Tropisches Netz

Passend zu den Minusgraden wendet sich die Lesegruppe der Digitalen Allmend wärmeren Gefilden zu und diskutiert “Das wilde Netzwerk. Ein ethnologischer Blick auf Facebook” (1). In einem für uns wenig vertrauten Kontext arbeitet Daniel Miller Züge der neuen Medienkultur plastisch heraus. Allzu plastisch?

Der Autor präsentiert das Material seiner Feldforschungen auf Trinidad in sieben Portraits, die nicht reale Personen sondern verdichtete Figuren präsentieren. Das ist nachvollziehbar, soweit der Autor typische Elemente klarer herausarbeiten und den Figuren mehr Kontur verleihen will. Das wird aber auch zum Problem, weil dem Leser die Möglichkeit zum Kalibrieren fehlt. Die Figuren wirken überkoloriert, was der Schilderung einen exotistischen Drall verleiht.

Da ist Marvin, der sein geschäftliches Kontaktnetz auf Facebook nicht nur für Geschäfte nutzt, sondern mit weiblichen Kundinnen gerne anbändelt. Seine Frau sieht das eher ungern. Es hilft nun auch nicht, dass Marvin für vertrauliches Geplauder in geschlossene Chats ausweicht. Die Ehe ist futsch.

Dann wird uns Vishala näher gebracht, anfangs zwanzig, mit Kind aber ohne dessen Papa unterwegs. Sie nutzt Facebook, um sich in Bildern und erotisch expliziten Texten als attraktive Zeitgenossin zu präsentieren. Sie dokumentiert eindrücklich den zentralen Stellenwert, den die Internetplattform für ihre Identitätsproduktion und Selbstwertgefühl einnimmt. Sie stilisiert das Web zur dynamischen Quelle von Wahrheit, wo aufgrund von Kommentaren und Interaktionen niemand auf die Länge seinen wahren Charakter verbergen könne.

Das alles lässt den Leser etwas ratlos zurück. Die Phänomene sind bekannt. Sind die jungen Mittelständler in Trinidad einfach noch etwas impulsiver und unbedarfter? Es entsteht der Eindruck, sie würden noch weniger als manche Jugendliche hier die Folgen ihres Tuns überblicken. Der Autor lässt den Stereotyp der naiven naturhaften Tropen aufscheinen – wohl gegen seine Absicht.

1) Suhrkamp, 2012

Nachruf aufs Öffentliche

Die Strafverfolger seines Landes verfolgten ihn gnaden- wie bedingungslos. Nicht weil er – im höheren Regierungsauftrag – ganze Stadtviertel im Irak oder Dörfer in Afghanistan wegen vorgeblich verdächtiger Zivilisten eliminierte. Er kämpfte lediglich für Informations- und Gemeinfreiheit oder die Interessen der zahlenden Allgemeinheit – ohne sich in seinen jungen Jahren jemals persönlich oder unverdient zu bereichern.

Aaron Swartz war ein hochbegabter Bewegter, Getriebener wie Streitender fürs Öffentliche – ob Zugang (Access) oder Teilhabe (CC) und Gemeinfreiheit (Public Domain). Er kämpfte unermüdlich, bisweilen auch mit umstrittenen Mitteln für gemeine Werte, wo andere sich einzig um private Vorteile und Vereinnahmungen kümmern oder sich auf Kosten anderer schamlos bereichern.

Die Strafverfolger seines Landes jagen nicht mächtige Bankiers und Finanzspekulanten, die das Land und die Weltwirtschaft bisweilen an den Abgrund trieben, Volksvermögen ruinierten, um eigenes zu mehren. Solch schwere Verbrechen bleiben weiterhin folgenlos, ungestraft und ungesühnt. Strafverfolger machen ja auch nur ihren Job im Sinne der Mächtigen oder nach stupider Auslegung irgendwelcher Gesetze.

Aaron hingegen hat seinen bisher öffentlichen Kampf zuletzt tragisch privatisiert. In seiner Verzweiflung über den lamentablen Zustand des Öffentlichen wie die korrumpierten, doch im öffentlichen Auftrag handelnden Strafverfolger hat er seinem jungen Leben ein jähes Ende gesetzt. Wir trauern um Aaron, der in seinen viel zu wenigen Jahren alles Öffentliche so ungemein bereicherte.

