Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur vierten These

urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt.  Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 bis These 3 bin ich schon eingegangen. Die vierte These lautete:

Der übergeordnete Wert der Informations- und Meinungsfreiheit setzt Prioritäten. Schutzrechte wie das Urheberrecht dürfen Grundrechte nicht tangieren. Das Gesetz handhabt die Problematik, indem Information, Wissen oder Meinungen gar nicht reguliert werden, meint These 4: Das Urheberrecht stellt keine substantielle Einschränkung der Information- und Meinungsfreiheit dar. Es reguliert nicht den Fluss von Informationen, Wissen oder Meinungen, sondern die Handhabung konkreter Instanzen, der Werke. Auch Zusammenfassungen, Informationen, Wissen oder Meinungen zu Werken können frei zirkulieren.

Diese These wehrt einen Einwand gegen das Urheberrecht ab, der eher selten erhoben wird. Dass zentrale Verfassungsfreiheiten vom Urheberrecht kaum eingeschränkt werden, trifft wohl auf das heutige Urheberrecht in der Schweiz grossenteils zu.

Die dauernde Verschärfung des Urheberrechts hat aber doch einige Breschen auch in die Informations- und Meinungsfreiheit geschlagen:

  • Die Meinungsfreiheit Sehbehinderter wird massiv beeinträchtigt durch urheberrechtliche Forderungen an Blindenbibliotheken und die Pauschalabgaben auf Leerkassetten und CD- und DVD-Rohlingen. Auf der Basis dieses ökonomischen Drucks und der widerlichen juristischen Drohhaltung der Rechteinhaber, die mit Millionenrisiken für die Blindenbibliotheken verbunden sind, verzichten viele Organisationen darauf, Informationen Behinderten zugänglich zu machen.
  • Ich kenne privat ganz konkret eine erstaunliche Anzahl von Dokumentarfilmen, die nicht mehr hergestellt werden können, weil in der Realität das Aufnehmen von geschützten Plakaten, Corbusier-Stühlen, Musik nicht vermeidbar sind und der Aufwand für die Rechtebeschaffung jegliches Mass überschritten hat. Ausserdem müssen Dokumentarfilme oft mit historischem Film- und Bildmaterial arbeiten. Während eine Nachrichtensendung „gemeinfreie“ News ausstrahlt, ist jedoch die archivierte Nachrichtensendung oft bzw. angeblich urheberrechtlich geschützt und gilt in Dokumentarfilmen nicht als Zitat. Der Dokumentarfilm der Zukunft findet in einem weissen Raum mit schalldichten Wänden statt.
  • Die Tatsache, dass wegen dem Exklusivitätsmonopol der Urheber viele historischen Dokumente, die ja inzwischen wegen lächerlich tief angesetzter Schöpfungshöhe alle „Werke“ sind, erst nach 100 Jahren wieder zugänglich werden, hat zu einer generellen Geschichtslosigkeit der jüngeren Generation geführt, die eben leider überhaupt keinen freien Zugang zu älteren Informationen, zu älterer Literatur, zu alten Schlagern hat. Deren Publikation wird von den Rechteinhabern systematisch mit Hilfe es Urheberrechts blockiert, weil ältere kulturelle Werke den Konsum der neueren konkurrenzieren könnten. Das Urheberrecht als Verbotsmonopol dient eben vor allem dem Verbieten und dem Unterdrücken von Kultur.
  • Zusammenfassungen, Nacherzählungen von Werken werden von Rechteinhabern regelmässig verboten und das Verbot wird von den Gerichten geschützt.
  • Der Fluss von Informationen wird von Rechteinhabern (Zeitungsimperien) behindert, die Abgaben auf der Publikation von Links (z.B. in Suchmaschinen) fordern. Die Abgaben auf Weiterleitungen hindert Schulen daran, Schulsendungen zu zeigen. Bei Weiterleitungen geht es doch sicherlich um den „Fluss“ von Informationen?

Vierte Antithese:

Auch wenn es heute noch grossenteils richtig ist, dass die Informations- und Meinungsfreiheit nicht zentral vom Urheberrecht behindert wird, sind doch überall Ansätze dazu sichtbar. Eine ökonomische Behinderung ist überall sichtbar. Damit werden ökonomisch Schwache vom freien Fluss der Information ausgeschlossen. Die Macht des Ausschlusses ist in den Händen der Monopolinhaber, deren ökonomische Macht vom Urheberrecht gesetzlich garantiert wird. Wehret den Anfängen!

Nachtrag:

Es ist sehr schwer, zu quantifizieren, wieviele Werke, vom Urheberrecht verhindert, nicht geschaffen wurden, da diese eben gar nie das Licht der Welt erblickten. Aber es ist unzweifelhaft, dass das übertragbare Verbotsmonopol dazu führt, dass es verwaiste Werke gibt und dass es der heutigen Generation schwierig bis unmöglich gemacht wird, sich über die Zeit vor fünfzig Jahren zu informieren.

