Copiepresse vs. Google

Nicht nur in der Schweiz wünschen Zeitungen, am finanziellen Erfolg von Google zu partizipieren. Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass ihre hart erarbeiteten Inhalte Google zum finanziellen Erfolg verhelfen und darum mit einem Leistungsschutzrecht pauschal abgegolten werden müssen. Man kann das natürlich auch anders sehen: Googles hart erarbeitete Technologie ermöglicht den Zeitungsinhalten erst international wahrgenommen zu werden. Insofern müsste Google ein Leistungsschutzrecht beanspruchen, das mittels Pauschalabgaben der Zeitungen zu finanzieren ist …

In Belgien hat dieser Widerspruch zu einer legalen Pirouette geführt. Copiepresse, ein Verband zur Wahrnehmung von Urheberrechten der Tagespresse, hat durchgesetzt, dass Google die Artikel des Verlags nicht mehr publizieren darf. Da diese nun von niemandem mehr gefunden werden, klagt er nun gegen den Boykott durch Google. Man wollte ja Google nicht am Publizieren der Links hindern, sondern nur dafür kassieren, dass sie publiziert werden.

Belgische Richter haben im Mai 2011 das Urteil bestätigt, welches die Publikation von Links untersagt.

Damit bestätigen Juristen einmal mehr, dass sie mehrheitlich für Logik nicht viel übrig haben, wenn es um Erhöhung von Pauschalabgaben geht. Einerseits verpflichtet das Gesetz (in der Schweiz, in Deutschland, in Belgien, in der EU und in weltweiten internationalen Übereinkünften), dass zitierte Quellen zwingend angegeben werden müssen. Andererseits untersagt es das Zitieren ohne Abgeltung eines Leistungsschutzes. Das führt dazu, dass sich niemand mehr trauen wird, fremde proprietäre Quellen zu zitieren, denn die finanziellen Folgen sind unkontrollierbar. Nur das Zitieren von unter einer Creative Commons publizierte Quellen ist einigermassen sicher vor den Leistungsschutzansprüchen der Grossverlage.

Urheberrecht: Replik auf Kritik

Die zugespitzten Thesen zum Thema Urheberrecht haben ihre Anschubfunktion erfüllt. Sie haben ein umfangreiches Set von kritischen Beiträgen ausgelöst. Lebhafte Debatten machen eine Initiative wie die Digitale Allmend stärker und attraktiver. Eine eingehende Diskussion der Antworten würde den Rahmen des Blogs jedoch sprengen. Hier folgt also keine heroische Verteidigung der Thesen und schon gar nicht des Urheberrechts. Letzteres hat allenfalls einen instrumentellen Status. Es gehört für mich in den Werkzeugkasten und nicht auf den Altar existentieller Fragen. Ich werde mich auf die Thematik konzentrieren, die ich als Gravitationszentrum der Meinungsverschiedenheiten sehe: Die (Un)Gleichbehandlung verschiedener kultureller Aktivitäten.

Die Diskussion dreht sich nicht um Aspekte der Kunst- oder Meinungsfreiheit, sondern um die Gestaltung von ökonomischen Spielräumen für kulturelle Produkte. Wenn es für kulturelle Produkte ein Marktpotential gibt, sind die Produzenten häufig daran interessiert, ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen und ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Das gilt für Wissenschaftlerinnen und Psychiater, Stripperinnen und Programmierer.

Völlig zutreffend weist Hartwig darauf hin, dass Ökonomie und Markt immer „auf den Rahmen der herrschenden Gesetze“ bezogen sind. Dem kann ich nur zustimmen. Weder Markt noch Gesetze oder die Justiz sind spontan entstandene überzeitliche Wesenheiten. Sie sind konstruiert und politisch verhandelbar. Das ist natürlich ganz etwas anderes als das neoliberale Gleichgewichtsmodell. Der Begriff „Marktverzerrung“ (bei These 1) bezieht sich also nicht auf ein imaginäres Marktgleichgewicht! Die Verzerrung bezieht sich auf das Postulat nach einer Gleichbehandlung verschiedener kultureller Schöpfungen.

Eine kurze Bemerkung zum Begriff der Kultur. Früher wurde der Begriff eher mit Kunst gleichgesetzt. Inzwischen bildet Kunst (auch populäre) eine Teilmenge der Kultur, diese wird aber breiter verstanden. Kultur umfasst die gesellschaftliche Sphäre symbolischer Handlungen. In einer zweiten Verwendung wird der Begriff noch weiter gefasst, etwa im Sinn von Kultur der Maya. Kultur umfasst so die Sphäre der symbolischen und materiellen Artefakte – Kultur als Gegenbegriff zu Natur. (Dazu Terry Eagleton – Was ist Kultur?)

Ellison hui – Madonna pfui?

Vor diesem breiten Kulturbegriff plädiere ich dafür, grundsätzlich mal allen ProduzentInnen eine gleiche Chance auf eine ökonomische Nische zuzugestehen. Hartwig sieht das anders und kann nicht nachvollziehen, „warum es schlimm wäre“ wenn gewisse Kategorien von Gütern bessere Marktchance hätten.

Da sehe ich schon ein Begründungsproblem bei Positionen, die einen „free flow“ kultureller Artefakte anstreben und diesen dann sehr selektiv nur bei ausgewählten Spezies einfordern, etwa bei gewissen popkulturellen oder journalistischen Produkten. Aufschlussreicher als die Beispiele (wie die ärmste Madonna…) sind die Auslassungen: einige nicht ganz marginale Zonen symbolischer Produktion beim Staat oder in der IT-Branche. Warum sollen Madonnas Millionen pfui – Ellisons (Oracle) oder Zuckerbergs (Facebook) Milliarden hui sein?

Ohne auf Spekulationen einzutreten darf angenommen werden, dass hier ein starker Mechanismus am Werke ist, der zum vornherein eine Einteilung von kulturellen Tätigkeiten in wertvolle und weniger wertvolle antreibt. Klare Werte und scharfe Urteile sind keine Problem – das „zum vornherein“ hingegen schon. Es ist eine ehrenwerte Haltung, Madonna und ihre Millionen Gaga zu finden. Den Damen (und zahlreicheren viel bescheideneren Mitbetroffenen) die Grundlagen ihres Geschäftsmodells wegknipsen zu wollen, ist jedoch etwas ganz anderes.

Zusatz oder Teil?

Ein wertvolle Stütze für Fundamentalkritik würde sich ergeben, wenn sich das Urheberrecht als aufgepfropft und systemfremd beweisen liesse. Hartwig bringt den Begriff des „zusätzlichen Schutzes“ in die Diskussion ein.

Selbstverständlich ist das Urheberrecht ein spezielles Gebilde, das spezifische Elemente ökonomischer Wertschöpfung schafft und absichert. Nur: Gleiches gilt auch für eine ganze Reihe von anderen Bereichen. Etwa für sexuelle Dienstleistungen, wo Spezialvorschriften Modalitäten der entsprechenden Geschäftsmodelle regeln. Oder für staatliche Aktivitäten. Hier wird nur schon in der Schweiz in Hunderten von Personalgesetzen und Verordnungen das Entgeltmodell für symbolische Produktion im Angestelltenverhältnis konstituiert.

So drehe ich die Idee vom „Rahmen der herrschenden Gesetze“ gegen jede willkürliche Ausgrenzung. Ein grosser Strauss von Gesetzen und juristisch-polizeilichen Einrichtungen bilden das staatliche Dispositiv, das Wertschöpfungsprozesse schafft und schützt. Das Urheberrecht ist eines unter vielen Elementen dieses Dispositivs. Es kann keine Rede davon sein, dass diese Prozesse basierend auf Vertragsmodell naturhaft ablaufen. Auch das hardwarezentrierte Business eines Applestore an der Bahnhofstrasse oder die Services der Cablecom gedeihen nur unter diesem gesetzlichen und polizeilichen Schutzschirm.

Musik, Motoren und Cancun

Die Industrialisierung hat eine anhaltende Verbilligung der materiellen Produktion angestossen. Das gilt auch für die physischen Einrichtungen, auf denen Informationen aufsetzen. Nach dem Bedrucken von Papier und den elektronischen Massenmedien treibt die Informationstechnologie diesen Trend weiter voran. Es entstehen neuartige mediale Kanäle für Kommunikation und Publikation – sowohl für private und zivilgesellschaftliche als auch für professionelle Formen symbolischer Produktion. Es kann also nicht von der Technologie her begründet werden, dass gewisse Formen ökonomischer Wertschöpfung obsolet werden.

Kurz und gut: Ich plädiere für eine Mehr an Berufs-, Existenz- und Geschäftsmöglichkeiten im Reich der Symbole. Seit den neunziger Jahren ist eine Tendenz zur vielschichtigen Entwertung der immateriellen Kultur festzustellen. Der dezente Mittelstand wirft seine Kaufkraft auf Prestige verheissende materielle Güter. Das ist aus zwei Gründen nicht ganz optimal.

Erstens treibt die abnehmende Zahlungsbereitschaft für manche künstlerische oder journalistische Güter die smarten jungen Talente in die Arme des Staates. Vermutlich steht im Grossraum Zürich inzwischen bereits eine Mehrheit von staatlichen Öffentlichkeitsarbeitern einer schrumpfenden Zahl von professionellen JournalistInnen gegenüber. Wer die Existenzmöglichkeiten für kulturelle Freelancer unterspült, darf sich über die ausufernde Staats- und Subventionskultur nicht wundern.