Wolf Ludwig

Die ACTA-Debatte

Es gab eine Zeit, als nur Wenige von ACTA hörten, aber nichts Genaueres wussten. Der kanadische Rechtswissenschaftler Michael Geist gehörte zu den ersten Sachkundigen, der bis dahin geheim gehaltene Details aus den Verhandlungen erfuhr und „leakte“ – und diese Veröffentlichungen zogen rasch Kreise in der internationalen Zivilgesellschaft. In der Schweiz gehörte die Digitale Allmend neben der Swiss Internet User Group (SIUG), der Digitalen Gesellschaft und der Piratenpartei zu den ersten, welche die noch spärlichen Informationen verbreiteten und auch beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE), zuständig für die Schweiz, nachfragten.

Initiiert wurde das Abkommen im Jahr 2008 von den USA und Japan. In insgesamt elf Verhandlungsrunden einigten sich die verhandelnden Länder (neben den beiden Initianten die EU und ihre Mitgliedsstaaten, Mexiko, Singapur, Südkorea, Marokko, Neuseeland, Australien, Kanada und die Schweiz) auf den Vertragstext.

Seit einigen Monaten ist das internationale Handelsabkommen Anti-Counterfeiting Trade Agreement unter dem Kürzel ACTA zum Politikum geworden, noch bevor sich die handverlesenen Vertragsparteien im Oktober 2011 in Japan zur Erstunterzeichnung trafen. Und je mehr Details aus dem Vertragstext bekannt wurden, desto schneller wuchs der Widerstand; die Ausführungsbestimmungen zum umstrittenen Text werden noch immer geheim gehalten und geben Anlass zu Spekulationen. Auch in der Schweiz haben am 11. Februar hunderte Menschen in Zürich, Basel und Genf gegen das Abkommen demonstriert.

Die Kritik an diesem Vertragswerk, das in den nächsten Monaten noch manche parlamentarische Ratifizierungshürden nehmen muss, ist inzwischen so vielfältig, dass sie sich in einem kurzen Blog-Beitrag kaum zusammenfassen lässt. Jedenfalls, so argwöhnen die Kritiker, werden mit ACTA die wirtschaftlichen Interessen von Rechteinhabern und Verwertern, Markeninhabern und Grosskonzernen über das öffentliche Interesse am freien Zugang zu Informationen gestellt. Ausserdem, so ist zu befürchten, lassen die geplanten ACTA-Sanktionen jegliche Verhältnismässigkeit vermissen. Daher verweisen wir nachstehend auf einige wesentliche Links zum Thema:

Wozu noch Zeitungen?

Die Lesegruppe hat sich in Interviews aus dem Buch mit dem gleichnamigen Titel (1) vertieft, das den Zusammenbruch des klassischen Geschäftsmodells journalistischer Arbeit in den USA abbildet. Durch die Mittel des Internets ermächtigt verstehen sich interaktive Nutzer zunehmend selber als Schleusenwärter des Nachrichtenflusses und sehen keine Notwendigkeit mehr einer Entgeltung für die Informationsaufbereitung. Zudem führt die Dynamisierung von Nachrichtenzyklen dazu, dass News, kaum gedruckt, auch schon veraltet sind. Wo also Abo- und Verkaufserlöse ausschliesslich am gedruckten Papier hängen, wird es prekär.

Die Anlage des Buches mit ausführlichen Interviews macht deutlich, dass hier keine Statistiken oder absoluten Aussagen zu erwarten sind, sondern Erfahrungen und Einschätzungen von einzelnen Exponenten (darunter namhafte Medienexperten wie Eric Alterman, Jay Rosen, Stephen B. Shepard u.a.), die Einblicke in sehr unterschiedliche journalistische Zugangsweisen und Geschäftsmodelle geben. Sehr anregend zu lesen.

