekämpfen: Ich tue das auch öfters, denn es gibt durchaus Gründe, nicht immer mit offenem Visier zu kämpfen, und nicht jeder muss wissen, auf welchen Nerd-Sites ich mich so rumtreibe. Ganz abgesehen davon, dass ich mich auch politisch mal pointiert äussern will, ohne einen Teil meiner Freunde zu verlieren. Das gehört zum Spiel. Last but not least ist Anonymität für Oppositionelle in nichtdemokratischen Ländern oft überlebensnotwendig.

3) Gloors Idee, anstatt auf technische Massnahmen auf die Erziehung der Kinder (und damit auf offene demokratische Auseinandersetzung mit den Themen) zu setzen, ist mir deutlich sympatischer

Und 4) gibt es für mich, schon angesichts des Reizworts Terrorismusbekämpfung, das bisher noch meist für illegitime, demokratisch nicht kontrollierte Aktionen gestanden hat, nur eins: Die Gruppe muss an die Öffentlichkeit. Sonst endet die Sache wie bei ACTA.

5.10.2012 – Veranstaltung – Ulyssees Play im Dock18

70 Jahre nach dem Tod von James Joyce, publiziert die D18 Edition das 24-teilige Audiohörbuch Ulysses Play und rettet das kulturelle Erbe für unsere Kinder.

Türöffnung ab
20:00 Ulysses Show mit Bruno Schlatter & Mario Purkathofer
Live Airolo retour, Fliegendruck, Carol Na & Michaelmusic

Ort
Dock18, Rote Fabrik, Seestrasse 395, Zürich

D18 Edition für Medienkulturen der Welt
Ulysses MP3 Player
24 MP3 mit Totenmaske von James Joyce unter freier Lizenz
Auflage 72 Stück
Preis 240 Sfr

Weitere Infos mit Wegbeschrieb auf Dock18.

Robo Sentimentalitäten

Sherry Turkle beschäftigt sich am MIT schon lange mit dem Umfang von Menschen mit Informationstechnologie. Ihr jüngstes Buch „Verloren unter 100 Freunden“ nimmt zurecht einen wichtigen Platz in der aktuellen Diskussion ein. Die Lesegruppe der Digitalen Allmend hat sich den ersten Teil angesehen, der sich mit Spiel- und Pflegerobotern beschäftigt.

Auf den ersten Blick ist nicht klar, warum die Autorin dem Umgang mit Robotern zweihundert Seiten einräumt. Die Bedeutung von Robotern im Alltagsleben ist doch erheblich geringer geblieben, als das vor einigen Jahrzehnten vermutet werden konnte. Turkle forscht nun aber seit den 90er Jahren auf diesem Gebiet. Und es ist schon einleuchtend, nicht nur vom Bildschirm dargestellte und dann virtuell im Kopf konstruierte Welten anzusehen. Spiel- und Pflegeroboter haben das Potential, in der dreidimensionalen Lebenswelt zu erscheinen und als Surrogat für leibliche Menschen (und Tiere) zu dienen.

Diese Ersatzfunktion ist ein erstes grosses Thema, dass sich durch den Text zieht. Turkle streut Dutzende von kurzen Beschreibungen von Experimenten und Gesprächen ein, in denen direkt die Haltung der Probanden zum Ausdruck kommt. Über sehr persönliche Dinge „mit einem Computer zu sprechen, würde mir mehr behagen“, als mit Menschen, sagt einer von ihnen. Ein anderer wünscht einen Haushaltroboter, der „meine Wohnung in Schuss hält und weiss, wie er mich pflegen muss, wenn ich krank bin“. Er soll auch die Dokumente für die nächsten Geschäftstermine bereitstellen können.

Grossen Raum nehmen Schilderungen von Kindern und Jugendlichen ein, die mit Tamagotchis und tierförmigen Roboterspielzeugen hantieren. Zu den stärksten Aspekten des Buchs gehören die entsprechenden Schilderungen, in denen eine Ambivalenz sichtbar wird. Manche Kinder neigen dazu, die Roboter als lebende Haustiere zu behandeln und emotionale Bindungen zu entwickeln. Gleichzeitig wird auch diffus reflektiert, dass die Maschinen doch nicht wirklich lebendig sind. Ein paar Dutzend Seiten dieser faktennahen Materials durchzulesen, erscheint lohnend.

Damit hat es sich dann aber. Turkle bleibt uns jede Art von erklärenden Hypothesen und wissenschaftlichen Ansätzen schuldig. Über die zweihundert Seiten steht eine zentrale Frage über dem Material: Wie ist die menschliche Disposition zu deuten, elektrische betriebenen Kleinmaschinen eine Rolle als existentielle Partner einzuräumen?

Natürlich weiss die in Psychologie ausgebildete und philosophische bewanderte Autorin, dass diese Frage in Teufels Küche führt. In der Diskussion der Lesegruppe wurde darauf hingewiesen, dass nicht nur der Umgang auch mit Robotern, Haustieren und konventionellen Spielzeugen, sondern auch mit Totems, Haustieren, Sportwagen und iPhones erklärungsbedürftig ist. Im Spannungsfeld zwischen Kunst, Billigtrost und Wahn scheint es eine menschliche Disposition zu geben, materielle Dinge mit sinnhaften bis pantheistischen Bedeutungen aufzuladen.

Dass Turkle das im Hintergrund schon reflektiert, uns aber nichts Greifbares dazu sagt, ist eine grosse Schwäche des Buches. Auch eine Einbettung in den kulturellen Kontext der USA fehlt. Noch gravierender erscheint, dass Turkle die Berichte nicht wirklich auswertet und gewichtet. In den Überschriften werden Stichworte wie „Verschmelzung“ gebracht aber im Text nicht explizit vertieft. Es fehlt also auch an materialnaher Theorie.

Dass Turkle uns zur kritischen Reflexion einlädt und faktenreiches Material anbietet, ist erfreulich. Dass sie in einem populärwissenschaftlichen Buch keinen Klartext spricht, ist bedauerlich. Als LeserInnen möchten wir weder durch Feinanalyse des Textes die Positionen der Autorin herausdestillieren, noch das Rohmaterial selber wissenschaftlich auswerten.

