Neue Phase der globalen Massenkultur

Medienwandel 3: In historischer Perspektive

Mit einigen allgemeinen Bemerkungen kommen wir zum Schluss dieser kleinen Serie. Im Herbst wird sich die Lesegruppe der Digitalen Allmend einem neuen Themenschwerpunkt zuwenden.

Es ist nicht so, dass erst das Web 2.0 hat die Globalisierung der Kommunikation gebracht hat. Bereits im 19. Jh existierte ein weltumspannendes Kommunikationsnetz, das die Zentren über Seekabel mit Lichtgeschwindigkeit verband. Über den Börsencrash 1929 konnten sich die Funktionseliten praktisch live informieren. Neu ist in diesem Jahrhundert das Vordringen multimedialer Konnektivität in die Lebenswelt der breiten Bevölkerung.

Seit dem 19 Jahrhundert erlebt praktisch jede Generation einschneidende mediale Umwälzungen wie das Aufkommen einer politischer Presse, dann der Massenpresse Ende 19. Jahrhunderts, Radio, Filme und Zeitschriften in der Zwischenkriegszeit, TV und Kulturindustrie in der 2. Hälfte der 20. Jahrhunderts.

Den spektakulärsten Trend im 20. Jahrhundert bildet der Aufschwung der zentralisierten elektronischen Medien. Das Radio in den 30er und das Fernsehen in den 50er und 60er Jahren modifizierten den Medienkonsum massiv. Die Rolle der gedruckten Presse schrumpfte, insbesondere in den Bereichen Unterhaltung und Infotainment.

Die erste Generation elektronischer Medien brachte zentralisierte mediale Formen hervor. Die digitale Revolution treibt die Entwicklung auch am andern Ende voran und erlaubt sehr feingliedrige mediale Formen. Wie Medienhistoriker bei der Einschätzung des Fernsehens betont haben, bringen neue Medien die alten nicht einfach zum Verschwinden. Es entstehen neue Kombinationen. Wohin sich der Medienmix in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird, ist nicht voraus zu sehen.

Klar ist wohl, dass die Verschiebung auf der physischen Medieneben weitergehen wird. Die Digitaltechnik treibt den Trend voran, den Radio und Fernsehen angeschoben haben: Weg vom der dauerhaften Verbindung von Information und Papier, hin zu flüchtigeren Formen elektronischer Darstellung. Kulturgüter auf Papier dürften immer eine gewisse Rolle spielen. Wie bedeutend sie die im Alltagsleben der nächsten Jahrzehnte bleiben wird, wird sich weisen.

Es wandeln sich nicht nur die medialen Technologien und Formen. Es verändert sich auch die Medienkultur: die Art und Weise, wie die Menschen Medien und Kommunikationsmittel sehen, bewerten und in ihren Alltag einbauen.

Die neue Medienwelt ist vielfältiger in den Formen und banaler bei den Inhalten. Die neue Medienkultur ist geprägt von einem Kult des Augenblicks und des Infohäppchens. Es wäre interessant, die Leistungsfähigkeit der neuen Kommunikationskultur etwa an der jüngsten Finanzkrise zu testen. Da haben weder die alten noch die neuen Medien und schon gar nicht die Kommununikations- und Wissenskultur der Branche einen guten Eindruck hinterlassen. Hier stand die erste Generation von online-Managern auf den Kommandobrücken, den Blick auf den Blackberry geheftet. In Echtzeit versorgt mit Informationen zu Politik und Märkten. Die Bilanz ist bekanntlich verheerend. Wo es an Analyse und Tiefgang fehlt, führen Infos ins Verderben. Vielleicht hätten sich die Führungskräfte besser gelegentlich ein ökonomisches und wirtschaftshistorisches Grundlagenwerk zu Gemüte geführt, als ständig auf dem Smartphone herumzumachen.

Die Endgeräte können nichts dafür. Technik und Medien brechen neue Möglichkeitenräume auf. Es sind aber gesellschaftliche Kräfte und kulturelle Präferenzen, welche die konkrete Gestalt und den Einfluss der Medien in weitere Sphären des Lebens gestalten. Ein Anschwellen des Informationsflusses führt nicht automatisch zu mehr Pluralismus und angemessenen Einschätzungen. Wenn die Qualität der Lagebeurteilungen mit den Bitflüssen auf europäischen Internetanschlüssen und Smartphones korrelieren würde, hätte sich die aktuelle Währungs- und Schuldenkrise nicht in dieser Tiefe entwickeln können.

Ermächtigung der Machlosen?

