Neue Einsamkeit

Nicht einfach Begeisterung hat der erste Teil von Sherry Turkles Buch „Verloren unter 100 Freunden“ ausgelöst. Wie sieht es mit dem zweiten Teil aus, der sich mit sozialen Netzwerken beschäftigt?

Die Lesgegruppe hat die Anregung aus dem Kommentar zu letzten Blogbeitrag aufgenommen und sich mehr en Detail mit dem Text auseinandergesetzt. Wir haben uns bemüht anhand einiger konkreten Textstellen die letztes Mal geäussert Hauptkritik zu verifizieren: Turkle äussere nur summarische Hypothesen, verstreut in einer Masse von anekdotischen Schilderungen.

Sehen wir uns das Konzept es „Lebensmix“ an. Dass die Wissenschaftlerin das nicht selber erfindet, sondern aus der Schilderung des Probanden Pete aufgreift, ist durchaus produktiv. Allerdings bleibt eine Reflexion aus, der Begriff wird beschreibend angereichert.

Mobile Kommunikation ist konstitutiv für die Idee des Lebensmix. Sie ermöglicht das Annehmen einer virtuellen Identität „im Vorübergehen“. Etwa auf dem Spielplatz. „Viele Erwachsene teilen ihre Aufmerksamkeit zwischen Kindern und mobilen Geräten auf.“ Das hilft „mit der Anspannung des täglichen Lebens fertig zu werden. Heute fragen wir „nicht mehr nach der Befriedigung im Leben, sondern nach der Befriedigung im Lebensmix. Wir sind vom Multitasking zum Multileben übergegangen.“ (Seiten 275, 276).

Turkle zielt auf die offensichtliche Möglichkeit, dank Medien aus dem physisch unmittelbaren Kontext von Kommunikation herauszutreten. Neu ist sicher die Mobilisierung dieser Möglichkeit. Der Grundvorgang ist aber alles andere als neu. Es ist ja gerade ein zentrales Charakteristikum von Medien, die Unmittelbarkeit von Kommunikation zu überschreiten. Waren Rollenwechsel wirklich immer „von einer Veränderung der Umgebung abhängig“? Auch Bibelstudenten des Mittelalters, die Briefeschreibenden der Romantik oder die im letzten Jahrhundert notorischen Teenie-Telefonate auf dem Familienanschluss nahmen Rollenwechsel vor.

Der medientechnische Drall der „Lebensmix“ Vorstellung erscheint problematisch. Turkle impliziert, dass der Mediengebrauch die Komponenten des Mixes erzeugt. Das wirkt wenig plausibel. Identitäten sind und waren heterogen, das wird ja in der Postmoderne auch hinreichend reflektiert. Die Heterogenität bezieht sich aber auf die verschiedenen Rollen und Vorstellungen, welche eine konkrete Person integriert. Das auf die Modi Handy-On und Handy-Off zu reduzieren, erscheint etwas schlicht.

Schliesslich kommt Turkle mit der Abrenzung von virtueller und realer Welt nicht wirklich klar. Ein grosser Teil der über neueste Technologie abgewickelten Kommunikation dient einfach der Pflege lebensweltlicher Beziehungen. Das ist kein bischen virtueller als ein Telefonat mit einer Tante in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Auch wenn ein Smartphone im Spiel ist: Der Virtualitätsgrad von Telefonieren, Chatten, Profilpflege oder Avatarinteraktion ist doch sehr verschieden und lässt sich überhaupt nicht über einen Kamm scheren.

Kurz: Die Hypothese eines mangelnden Tiefgangs verflüchtigt sich im zweiten Teil des Buches nicht. Dass Turkle durchaus eine ganze Menge von interessanten Hypothesen einstreut, dokumentieren wir im Anhang mit einer Sammlung aus dem Kapitel „Immer online“.

Generell wurden die diskutierten Kapitel des Buches als deutlich interessanter und relevanter bewertet, als der Teil über die Roboter. Es lohnt sich durchaus, einige Kapitel zu lesen. Die anekdotischen Schilderungen sind hier noch plastischer als bei den Roboterversuche, weil einzelne Figuren ausführlich geschildert werden.