Schliesslich erinnert uns die Klimakonferenz in Cancun an folgendes: Einfach aus ökologischen Gründen würde der wohlhabende Mittelstand gut daran tun, etwas Herzblut und Cash von Blech, Benzin und Beton hin zu immateriellen Gütern zu lenken. Dem Klima würde ein Rebalancing des Branchenmixes sicher nicht schaden: Wie wär’s mit mehr Musik und weniger Motoren?

Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur sechsten These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 bis These 5 bin ich schon eingegangen. Die sechste These lautete:

Die Tatsache, dass das Urheberrecht bisweilen zu Prozessen und Polizeiaktionen führt, nährt gelegentlich den Eindruck, dass hier der Staat selbständig zugunsten von Partikularinteressen agiert. Produzierende Individuen und ganze Szenen von potentiellen Rechteinhabern können das Gesetz aber einfach ignorieren. Nach 20 Jahren Electronica Remixes hat man nicht davon gehört, dass diese Szene von einer Prozesswelle nach der andern heimgesucht wird. Die Frage nach den Akteuren und dem Charakter des Urheberrechts muss also geklärt werden. Dazu These 6: Das Urheberrecht ist ein optionales Framework, das KünstlerInnen selektiv nutzen können durch: Ignorieren, modellierte Nutzungsrechte (Creative Commons), Benützen als Drohgebärde, Abtretung, aktive Rechtsdurchsetzung. Die Kreativen sind die Player.

Optional ist das Urheberrecht in keiner Weise und bei weitem nicht für alle Player. Das sieht aus der Perspektive der Urheber, der Verwerter und der Nutzer – so man diese Unterscheidung als grobe Einteilung zulassen will – doch sehr verschieden aus:

Solange es pauschale Zwangsabgaben gibt, haben die Urheber nicht die Option, dass sie den Nutzern das gebührenlose Kopieren gestatten.

Solange der Regisseur eines Films dessen Urheber ist, haben die kreativ Tätigen nicht die Option, mit gleich langen Spiessen Verträge auszuhandeln.

Solange das übertragbare Verbotsmonopol nur den Interessen der Verwerter (Verlag, Label, Studio) dient, ist es für die Urheber keineswegs optional.

Solange das Verbotsmonopol besteht, ist es auch für die Verwerter keineswegs optional. Sie haben nicht die Freiheit, einen gut laufenden Titel eines anderen Verlegers schöner, besser oder günstiger zu produzieren und auf den Markt zu bringen. Sogar schon das Zitat von „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ auf der Website einer Bildhauerin, wird unter Androhung drakonischer Strafen (“Gegenstandswert” 10’000 EURO, Anwaltsgebühren 775.64) verboten. Eine Prozesslawine ist im Internetbereich durchaus festzustellen. Die Kläger sind selten die Urheber, sondern deren Enkel und Urenkelinnen wie im Fall Valentin. Die haben ja auch besonders viel zum Werk beigetragen! Es ist also generell obligatorisch, in der Schule, in den Bibliotheken, auf dem Web einen grossen Bogen um Werke zu machen, die nicht mindestens 150 Jahre alt sind. Das ist für die Verwerterin Wikipedia nicht optional sondern obligatorisch!

Solange schliesslich nicht einmal die Bezahlung für das Anhören von Vuvuzuela-Lärm oder das Anschauen eines SVP-Plakats für die unfreiwillige Nutzer gratis ist, ist es doch sehr gewagt, das Urheberrecht als optional zu bezeichnen!

Das Urheberrecht ist also grundsätzlich ein Zwang für alle Beteiligten. Es wäre ja noch schöner, wenn wir Gesetze hätten, die optional wären!

Was in der These vermutlich gemeint ist: Die Ausübung des Verbotsmonopols, das im Gesetz den Urhebern zugestanden wird, ist für diese optional. Ein Monopolinhaber kann freiwillig auf die Ausübung seines Monopols verzichten.

Dieser Punkt ist richtig und wichtig und tatsächlich der Ausgangspunkt für die Creative Commons (CC)-Bewegung.

Dabei besteht allerdings ein Problem: Monopolinhaber glauben immer, etwas zu verlieren, wenn sie auf ein gesetzlich garantiertes Monopol freiwillig verzichten. Wenn plötzlich Konkurrenz auf den Markt kommt, müssten sie ja ihre Preise senken!

Diese weitverbreitete Ansicht ist im Bereich Immaterialgüter falsch, weil Konkurrenz in diesem Bereich anders funktioniert und die klassischen ökonomischen Überlegungen nicht auf sie angewendet werden können. Das wissen aber die meisten Urheber nicht. Darum wird die falsche Annahme, dass Kulturschaffende vom ihnen im Urheberrecht zugestandenen Verbotsmonopol profitieren immer noch von vielen geglaubt.

Die Diskussion um das Urheberrecht ist wieder in Gang gekommen, weil die Computertechnologie und das Internet im Bereich der Kreativindustrie einen ökonomischen Strukturwandel bewirkt haben. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sind die Kosten für das Kopieren geistiger Inhalte so tief gesunken, dass der Hauptanteil an der mit einer Publikation eines Werks verbundenen Investition nicht mehr die maschinelle. industrielle Massenproduktion von Werkexemplaren ist, sondern die Herstellung des Werks (des Manuskripts, des Gemäldes, der Tonspur) durch den Urheber. Die geringen mit dem Kopieren verbundene Kosten und die dazugehörige Arbeitszeit wenden die Nutzer gerne selber auf. So müssen auch keine Überproduktionen mehr eingestampft werden.

Damit sind die Urheber und Nutzer erstmals mächtiger geworden als die Verwerter. Nicht überraschend ist, dass die Verwerter, die auf diesen Strukturwandel nicht mit neuen Geschäftsmodellen reagiert haben, dadurch ökonomisch in Schwierigkeiten geraten. Nun klammern sie sich verzweifelt an eine Ausdehnung der Leistungsschutzrechte, bei denen die armen, hungernden Urheber nicht mehr als Feigenblatt für die Gier der Verwerter vorgeschoben werden, wie dies bisher jeweils generell beim Urheberrecht der Fall war, sondern direkt die armen, für die Kultur des Landes und der Welt doch ach so unabdingbaren Verwerter subventioniert werden sollen. Dank Fusionen gibt es weltweit nur noch zwei hauptsächlich betroffene amerikanische Musiklabels und eine Handvoll Filmstudios und ein paar Zeitungsmagnate, die hier nach staatlich garantiertem Schutz schreien.

Ich will hier keineswegs abstreiten, dass die Verwerter durch Korrektorat, Lektorat, Selektion, Organisation von Peer-Reviews etc. nützliche und entlöhnungswürdige Arbeit leisten. Das tun viele andere nicht subventionierte Menschen auch. Die Verwerter brauchen deswegen nicht an den Tropf ungerechtfertigter, öffentlicher Pauschalabgaben gehängt zu werden, sondern sie müssen sich damit abfinden, dass sich die Rollen von Urheber und Verwerter verschoben haben. In Zukunft wird ein Urheber, der das grosse Risiko der Herstellung eines unbestellten Werks trug, als Unternehmer die Dienstleistungen eines Korrektors, Lektors, Packagers, Vermarkters nach aufgewendeter Arbeitszeit einkaufen und nicht mehr gezwungen sein, sein Jackpot-Verbotsmonopol an den übermächtigen Verwerter abzutreten. Damit können die Verwerter wie jeder andere Dienstleister in unserer Gesellschaft ihre Dienstleistungen gegen Geld in Konkurrenz mit anderen anbieten. Der Beitrag des Korrektors zur hohen Kultur braucht ja gegenüber dem des Friseurs nicht unbedingt mit einem Verbots-Gesetz subventioniert zu werden.

Die CC-Bewegung basiert auf der in der Tiefenanalyse von Eckhard Höffner [1],[2] schön dargestellten und überzeugend argumentierten Einsicht, dass das geltende Urheberrecht, die Ausübung des übertragbaren Verbotsmonopols in erster Linie auch den Urhebern schadet. Der freiwillige Verzicht auf ihr Monopol nützt im ungestümen Kreativitätsschub der Internetentwicklung allen kulturell Tätigen, denn der wichtigste Nutzer ist der Urheber. Je mehr man die Nutzer prügelt, desto weniger Werke werden von den Urhebern geschaffen. Das Urheberrecht behindert als Besitzstandswahrungsinstrument die kreative Tätigkeit junger, noch unbekannter Künstler und somit die Entwicklung der Kultur im Ganzen.

Die Creative Commons-Lizenzen sind in dieser Situation ein interessantes gesellschaftliches Experiment: Sie schaffen einen Raum kreativer Werke, wo das Verbotsmonopol in verschiedener Weise einschränkt ist, um damit den – durchaus auch ökonomischen – Nutzen für die Urheber zu optimieren. Nach einigen Jahren dürfte sich herausstellen, dass man mit Creative Commons-Werken besser verdient als mit proprietären. (Die Software-Industrie hat das schon gelernt.) Dann wird das erfolgreichste Creative Commons-Modell ein interessanter Kandidat für ein modernes Urheberrecht sein. Die dann noch wesentlichen „some rights reserved“ werden eine gute Grundlage für die Gestaltung eines urheberrechtlichen Kulturschutzes darstellen, sofern es überhaupt einen solchen braucht.

