Nachgefragt: Gemeinsame Stellungsnahme Musikschaffende

Der Verein Musikschaffende Schweiz setzt sich für die anliegenden von Schweizer Musikschaffenden ein. In einem gemeinsamen offiziellem Statement haben sie ihre Forderungen formuliert. Da nicht alles klar ist und um die Forderungen besser zu verstehen, hat die Digitale Allmend per e-mail den Musikschaffenden einige Fragen gestellt:


Auf Ihrer Webseite und in den Medien wurde über Ihr gemeinsames Statement berichtet (http://musikschaffende.ch/statement). Im Namen der Digitalen Allmend (http://blog.allmend.ch) möchten wir Ihnen folgende Fragen stellen und bitten Sie um eine baldige Antwort:

– Was sind die Parallelen zwischen den Vorkommnissen in Guantanamo und der Schweiz? Wie kommen Sie zu diesem Vergleich? Weshalb soll die Schweiz eine “rechtsfreie Zone” im Bereich Urheberrecht sein? Nach unserem aktuellen Wissen werden keine Personen in der Schweiz aufgrund des Urheberrechts willkürlich festgehalten, jahrelang schikaniert und in ihren fundamentalen Menschenrechten gravierend verletzt. Zudem ist die Gerichtsbarkeit im Bereich Urheberrecht geregelt und demokratisch legitimiert (und unterliegt keiner Militär- oder Sondergerichtsbarkeit).

– Können Sie im Detail begründen, weshalb ihnen rechtliche Werkzeuge zum Vorgehen gegen Anbieter und Verbreiter von “illegalem Content” fehlen?  Was *genau* ist illegaler Content (darunter versteht man gewöhnlich Kinderpornographie, Aufrufe zum Rassenhass etc.)? Das ist nicht klar.

– Was für Vergütungsmodelle stellen Sie sich bei Youtube und Streaming-Dienstleistungen vor? Wer soll das Geld einkassieren, wer verhandeln und wie soll es verteilt werden (Künstler direkt, Verwertungsgesellschaften, kommerzielle Unternehmen)? Was soll dabei den Ausschlag geben, der Umsatz oder der Gewinn? Wer oder was hindert Sie daran, Geschäftsmodelle zu entwickeln und die verfügbaren neuen Möglichkeiten zur Monetarisierung von Inhalten zu nutzen?

– Wie kommt es, dass Sie eine Kulturflatrate ablehnen, jedoch jegliche kollektiven Verwertungsmethoden weiterhin fordern (siehe Leerträgervergütung), und wenn wir es richtig verstehen sogar eine Erweiterung fordern (Cloudspeicher, Internetanschluss)?

– Wie begründen Sie eine Ein-Forderung von Abgaben für Nutzungsformen, die beim Erwerb explizit als Bestandteil verkauft werden? Beispielsweise verkauft Apple oder Amazon Musik und verspricht deren Nutzung über die Cloud und von allen Geräten, inklusive iPhone. Daher können Käufer davon ausgehen, dass diese Nutzungsformen bereits bezahlt wurden.

– Wie begründen Sie im Detail, weshalb die Provider sie fairerweise am Gewinn beteiligen sollen? Wie soll genau eine Gewinnbeteilung an den Providern aussehen? Ein Anteil am erwirtschafteten Gewinn oder unabhängig vom Gewinn basierend auf der Anzahl Anschlüsse? Wie würde das Geld an wen verteilt?

– Beziehen Sie sich bei der geforderten Gewinnbeteiligung auf die Unterhaltungsangebote oder nur auf den allgemeinen Internetanschluss? Beziehen Sie sich auf den fixen Anschluss (z.B. DSL oder Koaxial) oder auch auf das mobile Internet (3G, UMTS)?

