Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur sechsten These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 bis These 5 bin ich schon eingegangen. Die sechste These lautete:

Die Tatsache, dass das Urheberrecht bisweilen zu Prozessen und Polizeiaktionen führt, nährt gelegentlich den Eindruck, dass hier der Staat selbständig zugunsten von Partikularinteressen agiert. Produzierende Individuen und ganze Szenen von potentiellen Rechteinhabern können das Gesetz aber einfach ignorieren. Nach 20 Jahren Electronica Remixes hat man nicht davon gehört, dass diese Szene von einer Prozesswelle nach der andern heimgesucht wird. Die Frage nach den Akteuren und dem Charakter des Urheberrechts muss also geklärt werden. Dazu These 6: Das Urheberrecht ist ein optionales Framework, das KünstlerInnen selektiv nutzen können durch: Ignorieren, modellierte Nutzungsrechte (Creative Commons), Benützen als Drohgebärde, Abtretung, aktive Rechtsdurchsetzung. Die Kreativen sind die Player.

Optional ist das Urheberrecht in keiner Weise und bei weitem nicht für alle Player. Das sieht aus der Perspektive der Urheber, der Verwerter und der Nutzer – so man diese Unterscheidung als grobe Einteilung zulassen will – doch sehr verschieden aus:

Solange es pauschale Zwangsabgaben gibt, haben die Urheber nicht die Option, dass sie den Nutzern das gebührenlose Kopieren gestatten.

Solange der Regisseur eines Films dessen Urheber ist, haben die kreativ Tätigen nicht die Option, mit gleich langen Spiessen Verträge auszuhandeln.

Solange das übertragbare Verbotsmonopol nur den Interessen der Verwerter (Verlag, Label, Studio) dient, ist es für die Urheber keineswegs optional.

Solange das Verbotsmonopol besteht, ist es auch für die Verwerter keineswegs optional. Sie haben nicht die Freiheit, einen gut laufenden Titel eines anderen Verlegers schöner, besser oder günstiger zu produzieren und auf den Markt zu bringen. Sogar schon das Zitat von „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ auf der Website einer Bildhauerin, wird unter Androhung drakonischer Strafen (“Gegenstandswert” 10’000 EURO, Anwaltsgebühren 775.64) verboten. Eine Prozesslawine ist im Internetbereich durchaus festzustellen. Die Kläger sind selten die Urheber, sondern deren Enkel und Urenkelinnen wie im Fall Valentin. Die haben ja auch besonders viel zum Werk beigetragen! Es ist also generell obligatorisch, in der Schule, in den Bibliotheken, auf dem Web einen grossen Bogen um Werke zu machen, die nicht mindestens 150 Jahre alt sind. Das ist für die Verwerterin Wikipedia nicht optional sondern obligatorisch!

Solange schliesslich nicht einmal die Bezahlung für das Anhören von Vuvuzuela-Lärm oder das Anschauen eines SVP-Plakats für die unfreiwillige Nutzer gratis ist, ist es doch sehr gewagt, das Urheberrecht als optional zu bezeichnen!

Das Urheberrecht ist also grundsätzlich ein Zwang für alle Beteiligten. Es wäre ja noch schöner, wenn wir Gesetze hätten, die optional wären!

Was in der These vermutlich gemeint ist: Die Ausübung des Verbotsmonopols, das im Gesetz den Urhebern zugestanden wird, ist für diese optional. Ein Monopolinhaber kann freiwillig auf die Ausübung seines Monopols verzichten.

Dieser Punkt ist richtig und wichtig und tatsächlich der Ausgangspunkt für die Creative Commons (CC)-Bewegung.

Dabei besteht allerdings ein Problem: Monopolinhaber glauben immer, etwas zu verlieren, wenn sie auf ein gesetzlich garantiertes Monopol freiwillig verzichten. Wenn plötzlich Konkurrenz auf den Markt kommt, müssten sie ja ihre Preise senken!

Diese weitverbreitete Ansicht ist im Bereich Immaterialgüter falsch, weil Konkurrenz in diesem Bereich anders funktioniert und die klassischen ökonomischen Überlegungen nicht auf sie angewendet werden können. Das wissen aber die meisten Urheber nicht. Darum wird die falsche Annahme, dass Kulturschaffende vom ihnen im Urheberrecht zugestandenen Verbotsmonopol profitieren immer noch von vielen geglaubt.

Die Diskussion um das Urheberrecht ist wieder in Gang gekommen, weil die Computertechnologie und das Internet im Bereich der Kreativindustrie einen ökonomischen Strukturwandel bewirkt haben. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sind die Kosten für das Kopieren geistiger Inhalte so tief gesunken, dass der Hauptanteil an der mit einer Publikation eines Werks verbundenen Investition nicht mehr die maschinelle. industrielle Massenproduktion von Werkexemplaren ist, sondern die Herstellung des Werks (des Manuskripts, des Gemäldes, der Tonspur) durch den Urheber. Die geringen mit dem Kopieren verbundene Kosten und die dazugehörige Arbeitszeit wenden die Nutzer gerne selber auf. So müssen auch keine Überproduktionen mehr eingestampft werden.