Zwei Interviews als Beispiele:
Mark Fisher ist seit über 20 Jahren Redakteur der Washington Post – mehrfach ausgezeichneter Journalist, Kolumnist, Blogger und Buchautor – und bewertet die dialogischen und partizipatorischen Möglichkeiten der neuen Technologien grundsätzlich als positiv. Insbesondere erwähnt er die Chance der Beschaffung von Daten und Materialien über die Masse der Leser (Crowd-Sourcing), die den Aufbau von aktuellen Datenbeständen erlaube, wie es herkömmlich nicht möglich wäre. Das Ausmass der Beteiligung als Reaktion auf Blogbeiträge bewertet er dagegen als eher gering: Nur wenige Reizthemen würden viele Kommentare provozieren und weniger als fünf Prozent der Leser eines Blogs überhaupt je einen Beitrag schreiben.

Interessant ist die Frage, ob und wie Leserkommentare in die Berichterstattung eingebunden werden. Fisher beurteilt das durchaus positiv, selbst wenn vielleicht das Riskio bestehe, dass die Inhalte drohen, weniger glaubwürdig zu erscheinen, wenn unter seriösen Nachrichtenbeiträgen Verunglimpfungen auftauchen.

Ein kritisches Argument zieht sich allerdings durch seine Äusserungen durch: nur die bereits gut informierten und gebildeten Nutzer könnten die neuen Medienstrukturen positiv nutzen, die breite Masse der Menschen dagegen wäre damit überfordert und würde sich tendenziell von einigermassen informierten zu völlig uninformierten Bürgern entwickeln. Damit aber wären die Probleme des Journalismus in Wirklichkeit zunehmend solche für die Demokratie: wenn nämlich Massenmedien, die helfen können, Politik und Weltläufe zu verstehen, als gemeinsame Basis für die Meinungsbildung wegfallen. Dennoch schliesst er für die USA eine finanzielle Beteiligung des Staates aus Gründen der Gewaltentrennung kategorisch aus.

Eine leicht andere Tonart schlägt Arianna Huffington, Co-Gründerin und Chefredakteurin der nach ihr benannten Huffington Post an. Sie gibt etwa an, dass Nebenwirkungen der Medienrevolution dem geschriebenen Wort zu einer eigentlichen Renaissance verholfen hätten.

Als Ursache für die Unzufriedenheit mit dem traditionellen Journalismus nennt sie eine Vernachlässigung seiner «Watchdog-Funktion»  und spricht von einer zu grossen Nähe zur Macht: Im Vorfeld und während des Irakkriegs etwa wären die traditionellen Medien ihrer Aufgabe nicht nachgekommen, die politisch Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen. Von den neuen Medien verspricht sie sich mehr Transparenz und hofft auf den «Bürgerjournalismus», eine Art Kurzformel für eine Sammlung von Methoden, die sich die Kraft von Online-Gemeinschaften, ihr Wissen, ihre Informationen und Zugänge zunutze machen.

Die Konvergenz von alten und neuen Medien zeigt sich in der Huffington Post wie folgt: die linksliberale Online Zeitung ist eine Art journalistischer Hybrid zwischen Zeitung mit redaktionellen Rubriken und selbst recherchierten Geschichten aus Politik, Wirtschaft, Entertainment einerseits und einer Versammlung von Blogs, Nachrichten aus Communities und verlinkten Nachrichten anderer Medien andererseits.

Huffington bekennt sich dabei zu journalistischen Prinzipien wie Genauigkeit, Fairness und Transparenz. Blogs und Blogging als Echtzeitübertragung von Meinung seien kein Ersatz für investigative Recherchen, aber eine andere Methode der Hintergrundberichterstattung. Es gehe immer um Expertisen und Information, grafisch oder tabellarisch aufbereitete, destillierte und vergleichende Information. Qualitätsmerkmale seien eine starke Stimme und ein distinkter Standpunkt; das Ziel sei unverwechselbare Inhalte zu offerieren und gleichzeitig interaktiver zu werden. Das Geschäftsmodell basiert auf der Aquise von Werbegeldern und befindet sich in der Wachstumsphase; die Blogger sind nicht bezahlt.