– Können Sie im Detail darlegen, wie Provider Sie bei der Wahrung Ihrer Rechte unterstützen sollen? Wie sollen die Provider Vorgehen? Sollen diese neue und rechtsstaatlich bedenkliche Funktionen als Hilfspolizisten bei der Strafverfolgung übernehmen? Gemäss dem bewährten Prinzip der Gewaltenteilung, welche Rolle sollen dabei Richter und das Gesetz spielen? Wie können — gemäss Ihren Vorstellungen und neuen “Haftungen” — die Grundrechte der Nutzenden dabei gewährleistet werden?

– Wünschen Sie auch eine Liberalisierung der Verwertungsgesellschaften, wie sie in der EU von deren Kommission vorangetrieben wird? Oder wollen Sie nur in ausgewählten Bereichen eine Anpassung an die EU? Gegebenenfalls in welchen Bereichen und in welchen nicht?

Wir freuen uns auf Ihre baldige Antwort und werden diese gerne in unserem Blog veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüssen

Die Antworten werden wir im Blog veröffentlichen.

Geistlose Signale

Sind Medien einfach technische Informationskanäle? Lässt sich eine Medientheorie um informationstechnische Konzepte wie Signal/Rauschen, Turingmaschine oder Entropie herum bauen? Tendenziell mit Ja dürfte Friedrich Kittler diese Fragen beantworten. Mit ihm hat sich die Lesegruppe der Digitalen Allmend beschäftigt, anhand eines Textes von Dieter Mersch (1).

Wer die Bühne akademischer Publikationen mit einem Titel “Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften” betrat, schlug 1980 bestimmt einen Pflock ein. Kittler durfte sich über die Folgen nicht wundern: Er wird als Vertreter eines prononcierten Medienmaterialismus wahrgenommen.

Nicht Botschaften zählen – sondern Schaltungen. Mit dieser Aussage treibt Kittler seine Position über diejenige von McLuhan hinaus. Bei letzterem war das Medium (auch) die Botschaft. Bei Kittler verschwindet die Botschaft nun überhaupt aus dem Blickfeld. Vom Prozessor bis zum gesellschaftlichen Kommunikationsprozess – alles nur ein Wimmeln von Signalen, ein Klappern von Bits.

Dieser zugespitzte Medienmaterialismus mag vielleicht etwas exotisch erscheinen. In der Lesegruppe schwappt aber doch die Diskussion hoch, ob nicht auch wissenschaftlichen Megaprojekt-Ideen wie Blue Brain oder FuturICT eine vergleichbare monolithische Sicht zugrunde liegt, die nicht zwischen den Layern technische Informationsverarbeitung und kulturelle Bedeutungsproduktion unterscheidet.

Die Unterscheidung dieser Ebenen ist auch dann relevant, wenn immerwährende Geister oder Götter im Erklärungsmodell nicht vorkommen. Dass Kittler als Literaturwissenschafter einer aufgeblähten Stilisierung eines menschlichen (oder göttlichen) Geistes temperamentvoll entgegentritt, ist durchaus produktiv. Dieses aus dem 19. Jh stammende Konzept herrschte aber um 1980 herum keineswegs mehr erdrückend vor. Kittlers Stossrichtung muss wohl auch tiefer angesetzt werden, als rechte technokratische Kulturkritik an den Werten der Bundesrepublik und des Westens überhaupt.

Der Begriff „rechts“ ist hier einfach als Verortung zu lesen. Einmal im Sinn der Philosophiegeschichte, wo Kittler in die Einflusssphäre von Heideggers platziert werden kann. Auch durch das Faszinosum militärischer Gewalt, die sich in seinem Werk unübersehbar artikuliert.

Die Diskussion einiger Grundzüge – bei Mersch und in der Lesegruppe – soll nicht den Eindrück aufkommen lassen, Kittler habe sich vor allem in Form abstrakter Allgemeinplätze geäussert. Er hat vielmehr weitläufig Studien vorgelegt, die sich von Pink Floyd über Aufschreibsysteme um 1800 und 1900, Kino und Grammophon bis zu Prozessoren und grafischen Bedienoberflächen erstrecken.