Damit sind die Urheber und Nutzer erstmals mächtiger geworden als die Verwerter. Nicht überraschend ist, dass die Verwerter, die auf diesen Strukturwandel nicht mit neuen Geschäftsmodellen reagiert haben, dadurch ökonomisch in Schwierigkeiten geraten. Nun klammern sie sich verzweifelt an eine Ausdehnung der Leistungsschutzrechte, bei denen die armen, hungernden Urheber nicht mehr als Feigenblatt für die Gier der Verwerter vorgeschoben werden, wie dies bisher jeweils generell beim Urheberrecht der Fall war, sondern direkt die armen, für die Kultur des Landes und der Welt doch ach so unabdingbaren Verwerter subventioniert werden sollen. Dank Fusionen gibt es weltweit nur noch zwei hauptsächlich betroffene amerikanische Musiklabels und eine Handvoll Filmstudios und ein paar Zeitungsmagnate, die hier nach staatlich garantiertem Schutz schreien.

Ich will hier keineswegs abstreiten, dass die Verwerter durch Korrektorat, Lektorat, Selektion, Organisation von Peer-Reviews etc. nützliche und entlöhnungswürdige Arbeit leisten. Das tun viele andere nicht subventionierte Menschen auch. Die Verwerter brauchen deswegen nicht an den Tropf ungerechtfertigter, öffentlicher Pauschalabgaben gehängt zu werden, sondern sie müssen sich damit abfinden, dass sich die Rollen von Urheber und Verwerter verschoben haben. In Zukunft wird ein Urheber, der das grosse Risiko der Herstellung eines unbestellten Werks trug, als Unternehmer die Dienstleistungen eines Korrektors, Lektors, Packagers, Vermarkters nach aufgewendeter Arbeitszeit einkaufen und nicht mehr gezwungen sein, sein Jackpot-Verbotsmonopol an den übermächtigen Verwerter abzutreten. Damit können die Verwerter wie jeder andere Dienstleister in unserer Gesellschaft ihre Dienstleistungen gegen Geld in Konkurrenz mit anderen anbieten. Der Beitrag des Korrektors zur hohen Kultur braucht ja gegenüber dem des Friseurs nicht unbedingt mit einem Verbots-Gesetz subventioniert zu werden.

Die CC-Bewegung basiert auf der in der Tiefenanalyse von Eckhard Höffner [1],[2] schön dargestellten und überzeugend argumentierten Einsicht, dass das geltende Urheberrecht, die Ausübung des übertragbaren Verbotsmonopols in erster Linie auch den Urhebern schadet. Der freiwillige Verzicht auf ihr Monopol nützt im ungestümen Kreativitätsschub der Internetentwicklung allen kulturell Tätigen, denn der wichtigste Nutzer ist der Urheber. Je mehr man die Nutzer prügelt, desto weniger Werke werden von den Urhebern geschaffen. Das Urheberrecht behindert als Besitzstandswahrungsinstrument die kreative Tätigkeit junger, noch unbekannter Künstler und somit die Entwicklung der Kultur im Ganzen.

Die Creative Commons-Lizenzen sind in dieser Situation ein interessantes gesellschaftliches Experiment: Sie schaffen einen Raum kreativer Werke, wo das Verbotsmonopol in verschiedener Weise einschränkt ist, um damit den – durchaus auch ökonomischen – Nutzen für die Urheber zu optimieren. Nach einigen Jahren dürfte sich herausstellen, dass man mit Creative Commons-Werken besser verdient als mit proprietären. (Die Software-Industrie hat das schon gelernt.) Dann wird das erfolgreichste Creative Commons-Modell ein interessanter Kandidat für ein modernes Urheberrecht sein. Die dann noch wesentlichen „some rights reserved“ werden eine gute Grundlage für die Gestaltung eines urheberrechtlichen Kulturschutzes darstellen, sofern es überhaupt einen solchen braucht.

Aus meiner Sicht wäre es schön, wenn die Creative Commons-Lizenzen noch durch eine frei wählbare Schutzfrist und ein obligatorisches Publikationsdatum (als Teil der Attribution) ergänzt würden. Dann könnte man auch „testen“, welche Schutzfristdauer ökonomisch für alle Beteiligten die beste ist.

Zur sechsten These also keine Antithese, sondern ein Fazit:

Auch wenn das Urheberrecht in den meisten Bereichen das Gegenteil vom ursprünglich Intendierten erreicht und am besten abgeschafft würde, kann man ja internationale Verträge und nationale Gesetzgebung nicht sehr schnell ändern. Je mehr kreativ Tätige allerdings realisieren, dass sie mit einem freiwilligen Verzicht auf ihr Verbotsmonopol ein höheres Einkommen erzielen, desto mehr wird die Creative Commons-Bewegung ein valables Testfeld für die zukünftige Notwendigkeit eines Urheberrechts bzw. seiner Ausgestaltung. Dies um so mehr, als die Creative Commons-Lizenzen weltweit synchron vergleichbar gehalten sind. Sie sind die fundamentalen Stützen kreativer Tätigkeit von morgen!

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