Aus meiner Sicht wäre es schön, wenn die Creative Commons-Lizenzen noch durch eine frei wählbare Schutzfrist und ein obligatorisches Publikationsdatum (als Teil der Attribution) ergänzt würden. Dann könnte man auch „testen“, welche Schutzfristdauer ökonomisch für alle Beteiligten die beste ist.

Zur sechsten These also keine Antithese, sondern ein Fazit:

Auch wenn das Urheberrecht in den meisten Bereichen das Gegenteil vom ursprünglich Intendierten erreicht und am besten abgeschafft würde, kann man ja internationale Verträge und nationale Gesetzgebung nicht sehr schnell ändern. Je mehr kreativ Tätige allerdings realisieren, dass sie mit einem freiwilligen Verzicht auf ihr Verbotsmonopol ein höheres Einkommen erzielen, desto mehr wird die Creative Commons-Bewegung ein valables Testfeld für die zukünftige Notwendigkeit eines Urheberrechts bzw. seiner Ausgestaltung. Dies um so mehr, als die Creative Commons-Lizenzen weltweit synchron vergleichbar gehalten sind. Sie sind die fundamentalen Stützen kreativer Tätigkeit von morgen!

Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur fünften These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 bis These 4 bin ich schon eingegangen. Die fünfte These lautete:

Das Urheberrecht begrenzt die Ansprüche der Rechtinhaber im Alltag der Zivilgesellschaft und im Bildungswesen. Das Urheberrecht schützt etwa den Anspruch der Individuen, urheberrechtlich geschützte Werke im Rahmen von Freundeskreis und Familie zu kopieren und weiterzugeben. Im Bibliotheksbereich kann Ausleihe nicht unterbunden werden. Die Interessen der Allgemeinheit sind allerdings in manchen Bereichen zu wenig geschützt. Krass ist vor allem die lange zeitliche Dauer des urheberrechtlichen Schutzes. So legitim es ist, die Ansprüche von Kreativen zu schützen – Generationen von Erben mit Tantiemenströmen zu versorgen, hat nichts mit der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Kulturproduktion zu tun.  These 5: Das Urheberrecht implementiert im öffentlichen Interesse substantielle Beschränkungen der Ansprüche von Rechteinhabern. Die öffentlichen Interessen bleiben aber untergewichtet, insbesondere bei der Dauer des urheberrechtlichen Schutzes.

Mit dieser These kann ich mich einverstanden erklären, sie wirkt für mich aber etwas zahm. Es werden hier die „Schranken“ des Urheberrechts gemäss Berner Konvention angesprochen und als grosszügige Einschränkungen der unumschränkten Rechte der Rechteinhaber im Interesse der Öffentlichkeit gelobt. Sie würden nur in gewissen Extrempunkten diesem Interesse der Öffentlichkeit nicht genügend gerecht.

Ich akzeptiere aber die als selbstverständlich unterstellten unumschränkten Rechte der Rechteinhaber im Sinne des heute geltenden Urheberrechts grundsätzlich nicht. Wenn geistiges Eigentum keine eigentliche Existenz hat – und auch nicht in der Steuererklärung als Vermögen deklariert wird – dann besteht kein Grundrecht auf ein übertragbares Verbotsmonopol, wie es das heutige Urheberrecht zugunsten der Verwerter, also hauptsächlich der grossen Verleger, Labels und Studios der kulturellen Superstars, darstellt. Wenn Immaterialgüter nicht die Eigenschaften handelbarer Güter haben, dann ist nicht einzusehen, warum es grossmütig sein soll, dem übertragbaren Verbotsmonopol Schranken aufzuerlegen.

Die These behauptet, dass die öffentlichen Interessen untergewichtet bleiben. Das klingt so, als ob eine Erweiterung der Schranken – etwa eine Reduktion der Schutzfristen – den öffentlichen Interessen besser gerecht würden. Es ist sicher richtig, dass man die Fehler der Grundkonstruktion Urheberrecht teilweise mildern kann, indem man die Ausnahmen (Schranken) vergrössert. Letztlich wäre es aber zielführender gar kein Gesetz zu haben, als zwei Gesetze: eines das eine völlig unhaltbar Konstruktion immaterieller Materie enthält und eines, das den daraus abgeleiteten ewigen Totalanspruch im Interesse der Öffentlichkeit teilweise wieder aufhebt.

In den letzten hundert Jahren ist die Gier nach dem grossen Lottogewinn (kulturelle Superstars wie Madonna und J. K. Rowling) auf Kosten der durchschnittlichen Einnahmen der grossen Menge der Kulturschaffenden durch immer weiter gehende Schutzbestimmungen gefördert worden, welche die Einnahmen der Bestseller ins Unermessliche steigen und diejenigen aller anderen auf Null (oder darunter: Druckkostenzuschüsse) sinken liessen.

Die schwerwiegendsten Nachteile des heutigen Urheberrechts sind:

  • Übertragbarkeit des Verbotsmonopols, welche in der Situation des mittellosen Urhebers gegenüber dem Risikoinvestor (Verleger, Label, Studio) zur totalen Aufgabe seiner Rechte als Normalzustand führt (s. „normale“ Verlagsverträge).
  • Unsinnige Schutzfristen, welche Witwen, Urenkel und Stiftungsadministratoren ernähren und den winkenden Jackpot-Gewinn ins Unermessliche steigern, während sie gleichzeitig zur Geschichtslosigkeit der heutigen Generation führen. Allfällige Schutzfristen müssten grundsätzlich an das Publikationsdatum und nicht an den Tod des Urhebers gebunden werden, besonders da der einzelne Urheber immer seltener und die Anwendung der Schutzfristen ab Tod einer einfache Gesellschaft von Urhebern immer unsinniger und unmöglicher wird.
  • Pauschalabgaben, die ich für Vorhandensein von Speicher auf meinem Natel bezahlen muss, weil ich damit ja eine Foto machen könnte, auf der ein Plakat mit Raben oder Schäfchen abgebildet ist – ein Werk mit hohem kulturellem Wert! – die von der Pro Litteris unbedingt nach Abzug von Löhnen über 300‘000 Franken pro Person und Jahr für ihre wertvolle Administration der Kulturgüter an die Werbeagentur der SVP auszahlen muss, damit die Kultur der Schweiz nicht untergeht. (N.B.: Für Folgen von Ironie in öffentlichen Meinungsdarstellungen wird nicht gehaftet!) Kultureller Ausdruck ist immer auch Werbung. Die Nutzniesser sind nicht immer die Zwangskonsumenten von Plakaten und Muzak, die immer frech vom Urheberrecht als „Nutzer“ hingestellt werden,  sondern diejenigen, für welche Werbung gemacht wird. Pauschalgebühren sind zutiefst unmoralisch, da sie die Öffentlichkeit mit dem billigen Argument, es wäre zu schwierig oder zu teuer, Einzeleinzüge und Mikropayments zu verlangen, dazu zwingen, die Werbung, die zu ihrer Vernichtung aufruft, auch noch zu bezahlen.
  • Monopolstellung der Verwertungsgesellschaften durch die unheilvolle Verknüpfung von Pauschalabgaben, Kontrahierungszwang und genossenschaftlicher Interessenwahrnehmung. Gegen letztere ist absolut nichts einzuwenden. Die Interessen könnten von mehreren konkurrenzierenden Genossenschaften wahrgenommen werden. Dann gäbe es vielleicht einmal gewerkschaftlich durchgesetzte Musterverträge mit Verlagen, welche diese nicht automatisch zum totalen Rechteinhaber für die nächsten 100 Jahre machen, ohne dass sie auch nur verpflichtet werden, das Werk wirklich zu veröffentlichen. (Hier hat die SSA völlig versagt. Das Verbotsmonopol lädt dazu ein, mit Verbieten des Publizierens Profit zu machen, nicht mit Publizieren.) Pauschalabgaben sind pauschal abzuschaffen. Nur so können die Einnahmen der Urheber steigen.
  • Die immer weiter ausgedehnte Gültigkeit des Urheberrechts für immer „kleinere Münze“ ohne Schöpfungshöhe – wie etwa die vorliegenden schnell zusammengeschriebenen Zeilen. 95% der Anfragen an das IGE betreffen die Frage, ob man ein Werk schützen könne. Die Urheber können also durchaus unterscheiden zwischen alltäglicher Äusserung und einem mit vieler Arbeit hergestellen Werk. Wenn sie ein solches geschaffen haben, wollen sie es mit einem © „schützen“. Es wäre duchaus sinnvoll, eine Registrierungspflicht einzuführen, ohne welche kein Schutz statthat. Dadurch würde auf einen Schlag alles nicht Geschützte gemeinfrei.
  • Die immer weiter gefasste Einschränkung der Erschöpfung des Urheberrechts bei Erwerbung eines Werkexemplars, welche das Ausleihen, Verschenken, Auswendiglernen, Vorsingen, Vorlesen, Übersetzen, Zitieren, Verwenden, Remixen etc. und damit einen beträchtlichen Teil des Kulturschaffens und der Bildung verunmöglicht.