Sherry Turkle: Verloren unter 100 Freunden. Riemann. 2012. Die englische version ist als epub greifbar.

Ein paar Überlegungen zu einer Kulturflatrate für die Schweiz

Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat der Arbeitsgruppe AGUR12 den Auftrag erteilt, auch so etwas wie eine Kulturflatrate als Option in Erwägung zu ziehen, die den Rechteinhabern faire Entlöhnung und den Internetnutzern straffreien Konsum (Download) ermöglicht.

Die Idee einer Kulturflatrate stammt hauptsächlich aus Deutschland, wo Organisationen wie Attac oder die deutsche Piratenpartei sie seit mehreren Jahren und seit kurzem auch die Grünen propagieren. Dort zielt die Idee einer flächendeckenden pauschalen Abgabe vor allem darauf, den Abmahnwahnsinn zu beenden und die Benutzung des Internets zu entkriminalisieren.

In der Schweiz ist es selbst denjenigen Jugendlichen, die viel Musik herunterladen, kaum bekannt, dass hierzulande der Konsum (Download) kultureller Inhalte von Gesetzes wegen straffrei ist. So stark wirkt die Lügenpropaganda einer weltweiten Lobby! Der Upload von Werken, deren Rechte man nicht innehat, ist natürlich verboten. Teilnahme an einem P2P-Dienst wird sowohl als Download als auch als Upload eingestuft, und ist somit ebenfalls verboten. Wer legal Werke herunterlädt ist ausserdem in der Schweiz nicht verpflichtet, nachzuweisen, dass sie nicht auf illegalem Weg hinaufgeladen wurden. Mit dieser Regelung hat die Schweiz verhindert, dass man den Rechteinhabern den Zutritt zu jedem Provider, zu jedem Computer, zu jedem Mobiltelefon, zu jedem Schlafzimmer gewähren muss, damit sie gegen Verletzungen ihrer Rechte vorgehen können. Die Privatsphäre ist hier besser gegen die weltweit agierende Lobby von multinationalen Rechteinhabern geschützt. Als Gegenleistung für die durch den straffreien Konsum (Download) und die straffreie Privatkopie entgangenen Profite, bezahlen die Schweizer Bürger jedes Jahr hunderte von Millionen Franken Pauschalabgaben an die fünf hiesigen Verwertungsgesellschaften, welche diese an die Rechteinhaber verteilen. In einem gewissen Sinn haben wir also in der Schweiz schon eine Kulturflatrate in Form von 12 Gemeinsamen Tarifen der fünf Schweizer Verwertungsgesellschaften (SUISA, Swissperform, ProLitteris, SSA und Suissimage) für Abgaben auf Leergut (DVDs, …), Geräten (Mobiltelefonen, …), Arbeitsplätzen (Fotokopien, Netzwerkbenutzung, …), Schulen und Blindenbibliotheken.

Das Argument, dass mit der Einführung einer Kulturflatrate der Abmahnwahnsinn abgeschafft werden kann, verfängt also in der Schweiz nicht richtig, weil hier der Konsum kultureller Inhalte ohnehin schon straffrei ist. Der Verein Musikschaffende Schweiz und die SP Schweiz möchten diesen Zustand allerdings ändern. Die mächtige Lobby der internationalen Wissenschaftsverlage, der drei weltweit grössten Musiklabels und der Studios in Hollywood lässt sich ihre Agitation für die Kriminalisierung des Konsums Einiges kosten.

Wenn man dem Publikum in der Schweiz eine Kulturflatrate schmackhaft machen will, muss man zeigen, dass sie besser eingerichtet ist als unsere bisherigen Pauschalabgaben an die Verwertungsgesellschaften. Wir müssen also über eine mögliche Ausgestaltung einer Kulturflatrate diskutieren, welche uns weiterhin Straffreiheit des Kulturkonsums (Download) garantiert. Dabei geht es um

  • ihre Administration,
  • ihre Höhe,
  • die Verteilung der Zahlungspflichten und
  • die Verteilung der Beiträge an die Rechteinhaber.

Administration einer Kulturflatrate

Die Administration der Verwertungsgesellschaften hat seit der Urheberrechtsrevision 1992 immer wieder zu Klagen Anlass gegeben. Die ProLitteris schaffte es jahrelang, mehr als 50 Prozent administrative Kosten zu generieren. Die Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaften erzielen Gehälter von 200’000 bis 400’000 Franken pro Jahr, was auch schon einmal Anlass zu einer parlamentarischen Anfrage nach staatlicher Kontrolle ihrer Löhne gab, zum Beispiel durch ihre Aufsichtsbehörde, das IGE (Institut für Geistiges Eigentum). In den Jahren 2010-2012 erzielte Dr. Ernst Hefti von der ProLitteris sogar eine private Einnahme von fast 700’000 Franken, weil ihm der Vorstand dieser Genossenschaft zusätzlich zu seinem regulären Gehalt von 366’000 Franken eine auf drei Jahre verteilte ausserordentliche Pensionskassenzahlung in der Höhe von einer Million Franken bewilligte. Sonst müsse der arme Mann nach seiner Pensionierung von nur 28% seines früheren Gehalts (also rund 90’000 Franken pro Jahr) leben! Die Verwertungsgesellschaften haben sich in dieser Hinsicht immer der Kontrolle durch die Administration entzogen, indem sie ihre Doppelrolle als private Genossenschaften in den Vordergrund schoben, welche im Auftrag ihrer Mitglieder die kollektive Verwertung betreiben und daher nur diesen gegenüber rechenschaftspflichtig über ihre Administrationskosten seien. Ihre Mitglieder sind einerseits viele kleine Urheber, die praktisch nie an der Genossenschafterversammlung erscheinen, und andererseits einige wenige Verwerter (internationale Verlage, Labels, Studios), die mehr als 90% aller zu verteilenden Gelder kassieren und natürlich grosszügig mit der Verwaltung der Genossenschaft umgehen.