1) Stephan Weichert, Leif Kramp, Hans-Jürgen Jakobs (Hg.): Wozu noch Zeitungen? Wie das Internet die Presse revolutioniert. Göttingen, 2009.

US-Attacke auf das System der Domänen-Namen

In Amerika sind an die Hundert Domänennamen „beschlagnahmt“ worden, berichtet etwa Heise [1] [2]. Die Begründung dieser Aktion mit fadenscheinigen Urheberrechtsargumenten [3] ist kaum glaubwürdig. Ihre Auswirkung trifft aber einen Nerv des Internet: das System der Domänen-Namen (DNS). Mit einem solchen Vorgehen wird die Aktivität von Millionen von Benutzern weltweit gestört. Man stelle sich vor, was passiert, wenn ein Schurkenstaat dieselbe Methode auf regimekritische Seiten anwendet, auf zentrale Börsen- oder Bankdomänen, auf lebenswichtige Gesundheitssysteme, die heutzutage alle auf dem Internet betrieben werden, oder gleich auf Google. Nach dieser amerikanischen Machtdemonstration, welche Mittel man in einem Cyber-Krieg einsetzen könnte, ist der Anfang vom Ende einer naiven, ungeregelten Informationsfreiheit sichtbar geworden.

Das Experiment

Machen Sie das Experiment selber: In einem ersten Schritt öffnen Sie ein Befehlsfenster, indem Sie unter Windows Start / Ausführen und dort cmd eintippen. (LINUX-Benutzer wissen ohnehin, wie man auf ihrer Version von LINUX ein Befehlsfenster öffnet.) In diesem Fenster tippen Sie folgende Befehle (jeweils gefolgt von der Betätigung der Eingabetaste):

nslookup 208.101.51.56

Die IP-Adresse (Internet-Protokoll-Adresse) 208.101.51.56 war vor der Beschlagnahme die Adresse der Domäne torrent-finder.com, einem beliebten Download-Service, der übrigens kaum mit Urheberrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden kann, Wenn man im Browser die URL http://208.101.51.56 eingibt, kommt man auch immer noch auf den gewünschten Server. Nur, wer kennt schon die IP-Adressen auswendig, die zu den Domänen-Namen in der URL gehören, wenn letztere beschlagnahmt sind?

Die Behörden, welche die Domäne beschlagnahmt haben, waren zu unfähig, den Reverse-Lookup (von IP-Adresse zu Domäne) zu unterbinden. (Den Fehler werden sie beim nächsten Mal nicht mehr machen!) Darum antwortet nslookup mit der Domäne torrent-finder.com, für welche die IP-Adresse registriert ist. Wenn Sie nun

nslookup torrent-finder.com

eintippen, um die zur Domäne torrent-finder.com gehörige IP-Adresse zu finden, erleben Sie eine Überraschung: nslookup antwortet mit 74.81.170.110, dabei hatten wir wieder 208.101.51.56 erwartet. Es kommt oft vor, dass verschiedene Domänen-Namen auf dieselbe IP-Adresse verweisen. Die Domäne der Haupt-IP-Adresse, welche im Reverse-Lookup eingetragen ist, sollte aber schon wieder auf diese IP-Adresse zeigen. Wenn Sie http://74.81.170.110 als URL im Browser eingeben, erscheint dieselbe idiotische Beschlagnahme-Meldung, wie wenn Sie http://torrent-finder.com eingeben. Der Browser benützt den Domänen-Namen-Lookup, der uns von nslookup angezeigt wird, um die IP-Adresse zu finden, von der die angeforderte Seite zu beziehen ist.

Erforschen wir, was hinter diesen neuen IP-Adresse steckt:

nslookup 74.81.170.110

nslookup antwortet mit dem Domänen-Namen unknown.carohosting.net. Wir können das Internet-Domänen-Registrationssystem WHOIS (http://www.internic.com/whois.html) verwenden, um mehr darüber zu erfahren. Wenn wir dort carohosting.net eingeben, erhalten wir die minimale Information, wo der Domänen-Name carohosting.net registriert ist:

Domain Name: CAROHOSTING.NET

Registrar: DOTSTER, INC.