Viel ausführlicher als Mersch und trotzdem gut lesbar behandelt Geoffrey Winthrop-Young den streitbaren Autor in „Friedrich Kittler zur Einführung“.

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

Medienphilosophien mit Mersch

Die Lesegruppe liest weiter Dieter Mersch (1), diesmal zu Medienphilosophien von Baudrillard und Virilio.

«Jean Baudrillard und die Agonie des Realen» titelt Mersch. Baudrillard, ursprünglich Soziologe und Philosoph, wird in diesem Kapitel als Medientheoretiker konturiert, der früh schon die These vom Referenzverlust medialer Prozesse aufgestellt hat. Gemeint ist damit im engen Sinn – bezogen auf Zeichenprozesse – die Loslösung des unmittelbaren Bezugs von Zeichen und Bezeichnetem, von Signifikant und Signifikat. Bedeutungen von Zeichen hängen damit mehr noch und zusehends nur noch von der Relation der Zeichen untereinander ab. Die beständige Möglichkeit der Rekombination der Zeichen bedeutet in einem weiteren Sinne den Abschied vom Realen, von der Referenz. Der «Wirklichkeitsbezug» geht verloren; Repräsentation wird durch Simulation verdrängt. Baudrillard bezieht sich mit der Aufwertung des Symbolischen stark auf Roland Barthes (Mythen des Alltags, Elemente der Semiologie) und beklagt diesen Verlust der Referenz in einer nur noch selbstreferentiellen Welt, in der aus Realität eine bloss konstruierte, simulierte oder auch virtuelle Realität geworden ist.

Im Zentrum der Technik-kritischen Position des französische Architekten und Urbanisten Paul Virilio stehen Raum und Bewegung, die Dynamik wachsender Beschleunigung und der Exzess der Geschwindigkeit. Die Entwicklung der sich steigernden Geschwindigkeiten unterteilt Virilio, gemäss Mersch, in Epochenstufen, die er anhand von so unterschiedlichen Phänomenen wie Informations- und Übertragungstechniken, Verkehrsmittel, Architektur, der Logistik automatischer Waffen und der Zurüstung des Leibes durch Transplantationstechniken nachzeichnet. Auch bei Virilio konstituieren die Medien in diesem unerbittlich sich steigernden Geschwindigkeitsrausch ihr Mediatisiertes: Die Erfahrung des Wirklichen vollzieht sich in Abhängigkeit von Geschwindigkeiten mit denen gesehen oder gehört wird; so etwa sei die Logistik des Krieges zunehmend eine der Sehwaffen.

Der thematische Überflug mit Mersch macht deutlich, dass weder Baudrillard noch Virilio mit solch einer summarischen Lektüre beizukommen ist.