Medienwandel 2:  Zivilgesellschaft und politische Öffentlichkeit

Das Internet und die günstig gewordenen Endgeräte haben völlig neuartige low cost Medien ermöglicht. Ohne grossen Aufwand kann mit einem Blog oder einem Facebook-Konto weltweit zugängliches Material publiziert werden. Das Potential für eine Ermächtigung der Machtlosen erscheint verheissungsvoll. Konnte dieses Potential von individuellen BürgerInnen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen in einer Weise ausgeschöpft werden, die ihre Position gegenüber grossen Playern verbessert hat? Einige Hypothesen mit Blick auf entwickelte Gesellschaften mit demokratischen Traditionen.

Quantitativ haben die öffentlich sichtbaren politischen Äusserungen dank den neuen Medien substantiell zugenommen: Blogs oder manchmal in die hunderte gehenden Kommentare auf Zeitungs-Webseiten. Politische Meinungsäusserung ist unverzichtbar. Lebhafte Diskussionen im persönlichen Umfeld oder am Arbeitsplatz, in der Bar oder Web-Kommentarspalte bilden die unverzichtbare Basis für demokratische Einflussnahme auf gesellschaftlicher Ebene.

Die Vervielfachung der neumedialen Meinungsäusserungen kann aber nicht einfach mit einer Bereicherung der öffentlichen Debatte gleichgesetzt werden. Einmal sind Beiträge zu zentralen Themen wie Klimawandel, Finanzkrise, Staatsverschuldung oder EU-Entwicklung eher dünn gesät. Zweitens ist ein Verortungsproblem sichtbar geworden.

Es gibt eine Menge berechtigte Äusserungen am ‚falschen‘ Ort:  Mündliche Statements (Pausendiskussion) erscheinen nun schriftlich etwa in Kommentarfunktionen der Tageszeitungen. Die gesellschaftliche Öffentlichkeit wird mit personalen Äusserungen geflutet. Was in einer Pausendiskussion ein spannender Beitrag ist, mutiert im öffentlichen Forum zum gähnend langweiligen weil meist nicht originellen Kommentarspaltenfüller. Drei Sätze lange Statements in einer Pausendiskussion sind dank der sprechenden Person und dem ganzen Kontext mit reichhaltigen Verweisen aufgeladen. In der anonymisierten schriftlichen Äusserung wirken die gleichen Sätze erheblich substanzärmer.

Weil manche Medienformen gratis und einfach nutzbar sind, ergiessen sich riesige Contentmengen in die Medienkanäle. Das Aufmerksamkeitsvolumen hat sich aber nicht vergrössert. Ein Aufmerksamkeitsdilemma platzt auf. Es ist keineswegs so, dass immer mehr Individuen immer mehr individuelle Meinungsäusserungen zur Kenntnis nehmen und verarbeiten. Ironischerweise werden überbordende Kommentarspalten am ehesten von den JournalistInnen des Hauses ausgewertet, als gratis angeliefertes Quellenmaterial.

In den neunziger Jahren haben digitale Medien die Utopie genährt, dass spontane mediale Selbstorganisation die traditionellen Massenmedien und ihre Auswahlfunktion überflüssig machen könnte. Die Erwartung, dass sich nun Individuen direkt und ohne Institutionalisierung auf gesellschaftlicher Ebene zur politischen Diskussionen formieren könnten, erfüllt sich nicht. Ja, die staatsfreie zivilgesellschaftliche Assoziation von Individuen für eine lebendige Gesellschaft essentiell. Andererseits sind Institutionalisierung und Professionalisierung unverzichtbar, wenn es um grosse Gebiete, grosse Volumen und Dauerhaftigkeit geht. Wenn sich die beispielsweise Umweltbewegung auf Quartiernetze und Mailinglisten beschränkt hätte, wäre der Einfluss gering geblieben.

Sicher, die Glaubwürdigkeit von Organisationen und Institution ist in den letzten zwei Jahrzehnten erodiert. Wie wird das Orientierungsvakuum gefüllt? Entwickelt haben sich Spielarten von Cyberpoupulismus zu, bei dem sich „Friends“ um charismatische Führungsfiguren scharen. Mehrere charismatische Kampagnen der letzten Jahre zeigen die Möglichkeit, auch desinstitutionalisierte und dezentrale Medien im Takt des zentralen Kampagnenmanagements tanzen zu lassen.

Bei der Betrachtung der öffentlichen Diskussion geht es keineswegs nur um den ethischen Aspekt der Bürgerbeteiligung. Es geht auch um das gute Funktionieren moderner Gesellschaften: Nur wenn ein Dutzend wichtiger Themen kritisch und intensiv diskutiert werden, können einigermassen angemessene Strategien gefunden werden. Blicken wir auf die Entwicklung in den USA oder Europa in den letzten zehn Jahren.  Da wird sich kaum jemand mit der These aus dem Fenster lehnen, die Verbreitung der Web 2.0 Medien sei Hand in Hand mit einer Verbreiterung und Belebung des gesellschaftlichen Diskureses einher gegangen.