Wenn also eine flächendeckende Pauschalabgabe unter dem Titel Kulturflatrate eingeführt wird, müsste sie solche Missstände beim heutigen Umgang mit Pauschalabgaben beseitigen. Einerseits müssten die Verwertungsgesellschaften ihres öffentlichen Auftrags, Pauschalabgaben von der ganzen Bevölkerung einzuziehen, gänzlich enthoben werden. Als private, gewerkschaftliche Vereinigungen von Rechteinhabern zum Zwecke der kollektiven Verwertung können sie dann weiter führen, was ihre Mitglieder tolerieren. Aber sie hätten keinen Zugriff mehr auf allgemeine Abgaben und müssten ihre Angriffe gegen das Internet einstellen. Die 12 Gemeinsamen Tarife wären durch eine einzige Kulturflatrate zu ersetzen, deren Höhe angemessen festzusetzen ist und deren Bezahlung nicht unfairer Weise den Kleinunternehmen, Bildungseinrichtungen und den Blinden aufgebürdet wird. Die Festlegung der Höhe der Abgabe muss einer Form von öffentlicher Kontrolle unterliegen und nicht wie heute von einer Eidgenössischen Schiedskommission abschliessend bestimmt werden, deren Chefin dann im nächsten Jahr Geschäftsführerin einer Verwertungsgesellschaft wird.

Denkbar wäre etwa die Zusammenlegung der Kulturflatrate mit der Abgabe für Radio und Fernsehen, die ja neu mit den Steuern pro Haushalt eingezogen werden soll. Dadurch würden keine zusätzlichen Administrationskosten entstehen. Allerdings wäre dabei auf den Unfug zu verzichten, auch juristische Personen für abgabepflichtig zu erklären, deren Mitarbeiter ja schon alle ihre Abgabe einzeln bezahlt haben. Als Zahlstelle könnte dann zum Beispiel das IGE, das BAK oder das BAKOM fungieren, welche als öffentlich-rechtliche Einrichtungen einer sehr viel klareren politischen Kontrolle unterstehen als die Verwertungsgesellschaften heute.

Höhe der Abgabe

Die angemessene Höhe einer Kulturflatrate kann nicht gefühlsmässig bestimmt werden, indem man Jugendliche fragt, wieviel sie pro Monat zu geben bereit wären, wie das regelmässig in Diskussionen um eine Kulturflatrate geschieht. Solange das Urheberrecht und die Urheber selber darauf bestehen, für den Konsum bezahlt zu werden, statt wie sonst die arbeitende Bevölkerung für die Produktion – also für ihre Arbeit – , gibt es nur ein vernünftiges Mass, um die Höhe der Abgabe festzulegen: Die Höhe der durch freien Konsum und freie Privatkopie entgangenen Profite der Rechteinhaber. Das war interessanterweise sogar die gemeinsame Position aller Verwertungsgesellschaften an der IGE-Tagung 2011, als man darüber diskutierte, dass die Grösse des Speicherplatzes, die Anzahl Kopien, die Anzahl Streamings immer weniger als sinnvolles Mass für die Abgabenhöhe gelten kann. Denn ein einzelnes Smartphone hat bald schon eine Speicherkapazität für so viel Musik, wie man sie auch in tausend Jahren nicht anhören kann.

Man könnte die Höhe der entgangenen Profite auch noch gegenrechnen mit der Höhe der dank Straffreiheit des Konsums und Privatkopie gesteigerten Profite.

Verteilung der Zahlungspflichten

Heute sind die Zahlungspflichten sehr ungleich verteilt. Den grössten Teil bezahlt die arbeitende Bevölkerung pro Arbeitsplatz (Fotokopie, Leergut, Geräteabgabe, Netzwerkabgabe, …). Einen kleineren Teil bezahlen die Konsumenten (DVD-Rohlinge, Mobiltelefone, Weiterleitungsgebühren auf Kabelanschlüssen, obwohl beim Weiterleiten eigentlich kein neuer Konsumakt anfällt …). Ausserdem werden einige für Bildung und Wissenschaft wichtige Institutionen wie Schulen und Bibliotheken besonders stark belastet. Schliesslich sind dann einige seltsame Tarif-Einzelopfer zu verzeichnen, wie die jugendlichen Mobiltelefonkäufer und die Blinden.

Fairer wäre wohl ein einheitlicher Tarif pro Haushalt analog der Abgabe für Fernsehen und Radio. Dafür müssten die zusätzlichen Belastungen für Bildungseinrichtungen und der Behinderten völlig entfallen. Allenfalls könnte man einen Tarif pro transferiertem Bit ansetzen, was aber auch zu eher ungewollten Verzerrungen führt, die nichts mit Kultur zu tun haben.

Ein Problem einer allgemeinen „flachen“ Abgabe besteht darin, dass man damit alle dazu zwingt, jegliche Kultur zu unterstützen. So müssen Juden antisemitische Bücher, Menschen muslimischen Glaubens islamfeindliche Sendungen, Kleinunternehmer den Rocksong finanzieren, der ihre Vernichtung propagiert. Der Ruf nach „Ausgewogenheit“ der Kultur wird – wie beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen – nicht auf sich warten lassen. Am Ende wird die mit der Flatrate geförderte Kultur noch flacher.

Verteilung der Abgaben auf die Rechteinhaber

Schliesslich stellt sich das Problem der Verteilung. Heute gehen mehr als die Hälfte der Mitglieder der Verwertungsgesellschaften leer aus. Über 90 Prozent der Abgaben gehen an die ganz grossen, mehrheitlich im Ausland domizilierten Rechteinhaber für uralte Werke (Elvis Presley, Beatles, …), statt die heute neu entstehende Kultur zu fördern.

