Geistlose Signale

Sind Medien einfach technische Informationskanäle? Lässt sich eine Medientheorie um informationstechnische Konzepte wie Signal/Rauschen, Turingmaschine oder Entropie herum bauen? Tendenziell mit Ja dürfte Friedrich Kittler diese Fragen beantworten. Mit ihm hat sich die Lesegruppe der Digitalen Allmend beschäftigt, anhand eines Textes von Dieter Mersch (1).

Wer die Bühne akademischer Publikationen mit einem Titel “Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften” betrat, schlug 1980 bestimmt einen Pflock ein. Kittler durfte sich über die Folgen nicht wundern: Er wird als Vertreter eines prononcierten Medienmaterialismus wahrgenommen.

Nicht Botschaften zählen – sondern Schaltungen. Mit dieser Aussage treibt Kittler seine Position über diejenige von McLuhan hinaus. Bei letzterem war das Medium (auch) die Botschaft. Bei Kittler verschwindet die Botschaft nun überhaupt aus dem Blickfeld. Vom Prozessor bis zum gesellschaftlichen Kommunikationsprozess – alles nur ein Wimmeln von Signalen, ein Klappern von Bits.

Dieser zugespitzte Medienmaterialismus mag vielleicht etwas exotisch erscheinen. In der Lesegruppe schwappt aber doch die Diskussion hoch, ob nicht auch wissenschaftlichen Megaprojekt-Ideen wie Blue Brain oder FuturICT eine vergleichbare monolithische Sicht zugrunde liegt, die nicht zwischen den Layern technische Informationsverarbeitung und kulturelle Bedeutungsproduktion unterscheidet.

Die Unterscheidung dieser Ebenen ist auch dann relevant, wenn immerwährende Geister oder Götter im Erklärungsmodell nicht vorkommen. Dass Kittler als Literaturwissenschafter einer aufgeblähten Stilisierung eines menschlichen (oder göttlichen) Geistes temperamentvoll entgegentritt, ist durchaus produktiv. Dieses aus dem 19. Jh stammende Konzept herrschte aber um 1980 herum keineswegs mehr erdrückend vor. Kittlers Stossrichtung muss wohl auch tiefer angesetzt werden, als rechte technokratische Kulturkritik an den Werten der Bundesrepublik und des Westens überhaupt.

Der Begriff „rechts“ ist hier einfach als Verortung zu lesen. Einmal im Sinn der Philosophiegeschichte, wo Kittler in die Einflusssphäre von Heideggers platziert werden kann. Auch durch das Faszinosum militärischer Gewalt, die sich in seinem Werk unübersehbar artikuliert.

Die Diskussion einiger Grundzüge – bei Mersch und in der Lesegruppe – soll nicht den Eindrück aufkommen lassen, Kittler habe sich vor allem in Form abstrakter Allgemeinplätze geäussert. Er hat vielmehr weitläufig Studien vorgelegt, die sich von Pink Floyd über Aufschreibsysteme um 1800 und 1900, Kino und Grammophon bis zu Prozessoren und grafischen Bedienoberflächen erstrecken.

Viel ausführlicher als Mersch und trotzdem gut lesbar behandelt Geoffrey Winthrop-Young den streitbaren Autor in „Friedrich Kittler zur Einführung“.

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

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