Eher muss eine gewisse Qualitätsverschlechterung der öffentlichen Diskussion konstatiert werden. Das Gewicht professionell aufbereiteter Inhalte ist gesunken (Pressekrise in  den USA) – das relative Gewicht nicht argumentierender Äusserungen hat zugenommen. Das kann bestimmt nicht einfach den digitalen Medien angelastet werden. Hier müsste eher ein Kulturwandel im gediegenen Mittelstands diskutiert werden, der ausserhalb des Arbeitsplatzes weniger bereit ist, anspruchsvollen Inhalten Aufmerksamkeit und Geld zu widmen. Dazu passt, dass es in der Medienindustrie nur zwei von drei Branchen glänzend geht, der IT-Branche und der Werbewirtschaft. Sie sichern sich den Löwenanteil der Wertschöpfung. Die professionelle Contentproduktion zum politischen Diskurs befindet sich in einer Krise, insbesondere das journalistische Segment in den USA.

Wie ergeht es zivilgesellschaftliche Organisationen und Bewegungen im digitalen Zeitalter? Sie sind auf Medien mittlerer Reichweite angewiesen, zur Selbstorganisation, zur Strukturierung und Mobilisierung des Umfelds und zum Einwirken auf die Öffentlichkeit. Basisbewegungen erscheinen prädestiniert, von den neuen Medien erheblich zu profitieren. Sie haben denn die neuen Möglichkeiten auch produktiv und phantasievoll aufgegriffen. Der Wandel hat aber trotzdem nicht zu einer relativen Stärkung zivilgesellschaftlicher Player beigetragen. Eine unmittelbare Verbesserung der medialen Infrastruktur wurde kompensiert, indem auch Wirtschaftsverbände, Konzerne und staatliche Institutionen mit grossen Ressourcen die Medien des Web 2.0 bespielen. Offenbar hängt die Stärke zivilgesellschaftlicher Bewegungen von andern Faktoren ab als von Kommunikationstechnologien.

Es gibt so etwas  wie eine machtpolitische Indifferenz medialen Wandels. Langfristig und unter demokratischen Bedingungen lässt sich die These formulieren: Medialer Form- und Technologiewandel ist machtpolitisch indifferent, solange grundlegende Mechanismen der Zugänglichkeit und Distribution nicht tangiert werden. Die Schwelle breiter medialer Handlungsfähigkeit wurde durch zivilgesellschaftliche Bewegungen bereits im 19. Jh überschritten, etwa durch das Aufkommen von Presseerzeugnissen der Arbeiterbewegung und billiger Flugblätter. Das mag ein Grund dafür sein, dass die Verbreitung digitaler Medien in demokratischen Staaten nicht zu einer Ermächtigung zivilgesellschaftlicher Bewegungen geführt hat.

Die Projektdatenbank des Schweizerischen Nationalfonds: Ein Open Government Data Hack

Anlässlich einer Diskussion um Behördendaten und Formate im Wissenschaftsworkshop der Opendata-Konferenz wurden Stimmen laut, welche die mangelnde Verfügbarkeit der Projektförderungsdaten des Schweizerischen Nationalfonds beklagen.

Mit diesem Open Government Data Hack wird dieser Mangel behoben. Man kann die vollständige (soweit sie auch dem Web publiziert ist) Projektdatenbank des Schweizerischen Nationalfonds hier als MS Access- oder SIARD-Datei herunterladen. Sie wurde mit einem frei verfügbaren Skript aus der Website der Projektdatenbank des Schweizerischen Nationalfonds heruntergeladen. Ausführlicheres findet man im Begleitartikel (SNF Projects Fallstudie).

Hier ein paar statistische Auswertungen der SNF-Projektdatenbank:

 

Ich wünsche den Visualisierern viel Spass mit diesen Daten!

Hartwig

 

Hyperplastische neue Medien

Was Medien genau sind, ist gar nicht einfach zu beschreiben (mehr dazu im Anhang unten). In der Lesegruppe der Digitalen Allmend haben wir uns ein Jahr lang mit digitalen Massenmedien und Kommunikationsmitteln beschäftigt. Manches ist nebulös geblieben, einiges ist klarer geworden. Eine vorläufige Bilanz bringen wir in knapper Form in drei Beiträgen vor.

Medienwandel 1: Charakteristika digitaler Medien

Jede Generation von Medien hat die Möglichkeiten der Kommunikation erweitert und umgestaltet. Was sind die spezifischen Eigenschaften digitaler Medien?