Die Verwertungsgesellschaften haben einen absolut undurchsichtigen Wust von tausenden von Formeln in ihren Verteilungsreglementen festgelegt, der sich auch einem formelerfahrenen Mathematiker nicht erschliesst. Diese Undurchschaubarkeit dürfte wohl Methode haben. Mit Hilfe solcher Reglemente kann man freche Einzelurheber zum Schweigen bringen. Die Buchhaltung stimmt ohnehin über mehrere Jahre nicht so genau. Nicht einmal die auf dem Web publizierten Summen in der Offenlegung der groben Buchhaltungszahlen durch die Verwertungsgesellschaften sind korrekt und weichen über Jahrzehnte beträchtlich ab von den in den Jahresberichten publizierten Zahlen. Nicht einmal bei Anhaltspunkten zu Unstimmigkeiten in der Buchhaltung kann sich die Aufsichtsbehörde gegen die private Funktion der Gesellschaften durchsetzen! Es wird also alles getan, um die intransparente Verteilung unter den paar grossen Brüdern zu ermöglichen. Am Ende wird auf Einschaltquoten, auf manipulierte Bestsellerlisten und auf die vom IFPI (Organisation der Plattenproduzenten) beeinflusste Hitparade referenziert. Als Basis dient also heute die fragwürdige Idee, dass die Verteilung der Pauschalabgaben proportional zur Auflagenhöhe, zur Popularität, sein müsse.
Die allerhöchste Anzahl Menschen erreicht natürlich Muzak, die unerwünschte Hintergrundmusik im Hauptbahnhof, in Aufzügen, in den Warenhäusern, im öffentlichen Raum beim Public Viewing, …

Diese Musik, die niemand stört – oder ausser mich niemanden zu stören scheint! –, ist also das Mass aller Dinge, wenn es darum geht, bei der Verteilung von Pauschalabgaben die Kassen klingeln zu lassen. Die mit der Flatrate finanzierte Kultur wird so immer flacher.

Wie man die Verflachung verhindern könnte

Wenn man nicht die Auflagenhöhe als Massstab für die Verteilung der Abgaben einer Kulturflatrate zugrundelegen will, wird es schwierig. Wer soll als Künstler gelten? Muss man in Zukunft ein staatlich zertifiziertes Mitglied der Kreativindustrie sein, um Ansprüche auf Beiträge aus der Kulturflatrate anmelden zu können? Oder kann sich einfach jeder Arbeitslose, jeder Rentner oder sonst jeder Unbeschäftigte, als beitragsberechtigter Künstler melden? Solche Horrorszenarien bewegen Organisationen von Urhebern wie den Verein Musikschaffende Schweiz dazu, sich laut und radikal gegen eine Kulturflatrate auszusprechen. Dafür nehmen sie lieber eine Kriminalisierung des Konsums und ihrer Fans in Kauf, damit sie mit Google eine Art Ablasshandel eingehen können, wobei sie für blosse „Nutzung“ bezahlt werden, auch wenn niemand ihre Musik anhört.

Es gäbe aber eine interessante Möglichkeit, eine Kulturflatrate für die allgemeine Bevölkerung akzeptabler zu machen: Jeder Beitragszahler wählt pro Jahr mit seiner Abgabe die Werke, die in den letzten zwei (fünf?) Jahren neu entstanden sind, die von seiner Abgabe bezahlt werden sollen. Damit würde die mehrfache Verflachung der Kultur durch eine Flachrate gestoppt: Die Kultur müsste nicht mehr ausgewogen sein, weil nun nicht mehr jeder alles unterstützen muss. Die Hintergrundmusik würde mit ihrer Flachheit nicht sämtliche anderen Werke verdrängen. Die Sonderbehandlung der Kultur im Gesetz würde dadurch gerechtfertigt, dass die Subvention tatsächlich dem Schaffen neuer kultureller Inhalte zugute kommt, und nicht den Töchtern von Loriot, der Witwe von Dürrenmatt, den Enkeln von Brecht oder den Urenkelinnen von Valentin.

Eine solche demokratisch legitimierbare Komponente in der Kulturförderung würde der Schweiz gut anstehen. Setzen wir uns also für eine Kulturflatrate mit Wahlmöglichkeit ein!

Nachgefragt beim IGE: Piraterie Sponsoring (Kampagne Musikschaffende) – Strafbarkeit unklar

Der Verein Musikschaffende Schweiz hat eine neue Kampagne mit dem Titel “Piraterie Sponsoring” gestartet und unterstellt darin Schweizer Firmen, Piraterie zu unterstützen. Der Verein Musikschaffende nutzt dabei auf Twitter (und Facebook) ein Zitat aus einem Interview von LeCourier, um zu behaupten das es sich gemäss Aussage eines IGE-Mitarbeiter um eine “mögliche(r) Beihilfe zu einer Straftat” handelt. Die Digitale Allmend hat beim IGE nachgefragt, da das Zitat unklar ist. Die Antwort ist:

Ob in einem konkreten Einzelfall eine Gehilfenschaft zur Urheberrechtsverletzung vorliegt, kann nur der zuständige Richter entscheiden. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das Schalten eines Werbebanners auf Internetseiten eine Gehilfenschaft darstellt, halte es aber für denkbar.

Konkret ist es also überhaupt nicht klar, ob eine Straftat besteht oder nicht. Die Interpretation des Vereins Musikschaffenden steht auf sehr wackligen Füssen. Ein präziserer und sachlicheren Umgang wäre zu wünschen, um beim Thema vorwärts zu kommen.

Die Originalanfragen und Antwort ist unten eingefügt. Eine persönliche Kritik vom Präsidenten der Digitalen Allmend findet sich auf seinem Blog. Dort wird auch der Kontext solcher Werbung erklärt.

Originalanfrage

Sehr geehrter Herr Meyer,

in einer Twittermeldung [1] lesen wir, dass Sie das Plazieren von Werbung neben Links auf Musikstücke als mögliche Beihilfe zu einer Straftat werten. Diese Behauptung wurde vom Verein Musikschaffende Schweiz im Rahmen einer neuen Kampagne [2] in die Welt gesetzt.
Offenbar bezieht sich die Twittermeldung auf ein Zitat aus Le Courier [3], dessen Bedeutung im Kontext des Artikels sich nicht allen Lesern unserer Mailingliste gleichermassen erschlossen hat. Es schien uns aber, als ob die plakative Zusammenfassung durch Musikschaffende Schweiz Ihre Stellungnahme nicht ganz korrekt wiedergibt.