Whois Server: whois.dotster.com

Referral URL: http://www.dotster.com

Name Server: NS1.CAROHOSTING.COM

Name Server: NS2.CAROHOSTING.COM

Status: ok

Updated Date: 10-jul-2010

Creation Date: 09-jul-2007

Expiration Date: 09-jul-2011

Der Whois Server whois.dotster.com stellt sich zwar tot, aber unter http://www.dotster.com findet man den WHOIS Service (https://secure.dotster.com/services/whois.php) dieses in Vancouver, Kanada, domizilierten Registrars. Wenn man dort carohosting.net eintippt, erhält man Auskunft, wer die Domäne registriert hat:

Registrant:

CaroNet Managed Hosting

900 Center Park Drive

Suite A

Charlotte, NC 28217

US

Registrar: DOTSTER

Domain Name: CAROHOSTING.NET

Created on: 09-JUL-07

Expires on: 09-JUL-11

Last Updated on: 19-JUN-10

Administrative, Technical Contact:

Master, Host hostmaster@carohosting.com

CaroNet Managed Hosting

900 Center Park Drive

Suite A

Charlotte, NC 28217

US

980-322-0195

Domain servers in listed order:

NS2.CAROHOSTING.COM

NS1.CAROHOSTING.COM

Es ist möglich, dass diese Firma CaroNet Managed Hosting in Charlotte, NC von Dritten missbraucht wurde. Aber die Nähe zu wichtigen Sitzen der CIA und des NCS (National Clandestine Service – schöner Name!) ist doch auffällig.

Das Problem

Das Experiment sollte einerseits aufzeigen, wie zentral das System der Domänen-Namen ist. Man stelle sich einfach eine beliebige andere Domäne statt torrent-finder.com vor, die so gegen ihren Willen umgeleitet wird. Eine Umleitung braucht auch nicht in einer debilen Urheberrechts-Meldung zu enden. Sie könnte Ihnen auch eine mit der Originalseite verwechselbare Anmeldeseite für Ihr Bankkonto anzeigen und mit den von Ihnen eingegebenen Sicherheitsdaten auf Ihrem Bankkonto beliebiges Unheil anrichten. (Leider ist das gesamte weltweite Telebanking immer noch nicht gegen Mittelsmann-Attacken gefeit, obwohl das nicht so schwierig wäre.) Zur Umleitung ist weder die Information noch die Zustimmung des Domäneninhabers nötig. Dessen Server läuft fröhlich weiter, wenn auch mit eher wenigen Besuchern. Eine Weile lang dürften noch Benutzer mit im Browser gecachten IP-Adressen den richtigen Weg finden.

Andererseits sollte das Experiment demonstrieren, was das System der Domänen-Namen ist und wozu es dient. Sie können im Befehlsfenster jetzt exit tippen, um es zum Verschwinden zu bringen. Das Experiment ist abgeschlossen.

Während das Internet mit seinen IP-Adressen, das Netz zwischen den Netzen, welches Teilnetze global verbindet, zwar lokal leicht verwirrbar ist, besitzt es doch keinen zentralen Mechanismus, mit dem man es global ausser Gefecht setzen kann. Das System der Domänen-Namen jedoch, welches einer Domäne eine IP-Adresse zuordnet, ist hierarchisch aufgebaut. Der hinterste Teil eines Domänen-Namens (.com oder .ch) ist eine sogenannte Top-Level-Domäne. Diese werden für die einzelnen Länder national verwaltet, für die „klassischen“ .com etcetera standen die Server früher im MIT, welches sich gegen jegliche politische Instrumentalisierung wehrte. Heute werden sie von verschiedenen privaten und öffentlichen amerikanischen Institutionen betrieben und sind somit der Jurisdiktion der USA hilflos ausgeliefert. Konkret hat die US-Justiz in diesem Fall in die von VeriSign, Inc. verwalteten Server eingegriffen. (Es dürfte unklug sein, in Zukunft Zertifikate von dieser Firma zu beziehen.) Weil im Ausland verwaltete Top-Level-Domänen nicht ganz so leicht beschlagnahmt werden können, funktioniert etwa die Domäne torrent-finder.info noch.