Digitale Medien sind hyperplastisch. Bereits ältere Medientechnologien haben vielfältige mediale Formen ermöglicht. Digitaltechnologien erlauben insbesondere in der visuellen Gestaltung und bei der funktionalen Verknüpfung äusserst breite Gestaltungsmöglichkeiten. Kontrapunkt: Der Mangel an gestalterischem Knowhow und kulturellen Leitplanken hat zu ausufernder Low Quality geführt. Als Reaktion darauf hat sich stellenweise eine restriktive gestalterische Orthodoxie etabliert – definiert etwa von Apple oder Facebook. Die Plastizität öffnet auch ein Potential in der institutionellen Dimension. Vielfältige Formen der Trägerschaft sind potentiell denkbar.

Digitale Medientechnologien sind potentiell preiswert. Extrem hoch ist die Rate der Produktivitätserhöhung bei der Verarbeitung von Informationen auf Bitebene. Das ergibt günstige Skalierungsmöglichkeiten für standardisierte Enduserangebote (Blogs, Speicher, Social Network Konto). Andererseits steigt die Einstiegsschwelle, um skalierbare Services zu betreiben (Clouds, Suchmaschinen). Das Gewicht der Grosskonzerne nimmt zu.

Mediale Formen sind neutral in Bezug auf IT-Produkte. Es gibt keine Entsprechung bestimmter IT-Produkte oder Plattformen mit medialen Formen. Die Medienschicht kann auf jeder Plattform aufsetzen, welche die entsprechenden Netzwerk- und Webprotokolle sowie die nötigen Datenbank- und Programmiertools implementiert. Anders formuliert: Technologie und Kultur sind treibende Kräfte auf zwei verschiedenen Ebenen. Technologie treibt die Ausweitung der Möglichkeitsräume voran, kulturelle Präferenzen entscheiden darüber, welche Medientypen entwickelt werden und Resonanz finden.

Hybride Medientypen entstehen. Neue Medien können hybride mediale Dimensionen integrieren. Sogenannte Soziale Netzwerke integrieren Aspekte von Directory, Repository, Micromedium und personalem Kommunikationsmittel. Auch auf einer institutionellen Ebene haben sich hybride Medienkonglomerate herausgebildet, welche traditionelle und neue Medien in eine Medieninstitution integrieren, etwa unter dem Label einer Tageszeitung oder Fernsehstation, aber auch in der medialen Infrastruktur von grösseren NGOs.

Verschiedene Aspekte der Usability neumedialer Endgeräte sind weiterhin schlechter als die Papierreferenz, insbesondere bei mobilen: Erweiterte Funktionalität bei mässiger Usability. Der saisongerechte SzenenBadi-Test: Wie viele Leute lesen Texte mit mehr als hundert Worten auf einem Smartphone oder Pad? Es gilt das Diktat: Mobility is King! Der Mobilität werden in den entsprechenden Geräteklassen ergonomische Basics wie grosse Bildschirme und optimierte Tastaturen untergeordnet. Hier ist die Stärke der Informationszugriff in Echtzeit, nicht die Qualität der Darbietung.

 

ANHANG: Was sind Medien?

Der Medienbegriff ist weit und schillernd. Er reicht von philosophischer Allgemeinheit über die Kühlmedien im Maschinenbau bis zum Verbindungsglied ins Jenseits. Wir beschäftigen uns hier mit Medien der Kommunikation.

Um den Begriff etwas zu klären, kann ein Schichtenmodell verwendet werden: Die Mediale Infrastruktur umfasst Bauten, IT Produkte, Services, Firmen. Beispiel: Eine Webserver- und Datenbankinstanz in der Cloud. In der medialen Form werden Elemente der Infrastruktur, gestalterische und strategische Elemente in einen Auftritt geformt. Beispiel: Webauftritt des Tages-Anzeigers. Der Content als kulturelles Artefakt umfasst Sinn und Bedeutung tragende Objekte, die in die Mediale Form gefüllt werden.

Eine zweite Differenzierung kann entlang der Skalierung erreichbarer Publika vorgenommen werden. Dabei können Medien (im engeren Sinn) von Mitteln interpersonaler Kommunikation unterschieden werden.

Open Access für Olle Kamellen

Gestern entdeckte ich den Abstract meiner mathematischen Dissertation aus dem Jahre 1983 beim Open Access Repository der ETH http://e-collection.library.ethz.ch/.

In einer kurzen Mail an die Verantwortlichen des Repository über deren Kontaktformular [1] bekundete ich meine Unterstützung für Open Access und mein Einverständnis für die Publikation des ganzen Textes.