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

GV der Digitale Allmend am 23. April

Am 23. April findet die Mitgliederversammlung der Digitalen Allmend statt. Neben einem Rückblick über das vergangene Jahr, geht es auch um die Planung von 2012.
Ort:  VMK 1.7 – ZHDK, Sihlquai 131, 1. Obergeschoss, Zürich
Zeit: ab 19:00
Datum: 23. April 2012
1. Begruessung
2. Administratives
2.1 Jahresberichte 2011
2.1.1 Vorstand
2.1.2 Team CC
2.1.3 Projekte
2.1.3.1 Openaccess / Opendata
2.1.3.2 Veranstaltung Doctorow
2.1.3.3 ACTA und Vorratsdatenspeicherung
2.1.3.4 “Kritische Beobachtung” von Verwertunggesellschaften
2.1.4 Finanzen
2.2 Entlastung des Vorstands, Quästor
2.3. Neuwahlen
2.3.1 Vorstand Digitale Allmend
2.3.2 Team-CC
3. Inhaltliches
3.1 CC 3.0 CH: Launch, Übersetzungen
3.2 Website Allmend
3.3 Website Creative Commons CH
3.4 Mitarbeit an der CC 4.0 Portierung
3.5 Andere Aktivitäten 2012
3.6 Budget 2012
4 Diverses
Ein wichtiger Punkt ist die Besetzung des Vorstands,Ko-Präsidium der Digitalen Allmend und von Team_CC (Creative Commons Lead Schweiz). Beides wird jeweils an der GV gewählt. Gemäss letzter GV sind im Vorstand: Alessandro Rimoldi (Ko-Präsident),  Philippe Perreaux (Ko-Präsident), Andreas Trottmann (Kassier), Daniel Boos, Hartwig Thomas, Simon Schlauri, Wolf Ludwig
Daniel Boos tritt aus dem Vorstand zurück. Ale Rimoldi möchte das Ko-Präsidium abgeben. Vakant ist also insbesondere das Ko-Präsidium. Zudem können durchaus weitere Vorstandsmitglieder gebraucht werden.
Gemäss letzter GV sind im Team_CC: Simon Schlauri, Melanie Bosshard, Philippe Perreaux, Claude Almansi
Bei Team_CC sind einige Personen in den letzten Monaten aktiver dazugestossen, welche nun formell bei Team_CC aufgenommen werden können. Beispielsweise haben wir für das Blog Unterstützung erhalten und auch für die Romandie. Weitere Aktive sind aber immer sehr hilfreich.
Bitte meldet euch auf der Mailingliste, wenn ihr beim Vorstand oder
 beim Team CC (Creative Commons Schweiz Lead) aktiv werden möchtet.
Wir bitten alle Mitglieder, an die GV zu kommen. Interessierte sind ebenso
 herzlich willkommen und können an der MV teilnehmen.

Kultur als Code

Die Lesegruppe der Digitalen Allmend setzt ihren Bummel durch die Medientheorien des 20. Jahrhunderts fort und beschäftigt sich mit Vilém Flusser (1920-1991). Dieser hinterlässt ein vielgestaltiges Werk, das eher untergründig wirksam wurde.

Flusser positioniert sich in einem kulturellen Megatrend nach dem 2. Weltkrieg. Diese Strömung rückt technische und formale Aspekte von Kommunikation und Kultur ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Auf dieses Feld gehören Kybernetik, Semiotik und Strukturalismus.

Zu den methodischen Fundamenten gehört die Übertragung technischer Kommunikationskonzepte auf das gesellschaftliche Leben. Eine zentrale Bedeutung nimmt dabei der Code ein. Im Code überlappen sich die Welt des Sinns und die Welt der Übertragung. Statt kodifizierte Kommunikation im gesellschaftlichen Kontext zu analysieren, wird von den Kommunikationstheoretikern die Gesellschaft vom Code her interpretiert.

Das lässt sich durchaus auch von Flusser sagen. Er fasst Kultur als Code. In seiner Skizze von Flussers Denken arbeitet Dieter Mersch (1) drei Schwerpunkte heraus.

In einer Kommunikologie scheidet Flusser den kulturellen Code in zwei Momente. Im Diskurs fasst er das dauerhafte strukturelle Netz der Codes, die Infrastruktur der Kommunikation. Als dynamisches und kreatives Moment sieht er den Dialog. Einmal mehr scheint hier die seit Platon diskutierte Spannung zwischen Schrift und Rede auf. Flusser sieht den Code als zweite Wirklichkeit, die für den Menschen zur ersten Wirklichkeit wird. Flusser fasst allerdings den Begriff des Codes weiter als Schrift. Der Code bestimmt die Möglichkeiten, die Welt wahrzunehmen und zu handeln: Er ist Sinn und Kerker gleichzeitig.

Mit seiner These des Informationszeitalters etabliert Flusser eine Geschichtsphilosophie. Es folgen aufeinander die Perioden von Bild, Schrift und Technobild. Bilder sind statisch und flächig. Die Schriftkultur wird mit Erzählung, Drama und Kausalität in Verbindung gebracht und von Flusser durchaus negativ für die Herausbildung der westlichen linear denkenden Kultur in Verbindung gebracht.