Die Konsequenzen

Eine der Konsequenzen ist, dass sich normale Benutzer mit den Konzepten IP-Adresse und Domänen-Name vertraut machen müssen, um Kontrolle zu behalten, was mit ihnen passiert. Eine generelle Anzeige der IP-Adresse in Browsern (also was nslookup ausgeben würde) wäre sehr wünschbar. In der Türkei haben die Benutzer schon lange gelernt, wie man die IP-Adresse von YouTube eingibt, um die behördliche (übrigens ebenfalls urheberrechtlich begründete) Zensur zu vermeiden.

Eine andere Konsequenz ist, dass die USA der Welt gezeigt hat, wie man Cyber-Krieg spielt. Es ist zu befürchten, dass diese Welt sich sehr lernfähig zeigen wird.

Der konkreten Bedrohung des Systems der Domänen-Namen kann begegnet werden, wenn man möglichst viele Clone der Top-Level-Domänen-Server aufstellt. Wenn diese historisiert – etwa in der Landesbibliothek – verfügbar sind, kann man wenigstens manuell alte Domänen-IP-Verbindungen nachschauen.

Generell muss man aber wohl die Governance des Internet auf die Länge dem – bisher so liberalen und bequemen – Laisser-Faire-Raum der amerikanischen Justiz entziehen und einer UNO-nahen supranationalen Institution übertragen, welche solche systematischen, menschenverachtenden Verletzungen der internationalen Kommunikation mit der Gewalt ihrer Teilnehmerstaaten sanktionieren kann.

Public Domain Day – Call for Rohstoffe

ALLE VERFÜGBAREN KRÄFTE SIND AUFGERUFEN WERKE ZU SAMMELN. WIR SUCHEN
noch Originale, Kopien, Texte, Bilder, Sachen, Skulpturen,
Architekturen, Musikstücke, Noten, Lieder, Fotos und andere Werke von
Menschen die 1940 gestorben sind. Das Material muss in digitaler Form
vorliegen oder als Original. Abbildungen von Dritten gelten nicht. Wir
benötigen auch keine Hinweise auf mögliche Artefakte. Gesucht sind
physische oder digitale Werke, die von unseren Künstlerinnen frei
bearbeitet, kopiert oder verändert werden können. Eine Liste mit den
Toten findest du auf Wikipedia im Totenbuch.
Darunter befinden sich prominente Urheber wie Leo Trotzki, Paul Klee,
Eric Gill, Camilla Meyer, Big Nose Kate, Nathanael West, Walter Kollo,
Walter Benjamin und viele andere deren Werke vielleicht schon
vergessen sind. Am Public Domain Jam am 1.1.2011 im Cabaret Voltaire
werden diese Daten mithilfe künstlerischer Techniken gemixt, gemasht
und redesignt.

Physische Werke im Cabaret Voltaire oder Dock18/Rote Fabrik Zürich abgeben. Digitale Werke auf wuala.com hochladen

Als Belohnung erwartet dich Zugang zu 1TB Daten zur freien Benutzung
und ein Neujahrsbrunch im Cabaret Voltaire am 1.1.2011. Fragen an
dock18(at)rotefabrik.ch

Pressekrise in den USA

Die Frage nach Bedingungen der Herstellung einerseits und dem freien Zugang zu digitalen Wissensbeständen andererseits stellt sich auch im Sektor journalistisch aufbereiteter Inhalte. Zu beobachten sind etwa ein Niedergang des Qualitätsjournalismus hier und ein Wandel im Mediengebrauch dort; zugespitzt stellt sich Frage, ob die Tageszeitung der heutigen Form nicht ein medialer Dinosaurier ist. Die Lesegruppe – neugierig, wie die Zukunft ausschauen könnte – blickt in die USA und hat sich das Buch «Kreative Zerstörung. Niedergang und Neuerfindung des Zeitungsjournalismus in den USA»* vorgenommen.