Diese Nachteile des geltenden Urheberrechts könnte man natürlich mittels Erweiterung der Schrankenbestimmungen in der Berner Konvention mildern. Diese könnten etwa die international geforderten Mindestschutzfrist von 70 Jahren p.m.a. (post mortem auctoris) auf 10 Jahre p.p. (post publicationem) reduzieren. Das wäre dann allerdings erst eine optionale Schranke, bis zu der die nationalen Gesetzgebungen die Schutzfristen senken dürften. Man könnte auch als neue Schranke einführen, dass die nationalen Gesetzgebungen keine Übertragbarkeit des Verbotsmonopols vorzusehen brauchen. Aber es bleibt doch immer ein Flickwerk, wo man den einen Unsinn mit einem Gegenunsinn aufzuheben versucht. Das merkt man schon daran, dass man als Durchschnittsbürger und Nichtjurist das Wort „Schranken“ als Einschränkung versteht, während es in diesem Zusammenhang ausgehend von totaler Einschränkung eine Einschränkung von Einschränkungen, also eine Freistellung bedeutet.

Fünfte Antithese:

Die Berner Konvention ist nicht zu korrigieren, sondern zu kündigen.

Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur vierten These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 bis These 3 bin ich schon eingegangen. Die vierte These lautete:

Der übergeordnete Wert der Informations- und Meinungsfreiheit setzt Prioritäten. Schutzrechte wie das Urheberrecht dürfen Grundrechte nicht tangieren. Das Gesetz handhabt die Problematik, indem Information, Wissen oder Meinungen gar nicht reguliert werden, meint These 4: Das Urheberrecht stellt keine substantielle Einschränkung der Information- und Meinungsfreiheit dar. Es reguliert nicht den Fluss von Informationen, Wissen oder Meinungen, sondern die Handhabung konkreter Instanzen, der Werke. Auch Zusammenfassungen, Informationen, Wissen oder Meinungen zu Werken können frei zirkulieren.

Diese These wehrt einen Einwand gegen das Urheberrecht ab, der eher selten erhoben wird. Dass zentrale Verfassungsfreiheiten vom Urheberrecht kaum eingeschränkt werden, trifft wohl auf das heutige Urheberrecht in der Schweiz grossenteils zu.

Die dauernde Verschärfung des Urheberrechts hat aber doch einige Breschen auch in die Informations- und Meinungsfreiheit geschlagen:

  • Die Meinungsfreiheit Sehbehinderter wird massiv beeinträchtigt durch urheberrechtliche Forderungen an Blindenbibliotheken und die Pauschalabgaben auf Leerkassetten und CD- und DVD-Rohlingen. Auf der Basis dieses ökonomischen Drucks und der widerlichen juristischen Drohhaltung der Rechteinhaber, die mit Millionenrisiken für die Blindenbibliotheken verbunden sind, verzichten viele Organisationen darauf, Informationen Behinderten zugänglich zu machen.
  • Ich kenne privat ganz konkret eine erstaunliche Anzahl von Dokumentarfilmen, die nicht mehr hergestellt werden können, weil in der Realität das Aufnehmen von geschützten Plakaten, Corbusier-Stühlen, Musik nicht vermeidbar sind und der Aufwand für die Rechtebeschaffung jegliches Mass überschritten hat. Ausserdem müssen Dokumentarfilme oft mit historischem Film- und Bildmaterial arbeiten. Während eine Nachrichtensendung „gemeinfreie“ News ausstrahlt, ist jedoch die archivierte Nachrichtensendung oft bzw. angeblich urheberrechtlich geschützt und gilt in Dokumentarfilmen nicht als Zitat. Der Dokumentarfilm der Zukunft findet in einem weissen Raum mit schalldichten Wänden statt.
  • Die Tatsache, dass wegen dem Exklusivitätsmonopol der Urheber viele historischen Dokumente, die ja inzwischen wegen lächerlich tief angesetzter Schöpfungshöhe alle „Werke“ sind, erst nach 100 Jahren wieder zugänglich werden, hat zu einer generellen Geschichtslosigkeit der jüngeren Generation geführt, die eben leider überhaupt keinen freien Zugang zu älteren Informationen, zu älterer Literatur, zu alten Schlagern hat. Deren Publikation wird von den Rechteinhabern systematisch mit Hilfe es Urheberrechts blockiert, weil ältere kulturelle Werke den Konsum der neueren konkurrenzieren könnten. Das Urheberrecht als Verbotsmonopol dient eben vor allem dem Verbieten und dem Unterdrücken von Kultur.
  • Zusammenfassungen, Nacherzählungen von Werken werden von Rechteinhabern regelmässig verboten und das Verbot wird von den Gerichten geschützt.
  • Der Fluss von Informationen wird von Rechteinhabern (Zeitungsimperien) behindert, die Abgaben auf der Publikation von Links (z.B. in Suchmaschinen) fordern. Die Abgaben auf Weiterleitungen hindert Schulen daran, Schulsendungen zu zeigen. Bei Weiterleitungen geht es doch sicherlich um den „Fluss“ von Informationen?

Vierte Antithese:

Auch wenn es heute noch grossenteils richtig ist, dass die Informations- und Meinungsfreiheit nicht zentral vom Urheberrecht behindert wird, sind doch überall Ansätze dazu sichtbar. Eine ökonomische Behinderung ist überall sichtbar. Damit werden ökonomisch Schwache vom freien Fluss der Information ausgeschlossen. Die Macht des Ausschlusses ist in den Händen der Monopolinhaber, deren ökonomische Macht vom Urheberrecht gesetzlich garantiert wird. Wehret den Anfängen!

Nachtrag:

Es ist sehr schwer, zu quantifizieren, wieviele Werke, vom Urheberrecht verhindert, nicht geschaffen wurden, da diese eben gar nie das Licht der Welt erblickten. Aber es ist unzweifelhaft, dass das übertragbare Verbotsmonopol dazu führt, dass es verwaiste Werke gibt und dass es der heutigen Generation schwierig bis unmöglich gemacht wird, sich über die Zeit vor fünfzig Jahren zu informieren.

Ein Beispiel: Ich wollte einer Nichte die Bedeutung von Hörspielen in den Sechzigerjahren erklären. Polizischt Wäckerli und der Hügü-Töbeli und so. Aber auch unbekanntere, wie das wunderbare Stück über die zwei Wassertropfen, die in der Heizung eines Hauses von Heizkörper zu Heizkörper wandern und den akustischen Ereignissen in jedem Zimmer lauschen. Der ältere, der mehrere Jahrtausende alt war, seit er zum letzten Mal aus einer Wolke kondensiert zu Boden fiel, erklärt dem jüngeren, dass man die Menschen auf „Ernährung und Vermehrung“ reduzieren kann und erklärt aus diesem Grundsatz heraus die Streitereien, Liebesszenen, Leiden, die man in den verschiedenen Zimmern und Wohnungen ansatzweise mitbekommt.

Ich suchte – Internet sei Dank! (http://www.zeit.de/1965/50/Hoerspiel-fuer-zwei) – nach dem Stück und fand heraus, dass es von Karl Wittlinger stammt. Ich hätte wenigstens das Drehbuch gerne den Jungen gezeigt und wandte mich an die „Felix Bloch Erben Verlag GmbH“ beim Amtsgericht Charlottenburg mit der Bitte, mir eine Fotokopie des Stücks anzubieten. Ich sei bereit, einen anständigen Betrag dafür zu bezahlen. Das Amtsgericht teilte mir mit, dass die Rechte von der „Musikverlag und Bühnenvertrieb Zürich AG“ verwaltet werden. Dieser teilte mir mit, dass er weder eine Aufnahme noch ein Buch des Stücks besitze. Einer Bestellung von Privatpersonen könne nicht entsprochen werden. Sie würden nur Aufführungsrechte verkaufen. Wie soll jemand den Plan einer Aufführung entwickeln, wenn niemand das Drehbuch zu lesen bekommt?

Es ist mir nicht ganz klar, ob es nun wirklich kein Werkexemplar mehr gibt sondern nur noch das körperlose, handelbare Verbotsmonopol. Jedenfalls war niemand bereit – auch für mehrere hundert Franken – eine Fotokopie zu machen oder eine Audiokopie von Radio DRS anzufordern.

Ist die Blockierung des Zugangs zur Kultur der eigenen Geschichte keine Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit?

Dann noch ein Beispiel, wo das Urheberrecht durchaus sachfremd bewusst zur politischen Zensur und Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit benutzt wird: Der Staat Bayern verbietet als Rechteinhaber den Nachdruck von Hitlers „Mein Kampf“. Damit fördert er einerseits die Geschichtslosigkeit der heutigen Jugend und die mythologische Überhöhung dieses Politikers bei den jugendlichen Neonazis. Man kann beim besten Willen heute nicht mehr behaupten, dass dieses Buch die Massen zum Rassismus bekehren könnte. Es ist derart konfus, dass eher der gegenteilige Effekt eintreten dürfte. Das war übrigens schon zu Zeiten seiner Ersterscheinung der Fall. Hitler ist nicht wegen sondern trotz diesem Unsinn an die Macht gekommen. Das Buch charakterisiert aber gut, welche irrationalen Ängste und Wahnvorstellungen damals an die Oberfläche gespült wurden. Man kann daraus viel über das Ausbrechen etwa des Bosnienkonflikts lernen. Vielleicht sogar ein bisschen über die Verhinderung ähnlichen Wahnsinns … Aber das Urheberrecht verbietet es! Ich bin gespannt, ob am 1.1.2016, wenn die 70 Jahre nach dem Tod des Autors abgelaufen sein werden, am Public Domain Day ein neues Gesetz den freien Zugang zu den Schriften desjenigen Mannes behindern wird, der eine der grössten Katastrophen der europäischen Geschichte bewirkt hat.