 

Innerhalb von zehn Minuten war der Volltext aufgeschaltet!

 

Daraus entnehme ich, dass die Dissertationen schon vollständig gescannt vorliegen und nur noch zugänglich gemacht zu werden brauchen.

Ich möchte hier auf diese vorbildliche, viel zu wenig bekannte Dienstleistung der ETH Bibliothek aufmerksam machen und möglichst viele ehemalige Doktoranden dazu aufrufen, von ihrem Urheberrecht Gebrauch zu machen und ihre Arbeiten der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen!

Die mangelnde Aktualität alter Dissertationen ist kein Argument, um ihre Inhalte vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Auch Bescheidenheit ist hier falsch am Platz. Man soll es den Benutzern überlassen, welche Werte sie hier finden.

[1] http://e-collection.library.ethz.ch/contact.php?subnav=contact_2

Social Web – ein Anspruch

Als letztem Schwerpunkt des Themas „Digitale Medien“ haben wir uns in der Lesegruppe zwei konkreten Medien zugewandt – Microblogs und Sozialen Online Netzwerken (OSN). Als Grundlage dient das Buch „Social Web“ aus der wissenschaftlichen Nachwuchsszene (1).

Die AutorInnen bieten reiches Material und liefern zu jedem Medium ein gut strukturiertes Kapitel. Twitter entstand 2006 aus einem firmeninternen Versuch. Im Buch werden diese Formen als Microblogging gefasst, mit dem ein abonnierbarer Strom von Kurznachrichten gespiesen wird. Als Inhaltstypen werden genannt: Nachrichten unter Privatpersonen, Breaking News, politische Mobilisierung, Fachinformation, Kundenkommunikation wie das erfolgreiche Dell Outlet. Dass die bekannte Notlandung auf dem Hudson zuerst über Twitter verbreitet wurde, wirkt eher anekdotisch als beweiskräftig für die Relevanz dieses Kanals.

Leider fehlt hier wie andernorts eine distanzierte Einordnung und kritische Wertung. Gerade bei Twitter ist ein Kernelement diskutabel, wenn der Anspruch eines öffentlichen Mediums erhoben wird: die hierarchische Struktur und das Konzept der Follower, der Gefolgschaft. Das erinnert etwas an sektenförmige Muster – weniger an kritische Medienrezeption. Problematisch ist natürlich nicht der Grossteil der pragmatischen Nutzungen, sondern die kulturelle Akzeptanz des Gefolgschaftskonzepts. Sie entspricht durchaus einem Aspekt des Zeitgeistes, der sich von Institutionen ab und Führungsfiguren zuwendet.

Die Verbreitung und Relevanz von Twitter ist beschränkt geblieben. Die AutorInnen zitieren eine Umfrage aus Deutschland. Intensive Twitternutzung findet sich bei jüngeren, akademisch gebildeten Männern, die in Städten leben und der IT nahestehen. Das entspricht in etwa den Erfahrungen der Diskussionsteilnehmer. Zur Möglichkeit, Mircroblogs in der betrieblichen Kommunikation einzusetzen, wird in der Diskussion die Effizienzfrage aufgeworfen: Bringt die Vermehrung der Aufmerksamkeit heischenden Kanäle wirklich etwas?

Soziale Netzwerke respektive Online Social Networks (OSNs) haben sich in den letzten Jahren massiv verbreitet, allerdings nicht im ersten Anlauf, wie die AutorInnen feststellen. Bereits 1997 kam der Dienst Sixdegrees auf den Markt, ohne auf relevantes Echo zu stossen.

Die AutorInnen referieren das „Small World“ Konzept aus den 1960er Jahren, das auf die Feststellung hinausläuft, dass alle mit allen über maximal sechs Knoten verbunden sind. Wenn auch mit etwas Vorsicht präsentieren sie OSNs als Realisationsmöglichkeit für globales Beziehungspotential. Fragwürdig ist dieser Hang zur Stilisierung, wenn OSNs als wichtiges Akkumulationsinstrument für „soziales Kapital“ (Bourdieu) präsentiert werden. Wohl eher trifft das Gegenteil zu: Je relevanter die Gelegenheiten sind, bei denen Menschen ihr soziales Kapital mobilisieren, desto irrelevanter ist die Zahl der Facebook-Freunde.

Kein Zweifel: OSNs schaffen auch soziale Beziehungen. Was sich auf OSNs abspielt und repräsentiert, ist aber nur ein sehr limitierter Teile des sozialen Ganzen. Dieses Verhältnis zwischen Teil und Ganzem würden wir in einer akademischen Publikation gern diskutiert sehen. Ebenso das entsprechende illusionäre Potential, das einen Teil der Nutzer verleiten mag, den Gehalt der auf einem technischen System repräsentierten Beziehungen zu überschätzen.