Die Mitglieder des Vereins Digitale Allmend sind der Meinung, dass der rabiate Ton von Musikschaffende Schweiz nicht unwidersprochen allein in der Öffentlichkeit stehen bleiben darf. Darum würden wir die Tatsache und das Zitat gerne in einem Blog thematisieren.
Wir bitten Sie daher höflich, uns mitzuteilen, inwieweit die Twittermeldung mit Ihrer Stellungnahme übereinstimmt und wo sie davon abweicht.

Zusätzlich bitten wir um klärende Antworten auf folgende Fragen:
Ist es ein Straftatbestand, wenn man ein Werbebanner auf einer Website publiziert, die ein Link auf ein Musikstück enthält, das eventuell illegalerweise hochgeladen wurde?
Ist es ein Straftatbestand, ein Link auf ein Musikstück auf einer Website zu publizieren, das von seinem Urheber Favez selber auf YouTube hochgeladen wurde?
Ist es ein Straftatbestand, dass Favez sein eigenes Musikstück auf YouTube hochgeladen hat, obwohl er Miglied der SUISA ist?
Ist es ein Straftatbestand, wenn jemand eine MP3-Datei aus einem vom Urheber selbst auf YouTube geladenen Musikvideo ableitet und diese auf dem Web publiziert?

Wir würden Ihre klärenden Worte und Ihre Antworten auf unsere Fragen gerne wörtlich, unverändert, als Ihre Stellungnahme auf unserem Blog veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüssen
Hartwig Thomas

[1] https://twitter.com/Musikschaffende/status/246645133355913216
[2] http://www.handelszeitung.ch/politik/raubkopien-verein-musikschaffende-schiesst-scharf
http://www.andreasvongunten.com/blog/2012/9/13/kommentar-zur-neuen-musikschaffendench-kampagne-gegen-schwei.html
[3] http://www.lecourrier.ch/101671/les_acteurs_de_la_musique_suisse_voient_rouge

Orginalantwort

Sehr geehrter Herr Thomas

Ob in einem konkreten Einzelfall eine Gehilfenschaft zur Urheberrechtsverletzung vorliegt, kann nur der zuständige Richter entscheiden. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das Schalten eines Werbebanners auf Internetseiten eine Gehilfenschaft darstellt, halte es aber für denkbar.

Das Online-Recht kann meines Wissens des Suisa abgetreten sein, muss aber nicht. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das Hochladen im Einzelfall eine Urheberrechtsverletzung darstellt.

Der Umstand, dass ein Urheber ein Werk auf dem Internet zur Verfügung stellt, bedeutet nicht zwingend, dass es zur Weiterverbreitung frei gegeben wurde. Die Weiterverbreitung kann eine Urheberrechtsverletzung darstellen.

Freundliche Grüsse
Emanuel Meyer

Emanuel Meyer
Leiter Rechtsdienst Urheberrecht und verwandte Schutzrechte
Abteilung Recht & Internationales

 

Warum Schweizern nicht egal sein kann, als Piraten auf der schwarzen Liste der USA zu landen

In letzter Zeit wird von einer sehr gut betuchten Lobby immer wieder unterstellt, dass Downloads in der Schweiz illegal seien, oder, dass allen Verfechtern des legalen Downloads das Urheberrecht egal sei (etwa NZZ 24.09.2012). Dabei wird regelmässig auf die etwas schmuddeligen, in der Schweiz domizilierten, Websites RapidShare.com und Uploaded.net verwiesen.

Damit werden verschiedene Unwahrheiten und unlautere Unterstellungen vermischt verbreitet. In der Schweiz ist der Konsum von Inhalten jeglicher Provenienz grundsätzlich straffrei und damit DOWNLOADs legal. Hingegen ist der UPLOAD geschützter Inhalte durch andere als die Rechtsinhaber durchaus illegal und damit strafbar. Wenn sich die genannten Websites oder ihre Benutzer diesen illegalen UPLOAD haben zu Schulden kommen lassen, muss man nicht das Urheberrecht ändern, um sie zu verfolgen. Man muss es nur durchsetzen. Wenn allerdings die Urheber selber für den Upload verantwortlich sind (s. Kommentar zur Kampagne des Vereins Musikschaffende Schweiz), kann man schwerlich die auch von mir nicht sonderlich geliebten One-Click-Sites oder Google dafür verantwortlich machen.

Die unlautere Unterstellung besteht darin, die Verfechter des straffreien Konsums – und dazu gehört der Verein Digitale Allmend – in die Ecke der Möchtegern-Kulturvernichter zu stellen, deren Hauptziel es ist, Kulturschaffende um ihr wohlverdientes Einkommen zu bringen. Wir können zwar die Position nicht unterstützen, dass jeder Hersteller eines nicht nachgefragten Produkts gleich vom Staat subwentioniert werden müsse. Gerade die Sorge um Kultur und Meinungsfreiheit beflügelt aber unseren Einsatz für freien Zugang und offene Inhalte. Es geht oft vergessen – und wurde auch von den Parlametariern in den USA nicht zur Kenntnis genommen – , dass die Schweizer pro Jahr 300’000’000 Franken für den legalen Download bezahlen, damit ihre Pausenplätze vor den fallenstellenden Abmahnanwälten unseres nördlichen Nachbarlands und den Gruppenklagen aus den USA verschont bleiben. (Wie absolut perfekt und wirkungsvoll ist doch die Schutzgelderpressung auf der Basis elterlicher Sorge auch wenn sie unberechtigt ist!) Von diesen Pauschalabgaben wandern mehr als 80% in die USA, deren Kultur von der Schweiz auf diese Weise grosszügig subventioniert wird, während die Bürger in den USA keine Pauschalgebühren auf Leergut, Geräten, Fotokopien oder Smartphones entrichten und schon gar kein Geld für in den USA erfolgreiche Schweizer Gruppen oder Filme in die Schweiz fliesst. (Genaueres findet man in den Jahresberichten der Verwertungsgesellschaften.)