Ziemlich viel Verwunderung löst die ununterbrochene Verwendung von „we“ durch die Autorin aus. Die Nutzer einer bestimmten Handymarke? Oder der gebildete Mittelstand der USA? Ganz bestimmt nicht mit gemeint sein können Obdachlose, Feldarbeiter, Schwerkranke und ein paar Milliarden weitere Erdenbewohner. Abgesehen von Ausgrenzung und mangelnder Genaueigkeit: Wenn „wir“ doch so sind, warum braucht es dann hunderte von Seiten Schilderungen „unseres“ Umgangs mit Elektrorobben und Telefonini?

Das führt zur Frage, was das für ein Text ist. Ratgeberliteratur für gehobene Mittelständler, die selber ganz instrumentell neue Medien nutzen, bei ihren Teenies aber Suchttendenzen fürchten? Trostliteratur für die gleiche Klientel? Verfolgt Turkle literarische Ziele mit ihren durchaus packenden Figurenschilderungen? Ein überlang geratener Magazin-Essay?

*  *  *  *  *

ANHANG: Hypothesensammlung aus dem Kapitel 8. “Immer online”

  •  Neue Technologien des Informationsaustauschs werden „auch für zwischenmenschliche Beziehungen genutzt“ /271/
  •  Menschen arbeiten lebenslänglich an ihrer Identität – „mit den Materialien, die wir gerade zur Hand haben“ … „Die sozialen Welten im Internet haben uns von Anfang an neues Material verschafft.“ /272/
  • Früher waren Rollenwechsel „von einer Veränderung der Umgebung abhängig“ – heute können sie in beliebiger Umgebung stattfinden /273/.
  • Es gibt Menschen, die sich „in ihren online-Identitäten eher wie sich selbst fühlen als in der physischen Realität“ /273/.
  • In Aufsichtssituationen: „Viele Erwachsene teilen ihre Aufmerksamkeit zwischen Kindern und mobilen Geräten auf.“ /275/.
  • Heute fragen wir „nicht mehr nach der Befriedigung im Leben, sondern nach der Befriedigung im Lebensmix. Wir sind vom Multitasking zum Multileben übergegangen.“ Das Konzept des Lebensmix übernimmt sie direkt vom Probanden Pete /275/.
  • Mobile Kommunikation ist konstitutiv für die Idee des Lebensmix. Sie ermöglicht das Annehmen einer virtuellen Identität „im Vorübergehen“. Das hilft „mit der Anspannung des täglichen Lebens fertig zu werden /276/.
  • Stufenweise Aufwertung, basierend auf emotionalen Bedürfnissen der Benutzer: Nützlicher Ersatz zu spärlicher Kommunikation > Vorzüge ständiger Verbindungsaufnahme > „Leben auf Facebook sei besser als alles andere“ /276/.
  • Das schnelle Pendeln im Lebensmix „verfestigt sich zu einem Gefühl ständiger Teilnahme“ /277/.
  • Neue Medien untergraben die Strukturierung des Lebens durch Rituale (wobei Menschen „geschickt“ beim Einrichten von Ritualen sind) /278/.
  • Multitasking wurde von einem Fluch zu einer Tugend umgewertet. Untersuchungen zeigen, dass Leistungen limitiert sind, der Körper aber ein Hoch erlebt. „Wir haben uns in das verliebt, was die Technologie uns leicht gemacht hat, unser Körper spielte mit.“ /280/.

Waschmaschine fürs Internet

Es gärt mal wieder da draussen. “Kinder” sollen durch Netzfilter vor terroristischer Beeinflussung geschützt werden. Und der Begriff des Terrorismus bleibt natürlich mal wieder undefiniert. In dem Zusammenhang werden zudem auch andere gruselige Ideen diskutiert, wie der Zwang, richtige Namen zu nutzen im Internet. Und sonderlich demokratisch scheint die Sache auch auch nicht abzulaufen, sondern es wird wieder einmal hinter verschlossenen Türen gesprochen.

CleanIT ist ein Projekt von verschiedenen europäischen Regierungen und privaten Organisation. Das Hauptziel ist die Eindämmung der Nutzung des Internets durch Terroristen. Dargestellt wird die Sache so, wie wenn es um den Schutz von Kindern vor terroristischen Inhalten ginge, und um anderweitig einfach beeinflussbarer Personen. Solche Personen sollten nicht radikalisiert oder anderweitig geschädigt werden durch den Kontakt mit entsprechenden Inhalten (vgl. den Link).