Stephan Ruß-Mohl, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Lugano, hat die aktuelle Zeitungslandschaft der USA analysiert und fasst seine Schlüsse über Strukturwandel bei Presse und Online-Medien in den USA in diesem Buch zusammen. Das erste Kapitel «Journalismus in der Abwärtsspirale», das wir uns vorerst vorgenommen haben, handelt denn auch von den Verfallserscheinungen des amerikanischen Zeitungsjournalismus. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache und bilden einen eigentlichen Erosionsprozess ab: Es die Rede von einer ganzen Serie von Verlagsinsolvenzen, Massenentlassungen, drastisch sinkenden Auflagen, einer Leserabwanderung ins Internet.

Die Sachverhalte sind zwar nicht ganz neu, sie werden aber hier mit viel Zahlenmaterial aus zahlreichen Quellen und statistischen Angaben unterfüttert und sind von hoher Aktualität (viele Informationen und Daten in dem Buch stammen aus 2009).

Ausgedünnte Redaktionen führen in der Folge zu Kompetenzlücken, vielleicht droht eine Deprofessionalisierung, mindestens aber verändert sich das Journalistenhandwerk. Ob der Trend der rapide abnehmenden Glaubwürdigkeit der Medien – offenbar verlieren sie TV-Anbieter und Zeitungen gleichermassen – ebenfalls auf diesen redaktionellen Schwund zurückzuführen sind, bleibt offen.
Auf der Seite der Ursachen des Niedergangs wird als eines der Hauptprobleme erwähnt, dass die Internetgeneration mit der Erwartungshaltung von «Alles gratis» aufgewachsen und die Zahlungsbereitschaft für Nachrichten und journalistische Angebote im Netz derzeit gleich Null sei.

Die Diskussion in der Gruppe hat folgende Punkte speziell hervorgehoben:
– Die Zahlen aus den USA zum Konsum von Nachrichten zeigen, dass in der Mediennutzung offenbar Einbussen bei den «alten» Medien nicht von Onlineangeboten kompensiert werden.
– Den Fragen, ob der Zustand der Presse in den USA anders als in Europa ist, inwiefern er vergleichbar wäre oder was allenfalls in Europa auf uns zukommt, nähern wir uns anhand dieses Einstiegs nicht direkt an. In der Schweiz warnt ja insbesondere Kurt Imhof, Soziologe und Medienforscher, sehr deutlich vor den Folgen eines Verlustes des Qualitätsjournalismus und spricht unverhohlen von einer Unterhöhlung der Demokratie und einem drohenden Zerfall der Öffentlichkeit.
– Erwähnenswert scheint uns, dass sich die Beobachtungen von Ruß-Mohl an der Grenze zwischen Journalistik und Ökonomie bewegen: So schliessen seine Beobachtungen nicht nur den Inhalt von Zeitungen ein, sondern ebenso ihr Anzeigengeschäft oder den Verfall ihrer Börsenwerte.
– Das Buch ist ein Zwitter zwischen Wissenschaft und populärem Sachbuch ist. Das macht es zwar zu einer auch unterhaltenden Lektüre, war uns aber nicht in jedem Abschnitt behaglich. Manchmal haben wir uns gefragt, was vor dem Beginn der abgebildeten Statistik war; andere Male haben uns Definitionen gefehlt, etwa was alles genau unter «Nachrichten» fällt oder gezählt wurde.

Im Untertitel ist die Rede von einer «kreativen» Zerstörung, sie wird also nicht nur negativ beurteilt. Es müssten sich daher in den folgenden Kapiteln neue Ansätze zeigen, wie sich neue Formen etwa im Online-Journalismus ausbilden. Fortsetzung folgt.

* Stephan Ruß-Mohl: Kreative Zerstörung. Niedergang und Neuerfindung des Zeitungsjournalismus in den USA. Konstanz, 2009.

Leistungsschutzrechte – oder neue Biotope und Reservate für bedrohte Verleger?

In der NZZ plädierte der Schaffhausener Verleger Norbert Neininger für ein neues Leistungsschutzrecht und knüpft damit an eine umstrittene Debatte zum scheinbaren Widerspruch von offenem Zugang und der Ertragssicherung von Medienverlagen in Deutschland an. Dabei schreckt er auch vor absurden Gleichstellungen von Google mit der Online-Enzyklopädie Wikipedia nicht zurück, der er schnöde „Vermehrung von Marktanteilen“ unterstellt. Das Neininger-Plädoyer fordert zum Widerspruch heraus.