Die heftig für eine Kriminalisierung des Downloads agitierenden Gruppen hätten an deren Konsequenzen vielleicht keine Freude.

Abschaffung der Verwertungsgesellschaften und der Musikerpfründe!

Eine Kriminalisierung des Downloads müsste begleitet sein von einer Abschaffung sämtlicher Pauschalabgaben an die Verwertungsgesellschaften (also 300 Mio Franken weniger für die Musik), von einer völligen Privatisierung der kollektiven Verwertung und der damit einhergehenden Streichung aller auf die Verwertungsgesellschaften bezogenen Artikel im Urheberrecht, welches diesen Organisationen und ihren Mitgliedern – unter Berufung auf die Straffreiheit des Konsums – fette staatlich garantierte Subventionen und Monopole beschert hat. Auch die Urheberrechtsgebühren des Fernsehens und des Rundfunks müssten dann eben nach – heute leicht erhebbarer – Einschaltquote pro Stück statt pauschal abgegolten werden.

Obligatorische Eingebettete Metadaten mit ausgewiesenen Rechtsansprüchen

Ausserdem müsste der das Recht respektierende Bürger befähigt werden, nicht unfreiwillig zum Opfer der Abmahnfallensteller zu werden. Ein Obligatorium für eingebettete Metadaten mit Hinweis auf Rechteinhaber und Verwerter müsste eingeführt werden, damit die Lehrlinge, Schüler und Suchmaschinen eine Chance haben, sich rechtskonform zu verhalten und unerwünschtes geistiges Eigentum von sich fernhalten können. Eine Änderung oder Falschzuweisung in solchen Metadaten müsste wie andere Urkundenfälschungen geahndet werden.

Strafbarkeit der privaten Nutzung gemeinfreier und offener Inhalte

Ausserdem müsste auch die fälschliche Beanspruchung von Rechten an gemeinfreien oder der Öffentlichkeit mit offenen Lizenzen frei zur Verfügung gestellten Inhalten genauso hart bestraft werden, wie der private Download. Also etwa

  • die Behauptung von Jörg Schneider, er sei Rechteinhaber der Kasperlitheatermelodie TriTraTrullala,
  • diejenige des Diogenes-Verlags, er habe sämtliche Rechte an den gemeinfreien Werken Kafkas,
  • die unstatthafte Privatisierung und das Publikationsverbot der Zentralbibliothek Zürich für Musiknoten aus dem 16. Jahrhundert,
  • die Privatisierung der gemeinfreien Melodien Johann Sebastian Bachs durch Rechteinhaber von James Bond Filmen, deren Komponisten sich grosszügig bei ihm bedient haben,

und viele andere mehr. Der Schaden müsste analog berechnet werden wie heute die Rechteinhaber argumentieren. Megabyte der gesamten Wikipedia-Artikel verglichen mit Megabyte der jährlichen weltweiten Buchproduktion oder Kasperlitheater-Zuschauer mal Eintrittspreis …

 

Geistiges Eigentum, immaterielle Güter oder Information – nur ein Streit um Worte?

Das Vorhaben von Peter Heinrich in der NZZ vom 18.09.2012, den Streit um den Begriff “geistiges Eigentum” zu beenden, ist lobenswert.

Sein Vorschlag, in Zukunft nur noch wertneutral von “Information” zu reden, weckt aber Bedenken vor einer unkontrollierten Ausdehnung der Ansprüche der Rechteinhaber, die heute schon eine hohe Abgabe von vielen Menschen mit der totalen Gewalt des Staates – also mittels Gewaltdrohung mit Knarre und Knast – abpressen, die niemals ein Interesse daran gezeigt haben, ihre Werke zur Kenntnis zu nehmen. Es ist nebenbei interessant, wieviel Staatsgewalt von angeblichen Gewaltgegnern gegen Minderheiten ausgeübt wird, nur um ihr Portemonnaie ein bisschen besser zu polstern.

So wünscht etwa der Verein der Musikschaffenden Schweiz, dass Google, Swisscom und Sunrise für die Werbeklicks neben Links zu einem Musikstück eines ihrer Mitglieder einen hohen Preis bezahlen, das vor ein paar Jahren vom Urheber selber auf YouTube geladen wurde und offenbar beim Publikum auf wenig Interesse gestossen ist. (http://www.andreasvongunten.com/blog/2012/9/13/kommentar-zur-neuen-musikschaffendench-kampagne-gegen-schwei.html)

Wie sehr würde sich diese Lobby freuen, wenn in Zukunft nicht nur einzelne Werke, sondern gleich alle Information kostenpflichtig gemacht würde. Heinrich stellt richtig fest, dass Information/Entropie neben Energie/Materie zu den sehr fundamentalen Grössen der Physik gehört. Gerade dies macht aber den Begriff Information ungeeignet für die Debatte um das Urheberrecht. Denn dieses soll sich gerade explizit nicht auf Information über Tatsachen sondern auf die Gestaltung beziehen. Wenn wir diesen Standpunkt aufgeben, verurteilen wir Journalismus und Wissenschaft dazu, sich vom Verein der Musikschaffenden Schweiz und der anderen weltweit agierenden Lobbies der grossen Labels, Studios und Verlage einen Maulkorb anbinden zu lassen oder Schutzgelder zu bezahlen. Ausserdem ist jedes Messinstrument ein Informationsproduzent, sodass die Lobbyisten der Unterhaltungsindustrie nicht nur Anspruch auf Abgaben für Messungen von Laut (Mikrophon) und Licht (Kamera), sondern vom Bürger auch für jedes Thermometer und jede Uhr eine Geräteabgabe verlangen würden.