Schliesslich besteht natürlich eine brutale und flächendeckende Zensur der Meinungen, die sich gegen das Urheberrecht wenden. Jemand, der so etwas schreibt, findet keinen Verleger, wird von den Vertrieben boykottiert und kommt nicht in den Buchhandel. Das Verbotsmonopol und die durch dieses geförderten kartellistischen Strukturen des SBVV und der Buchpreisbindung werden bis zum letzten Tropfen ausgesaftet, um diese Meinung zu unterdrücken. Man sehe sich mal an, wie das schon erwähnte geniale Werk von Eckhard Höffner zu diesem Thema behandelt wird.

Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur dritten These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 und These 2 bin ich schon eingegangen. Die dritte These lautete:

Zentraler Gesichtspunkt bei der Regulierung kultureller Sphären ist das Gemeinwohl, das öffentliche Interesse. Weder eine Sparmentalität von KonsumentInnen noch die Spezialinteressen bestimmter Teile der Kreativwirtschaft gegenüber andern Teilen derselben können einfach Gemeinwohl definieren. Der Aspekt der öffentlichen Verfügbarkeit steht kaum bestritten im Zentrum, aber nicht allein. Es liegt ebenso im öffentlichen Interesse, Diversität und Qualität kultureller Produkte zu fördern. In diesem Zusammenhang macht es Sinn, angemessene Abgeltungsmechanismen zu etablieren. These 3: Es liegt im öffentlichen Interesse, bei kulturellen Gütern die öffentliche Verfügbarkeit, die Qualität,  die Diversität und eine angemessene Abgeltung der ProduzentInnen  zu optimieren.

Die These besagt, die Allgemeinheit habe ein Interesse, dass bei kulturellen Gütern

–          öffentliche Verfügbarkeit

–          Qualität

–          Diversität

–          angemessene Abgeltung der Hersteller

optimiert würden.

Ich bin nicht überzeugt, dass man schon so früh in der Diskussion das neoliberale Konzept von Kultur als Ware („Güter“) unwidersprochen annehmen sollte, lasse diesen Aspekt der vorliegenden These aber mal beiseite.

Dann fragt sich, was hier „optimieren“ heisst. Das deutet auf den berühmten und immer wieder angerufenen „Ausgleich“ hin. Dazu müssten die drei angeführten Punkte aber wenigstens teilweise im Gegensatz zueinander stehen. Dies ist nicht der Fall, wie etwa das Beispiel Goethe zeigt: er produzierte Qualität, Diversität, die öffentlich verfügbar waren, und verdiente verdammt gut dabei. Man müsste mindestens noch den Punkt der Verfügbarkeit dahingehend verfeinern, dass die Verfügbarkeit auch einen bezahlbaren Preis und eine wirklich freie Nutzung beinhaltet. Nur so wird eine „Optimierung“ draus.

Es fällt als erstes auf, dass dieser fromme Wunsch der These 3 nicht nur für Kultur sondern auch für Lebensmittel, Heilmittel, Wohnungen zutrifft. Es ist sozusagen die Grundfigur aller ökonomische „Optimierungen“ und aller frommen Optimierungswünsche. Aus diesem Grund eignet sich die These sicher schlecht, um daraus unterschiedliche Behandlung von Kultur und Birnen abzuleiten.

Schauen wir uns aber erst einmal die einzelnen Punkte an, die da optimiert werden sollen:

Die Forderung der Verfügbarkeit unterstellt, dass ein Werk schon existiert aber nicht publiziert wird oder momentan vergriffen ist. Man kann ja kaum einen Urheber dazu zwingen, dass er sein Manuskript publiziert, bevor er dies wünscht. Als „Kulturgut“ existiert es erst, wenn es publiziert ist. Somit scheint sich die Forderung der Verfügbarkeit auf die vergriffenen, verwaisten, vergessenen Werke zu beziehen. Diese wird sicher bei abwesendem Urheberrecht am besten erfüllt, da das Exklusivitätsmonopol des heutigen Urheberrechts der einzige Grund für Nichtverfügbarkeit ist. Beim Patentrecht ist das noch extremer: dort werden heute meistens Erfindungen geschützt, um sie vom Markt fernzuhalten.

Bei der Qualität stock‘ ich schon.

[Exkurs Qualität allgemein

Die Qualitas, das Wie-Sein, ist sicher nicht etwas, was „optimiert“ werden kann. Der Optimierung (Maximierung, Minimierung) zugänglich ist nur die Quantitas, das Wieviel-Sein. Jedes Ding hat schrecklich viele Qualitäten, wie Farbe, Ausdehnung, Geruch, etcetera. Jede dieser Qualitätsachsen ist möglicherweise quantitativ messbar: rot, röter, am rötesten.

Das – heute leider allgemein verbreitete – Gerede von der „hohen“ Qualität ist daher nichts als Schaumschlägerei. Bei der klassischen Qualitätssicherung (ISO 9000) geht es gerade nicht um das „Optimieren“ von Qualität, sondern um das „Sichern“ einer gleichbleibenden Qualitas, einem gleichbleibenden Wie-Sein. Es ist mir als Käufer neuer Reifen, neuer Pharmaka oder als Flugpassagier wichtig, dass die dabei relevanten Produktionsprozesse gleichbleibende Qualitäten erzeugt haben. Das besagt nun absolut nichts über die Nützlichkeit oder Verbesserbarkeit dieser Produkte und ob sie für mich von „hoher“ Qualität sind. Die Autoreifen sind mir nicht nützlich weil ich kein Auto habe, und somit für mich von tiefer Qualität. Die Medizin könnte durch eine besser gegen meine Krankheit wirkende, ebenfalls qualitätsgesicherte, abgelöst werden. Die Qualitätssicherung schützt nur davor, dass in einem Los plötzlich zuviel Arsen enthalten ist.

Qualitätssicherung im Dienstleistungs- und sozialen Bereich ist sogar oft kontraproduktiv, weil die Garantie gleichbleibender Qualität eine grundsätzlich konservative Forderung ist. Viele sozial Tätigen sollten hingegen darauf hin arbeiten, sich überflüssig zu machen, statt ihre Stellung zu zementieren. So etwa in der Arbeitslosen- oder Behindertenindustrie.

Ende Exkurs Qualität allgemein]

Gut gefällt mir an der Qualitätsforderung, dass der Autor dieser These auf ein gewisses Überangebot von Kultur zu reagieren scheint. Wenn uns heute – finanziert von Pauschalabgaben, gegen die wir uns nicht wehren können – in jeder Bahnhofunterführung, in jeder Beiz, in jedem Warenhaus Hintergrundsmusik (auch Muzak genannt) nervt, sodass wir uns nur mit Stöpseln in den Ohren und Gegenlärm von – ebenfalls über Pauschabgaben finanzierter – Musik der eigenen Wahl aus dem iPod dagegen abschirmen können, ist die für die Allgemeinheit nützliche Qualität sicher nicht mehr gegeben.

Gratiszeitungen, die unsere Trams und unsere Hirne verschmutzen, haben wie Muzak offenbar das wünschbare nachgefragte Ausmass an „kulturellen Werken“ überschritten, obwohl sie zu den wichtigsten vom Urheberrecht geschützten und geförderten Kulturzweigen gehören, und – wie das vielgescholtene Internet – die allgemeine Gratismentalität fördern. Es ist also nicht alles, was heute als „Werk“ geschützt ist, im Interesse der Allgemeinheit.

Die Forderung der Diversität, also der Vielfalt, steht auf den ersten Blick im Gegensatz zur konservativen Forderung nach Qualität. Zum mindesten ist dies ein Instinkt, den wir aus dem industriellen Zeitalter geerbt haben. Bei der für dieses Zeitalter typischen Massenproduktion kommt Diversität unweigerlich unter die Räder. Aber gerade bei Kultur, bei der Verfertigung von Romanen oder Symphonien, dürfte es schwierig sein, etwas anderes als Diversität zu erreichen, da verschiedene Werke eben verschieden sind. Also kann Diversität in diesem Kontext höchstens noch mit der Anzahl neuer Titel gemessen werden. (Die Anzahl alter Titel kann man ja nicht mehr steigern. Ausserdem interessiert sich die Rezeption vor allem für Neues.)

Man sollte also eher eine angemessene Anzahl Neuerscheinungen fordern – allerdings unter dem Vorbehalt, dass diese die nachgefragte Menge bei Nullpreis nicht überschreitet, wie dies bei Muzak der Fall ist.