Wolf Ludwig, freier Medienjournalist und Vorsitzender der europäischen Nutzervertretung bei ICANN, hat einen Widerspruch geschrieben zum Neiniger Plädoyer. Sein Widerspruch ist als PDF verfügbar.
Der Artikel von Norbert Neininger ist online in der NZZ und ein Nachtrag von Rainer Stadler in der NZZ ebenfalls.

UNESCO: Collection of National Copyright Laws – Call for Public Domain Calculator

Hartwig Thomas, Member of Digitale Allmend just send a very important comment to UNESCOs effort to collect copyright laws on their website (to antipiracy(at)unesco.org, because the proposed copyright.law(at)unesco.org doesn’t work).

Although I am somewhat surprised that an organization dealing with culture and education should use such a heavily connotated term as “piracy” and although I do not agree that all aspects of the WAPO effort are beneficial for the world’s cultural heritage, I applaud the plan to collect 150 copyright laws on the WAPO website by UNESCO.

Please include a world-wide public domain calculator!

I.e. a legally reliable way to determine, whether a cultural work is part of the free cultural heritage (which is the main concern of UNESCO!) based on the date and place of its publication and the date of death of its author, due to expiration of the copyright protection.

Such a calculator would have to take into account that

  • some works may have been in the Public Domain due to an earlier regulation and were not reprivatized when the law last changed,
  • some countries have stated particular extensions for the time of the second world war and thus the application of the rule of 70 year after the author’s death may be extended by up to 12 years.
  • Yours respectfully,

    Hartwig Thomas

    e-rara – Anfrage zur widersprüchlichen Nutzungslizenz bei Public Domain Werken

    Wir haben heute folgendes E-Mail an das e-rara Projekt geschickt, um sie auf ein Problem ihrer Nutzungslizenz aufmerksam zu machen. Auf E-rara werden digitalisierte alte Drucke aus Schweizer Bibliotheken zur Verfügung gestellt.

    Mit grossem Interesse haben wir die Publikation wichtiger Dokumente des kulturellen Erbes auf der Website e-rara.ch zur Kenntnis genommen.

    Als Verein “Digitale Allmend” setzen wir uns für einen möglichst offenen Zugang zu Informationen ein. Daher begrüssen wir Ihre Dienstleistung sehr und würden Sie gerne als “Vorbild” in unserem Blog und anderen Auftritten erwähnen.

    Was uns irritiert sind allerdings die Nutzungsbedingungen.

    Soweit wir das beurteilen können, handelt es sich vollumfänglich um Werke, deren Urheberrechtsschutz abgelaufen ist und damit gemeinfrei sind. In den Nutzungsbedingungen schreiben sie jedoch, dass sämtliche Werke unter einer Creative Commons “by-nc-sa”-Lizenz stehen. Zusätzlich gibt es einen Widerspruch zwischen der durch die Angabe einer CC Lizenz erlaubten Weiterverbreitung eines Werkes und ihrer Angabe, dass die Werke nicht auf anderen Servern gespeichert werden dürfen.

    Es ist ihnen selbstverständlich unbenommen, für die Dienstleistung der Erstellung der Scans Gebühren zu erheben. Wenn diese Scans jedoch veröffentlicht werden, sind sie gemeinfrei, denn durch den Vorgang des Scannens entsteht kein urheberrechtlich geschütztes Werk.

    Als Schweizer Vertreter von Creative Commons möchten wir Sie darauf hinweisen, dass diese Lizenzform nicht korrekt ist. Gemeinfreie Werke können nicht unter eine CC-Lizenz gestellt werden, sondern sind eben gemeinfrei. Jedermann ist befugt mit den Werken zu machen was er will.

    Gerne erwarten wir Ihre Stellungnahme und stehen Ihnen bei Fragen rund um Creative Commons jederzeit gerne zur Verfügung.

    Mit bestem Gruss und Gratulation für die Bemühungen um das kulturelle Erbe der Schweiz.

    Für die Digitale Allmend und Team_CC Switzerland.