Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur ersten These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Die erste These lautete:

Ist es überhaupt nötig und legitim, dass die Gesellschaft mittels staatlicher Gesetzgebung in die Produktion und Distribution kultureller Güter eingreift?  Es wäre durchaus denkbar, einfach nur generelle Marktregulierung des Obligationenrechts wirken zu lassen. Das allerdings ergäbe eine massive Marktverzerrung zugunsten kultureller Leistungen, die an unikate materielle Objekte (Malerei) oder an Performance (Events) gebunden sind. Und zugunsten von kulturellen Leistungen, die der Staat im Angestelltenverhältnis entschädigt, etwa im Bildungswesen. Darum die These 1: Es ist durchaus gerechtfertigt, dass  schöpferische Leistungen gesetzlich geschützt werden.

Es lohnt sich vielleicht zu Anfang einen missverständlichen Nebenpunkt aus dem Weg zu räumen: Das Wort „Marktverzerrung“ wird gerne von Neoliberalen gebraucht, die so etwas wie einen freien Markt im Naturzustand unterstellen und alle Abweichungen davon tendenziös als – natürlich negativ zu bewertende – Verzerrung bezeichnen. Gerade das Urheberrecht lehrt uns, dass es diesen Naturzustand gar nicht gibt. Ohne den Rahmen eines Rechtsstaates, der garantiert, dass man auf den zum Marktflecken führenden Wegen nicht von Strassenräubern ausgeraubt wird, gibt es keinen „freien“ Markt. Und ohne die vom Staat garantierte Ausschliesslichkeit des heute geltenden Urheberrechts gäbe es gar kein Immaterialgut, das auf diesem Markt verkauft werden könnte. Als Basis für meine Argumentationen zu dieser und den folgenden Thesen möchte ich hier ein etwas einfach gestricktes Modell meines Ökonomieverständnisses zugrunde legen: Die herrschende Ökonomie ist immer bezogen auf den Rahmen der herrschenden Gesetze, die von der totalen Gewalt der Staaten bzw. der in  Staatsverträgen zusammengeschlossenen Staatengemeinschaften garantiert werden.  Soweit sich überhaupt ökonomische Gleichgewichte einstellen, handelt es sich um Optimierungen in diesem Rahmen, wie eine Seifenblasenhaut die Oberfläche in einem Drahtrahmen minimiert [so wie hier]. Alle möglichen Regelungen „verzerren“ den Markt gegenüber jeder anderen Regelung. Diese Tatsache kann nicht als moralisches Negativum gewertet werden.

Das  Argument, das zur These 1 angeführt wird, überzeugt mich auch darum nicht, weil nicht offengelegt wird, warum es schlimm wäre, wenn Gemälde, Statuen und Aufführungen einen Marktvorteil gegenüber Büchern, Fotografien, Filmen und CDs hätten. Wer übrigens mit der heutigen Regelung am meisten geschützt wird, sind die subventionierten Künstler und die kulturellen Superstars – wie etwa Madonna und die Erben von Michael Jackson –, deren  Einkommen die Boni der Banker oft noch übertrifft. Und ich ziehe die Legitimität des gesetzlichen Schutzes dieser schöpferischen Leistungen genauso in Zweifel wie die der genannten Boni.

In der Schweiz gilt als Künstler wenig, wer keine Subvention erhält. Um Subventionen auszuzahlen, benötigt man keinen speziellen gesetzlichen Schutz von Leistungen. Das haben die Ostblockstaaten wie die DDR deutlich vorexerziert, bei denen die Schriftsteller Staatsangestellte mit festem Monatsgehalt waren und im Wirtschaftskrieg mit dem Westen grundsätzlich kein Urheberrechtsschutz respektiert wurde.

Es ist zuerst einmal nicht einzusehen, warum kulturelle Leistung eines zusätzlichen Schutzes bedarf, verglichen mit den Leistungen aller anderen Menschen im Land. Wer vom in den letzten hundert Jahren gewachsenen Schutz profitiert, sind nicht die Künstler sondern die Verleger, Labels und Studios. Es ist nicht einzusehen, warum die in diesen Branchen arbeitenden Menschen grundsätzlich einen höheren Lohn haben sollen, als Metzger, Pfleger oder Programmierer.

Das einzige brauchbare Argument für einen gesetzlichen Schutz kultureller Güter, der über die Vertragsfreiheit hinausgeht, ist die Behauptung, dass ohne diesen Schutz keine Kulturgüter produziert würden, weil den Urhebern der Anreiz zur kreativen Tätigkeit fehlen würde. Die Gesellschaft, die vor allem aus Nichtkünstlern, aus „Nutzern“ besteht, will zwar einerseits möglichst wenig bezahlen, ist aber andererseits an der Produktion neuer kultureller Güter interessiert. Wenn diese mangels Anreiz auf Null sinkt, wäre dies ein gesamtgesellschaftlicher Verlust.

Nun gibt es aber äusserst überzeugende Analysen (Höffner, Geschichte und Wesen des Urheberrechts), die zeigen, dass die Einführung des Urheberrechts in Deutschland, Grossbritannien und Frankreich zu

–          Rückgang der Anzahl Titel,

–          Reduktion der Autorenhonorare, und zu

–          von einfachen Leuten nicht bezahlbaren Preisen

geführt hat.

Das entspricht auch der Erfahrung mit Open Source Software, die zu einem Boom von Werken und Einkommen geführt hat, nicht zu einem Aufhören jeglicher Produktion.

Selbst wenn dies nicht so wäre, müsste man ja vor allem diejenigen schützen, deren Werke ohne den Schutz nicht produziert würden. Das sind aber nicht die Bestseller und die Superstars, sondern die Robert Walsers etc., die wirklich existenzielle Probleme haben. Gerade gegen diese wendet sich aber das besitzstandwahrende Urheberrecht, welches die Erfolgreichen gegen die Prekären schützt.

So komme ich zur ersten Antithese:

Es ist keineswegs ausgemacht, dass gesetzlicher Schutz schöpferischer Leistungen überhaupt gerechtfertigt ist. Jeder gesetzliche Schutz schöpferischer Leistungen muss zum Mindesten genau daraufhin untersucht werden, wie weit er nicht geraden den intendierten Zielen schadet.

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