Mit dem Konzept der Komputationen verweist Flusser auf das Potential von TV und Computern, frei gestaltbare Techno-Bilder zu generieren. Das Denken sei da nicht mehr buchstäblich, sondern numerisch. Das lineare Lesen würde abgelöst durch ein Verfolgen von Verweisen. Ganz allgemein erwartet Flusser, dass aus Modellen erzeugte visuelle Konstrukte eine neuartige und wichtige Rolle spielen würden.

Die Beschäftigung mit Flusser hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Zum einen entfaltet er produktive Momente eines codebasierten Ansatzes, wirft kreative Gedanken in die Diskussion und bringt relevante Fragestellung auf. Aber sein Diskurs bleibt inkonsistent, erratisch und faktenfern, sodass er gar nicht verifizierbar oder widerlegbar ist. Das ist die Freiheit der (Medien)Philosophen: in der Transitzone zur religionsförmigen Weltanschauung stehen keine Schranken.

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

Die ACTA-Debatte

Es gab eine Zeit, als nur Wenige von ACTA hörten, aber nichts Genaueres wussten. Der kanadische Rechtswissenschaftler Michael Geist gehörte zu den ersten Sachkundigen, der bis dahin geheim gehaltene Details aus den Verhandlungen erfuhr und „leakte“ – und diese Veröffentlichungen zogen rasch Kreise in der internationalen Zivilgesellschaft. In der Schweiz gehörte die Digitale Allmend neben der Swiss Internet User Group (SIUG), der Digitalen Gesellschaft und der Piratenpartei zu den ersten, welche die noch spärlichen Informationen verbreiteten und auch beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE), zuständig für die Schweiz, nachfragten.

Initiiert wurde das Abkommen im Jahr 2008 von den USA und Japan. In insgesamt elf Verhandlungsrunden einigten sich die verhandelnden Länder (neben den beiden Initianten die EU und ihre Mitgliedsstaaten, Mexiko, Singapur, Südkorea, Marokko, Neuseeland, Australien, Kanada und die Schweiz) auf den Vertragstext.

Seit einigen Monaten ist das internationale Handelsabkommen Anti-Counterfeiting Trade Agreement unter dem Kürzel ACTA zum Politikum geworden, noch bevor sich die handverlesenen Vertragsparteien im Oktober 2011 in Japan zur Erstunterzeichnung trafen. Und je mehr Details aus dem Vertragstext bekannt wurden, desto schneller wuchs der Widerstand; die Ausführungsbestimmungen zum umstrittenen Text werden noch immer geheim gehalten und geben Anlass zu Spekulationen. Auch in der Schweiz haben am 11. Februar hunderte Menschen in Zürich, Basel und Genf gegen das Abkommen demonstriert.

Die Kritik an diesem Vertragswerk, das in den nächsten Monaten noch manche parlamentarische Ratifizierungshürden nehmen muss, ist inzwischen so vielfältig, dass sie sich in einem kurzen Blog-Beitrag kaum zusammenfassen lässt. Jedenfalls, so argwöhnen die Kritiker, werden mit ACTA die wirtschaftlichen Interessen von Rechteinhabern und Verwertern, Markeninhabern und Grosskonzernen über das öffentliche Interesse am freien Zugang zu Informationen gestellt. Ausserdem, so ist zu befürchten, lassen die geplanten ACTA-Sanktionen jegliche Verhältnismässigkeit vermissen. Daher verweisen wir nachstehend auf einige wesentliche Links zum Thema:

Anti-ACTA Kundgebung in Zürich

Am 11. Februar hat Hartwig Thomas hat eine kurze Ansprache bei der Anti-Acta Demo am zürcher Helvetia Platz gehalten.

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=jhnLyU2zgNg

Ich bin […] da, weil ich der Meinung bin, dass die Abschaffung der Meinungsfreiheit oder die schwere Gefährdung der Grundrechte etwas ist, was auch Nichtpolitiker interessieren sollte.