Pascal Gloor, Vize der Piratenpartei Schweiz und zugleich Präsident eines Schweizer Provider-Verbands, geht davon aus, dass Partizipation in solchen Prozessen mehr bewirkt als Verweigerung, weshalb er sich engagiert. Das kann ich nur unterstützen. Denn ich will wissen, was diese Leute genau vorhaben, und ich hoffe, dass Pascals Bestrebungen, in der Gruppe für mehr Transparenz zu sorgen, erhört werden.

Zur Sache selber: Dass man Parental Control (Jugendschutz im Netz) nun plötzlich auf Terrorismus ausdehnt, überrascht mich. So gross scheint mir das Problem, dass Teenager von islamistischen oder rechts- oder linksextremistischen Gruppen gekapert werden können, nicht. Und wer glaubt denn ernsthaft an die Wirksamkeit von solchen Mechanismen? Ein paar Spinner wird es immer geben. Zudem betrifft die Massnahme am Ende ja nicht nur “Kinder” und “leicht beeinflussbare Personen”, sondern die Inhalte werden generell vom Netz ferngehalten. Es geht also um eine generelle Zensurmassnahme, nicht nur um Jugendschutz!

Zensur als Mittel zur politischen Steuerung sollten wir aber in jedem Fall sehr kritisch sehen. Oder hat die chinesische Methode wirklich schon Eingang in unser westliches Denken gefunden? Zudem gibt es bereits eine Strafnorm in der Schweiz, die in letzter Zeit auch öfters zur Anwendung gelangt (nicht zuletzt dank einem sehr engagierten Zürcher Anwalt).

Dass Eltern ihre Kinder vor sexuellen Schweinereien schützen wollen, ist nachvollziehbar. Was diesen Schutz angeht, bin ich aber der Auffassung, dass solche Filter vollständig durch die Eltern kontrollierbar sein müssen. Das Argument für eine netzbasierte Implementierung solcher Filter (anstelle von lokaler Software auf dem PC) geht dabei dahin, dass netzbasierte Filter weniger einfach zu umgehen seien als Schutzsoftware auf dem Computer selber. Gut möglich, denn Sohnemann versteht oft einiges mehr von IT als Mama und Papa. Andererseits besteht ein Risiko, dass bei einer netzbasierten Lösung plötzlich Begehrlichkeiten geweckt werden, die Filter doch noch etwas zu pimpen: Was spricht dagegen, wenn die Zensurinfrastruktur schon mal vor Ort ist, nicht noch einzwei weitere Suchbegriffe und Webseiten einzubauen? Zum Beispiel “Piratenpartei”? Oder “Grüne”? Oder “Musikdownload”? Oder “Anti-WEF-Demo”?

Die zentrale Frage ist, ob eine solche Zensurinfrastruktur demokratisch irgendwie kontrollierbar wäre. Und da bin ich sehr skeptisch: Denn die meisten Leute haben wenig Verständnis von den Vorgängen im Netz und schenken der Sache zu viel Vertrauen. Hinzu kommt, dass Überwachungsmassnahmen gar nicht so unpopulär sind. Das Argument “Terrorismusbekämpfung” taucht daher wohl nicht von ungefähr als Begründung für das Projekt auf. Ich meine, wer kann da schon ernsthaft dagegen sein?

Unter dem Strich:

1) Filtermassnahmen im Netz sind des Teufels, da nicht kontrollierbar. Von mir aus kann man die Eltern technisch unterstützen bei ihren eigenen Bemühungen, z.B. indem man sie mit einem Router ausstattet, der Filterung unterstützt, und der durch ein nicht filterndes Gerät ersetzt werden kann, wie der Kommentator im zitierten Artikel das vorschlägt. Aber auch da muss die Filterung absolut transparent sein. Und selbstverständlich nur “opt-in”, d.h. wenn die Eltern den Schutz explizit wünschen.