Die meisten NutzerInnen der OSNs machen sich im Alltag wohl kaum allzu viele Illusionen. Interessant wäre es zu sehen, welche Nutzungsmuster in welchen Schichten verbreitet sind. Attraktiv dürften verschiedene Elemente sein: Die Directory-Struktur garantiert Individuen und Organisationen ein dauerhafte, auffindbare Präsenz: Facebook als Telefonbuch 2.0. Neu ist nun aber, dass sich an diese Directory-Präsenz vielfältige mediale Formen anhängen lassen, die von Präsentationen bis zu Kontaktaufnahme gehen. OSNs sind ein hybrides Kommunikationsmittel, das Elemente von Directory, Kontaktbörse, personaler Kommunikation und Massenmedium zusammenfügt.

In der Diskussion sind keine Kontroversen hochgeschwappt. Der Social Network Hype der letzten Jahre ist abgeklungen. Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang sich OSNs dauerhaft in die Alltagskulturverwurzeln. Die Directorystruktur, die NutzerInnen ohne grossen Aufwand eine dauerhafte Präsenz ermöglicht, dürfte OSNs mehr Zukunftsfestigkeit verleihen, als anderen Erscheinungen. Zu hoffen ist, dass OSNs zu von einer Plattform zu einem Protokoll werden. Statt auf der Infrastruktur eines Grosskonzerns zu kleben, könnten kleinere Netze und Einzelinstanzen als kompatible Module miteinander interagieren.

1) Anja Ebersbach, Markus Glaser, Richard Heigl: Social Web. 2. überarbeitete Auflage. 2011, 316 Seiten ISBN 978-3-8252-3065-4. Das Buch bietet eine faktenreiche Übersicht.

Mo 16.5.2011: Mitgliederversammlung Digitale Allmend

Am 16. Mai findet die Mitgliederversammlung der Digitalen Allmend
statt. Neben einem Rückblick über das vergangene Jahr, geht es auch um
die Planung von 2011.

Ort: VMK 1.4 – ZHDK, Sihlquai 131, 1. Obergeschoss, Zürich
(vmk.zhdk.ch/php/home.php)
Zeit: ab 19:30
Datum: 16. Mai 2011

1. Begruessung
2. Bericht des Vorstands
2.1 Jahresbericht
2.1.1 Allgemein
2.1.2 Project Lead Creative Commons
2.1.3 Project Participation Communia
2.1.4 Project Participation Dice
2.1.5 Weitere Aktionen
2.2 Finanzen
2.3 Entlastung des Vorstands
3. Personelles und Neuwahlen
4. Statutenänderung
5. Vereinsadministration
7. Aktivitäten 2011
7.1 Allgemein Allmend
7.2 . Creative Commons Switzerland
8. Budget 2011
9. Diverses

Wir bitten alle Mitglieder an die GV zu kommen. Interessierte sind
herzlich willkommen und können an die MV kommen.

Neue Medien und politische Öffentlichkeit

Die Lesegruppe der DA beschäftigt sich damit anhand eines Kapitels aus der Publikation «The 21st century media (r)evolution. Emergent communication practices» von Jim Macnamara, englisch erschienen 2010 im Verlag Peter Lang, New York.

Darin geht Macnamara, Professor für Öffentlichkeits-Kommunikation an der University of Technology in Sydney, Entwicklungen und Zukunftstendenzen medial vermittelter – und gestalteter – Politik nach.
Während der Zugang zur Verbreitung von Standpunkten via Massenmedien nur beschränkten Personengruppen offen steht – etwa Politikern, Journalisten, Industriegesellschaften, etc. – und dies auch als Verlust der Bürgerstimme verstanden werden kann, sehen viele die Neuen Medien mit ihren partizipativen Möglichkeiten als Chance, demokratische Politik wieder zu beleben und die Ideale einer Bürgerbeteiligung am Staat zu verwirklichen.