Wenn ich mit den Politikern spreche, habe ich den Eindruck dass diejenigen die im nächsten Jahr darüber entscheiden, ob die Schweiz ACTA ratifizieren soll zu einem grossen Teil keine Ahnung haben und sie müssen von der Strasse, von jedem einzelnen von uns genau und detailiert informiert werden warum dieser Staatsvertrag ein schlimmer Eingriff in die Freiheit der Menschen wäre.

ACTA steht für Anti Counterfeit Trade Agreement also Anti Fälschungs-Handelsabkommen und es geht, wie schon Herr Glättli gesagt hat, nicht wirklich in erster Linie um pirateske Themen sondern es geht darum, dass sogenannte Geistige Eigentum bis zum Letzen zu verteidigen; dass Leute die Krokodilannäher auf Hemden kleben wirklich mehrere Jahre ins Gefängnis kommen; dass Unfallverhütungtechniken im Autobau keinesfalls von den Chinesen kopiert werden dürfen damit sie weniger Unfälle haben; dass Videodateien von Hollywoodfilmen nicht herunter und hochgeladen werden dürfen; dass patentierte Medikamente auf keinen Fall so billig hergestellt werden dürfen wie sie hergestellt werden könnten – auch wenn dabei Millionen Leute an AIDS sterben. Wer das geistige Eigentum an solchen Sachen hat, der hat das Recht den Anderen zu verbieten das zu kopieren oder eben so günstig herzustellen wie man es herstellen könnte.

Dieses Verbotsmonopol bewirkt, dass man die Preise beliebig in die Höhe treiben kann, auch auf Kosten davon, dass Menschen massenweise sterben, weil niemand Kopien von patentierten Unfallverhütungssoftware machen darf, oder von einem AIDS-Medikament, oder von schädlingsresistentem Saatgut. Die Rechteinhaber vorallem in den USA oder der EU hatten mit ihrer Einschüchterungstaktik bisher schon viel Erfolg. Wir sind alle so blöd, dass wir bereits mit vorauseilendem Gehorsam uns sogar die Sachen nicht mehr trauen die wir noch dürfen

Ich habe gerade gestern wieder in 20 Minuten gelesen, man müsse die illegalen Downloads verbieten. Erstens ist es ja ein wenig idiotisch etwas Illegales zu verbieten.. (Gelächter) Zweitens sind in der Schweiz Downloads immer noch legal, selbst wenn derjenige der das hochgeladen hat das illegalerweise hochgeladen hat. Das Lesen eines geklauten Buchs ist nicht strafbar, das Klauen schon.

Ich denke, wir sollten uns nicht länger von der Pharmaindustrie und Hollywood einschüchtern lassen, sondern unsere Rechte wieder maximal beanspruchen und die zynischen Rechteinhaber im schlimmsten Fall boykottieren. Es gibt sehr schöne Hemden ohne Krododilaufnäher. (Gelächter). Man hört immer wieder das uns ACTA vor gefälschten Medikamenten schützen soll, weil sonst irgendwelche unverantwortlichen alten Herren gefälschtes Viagra kaufen und nachher eingehen – (Gelächter) – jeweils übers Internet. Das ist natürlich Unsinn, wir haben schon sehr harte Gesetze gegen Brunnenvergifter und Leute die gefälschte Nahrungsmittel herstellen und gegen Leute die andere vorsätzlich schädigen. Für das müssen wir auf kein Abkommen eingehen das es der Industrie von den Rechteinhabern erlaubt, ohne Umweg über die Polizei, über den Richter direkt bei den Providern Informationen über uns einzuholen und über ihre Konkurrenten natürlich, damit sie noch besser Kapitalismus betreiben können. (Applaus)