Die Forderung der angemessenen Abgeltung der Produzenten klingt auf den ersten Blick sympathisch. Wer kann dagegen sein, dass jemand für seine Arbeit angemessen entlöhnt wird. Wenn man sich das aber genauer anschaut, ist es weniger offensichtlich. Was unterscheidet den nicht angemessen bezahlten Künstler von anderen Dienstleistern? Der Künstler arbeitet ohne Auftrag und produziert ein nicht nachgefragtes Produkt. Sonst hätte er ja schon ein angemessenes Honorar beim Auftraggeber vereinbart. Warum soll nun jemand, der etwas herstellt, was niemand bestellt hat, „angemessen“ entlöhnt werden? Letztlich läuft diese Forderung auf ein bedingungsloses Grundeinkommen hinaus. Jeder kann sich zum „Urheber“ erklären und irgendwelche „Werke“ herstellen, auf die niemand gewartet hat. (Ich sehe zwar durchaus ein paar politische Vorteile bei einem bedingungslosen Grundeinkommen. Ein solches steht aber hier nicht zur Diskussion und ist sicher nicht über ein Urheberrechtsgesetz einzuführen.)

Fazit 1: Die These ist im Zusammenhang mit der Urheberrechtsdiskussion nicht zielführend, da sie auf jegliche andere ökonomische Tätigkeit mit gleichem Recht zutrifft.

Fazit 2: Die folgende Umformulierung, die schon in meiner Antwort auf These 1 angedeutet wurde, könnte an die Stelle von These 3 gesetzt werden und für die Begründung von Urheberrechtsregeln als Basis dienen:

Antithese zur These 3:

Die Allgemeinheit hat zwei, möglicherweise widersprechende, Interessen:

  • freien, preisgünstigen Zugang zu kulturellen Werken,
  • Vorhandensein von kulturelle Werke nach Massgabe ihrer Nachfrage.

Es ist denkbar, dass urheberrechtliche Regelungen zwischen diesen beiden Zielen einen „Ausgleich“ herstellen müssen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die kulturelle Produktion völlig eingestellt wird, wenn der Zugang zu kulturellen Werken frei und preisgünstig oder gratis ist.


Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur zweiten These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 bin ich schon eingegangen. Die zweite These lautete:

Wenn schon gesetzliche Regulierungen, dann sollten sie auf realitätsnahen Konzepten beruhen. Trifft das auf die Kerngriffe der Urheberschaft und des Werks zu? Als Reaktion auf den Geniekult des späten 19. Jahrhunderts haben soziologische respektive strukturalistische Positionen an Gewicht gewonnen. Sie relativieren oder negieren subjektive kreative Leistungen. Solche Ansätze wirken in zugespitzter Form weder alltagstauglich noch plausibel. Bei den meisten kulturellen Produkten erscheint ein zweischichtiges Modell angemessen. Soziokulturell ist jedes Werk eingebettet und basiert gebrochen oder direkt auf Traditionen, vorhandenen Materialien und Leistungen anderer.  Die Entstehung des konkreten Werks ist eine subjektive Leistung eines oder mehrere Individuen. Das spricht für

These 2: Urheberschaft und Werkbegriff sind brauchbare Konzepte im Hinblick auf eine pragmatische Konfliktregulierung.

Unser Urheberrecht ist einerseits als übertragbares, handelbares Copyright für die Verwerter (Verleger, Labes, Studios) konstruiert. Andererseits als Droit Moral, als Persönlichkeitsrecht für die Urheber.

Diese doppelte Verankerung resultiert daraus, dass das Verlegerprivileg nach Abschaffung der Zünfte mit Einführung der Gewerbefreiheit nicht mehr richtig vertretbar war. Das ursprüngliche „Eigentum“ eines Urhebers an seinem Werk schien philosophisch und juristisch leichter formulierbar und begründbar.

Schon seit der allerersten Einführung des Urheberrechts war es so, dass die „hungernden Künstler“ als Legitimierung herhalten mussten, warum man den reichen Verwertern Monopolrechte einräumen müsse. Ausserdem seien die Investitionen in Kulturvervielfältigung und das Risiko so hoch, dass nur mittels Exklusivrechten Kultur ökonomisch überhaupt entstehen könne.

In der These 2 geht es um die Begriffe Urheber und Werk, die eindeutig zur Sphäre des Droit Moral, der Persönlichkeitsrechte, gehören. Die angesprochene pragmatische Konfliktregulierung betrifft aber Konflikte zwischen Nutzern und Verwertern, welche auch am verbissensten um eine stets zu verschärfende Regelung und um das Immaterialgut als auf einem „freien Markt“ handelbare Ware kämpfen.

Obwohl das Urheberrecht jeweils bei Urheber und Werk verankert wird, spielen Urheber und Werk bei der eigentlich intendierten ökonomischen Wirkung kaum eine Rolle. Man kann auch beide Aspekte recht gut trennen, wie die angelsächsische Tradition beweist, wo es mehr um übertragbare, handelbare, kulturelle Exklusivrechte für Verwerter, und der naturrechtlich abgestützte  Werkbegriff und das Konzept Urheber weniger wichtig sind.

Der heute oft angeführte Gegenpol zur naturrechtlichen Begründung des Urheberrechts ist vor allem eine Argumentation des maximalen gesellschaftlichen Nutzens, basierend auf einem eher am Modell des Gesellschaftsvertrags orientierten Rechtsverständnis. Die im Vorspann der These angeführten nebulöseren strukturalistischen, soziologischen Gegenpositionen zur einsamen Originalgenie-Schöpfung sind da eher ein Nebenschauplatz.

Ich spalte die These 2 deshalb in zwei Teile: Copyright und pragmatische Konfliktregelung einerseits und moralisches Recht des Urhebers andererseits.

Eine pragmatische Konfliktregelung ist erwünscht. Die Konfliktpartner sind aber Nutzer und Verwerter und die Konzepte „Werk“ und „Urheber“ sind zur Konfliktregelung wenig hilfreich. Wenn man dieses Konzept von Kultur als handelbare Ware schützen will, muss man auf den Publikationszeitpunkt und nicht den Todeszeitpunkt des Urhebers abstellen. Ausserdem ist vom ökonomischen Nutzen und allfälligem Schaden auf beiden Seiten zu reden und nicht von den moralischen Rechten des Urhebers. Letztere werden dem Urheber in Europa traditionellerweise auf immer und ewig in den unfairsten Verträgen von Anfang an von den Verwertern abgekauft. So verbietet der allgemein übliche europäische Verlagsvertrag etwa dem Urheber jegliche Nutzung selbst wenn der Verlag entscheiden sollte, das Werk nicht zu publizieren! Vor allem müsste auch zur Sprache kommen, welche kulturellen Güter aufgrund der monopolistischen Exklusivrechte im Urheberrecht gar nicht geschaffen werden, wodurch ja Urheber und Nutzer am meisten geschädigt werden. (Höffner argumentiert überzeugend, dass Goethes Faust wohl nicht geschrieben worden wäre, wenn das Urheberrecht schon in Kraft gewesen wäre …)

Nun zum moralischen Recht des Urhebers an seinem geistigen Eigentum. Das steht auch auf ziemlich unsicherem Fundament. Solange der Urheber nicht publiziert, ist er in derselben günstigen Situation des Unikatbesitzers wie die gemäss These 1 von der Abwesenheit jeglichen Urheberrechts bevorzugten Maler, Bildhauer und Performer. Was für den Maler sein Gemälde ist, ist für den Schriftsteller sein Manuskript.

Aber jegliche Kultur realisiert sich erst in der Kommunikation. Und zur Kommunikation gehören mindestens zwei. Und es ist nicht so völlig offensichtlich, ob ein Brief als „geistiges Eigentum“ mehr dem Absender oder dem Adressaten „gehört“. In einem gewissen Sinn ist der Erfolg der kulturellen Superstars mehr vom Publikum als vom Urheber hergestellt. Oscar Wilde hat jedenfalls die Kritiker als schöpferische Mitautoren eines Werks gewürdigt. Mit der unumkehrbaren Publikation hat der Urheber eben angefangen auf die völlige Verfügbarkeit zu verzichten und ist in einen Dialog mit dem Nutzer getreten.

Ausserdem ist das Konzept des einzelnen Urhebers völlig fragwürdig in einer Zeit der kulturellen Grossprojekte wie Oper, Kino, Hallenstadionspektakel. An solchen Projekten sind viele Geldgeber und viele Urheber beteiligt und die idealistische Konzeption des „geistigen Eigentums“ scheitert kläglich. Besonders stossend wird das bei den Filmen sichtbar, wo man Faute de mieux völlig ungerecht und hilflos den Regisseur als den alleinigen Urheber definiert, der sich die Rechte beim Drehbuchautor und beim Komponisten besorgen muss, damit man wenigstens weiss, von wessen Tod an die Schutzfrist läuft. Diese Ungerechtigkeit hat in den Neunzigerjahren in der Schweiz zu einem grossen gerichtlich ausgetragenen Konflikt zwischen Regie einerseits und Kamera/Schnitt/Maske/Bauten andererseits geführt. Dabei wurde mindestens Kamera und Schnitt eine Art minderes Urheberrecht am Film zugestanden. Das Ganze ist aber höchst unbefriedigend, da die juristisch in einem Nebensatz erwähnte Mehrfachurheberschaft als eine Art  einfache Gesellschaft vom pragmatischen Standpunkt her eine sehr unpraktische Regelung ist.