Ein Beispiel: Ich wollte einer Nichte die Bedeutung von Hörspielen in den Sechzigerjahren erklären. Polizischt Wäckerli und der Hügü-Töbeli und so. Aber auch unbekanntere, wie das wunderbare Stück über die zwei Wassertropfen, die in der Heizung eines Hauses von Heizkörper zu Heizkörper wandern und den akustischen Ereignissen in jedem Zimmer lauschen. Der ältere, der mehrere Jahrtausende alt war, seit er zum letzten Mal aus einer Wolke kondensiert zu Boden fiel, erklärt dem jüngeren, dass man die Menschen auf „Ernährung und Vermehrung“ reduzieren kann und erklärt aus diesem Grundsatz heraus die Streitereien, Liebesszenen, Leiden, die man in den verschiedenen Zimmern und Wohnungen ansatzweise mitbekommt.

Ich suchte – Internet sei Dank! (http://www.zeit.de/1965/50/Hoerspiel-fuer-zwei) – nach dem Stück und fand heraus, dass es von Karl Wittlinger stammt. Ich hätte wenigstens das Drehbuch gerne den Jungen gezeigt und wandte mich an die „Felix Bloch Erben Verlag GmbH“ beim Amtsgericht Charlottenburg mit der Bitte, mir eine Fotokopie des Stücks anzubieten. Ich sei bereit, einen anständigen Betrag dafür zu bezahlen. Das Amtsgericht teilte mir mit, dass die Rechte von der „Musikverlag und Bühnenvertrieb Zürich AG“ verwaltet werden. Dieser teilte mir mit, dass er weder eine Aufnahme noch ein Buch des Stücks besitze. Einer Bestellung von Privatpersonen könne nicht entsprochen werden. Sie würden nur Aufführungsrechte verkaufen. Wie soll jemand den Plan einer Aufführung entwickeln, wenn niemand das Drehbuch zu lesen bekommt?

Es ist mir nicht ganz klar, ob es nun wirklich kein Werkexemplar mehr gibt sondern nur noch das körperlose, handelbare Verbotsmonopol. Jedenfalls war niemand bereit – auch für mehrere hundert Franken – eine Fotokopie zu machen oder eine Audiokopie von Radio DRS anzufordern.

Ist die Blockierung des Zugangs zur Kultur der eigenen Geschichte keine Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit?

Dann noch ein Beispiel, wo das Urheberrecht durchaus sachfremd bewusst zur politischen Zensur und Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit benutzt wird: Der Staat Bayern verbietet als Rechteinhaber den Nachdruck von Hitlers „Mein Kampf“. Damit fördert er einerseits die Geschichtslosigkeit der heutigen Jugend und die mythologische Überhöhung dieses Politikers bei den jugendlichen Neonazis. Man kann beim besten Willen heute nicht mehr behaupten, dass dieses Buch die Massen zum Rassismus bekehren könnte. Es ist derart konfus, dass eher der gegenteilige Effekt eintreten dürfte. Das war übrigens schon zu Zeiten seiner Ersterscheinung der Fall. Hitler ist nicht wegen sondern trotz diesem Unsinn an die Macht gekommen. Das Buch charakterisiert aber gut, welche irrationalen Ängste und Wahnvorstellungen damals an die Oberfläche gespült wurden. Man kann daraus viel über das Ausbrechen etwa des Bosnienkonflikts lernen. Vielleicht sogar ein bisschen über die Verhinderung ähnlichen Wahnsinns … Aber das Urheberrecht verbietet es! Ich bin gespannt, ob am 1.1.2016, wenn die 70 Jahre nach dem Tod des Autors abgelaufen sein werden, am Public Domain Day ein neues Gesetz den freien Zugang zu den Schriften desjenigen Mannes behindern wird, der eine der grössten Katastrophen der europäischen Geschichte bewirkt hat.

Schliesslich besteht natürlich eine brutale und flächendeckende Zensur der Meinungen, die sich gegen das Urheberrecht wenden. Jemand, der so etwas schreibt, findet keinen Verleger, wird von den Vertrieben boykottiert und kommt nicht in den Buchhandel. Das Verbotsmonopol und die durch dieses geförderten kartellistischen Strukturen des SBVV und der Buchpreisbindung werden bis zum letzten Tropfen ausgesaftet, um diese Meinung zu unterdrücken. Man sehe sich mal an, wie das schon erwähnte geniale Werk von Eckhard Höffner zu diesem Thema behandelt wird.

One thought on “Urheberrecht: Debatte der Thesen – Widerspruch zur vierten These

  1. bin auch auf der Suche nach einer offiziellen Aufnahme, aber es ist wohl nur das Drehbuch bei Bloch & Erben zu haben, vorausgesetzt man ist Theater-Regisseur. Habe das Hörspiel auf Kassette als Kind mit ca. 5 von meinem Vater damals bekommen, er hatte es im Bayerischen Rundfunk Anfang der 70er aufgenommen. Mit meinem neuen USB-Kassettenspieler hab ich es jetzt 2012 endlich auf MP3 konvertiert (leider etwas schlechte Tonqualität) – und höre es immer noch mit Vergnügen 🙂