So gut gemeint der Versuch ist, eine nicht mit politischen Agenden aufgeladene Terminologie zu verwenden, so kommt man in der aktuellen Diskussion nicht um solche herum. Der Begriff “geistiges Eigentum” wurde geprägt, damit man diese Subvention den Liberalen schmackhaft machen kann und in den Genuss des grossen Schirms des in der Verfassung geschützten Privateigentums kommt. Nur bei der Buchhaltung, der Vermögens- und der Erbschaftssteuer, enthüllt sich dieses Eigentum plötzlich als Nullwert, während es beim Lobbyieren und beim Kriminalisieren von Lehrlingen und Schülern immer einen Millionenwert pro Song darstellt. Der Begriff “Immaterialgut” reduziert die kulturellen Güter auf ihren Warenwert und ihre Regelung auf eine Regulierung des Handels mit diesen Gütern.
Die vielen Autoren der Wikipedia haben neu die öffentlich frei verfügbaren Inhalte neben das geistige Privateigentum gestellt, mit der Folge, dass der Verein Musikschaffende Schweiz heute jeden grosszügigen Autor solcher freier Werke abzockt, wenn dessen Konsumenten leere Disketten oder Geräte kaufen. Ausserdem bedienen sich diese Privateigentümer des Geistigen immer wieder gerne der Werke, die der Öffentlichkeit gehören oder von ihr mit Steuergeldern ermöglicht wurden, ohne dieser Öffentlichkeit die Finanzierung solcher Werke abzugelten. Streiten wir also lieber weiter um Worte und noch lieber um die dahinterstehenden Werte!

 

Correction by LeMatin of their article about Switzerland as pirate haven

On June 29, Le Matin published an article by Alexandre Haederli, “La Suisse accusée d’être un havre pour les pirates about the USTR (United States Trade Representative) 301 Report, where he not only omitted to mention that Switzerland isn’t mentioned in the USTR watch lists, but also attributed to the USTR communique accompanying the report a comparison between Spain and Switzerland where Switzerland was presented unfavorably. Digitale Allmend asked where this communique made this comparison, because it is not in the original USTR communique. The journalist recognized that the comparison was not in fact in the USTR communique, but in a press release by RIAA (Recording Industry Association America) about the report. The RIAA is an american organisation representing the record industry. They do not represent a government and there statement should not be taken as without specific interest for there own benefits

Unfortunately not an uncommon mistake in the heated debate on copyright. In particular due to the increased lobby efforts in recent months of the music industry and its lobbyst, who like to claim that Switzerland is seen abroad as a pirates’ lair. See e.g. Ms Géraldine Savary’s declaration in “Les musiciens suisses manifestent leur mécontentement face au téléchargement illégal” (RTS.ch 19:30 news bulletin, March 8, 2012) or Markus Naef’s interview in the NZZ, “Inakzeptable Laissez-Faire-Haltung des Bundesrates – Pirateninsel Schweiz im Fokus der Rechteinhaber.”

Journalists however should stick to the facts and have to ask critical question about the many poorly funded claims or inprecise statements of those actors.

On July 15, Le Matin accordingly published a “rectificatif” in its paper edition. However, the online version of Mr Haederli’s article remains unchanged. As the “rectificatif” is not online, we publish it here:

“La Suisse est accusée d’être un havre pour les pirates” (“Le Matin Dimanche” du 1er juillet 2012), nous expliquions que la gestion du droit d’auteur en Suisse était mise en opposition avec la situation prévalant en Espagne. Ce communiqué de presse a été publié par la RIAA (Recording Industry Association of America) et non par l’USTR (United States Trade Representative) comme indiqué par erreur. Nos excuses. LMD”

(Update- Antwort versprochen) Noch keine Antwort auf Fragen: Musikschaffende verweisen auf bisherige Interviews

Update: Es wurde uns nun zugesichert, dass wir eine Antwort erhalten werden. Diese werden wir sobald wir sie erhalten veröffentlichen.

Update 2 (19.7.2012): Da Ferienzeit ist dauert es noch ein Weile bis die Antwort kommt.

Wir haben die Musikschaffenden gebeten einige Fragen zu ihrem gemeinsamen Statement zu beantworten. Nach einer Nachfrage haben wir nun folgende Antwort von den Musikschaffenden erhalten. Da einige unserer Fragen im Interview nicht
genügend beantwortet wurden, haben wir die Musikschaffenden gebeten
uns weiterhin eine ausführliche Antwort zu geben.

Update 3 (22.1.2013): Posting anonymisiert
Wir wurden am Januar 2013 gebeten, das Posting zu anonymisieren und den Namen der antwortenden Person zu entfernen, denn diese sei “nur für die Administration zuständig”. Wir haben dem Wunsch entsprochen und auch den Originaltext der Antwort entfernt.  Die damalige Aussage war, dass wir die Verspätung aufgrund der intensiven Pressearbeit verstehen sollten. Zudem wurden wir auf ein Interview im TagesAnzeiger vom 1. Juni 2012 verwiesen und auf auf die Webseite des Vereins. Unsere Fragen wurden bisher noch nicht beantwortet. Wir sind jedoch mit Vertretern der Musikschaffenden im Gespräch und bemühen uns weiterhin, Antworten auf unsere Fragen zu finden.

Die Piraten und die Ideologie

Manfred Schneider, deutscher Literaturprofessor, richtet sich in der NZZ vom letzten Freitag mit reichlich akademischer Unterfütterung gegen die Netzgemeinde. Zentral ist die Kritik am Satz des Programms der deutschen Piraten, gemäss dem “die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden sollte.” Herr Schneider hält diesen Bezug auf die Natur für ideologisch, ja für einen nicht ernst zu nehmenden “Blütentraum”.

Ich denke, man sollte Schneider einen anderen, einen regulierungstheoretischen, Ansatz entgegen halten.

Urheberrecht ist eine staatliche Regulierung von Märkten wie viele andere auch, wie zum Beispiel das Konsumentenrecht oder das Umweltrecht. Als Begründung für Urheberrecht wird regelmässig die Bekämpfung “positiver externer Effekte” angegeben. Wenn auch selten explizit. Es heisst, es gehe darum, dass, wenn andere die Werke eines Autors frei kopieren können (also mit anderen Worten von positiven externen Effekten profitieren können, ohne zu zahlen), dieser Autor keine Motivation mehr habe, kreativ zu sein. Aus Ökonomensicht führt solches zu Marktversagen, und damit zu einem gesamtwirtschaftlichen Verlust. Darin liegt, nach traditioneller ökonomischer Auffassung, ein legitimer Grund für den Eingriff in den freien Markt.