Dass es den Urhebern selbst nicht wirklich ernst ist mit ihrem „geistigen Eigentum“, sieht man daran, dass sie zwar oft furchtbar Angst haben, man könnte Ihnen „Ideen klauen“, aber niemals bereit wären, eine solche klaubare Idee in ihrer Steuererklärung als entsprechenden Vermögenswert mit dem Betrag aufzuführen, den sie bei einer Abmahnung verlangen.

Ein letztes Ärgernis ist die immer „kleinere Münze“, die vom Urheberrecht aufgrund der etwas abstrusen romantisch-philosophischen Begründung des Eigentums des Urhebers an seinen Ideen geschützt wird. Auch aus psychologischer Sicht tut dieses individualisierte Urheberrecht den Künstlern nicht gut. Es produziert Verfolgungswahn: „Man könnte meine Ideen klauen“, und Verhältnisblödsinn. Denn jedermann hat viele Ideen, wenn der Tag lang ist. Genie = 1% Inspiration (Ideen)  + 99% Perspiration (Umsetzung).

Wahrscheinlich ist heutzutage ein Schutz der Investition des industriellen Herstellers der Vervielfältigung der Werkexemplare (Bücher, CDs, Filme) bald überhaupt nicht mehr nötig, da im Zeitalter des Internets die Kosten des Urhebers diejenigen des Verwerters überholt haben und sinnvollerweise heute jeder Urheber als eigener Produzent (im Selbstverlag) publizieren und die Verwerter für ihre einzelnen Dienstleistungen bezahlen würde (Print-On-Demand-Modell).

Sollte aber der Schutz der grossen Investition und des Risikos der Verwerter als wesentlich erachtet werden, dann würde man dieses Copyright besser bei diesen juristischen Personen plazieren anstatt auf ein dubioses idealistisches Recht des Urhebers an seinem Eigentum bezugzunehmen. Ausserdem wäre der relevante Zeitpunkt nicht der Zeitpunkt der privaten Schöpfung, sondern derjenige der Publikation. Und letztere würde in Anbetracht der grossen Investitionen sinnvollerweise von einem offiziellen Registrierungsakt begleitet, wie dies früher im US-Copyright der Fall war. So gäbe es keine verwaisten Werke, es gäbe keine kleine Münze und es gäbe keine urheberrechtliche Rechtsunsicherheit. Auch allfällige Schäden und ökonomischen Folgen wären klar bezifferbar ohne Diskussionen über die Seele des Urhebers und seine moralischen Rechte.

Die einzigen Droits Morals, die einen gewissen Sinn haben, sind Attribution und die Forderung nach Integrität bei der Reproduktion. Die stehen aber auf einem anderen Blatt und hängen mit Betrug, übler Nachrede und Plagiat zusammen.

Zweite Antithese:

Die romantisch-idealistischen naturrechtlich abgestützten Begriffe von Urheber und Werk sind nur bedingt nützlich. Für eine pragmatische Konfliktlösung taugen sie nicht.

Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur ersten These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Die erste These lautete:

Ist es überhaupt nötig und legitim, dass die Gesellschaft mittels staatlicher Gesetzgebung in die Produktion und Distribution kultureller Güter eingreift?  Es wäre durchaus denkbar, einfach nur generelle Marktregulierung des Obligationenrechts wirken zu lassen. Das allerdings ergäbe eine massive Marktverzerrung zugunsten kultureller Leistungen, die an unikate materielle Objekte (Malerei) oder an Performance (Events) gebunden sind. Und zugunsten von kulturellen Leistungen, die der Staat im Angestelltenverhältnis entschädigt, etwa im Bildungswesen. Darum die These 1: Es ist durchaus gerechtfertigt, dass  schöpferische Leistungen gesetzlich geschützt werden.

Es lohnt sich vielleicht zu Anfang einen missverständlichen Nebenpunkt aus dem Weg zu räumen: Das Wort „Marktverzerrung“ wird gerne von Neoliberalen gebraucht, die so etwas wie einen freien Markt im Naturzustand unterstellen und alle Abweichungen davon tendenziös als – natürlich negativ zu bewertende – Verzerrung bezeichnen. Gerade das Urheberrecht lehrt uns, dass es diesen Naturzustand gar nicht gibt. Ohne den Rahmen eines Rechtsstaates, der garantiert, dass man auf den zum Marktflecken führenden Wegen nicht von Strassenräubern ausgeraubt wird, gibt es keinen „freien“ Markt. Und ohne die vom Staat garantierte Ausschliesslichkeit des heute geltenden Urheberrechts gäbe es gar kein Immaterialgut, das auf diesem Markt verkauft werden könnte. Als Basis für meine Argumentationen zu dieser und den folgenden Thesen möchte ich hier ein etwas einfach gestricktes Modell meines Ökonomieverständnisses zugrunde legen: Die herrschende Ökonomie ist immer bezogen auf den Rahmen der herrschenden Gesetze, die von der totalen Gewalt der Staaten bzw. der in  Staatsverträgen zusammengeschlossenen Staatengemeinschaften garantiert werden.  Soweit sich überhaupt ökonomische Gleichgewichte einstellen, handelt es sich um Optimierungen in diesem Rahmen, wie eine Seifenblasenhaut die Oberfläche in einem Drahtrahmen minimiert [so wie hier]. Alle möglichen Regelungen „verzerren“ den Markt gegenüber jeder anderen Regelung. Diese Tatsache kann nicht als moralisches Negativum gewertet werden.

Das  Argument, das zur These 1 angeführt wird, überzeugt mich auch darum nicht, weil nicht offengelegt wird, warum es schlimm wäre, wenn Gemälde, Statuen und Aufführungen einen Marktvorteil gegenüber Büchern, Fotografien, Filmen und CDs hätten. Wer übrigens mit der heutigen Regelung am meisten geschützt wird, sind die subventionierten Künstler und die kulturellen Superstars – wie etwa Madonna und die Erben von Michael Jackson –, deren  Einkommen die Boni der Banker oft noch übertrifft. Und ich ziehe die Legitimität des gesetzlichen Schutzes dieser schöpferischen Leistungen genauso in Zweifel wie die der genannten Boni.

In der Schweiz gilt als Künstler wenig, wer keine Subvention erhält. Um Subventionen auszuzahlen, benötigt man keinen speziellen gesetzlichen Schutz von Leistungen. Das haben die Ostblockstaaten wie die DDR deutlich vorexerziert, bei denen die Schriftsteller Staatsangestellte mit festem Monatsgehalt waren und im Wirtschaftskrieg mit dem Westen grundsätzlich kein Urheberrechtsschutz respektiert wurde.

Es ist zuerst einmal nicht einzusehen, warum kulturelle Leistung eines zusätzlichen Schutzes bedarf, verglichen mit den Leistungen aller anderen Menschen im Land. Wer vom in den letzten hundert Jahren gewachsenen Schutz profitiert, sind nicht die Künstler sondern die Verleger, Labels und Studios. Es ist nicht einzusehen, warum die in diesen Branchen arbeitenden Menschen grundsätzlich einen höheren Lohn haben sollen, als Metzger, Pfleger oder Programmierer.

Das einzige brauchbare Argument für einen gesetzlichen Schutz kultureller Güter, der über die Vertragsfreiheit hinausgeht, ist die Behauptung, dass ohne diesen Schutz keine Kulturgüter produziert würden, weil den Urhebern der Anreiz zur kreativen Tätigkeit fehlen würde. Die Gesellschaft, die vor allem aus Nichtkünstlern, aus „Nutzern“ besteht, will zwar einerseits möglichst wenig bezahlen, ist aber andererseits an der Produktion neuer kultureller Güter interessiert. Wenn diese mangels Anreiz auf Null sinkt, wäre dies ein gesamtgesellschaftlicher Verlust.

Nun gibt es aber äusserst überzeugende Analysen (Höffner, Geschichte und Wesen des Urheberrechts), die zeigen, dass die Einführung des Urheberrechts in Deutschland, Grossbritannien und Frankreich zu

–          Rückgang der Anzahl Titel,

–          Reduktion der Autorenhonorare, und zu

–          von einfachen Leuten nicht bezahlbaren Preisen

geführt hat.

Das entspricht auch der Erfahrung mit Open Source Software, die zu einem Boom von Werken und Einkommen geführt hat, nicht zu einem Aufhören jeglicher Produktion.

Selbst wenn dies nicht so wäre, müsste man ja vor allem diejenigen schützen, deren Werke ohne den Schutz nicht produziert würden. Das sind aber nicht die Bestseller und die Superstars, sondern die Robert Walsers etc., die wirklich existenzielle Probleme haben. Gerade gegen diese wendet sich aber das besitzstandwahrende Urheberrecht, welches die Erfolgreichen gegen die Prekären schützt.

So komme ich zur ersten Antithese:

Es ist keineswegs ausgemacht, dass gesetzlicher Schutz schöpferischer Leistungen überhaupt gerechtfertigt ist. Jeder gesetzliche Schutz schöpferischer Leistungen muss zum Mindesten genau daraufhin untersucht werden, wie weit er nicht geraden den intendierten Zielen schadet.