Es gibt einen Punkt ganz am Schluss vom ACTA-Vetrag. Ich habe mir die Mühe gemacht, das durchzulesen und habe dazu ein kleines oranges Flugblatt geschrieben (http://www.enterag.ch/hartwig/acta-fragen.pdf) das schrecklich seriös und trocken ist und jeden einzelnen Punkt aufgezählt, von dem ich der Meinung bin, dass er problematisch ist. Ganz am Schluss von ACTA ist eine heisse Sache drin: dort geht es nämlich um den berühmten Aquis-Communautaire. Das heisst ACTA besagt, es wird eine Kommission eingesetzt, eine internationale Kommission die dieses Vertragswerk laufend weiterentwickelt und, dass Leute, die diesem Vertragswerk heute beitreten automatisch laufend alle weiteren Änderungen mitübernehmen, die diese Kommission dann beschliesst.

Das heisst, selbst wenn es heute sozusagen wenig an der Schweizer Situation ändern würde, hätte man dann die fremden Richter und die fremden Gesetzgeber anstelle unserer Richter und unserer Parlamentarierer gesetzt. Und da wundert es mich, dass ich hier auf diesem Platz so wenig Vertreter von der Partei [die SVP, Red.] sehe die sonst gegen fremde Richter ist. (Breites Gelächter und Applaus.)

Beim Aushandeln der endgültigen ACTA Vertragsversion war das Institut für Geistiges Eigentum auf Schweizer Seite dabei. Der Schweizer Botschafter hat an seiner offiziellen Unterzeichnungszeremonie in Japan schon unterschrieben aber das war nur für das Fernsehen. Das ist noch nicht wirklich schon gültig und jetzt kommt es darauf an, dass der Bundesrat die Unterzeichung, die Ratifizierung des Vertrags dem Parlament vorlegt und bis.. ich glaube Mai 2013 muss das Parlament entschieden haben, ob die Schweiz diesem internationalen Vertragswerk beitritt oder nicht. Ich hoffe, dass ihr alle, jeder einzelne von euch ganz viele Mails an seine Lieblingsparlamentarier schreibt.

Transkription: http://www.denkmaschinen.ch leicht korrigiert.

Foto: CC-BY Roger Hunziker

Marshall McLuhan und die Kanadische Schule

Die Lesegruppe liest weiter Medientheorie von Dieter Mersch (1).

Marshall McLuhan ist der bekannteste einer gemischten Gruppe von Wissenschaftlern aus Anthropologie, Literaturwissenschaft und Geschichte, die von den 1950er Jahren an im Umkreis des Centre of Culture and Technology der Universität Toronto gearbeitet und in vielfältiger Weise Einflüsse der Schrift und anderer Kommunikationsmedien auf die Kulturentwicklung untersucht haben. Dieser so genannten Kanadischen Schule (dazu gehören unter anderen Harold A. Innis, Eric A. Havelock und später Derrick de Kerckhove) kommt nach Mersch das Verdienst der Etablierung einer eigentlichen allgemeinen Medientheorie zu, die nicht nur partiell die technischen Medien wie Film, Radio und Fernsehen behandelt, sondern ebenso Politik, Sozialstruktur und Technik mit einbezieht. Medientheorie versteht sich seither auch als Zeitdiagnose: Medien durchdringen Person, Politik, Ökonomie, Moral und Gesellschaft in ihrer Identität.

Mersch beschreibt in der Folge detaillierter, was die einzelnen Exponenten beigetragen haben und widmet sich am ausführlichsten Marshall McLuhan. Schreiben, wie Mersch über McLuhan schreibt, könnte sogar reizvoll sein; lieber wähle ich hier aber einen direkten Zugang zu McLuhan und schlage für einmal zwei Videolinks vor.