Der Autor stellt zuerst verschiedene Demokratiemodelle vor, die sich im Verständnis von Art und Ausmass der Beteiligung unterscheiden. Im Hinblick auf die Chancen des einzelnen Bürgers auf Teilhabe am öffentlichen Gemeinwesen belegt er in der Folge mit vielen Literaturhinweisen optimistische wie pessimistische Einschätzungen der Web2.0 Medien als diskursiven Ort des öffentlichen Gemeinwesens.
In der Gruppe fragen wir uns, ob die enthusiastischeren Positionen nicht doch ausblenden, dass heute zwar im Prinzip jeder und jede einen Blog einrichten kann, aber deswegen noch lange nicht zur gehörten politischen Stimme wird.
Konkrete Beispiele werden dann im Text genauer verfolgt, wie etwa die Kampagnen der verschiedenen Politiker für die Parlamentswahlen in Australien im November 2007 (da etwa der Aspekt der noch mangelnden Nutzung der Interaktionsmöglichkeiten) und internationale Entwicklungen in e-democracy und e-government. Interessant ist Macnamaras Plädoyer, anstatt über den Niedergang des politischen Engagements zu lamentieren, eher die aktuellen Entwicklungen zu beobachten: «[…] perhaps it is time to abandon the political elite view of the public sphere and relocate it, where it is more accessible and more culturally relevant. Both the location and language of the public sphere are changing.» Das Internet als «übervoller, lärmiger, chaotischer Ort wettbewerbsorientierter und erbitterter Kommunikation», der so in der modernen Konzeption der öffentlichen Sphäre zuverlässig nicht vorgesehen war.

Unter Kontrolle?

Inmitten des spektakulären Aufschwungs, den das Internet nach 1995 nahm, hat Andrew Shapiro die Möglichkeiten der neuen Technologien ausgelotet. Mit der These einer „control revolution“ betont er den Spielraum für eine Ermächtigung der Individuen. Die Lesegruppe der Digitalen Allmend hat den Text am 14.3. diskutiert.

Shapiros Statement ist von den Umständen Ende 90er Jahre geprägt. Er profitiert davon, dass die Wellen von medialen Moden noch nicht im Jahrestakt über den Globus schwappen. Weil er sich auf grössere Trends konzentriert, altert sein Buch erheblich besser als manche jüngere Texte zu Blogs oder Second Life, die nach wenigen Jahren bereits ziemlich antiquiert wirken.

Shapiro beginnt mit einer Episode aus der Schlussphase der Sowjetunion, wo das Regime die Faxverbindung von einem Freund in Moskau zum amerikanischen Autor einfach kappen konnte. Einen e-Mail Nachrichtenfluss hätten die Behörden nicht stoppen können. „Wahrscheinlich“ nicht, präzisiert der Autor, der sich immer wieder vor groben Vereinfachungen hütet. An diesem Punkt setzt eine Diskussion ein, wie weit eben auch das Internet von Machthabern nicht einfach nur weggeschaltet, sondern auch selektiv überwacht und beschränkt werden kann, wie etwa in China. Eher einfach ist das beim grenzüberschreitenden Verkehr und bei einer geringen Zahl von Providern möglich.

Etwas unbeholfen wirken die kurzen Äusserungen zum politischen Charakter von Technologie, welche durch Randbedingungen in die eine oder andere Richtung entfaltet werden könne. Shapiro sieht das Netz als „defined mostly by code“. Darum diskutiert er Eigenschaften wie Interaktivität oder Interoperabilität hauptsächlich auf technischer Ebene, als Codeeigenschaften eben. Damit verpasst Shapiro einen zentralen Aspekt der digitalen Infrastruktur: Diese ist extrem plastisch und definiert keine medialen Kanäle. Die konkreten Medien werden auf einer sozialen Ebene konstruiert. Blogs, Second Live, Twitter, Facebook sind mediale Formen, die auf den immer gleichen Technologien beruhen. Die Ende 90er Jahre angesagte Gleichsetzung von technischer Kontrolle (über den Code, das Betriebssystem) mit Kontrolle über seine Lebensumstände ist verblasst.

Der Autor selber präzisiert den Aspekt der „Bändigung der Maschine“ mit dem Aufkommen grafischer Userinterfaces. So erschien der MacIntosh gegenüber den kalten und verwirrenden Kommandozeilen-Betriebssystem als „menschlich, warm und liebenswert“. Er bringt das Konzept einer direkten Manipulation von Gegenständen auf dem grafischen Interface als Beweis für Kontrollgewinn. Da wäre zu unterscheiden. Wenn der User arbeitend oder spielend grafische Objekte manipuliert, kontrolliert er Elemente auf einem von Dritten inszenierten Spielplatz. Den Spielplatz kontrolliert er nicht.

Seiner Zeit voraus war Shapiro mit der These, dass die Postulierung eines Cyberpace als eigenständiger Sphäre wenig realitätsnah und sinnvoll ist. Symbolische Interaktionen auf dem Internet seien nicht entkoppelt von Auswirkungen auf reale Menschen und ihre Beziehungen.