Urheberrecht: Thesen zur Debatte

Moderne pluralistische Gesellschaften leben von freier Kommunikation und vielfältigen kulturellen Inhalten. Content ist auch in der digitalen Medienwelt das Lebenselixier. Die grossen Geldströme fliessen allerdings an den Kulturproduzenten vorbei, hin zu den Geräteherstellern und Werbeplattformen. Die KonsumentInnen zeigen sich durchaus spendabel. Allerdings eher für harte Ware, weniger für kulturelle Inhalte. Ist in diesem Umfeld das Urheberrecht ein geeignetes Mittel, um berechtigte Interessen der SchöpferInnen von flüchtigen Inhalten zu schützen?

Die Lesegruppe der Digitalen Allmend hat sich mit der Problematik beschäftigt (1). Erstaunlicherweise ist bei deutlicher Kritik in einzelnen Punkten die Grundhaltung zum Urheberrecht erstaunlich moderat geblieben. Das ruft nach Debatte, in der das Spektrum der Einschätzungen auf der Digitalen Allmend sichtbar wird. Dem dienen die folgenden Thesen. Sie wollen einige gesellschaftspolitische Aspekte in zugespitzter Form zur Diskussion zu stellen.

Ist es überhaupt nötig und legitim, dass die Gesellschaft mittels staatlicher Gesetzgebung in die Produktion und Distribution kultureller Güter eingreift?  Es wäre durchaus denkbar, einfach nur generelle Marktregulierung des Obligationenrechts wirken zu lassen. Das allerdings ergäbe eine massive Marktverzerrung zugunsten kultureller Leistungen, die an unikate materielle Objekte (Malerei) oder an Performance (Events) gebunden sind. Und zugunsten von kulturellen Leistungen, die der Staat im Angestelltenverhältnis entschädigt, etwa im Bildungswesen. Darum die These 1: Es ist durchaus gerechtfertigt, dass  schöpferische Leistungen gesetzlich geschützt werden.

Wenn schon gesetzliche Regulierungen, dann sollten sie auf realitätsnahen Konzepten beruhen. Trifft das auf die Kerngriffe der Urheberschaft und des Werks zu? Als Reaktion auf den Geniekult des späten 19. Jahrhunderts haben soziologische respektive strukturalistische Positionen an Gewicht gewonnen. Sie relativieren oder negieren subjektive kreative Leistungen. Solche Ansätze wirken in zugespitzter Form weder alltagstauglich noch plausibel. Bei den meisten kulturellen Produkten erscheint ein zweischichtiges Modell angemessen. Soziokulturell ist jedes Werk eingebettet und basiert gebrochen oder direkt auf Traditionen, vorhandenen Materialien und Leistungen anderer.  Die Entstehung des konkreten Werks ist eine subjektive Leistung eines oder mehrere Individuen. Das spricht für These 2: Urheberschaft und Werkbegriff sind brauchbare Konzepte im Hinblick auf eine pragmatische Konfliktregulierung.

Zentraler Gesichtspunkt bei der Regulierung kultureller Sphären ist das Gemeinwohl, das öffentliche Interesse. Weder eine Sparmentalität von KonsumentInnen noch die Spezialinteressen bestimmter Teile der Kreativwirtschaft gegenüber andern Teilen derselben können einfach Gemeinwohl definieren. Der Aspekt der öffentlichen Verfügbarkeit steht kaum bestritten im Zentrum, aber nicht allein. Es liegt ebenso im öffentlichen Interesse, Diversität und Qualität kultureller Produkte zu fördern. In diesem Zusammenhang macht es Sinn, angemessene Abgeltungsmechanismen zu etablieren. These 3: Es liegt im öffentlichen Interesse, bei kulturellen Gütern die öffentliche Verfügbarkeit, die Qualität,  die Diversität und eine angemessene Abgeltung der ProduzentInnen  zu optimieren.

Der übergeordnete Wert der Informations- und Meinungsfreiheit setzt Prioritäten. Schutzrechte wie das Urheberrecht dürfen Grundrechte nicht tangieren. Das Gesetz handhabt die Problematik, indem Information, Wissen oder Meinungen gar nicht reguliert werden, meint These 4: Das Urheberrecht stellt keine substantielle Einschränkung der Information- und Meinungsfreiheit dar. Es reguliert nicht den Fluss von Informationen, Wissen oder Meinungen, sondern die Handhabung konkreter Instanzen, der Werke. Auch Zusammenfassungen, Informationen, Wissen oder Meinungen zu Werken können frei zirkulieren.

Das Urheberrecht begrenzt die Ansprüche der Rechtinhaber im Alltag der Zivilgesellschaft und im Bildungswesen. Das Urheberrecht schützt etwa den Anspruch der Individuen, urheberrechtlich geschützte Werke im Rahmen von Freundeskreis und Familie zu kopieren und weiterzugeben. Im Bibliotheksbereich kann Ausleihe nicht unterbunden werden. Die Interessen der Allgemeinheit sind allerdings in manchen Bereichen zu wenig geschützt. Krass ist vor allem die lange zeitliche Dauer des urheberrechtlichen Schutzes. So legitim es ist, die Ansprüche von Kreativen zu schützen – Generationen von Erben mit Tantiemenströmen zu versorgen, hat nichts mit der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Kulturproduktion zu tun.  These 5: Das Urheberrecht implementiert im öffentlichen Interesse substantielle Beschränkungen der Ansprüche von Rechteinhabern. Die öffentlichen Interessen bleiben aber untergewichtet, insbesondere bei der Dauer des urheberrechtlichen Schutzes.

Die Tatsache, dass das Urheberrecht bisweilen zu Prozessen und Polizeiaktionen führt, nährt gelegentlich den Eindruck, dass hier der Staat selbständig zugunsten von Partikularinteressen agiert. Produzierende Individuen und ganze Szenen von potentiellen Rechteinhabern können das Gesetz aber einfach ignorieren. Nach 20 Jahren Electronica Remixes hat man nicht davon gehört, dass diese Szene von einer Prozesswelle nach der andern heimgesucht wird. Die Frage nach den Akteuren und dem Charakter des Urheberrechts muss also geklärt werden. Dazu These 6: Das Urheberrecht ist ein optionales Framework, das KünstlerInnen selektiv nutzen können durch: Ignorieren, modellierte Nutzungsrechte (Creative Commons), Benützen als Drohgebärde, Abtretung, aktive Rechtsdurchsetzung. Die Kreativen sind die Player.


Ausklang: Im Getümmel der dramatischen globalen Umwälzungen, die durch die digitale Revolution mit befeuert werden, erscheint das Urheberrecht eher als Nebenschauplatz im Schatten der grossen ökonomischen, soziokulturellen und medialen Konfliktzonen. Auf diesen grossen Feldern läuft das Spiel klar zu Gunsten von ein paar Dutzend globalen Hardware-, Service- und Telekomkonzerne. Sie breiten sich in der Wertschöpfungskette zu Lasten der professionellen Content Produzenten aus.

Wer die Wertschätzung kreativer Leistungen und kultureller Wertarbeit fern von Staatstellen in sein Verständnis von Gemeinwohl einbaut, kann mit dem schweizerischen Urheberrecht als pragmatischem Instrument leben, solange keine eleganteren Alternativen sichtbar sind. Viele praktische Konflikte sind eher auf das Verhalten der Akteure oder die Modalitäten des Vollzugs zurückzuführen, weniger auf die Grundzüge der Gesetzgebung. Als Beispiele können die SUISA oder die Verhandlungen um ACTA dienen, wo es um Modalitäten des Vollzugs geht, nicht um die Grundzüge des Urheberrechts. Für die Zukunft ist es wünschenswert, dass das gesetzliche Instrumentarium zurückgefahren werden kann. Das fordert aber auch die Konsumenten heraus. Sie bereit sein müssen, für hochwertige kulturelle Arbeit so selbstverständlich zu bezahlen, wie für ein adrettes Halbleitergadget oder den Internetanschluss.

1) Zusammenfassungen der Lesegruppen-Diskussionen:
Zur historischen Entwicklung von Urheberrecht und Geistigem Eigentum
Freiheit und Urheberrecht
Einführung ins Immaterialgüterrecht
Paragrafen browsen

Leistungsschutzrechte – oder neue Biotope und Reservate für bedrohte Verleger?

In der NZZ plädierte der Schaffhausener Verleger Norbert Neininger für ein neues Leistungsschutzrecht und knüpft damit an eine umstrittene Debatte zum scheinbaren Widerspruch von offenem Zugang und der Ertragssicherung von Medienverlagen in Deutschland an. Dabei schreckt er auch vor absurden Gleichstellungen von Google mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia nicht zurück, der er schnöde „Vermehrung von Marktanteilen“ unterstellt. Das Neininger-Plädoyer fordert zum Widerspruch heraus.

Wolf Ludwig, freier Medienjournalist und Vorsitzender der europäischen Nutzervertretung bei ICANN, hat einen Widerspruch geschrieben zum Neiniger Plädoyer. Sein Widerspruch ist als PDF verfügbar.
Der Artikel von Norbert Neininger ist online in der NZZ und ein Nachtrag von Rainer Stadler in der NZZ ebenfalls.