McLuhan wollte verstehen, wie Massenmedien unser Leben verändern – wie sie ihre User formatieren – und erfand dafür Metaphern und Schlagworte, die geradezu volkstümlich geworden sind. McLuhan prägte den Begriff des Globalen Dorfes, McLuhan sprach von der Gutenberg Galaxis und von Medien als Extensionen des menschlichen Körpers. Sein berühmtester Kernsatz ist “The medium is the message.”  (Das Medium ist die Botschaft.) Die Botschaft der elektronischen Medien lautet: Wir sind akustisch und visuell vernetzt. Die Welt ist ein globales Dorf. Wir haben extrem mit den Angelegenheiten aller andern Menschen zu tun. Seine ebenfalls sehr bekannte Unterscheidung zwischen heissen und kalten Medien bezieht sich auf ihre höhere oder niedrigere Auflösung und die damit verbundenen unterschiedlichen Wirkungen auf die Sinne. Hochauflösende Medien (“hot”) media, wie Druck oder Radio, seien voller Informationen und erforderten weniger Komplettierung oder Beteiligung des Lesers oder Zuhörers, als niedrig aufgelöste Medien (“cool”) media wie Telefon oder Fernsehen, denen es relativ an Informationen fehle und die damit eine höhere «Sinnenbeteiligung» des Benutzers mit sich brächten. Da jedes Medium mit einem verschiedenen Verhältnis in der Ordnung zwischen den Sinnen verknüpft sei, kreiere es andere Formen von Bewusstsein. Diese Transformationen von Wahrnehmungen seien Grundlagen von Bedeutungen der Botschaft, oder eben:  “The medium is the message.”

Marshall McLuhans Theorien aus den 1960er Jahren sind noch heute in aller Munde und scheinen auch perfekt auf das Internet zu passen. Dabei geht gerne vergessen, dass er über die Rechenzentren von damals sprach – und weder über das Internet, noch die Laptops oder iPhones von heute. In diesem Sinn war die These des Globalen Dorfes vielleicht noch weniger eine Diagnose denn eine – allerdings äusserst hellsichtige – Vorhersage.

Dass er später auch “The medium ist the massage“ gelten liess, eine Version, die aufgrund eines Druckfehlers entstanden ist, weist Marshall McLuhan zudem als einen Wortspieler aus, der Witz und Pointierung liebte. Seinen Kritikern war er damit definitiv zu unsystematisch. Vielleicht hätte man ihn im Original erlebt haben müssen, um etwas von der Tonalität, vom Duktus, vom Zugriff seines Denkens und seiner Äusserungen zu verstehen; dieses Video gibt immerhin noch mediale Gelegenheit dazu: http://www.youtube.com/watch?v=Orm-urRidH8&feature=related

McLuhan war ein Medien-Guru der ersten Stunde, eine Art intellektueller Popstar mit einer grossen Anhängerschaft unter den Hippies. Das hiess damals und heisst auch heute, dass er fleissig zitiert und selten gelesen wird. Ihn ebenfalls nur so bruchstückhaft zu rezipieren ist da ziemlich unbehaglich. Weil er zwar häufig zitiert, dabei aber eben auf seine drei oder vier Schlagwörter reduziert wird, lautet der zweit-berühmteste «McLuhanismus»: “You know nothing of my work!” Darauf spielt dann sogar eine Szene aus Woody Allens Stadtneurotiker an, die man sich ebenfalls nicht entgehen lassen sollte: http://www.youtube.com/watch?v=9wWUc8BZgWE

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

14. Februar: Information und Diskussion CC-CH

Wir möchten euch herzlich einladen zu einer Information und Diskussion zur Anpassung der Creative Commons Lizenz Version 3.0 für die Schweiz. Wir informieren an der Veranstaltung über den aktuellen Status und Schwierigkeiten bei den Anpassungen. Auch thematisieren wir mögliche zukünftige Szenarien rund um Creative Commons Switzerland. Aktive Unterstützung ist wie immer gesucht.Wir treffen uns ab 19.00 Uhr am Dienstag 14. Februar in Zürich.

Veranstaltungsort ist an der ZHDK Vertiefung Mediale Künste an der Sihlquai 131, 1. Stock. Raum 1.7, Zürich

“Anmeldung” oder Fragen per E-Mail an boos(a)allmend.ch oder Tel 078 767 22 38.