Kontrollgewinn sieht Shapiro im Bereich von Medien und Kommunikation. Er bringt das Beispiel einer Bulletin-Board Kampagne, welche das Time Magazine zum Rückzug falscher Behauptungen über die Pornolastigkeit des Internets gezwungen hat. Das Internet senkt massive die ökonomischen Eintrittsschwellen für „digitale Autoren“. Shapiro hält sich zu euphorischen Position Distanz, sieht aber durchaus online Publizistik als Gegengewicht zu den stark konzentrierten Massenmedien: Individuen würden „more control over the flow of information“ ausüben.

Ein zentrales Konzept ist für den Autor die Tendenz zum Verschwinden von Intermediären. Darunter fällt bei der Meinungsbildung ein Glaubwürdigkeitsverlust von Institutionen wie Medien, Unis oder Behörden. Vorsichtig tönt Shapiro die Möglichkeit von Dezentralisierung und elektronischer Demokratie an. In der Diskussion konstatieren wir allerdings, dass eine Tendenz zu Dezentralisierung und politischer Ermächtigung der BürgerInnen nach fünfzehn Jahren Web in den entwickelten Ländern kaum festgestellt werden kann. Im Gegenteil: In Europa wurden in der Zwischenzeit permanent Kompetenzen hin zu einem für die Zivilgesellschaft wenig kontrollierbaren Zentrum verlagert.

Der Autor greift grundlegende Fragen in einer Weise auf, die auch zehn Jahre nach der Publikation noch interessant ist. Wie weit das Hantieren mit digital unterlegten Medien und Kommunikationsmitteln auch mit einer Ermächtigung der Individuen gleichzusetzen ist, bleibt weiter zu diskutieren. Genauso wie der Begriff der Kontrolle, der in verschiedenen Kontexten Unterschiedliches bezeichnen kann.

An einer Stelle vergleicht der Autor die Ermächtigung durch die vernetzten Rechner mit der Ermächtigung durch das Auto. Das ist für den amerikanischen Kontext nicht ganz unwichtig. Gerade in der kulturellen Tradition der USA ist Kontrolle mit zwiespältigen Elementen Verknüpft. Es gibt nicht nur eine urban adrette Lesart von Ermächtigung. Wir sehen ja auch eine Gun, Car und Einfamilienhaus Version, die etwa mit der Tea Party Bewegung auf dem Web erfolgreich ihre Vorstellungen von Kontrollgewinn propagiert.

Andrew L. Shapiro. The control revolution : how the Internet is putting individuals in charge and changing the world we know. New York : PublicAffairs, 1999.

Lektüren zur Medienentwicklung

Die Lesegruppe der Digitalen Allmend hat sich mit zwei weiteren Texten zu Aspekten des medialen Strukturwandels beschäftigt:

Dünne Verteidigung der Medien
Wenn Pietro Supino, Verleger der Tamedia AG und Vizepräsident des Verbands Schweizer Presse, sich in einem Artikel zur Qualität der Presse äusssert (1), braucht man sich nicht weiter zu wundern, wenn er sie verteidigt – etwa gegen den Bericht der Forschergruppe um Kurt Imhof, den die Lesegruppe bereits besprochen hat.

Seine Hauptargumente sind einerseits die prinzipielle Nichtexistenz von überzeitlichen Qualitätsmerkmalen (die also auch nicht einzufordern seien) und andererseits ein veränderter Mediengebrauch, der bestens ohne eigentliche Leitmedien als alleinige Foren für die öffentliche Meinungsbildung auskomme. Da Supino die Quantität des Angebots an Informationen aber mit dessen Qualität relativ sorglos gleichsetzt, bleibt die Replik insgesamt ein bisschen dünn.

Unterhaltsame geschichtliche Entwicklung des Fernsehens
Das Buch von Asa Briggs und Peter Burke (2) vermittelt einen Überblick über die Geschichte neuerer Kommunikationsmedien und ihrer sozialen und kulturellen Einbettung. Wir haben den Abschnitt über das Zeitalter des Fernsehens gelesen. In angelsächsischer, sehr angenehm zu lesender Schreibtradition werden das Aufkommen, Entwicklungen, nationale Differenzen, markante Ereignisse in einzelnen Ländern und schliesslich die kontinuierliche Ausbreitung des TV-Einflusses über alle Länder der Erde nachgezeichnet. Der Kommentar- und Forschungsteil macht mit verschiedenen theoretischen Positionen und empirischen Daten vertraut.
Nach dem, was wir gelesen haben, ein sehr empfehlenswertes Buch, um im Zeitalter der schnellen Medien-Entwicklungen ein Verständnis für Entwicklungen der Mediengeschichte zu erhalten.

1) http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Die-Qualitaet-unserer-Presse/story/28385132

2) Asa Briggs and Peter Burke : A social history of the media : from Gutenberg to the Internet. (3rd ed.) Cambridge, 2009.