Zunächst ist es nun aber so, dass heute diverse andere Fälle von Marktversagen gerade aus “ideologischen” Gründen unreguliert bleiben: So wenden sich “Liberale” beispielsweise regelmässig gegen Subventionen im Bereich grüne Energie, obwohl es dabei um einen absolut vergleichbaren Vorgang geht: Die Gemeinschaft finanziert Tätigkeiten, die gesamtwirtschaftlich vorteilhaft sind, um einen Anreiz für diese Tätigkeiten zu geben, genau so wie das Urheberrecht einen Anreiz für die Kreativität des Urhebers geben soll. Die “Liberalen” bekämpfen die Regulierung im Umweltbereich mit dem Argument, Regulierung an sich sei schlecht. Das sie damit selber einer liberalistischen Ideologie verfallen sind, merken sie nicht.

Das Urheberrecht ist natürlich auch schon lange in der Welt. Auch die “Liberalen” haben deshalb verinnerlicht, dass es diese Regulierung gibt. Womöglich um kognitive  Dissonanzen zu vermeiden, reden sie allerdings nicht von Marktregulierung, sondern von “Geistigem Eigentum”.

Dabei ist der Effekt, dass der Autor vom Gesetz ein Ausschliesslichkeitsrecht zugesprochen erhält, mit dem er sich gegen die Nutzung seiner Werke wehren oder einen finanziellen Vorteil erwirtschaften kann, gar nicht Zweck der Üœbung. Das Ausschliesslichkeitsrecht ist vielmehr nur ein Mittel zum Zweck, um das beschriebene Marktversagen zu korrigieren, und der finanzielle Vorteil blosse Reflexwirkung. Dass sich die Leute im Lauf der Zeit daran gewöhnt haben, Geld für ihre durch das Urheberrecht geschützten Werke verlangen zu können, sodass sie angefangen haben, von “Eigentum” zu sprechen, ändert daran nichts.

Das Überraschende an der Sache ist nun, dass der Ansatz der Piraten genau besehen genau zu dem hinführt, was die Liberalen eigentlich wollen: Zu freiem Markt, frei im Sinn von “ohne staatliche Eingriffe”.

Und aus eben dieser liberalen Sicht muss doch die Frage erlaubt sein, ob das heutige Urheberrecht seine Funktion als wirtschaftspolitisches Instrument zur Förderung der Kreativität noch wirksam wahrnehmen kann. Gerade die neue Wirklichkeit des Internets, die eine Verfolgung von Urheberrechtsverstössen faktisch verunmöglicht und angesichts derer Millionen von Internetnutzern kriminalisiert werden für Tätigkeiten, die sie seit Jahren als selbstverständlich erachten, sollte uns veranlassen, diese Frage erneut aufzuwerfen.

In eine solche Neubeurteilung sollten auch ältere kritische Argumente Einfluss finden, die bislang wohl zu wenig Überzeugungskraft hatten, um eine grundsätzliche Neubeurteilung auszulösen: So führt dieses “geistige Eigentum” seit jeher nur selten zu einem wesentliche Nutzen derjenigen, deren Kreativität gefördert werden soll: Der Grossteil der erzielten Erträge versickert nämlich in einer langen Wertschöpfungskette, in der sich die Kreativen meistens am kürzeren Verhandlungshebel wieder finden. Es ist denn auch nicht verwunderlich, wenn sich auf Seiten der “Künstler”, die sich in den letzten Wochen gegen die Netzgemeinde gestellt haben, um das “Urheberrecht” zu verteidigen, fast ausschliesslich Leute finden, die das Glück haben, aufgund ihrer Bekanntheit einen längeren “Verhandlungshebel” zu besitzen. Das ist aber eine kleine Minderheit aller Kreativen, und sicher nicht jene Minderheit, deren Kreativität das Urheberrecht allein fördern sollte. Hinzu kommt, dass heute viele die Wirksamkeit staatlicher Eingriffe zur Förderung der Kreativität als solche bezweifeln. So hatte die deutsche Literatur ihre Blütezeit zu Zeiten, als es noch kaum urheberrechtlichen Schutz gab. Es ist also keineswegs erwiesen, dass es das heutige Urheberrechtssystem wirklich braucht, um Kreativität zu ermöglichen.

Das System des Urheberrechts, wie es heute besteht, ist damit wohl weniger eine ökonomische Notwendigkeit und eine Reaktion auf ein tatsächlich vorhandenes Marktversagen, als das Ergebnis fleissiger Lobbyisten, die an diesem System mehr und mehr zu verdienen hoffen. Nur solche “regulatory capture”, also Beeinflussung der Gesetzgebung durch Partikulärinteressen, erklärt beispielsweise, dass die angeblich so kreativitätsfördernden urheberrechtliche Schutzfristen dieser Tage wieder einmal verlängert werden sollen, und zwar auch rückwirkend für Werke, deren Autoren längst verstorben sind…

Wir sollten die aktuelle Debatte über das Urheberrecht dazu nutzen, uns einige grundsätzliche Fragen zu stellen und das Urheberrecht auch einmal neu zu denken. Ideologievorwürfe sind zu diesem Zweck wenig geeignet.

Simon Schlauri*

*Der Verfasser ist Rechtsanwalt und Privatdozent an der Universität Zürich. Vor nicht allzu langer Zeit hat er eine Summe im Wert eines kleineren Gebrauchtwagens an einen renommierten Verlag überwiesen, um seine Habilitationsschrift drucken zu lassen. Was u.a. auch das Zürcher Steueramt bis heute nicht versteht ist, dass der Verfasser aus einem solchen Verlagsvertrag niemals Gewinn erzielen wird. Urheberrechte (zumindest jene, die dem Verfasser einen finanziellen Vorteil hätten verschaffen können) spielten als Motivation für die Publikation also offensichtlich keine Rolle.