In Amerika sind an die Hundert Domänennamen „beschlagnahmt“ worden, berichtet etwa Heise [1] [2]. Die Begründung dieser Aktion mit fadenscheinigen Urheberrechtsargumenten [3] ist kaum glaubwürdig. Ihre Auswirkung trifft aber einen Nerv des Internet: das System der Domänen-Namen (DNS). Mit einem solchen Vorgehen wird die Aktivität von Millionen von Benutzern weltweit gestört. Man stelle sich vor, was passiert, wenn ein Schurkenstaat dieselbe Methode auf regimekritische Seiten anwendet, auf zentrale Börsen- oder Bankdomänen, auf lebenswichtige Gesundheitssysteme, die heutzutage alle auf dem Internet betrieben werden, oder gleich auf Google. Nach dieser amerikanischen Machtdemonstration, welche Mittel man in einem Cyber-Krieg einsetzen könnte, ist der Anfang vom Ende einer naiven, ungeregelten Informationsfreiheit sichtbar geworden.
Das Experiment
Machen Sie das Experiment selber: In einem ersten Schritt öffnen Sie ein Befehlsfenster, indem Sie unter Windows Start / Ausführen und dort cmd eintippen. (LINUX-Benutzer wissen ohnehin, wie man auf ihrer Version von LINUX ein Befehlsfenster öffnet.) In diesem Fenster tippen Sie folgende Befehle (jeweils gefolgt von der Betätigung der Eingabetaste):
nslookup 208.101.51.56
Die IP-Adresse (Internet-Protokoll-Adresse) 208.101.51.56 war vor der Beschlagnahme die Adresse der Domäne torrent-finder.com, einem beliebten Download-Service, der übrigens kaum mit Urheberrechtsverletzungen in Verbindung gebracht werden kann, Wenn man im Browser die URL http://208.101.51.56 eingibt, kommt man auch immer noch auf den gewünschten Server. Nur, wer kennt schon die IP-Adressen auswendig, die zu den Domänen-Namen in der URL gehören, wenn letztere beschlagnahmt sind?
Die Behörden, welche die Domäne beschlagnahmt haben, waren zu unfähig, den Reverse-Lookup (von IP-Adresse zu Domäne) zu unterbinden. (Den Fehler werden sie beim nächsten Mal nicht mehr machen!) Darum antwortet nslookup mit der Domäne torrent-finder.com, für welche die IP-Adresse registriert ist. Wenn Sie nun
nslookup torrent-finder.com
eintippen, um die zur Domäne torrent-finder.com gehörige IP-Adresse zu finden, erleben Sie eine Überraschung: nslookup antwortet mit 74.81.170.110, dabei hatten wir wieder 208.101.51.56 erwartet. Es kommt oft vor, dass verschiedene Domänen-Namen auf dieselbe IP-Adresse verweisen. Die Domäne der Haupt-IP-Adresse, welche im Reverse-Lookup eingetragen ist, sollte aber schon wieder auf diese IP-Adresse zeigen. Wenn Sie http://74.81.170.110 als URL im Browser eingeben, erscheint dieselbe idiotische Beschlagnahme-Meldung, wie wenn Sie http://torrent-finder.com eingeben. Der Browser benützt den Domänen-Namen-Lookup, der uns von nslookup angezeigt wird, um die IP-Adresse zu finden, von der die angeforderte Seite zu beziehen ist.
Erforschen wir, was hinter diesen neuen IP-Adresse steckt:
nslookup 74.81.170.110
nslookup antwortet mit dem Domänen-Namen unknown.carohosting.net. Wir können das Internet-Domänen-Registrationssystem WHOIS (http://www.internic.com/whois.html) verwenden, um mehr darüber zu erfahren. Wenn wir dort carohosting.net eingeben, erhalten wir die minimale Information, wo der Domänen-Name carohosting.net registriert ist:
Domain Name: CAROHOSTING.NET
Registrar: DOTSTER, INC.
Whois Server: whois.dotster.com
Referral URL: http://www.dotster.com
Name Server: NS1.CAROHOSTING.COM
Name Server: NS2.CAROHOSTING.COM
Status: ok
Updated Date: 10-jul-2010
Creation Date: 09-jul-2007
Expiration Date: 09-jul-2011
Der Whois Server whois.dotster.com stellt sich zwar tot, aber unter http://www.dotster.com findet man den WHOIS Service (https://secure.dotster.com/services/whois.php) dieses in Vancouver, Kanada, domizilierten Registrars. Wenn man dort carohosting.net eintippt, erhält man Auskunft, wer die Domäne registriert hat:
Registrant:
CaroNet Managed Hosting
900 Center Park Drive
Suite A
Charlotte, NC 28217
US
Registrar: DOTSTER
Domain Name: CAROHOSTING.NET
Created on: 09-JUL-07
Expires on: 09-JUL-11
Last Updated on: 19-JUN-10
Administrative, Technical Contact:
Master, Host hostmaster@carohosting.com
CaroNet Managed Hosting
900 Center Park Drive
Suite A
Charlotte, NC 28217
US
980-322-0195
Domain servers in listed order:
NS2.CAROHOSTING.COM
NS1.CAROHOSTING.COM
Es ist möglich, dass diese Firma CaroNet Managed Hosting in Charlotte, NC von Dritten missbraucht wurde. Aber die Nähe zu wichtigen Sitzen der CIA und des NCS (National Clandestine Service – schöner Name!) ist doch auffällig.
Das Problem
Das Experiment sollte einerseits aufzeigen, wie zentral das System der Domänen-Namen ist. Man stelle sich einfach eine beliebige andere Domäne statt torrent-finder.com vor, die so gegen ihren Willen umgeleitet wird. Eine Umleitung braucht auch nicht in einer debilen Urheberrechts-Meldung zu enden. Sie könnte Ihnen auch eine mit der Originalseite verwechselbare Anmeldeseite für Ihr Bankkonto anzeigen und mit den von Ihnen eingegebenen Sicherheitsdaten auf Ihrem Bankkonto beliebiges Unheil anrichten. (Leider ist das gesamte weltweite Telebanking immer noch nicht gegen Mittelsmann-Attacken gefeit, obwohl das nicht so schwierig wäre.) Zur Umleitung ist weder die Information noch die Zustimmung des Domäneninhabers nötig. Dessen Server läuft fröhlich weiter, wenn auch mit eher wenigen Besuchern. Eine Weile lang dürften noch Benutzer mit im Browser gecachten IP-Adressen den richtigen Weg finden.
Andererseits sollte das Experiment demonstrieren, was das System der Domänen-Namen ist und wozu es dient. Sie können im Befehlsfenster jetzt exit tippen, um es zum Verschwinden zu bringen. Das Experiment ist abgeschlossen.
Während das Internet mit seinen IP-Adressen, das Netz zwischen den Netzen, welches Teilnetze global verbindet, zwar lokal leicht verwirrbar ist, besitzt es doch keinen zentralen Mechanismus, mit dem man es global ausser Gefecht setzen kann. Das System der Domänen-Namen jedoch, welches einer Domäne eine IP-Adresse zuordnet, ist hierarchisch aufgebaut. Der hinterste Teil eines Domänen-Namens (.com oder .ch) ist eine sogenannte Top-Level-Domäne. Diese werden für die einzelnen Länder national verwaltet, für die „klassischen“ .com etcetera standen die Server früher im MIT, welches sich gegen jegliche politische Instrumentalisierung wehrte. Heute werden sie von verschiedenen privaten und öffentlichen amerikanischen Institutionen betrieben und sind somit der Jurisdiktion der USA hilflos ausgeliefert. Konkret hat die US-Justiz in diesem Fall in die von VeriSign, Inc. verwalteten Server eingegriffen. (Es dürfte unklug sein, in Zukunft Zertifikate von dieser Firma zu beziehen.) Weil im Ausland verwaltete Top-Level-Domänen nicht ganz so leicht beschlagnahmt werden können, funktioniert etwa die Domäne torrent-finder.info noch.
Die Konsequenzen
Eine der Konsequenzen ist, dass sich normale Benutzer mit den Konzepten IP-Adresse und Domänen-Name vertraut machen müssen, um Kontrolle zu behalten, was mit ihnen passiert. Eine generelle Anzeige der IP-Adresse in Browsern (also was nslookup ausgeben würde) wäre sehr wünschbar. In der Türkei haben die Benutzer schon lange gelernt, wie man die IP-Adresse von YouTube eingibt, um die behördliche (übrigens ebenfalls urheberrechtlich begründete) Zensur zu vermeiden.
Eine andere Konsequenz ist, dass die USA der Welt gezeigt hat, wie man Cyber-Krieg spielt. Es ist zu befürchten, dass diese Welt sich sehr lernfähig zeigen wird.
Der konkreten Bedrohung des Systems der Domänen-Namen kann begegnet werden, wenn man möglichst viele Clone der Top-Level-Domänen-Server aufstellt. Wenn diese historisiert – etwa in der Landesbibliothek – verfügbar sind, kann man wenigstens manuell alte Domänen-IP-Verbindungen nachschauen.
Generell muss man aber wohl die Governance des Internet auf die Länge dem – bisher so liberalen und bequemen – Laisser-Faire-Raum der amerikanischen Justiz entziehen und einer UNO-nahen supranationalen Institution übertragen, welche solche systematischen, menschenverachtenden Verletzungen der internationalen Kommunikation mit der Gewalt ihrer Teilnehmerstaaten sanktionieren kann.