2) Ein Zwang, auf dem Netz mit Realnamen zu kommunizieren, ist strikte zu bekämpfen: Ich tue das auch öfters, denn es gibt durchaus Gründe, nicht immer mit offenem Visier zu kämpfen, und nicht jeder muss wissen, auf welchen Nerd-Sites ich mich so rumtreibe. Ganz abgesehen davon, dass ich mich auch politisch mal pointiert äussern will, ohne einen Teil meiner Freunde zu verlieren. Das gehört zum Spiel. Last but not least ist Anonymität für Oppositionelle in nichtdemokratischen Ländern oft überlebensnotwendig.

3) Gloors Idee, anstatt auf technische Massnahmen auf die Erziehung der Kinder (und damit auf offene demokratische Auseinandersetzung mit den Themen) zu setzen, ist mir deutlich sympatischer

Und 4) gibt es für mich, schon angesichts des Reizworts Terrorismusbekämpfung, das bisher noch meist für illegitime, demokratisch nicht kontrollierte Aktionen gestanden hat, nur eins: Die Gruppe muss an die Öffentlichkeit. Sonst endet die Sache wie bei ACTA.

5.10.2012 – Veranstaltung – Ulyssees Play im Dock18

70 Jahre nach dem Tod von James Joyce, publiziert die D18 Edition das 24-teilige Audiohörbuch Ulysses Play und rettet das kulturelle Erbe für unsere Kinder.

Türöffnung ab
20:00 Ulysses Show mit Bruno Schlatter & Mario Purkathofer
Live Airolo retour, Fliegendruck, Carol Na & Michaelmusic

Ort
Dock18, Rote Fabrik, Seestrasse 395, Zürich

D18 Edition für Medienkulturen der Welt
Ulysses MP3 Player
24 MP3 mit Totenmaske von James Joyce unter freier Lizenz
Auflage 72 Stück
Preis 240 Sfr

Weitere Infos mit Wegbeschrieb auf Dock18.

Warum Schweizern nicht egal sein kann, als Piraten auf der schwarzen Liste der USA zu landen

In letzter Zeit wird von einer sehr gut betuchten Lobby immer wieder unterstellt, dass Downloads in der Schweiz illegal seien, oder, dass allen Verfechtern des legalen Downloads das Urheberrecht egal sei (etwa NZZ 24.09.2012). Dabei wird regelmässig auf die etwas schmuddeligen, in der Schweiz domizilierten, Websites RapidShare.com und Uploaded.net verwiesen.

Damit werden verschiedene Unwahrheiten und unlautere Unterstellungen vermischt verbreitet. In der Schweiz ist der Konsum von Inhalten jeglicher Provenienz grundsätzlich straffrei und damit DOWNLOADs legal. Hingegen ist der UPLOAD geschützter Inhalte durch andere als die Rechtsinhaber durchaus illegal und damit strafbar. Wenn sich die genannten Websites oder ihre Benutzer diesen illegalen UPLOAD haben zu Schulden kommen lassen, muss man nicht das Urheberrecht ändern, um sie zu verfolgen. Man muss es nur durchsetzen. Wenn allerdings die Urheber selber für den Upload verantwortlich sind (s. Kommentar zur Kampagne des Vereins Musikschaffende Schweiz), kann man schwerlich die auch von mir nicht sonderlich geliebten One-Click-Sites oder Google dafür verantwortlich machen.

Die unlautere Unterstellung besteht darin, die Verfechter des straffreien Konsums – und dazu gehört der Verein Digitale Allmend – in die Ecke der Möchtegern-Kulturvernichter zu stellen, deren Hauptziel es ist, Kulturschaffende um ihr wohlverdientes Einkommen zu bringen. Wir können zwar die Position nicht unterstützen, dass jeder Hersteller eines nicht nachgefragten Produkts gleich vom Staat subwentioniert werden müsse. Gerade die Sorge um Kultur und Meinungsfreiheit beflügelt aber unseren Einsatz für freien Zugang und offene Inhalte. Es geht oft vergessen – und wurde auch von den Parlametariern in den USA nicht zur Kenntnis genommen – , dass die Schweizer pro Jahr 300’000’000 Franken für den legalen Download bezahlen, damit ihre Pausenplätze vor den fallenstellenden Abmahnanwälten unseres nördlichen Nachbarlands und den Gruppenklagen aus den USA verschont bleiben. (Wie absolut perfekt und wirkungsvoll ist doch die Schutzgelderpressung auf der Basis elterlicher Sorge auch wenn sie unberechtigt ist!) Von diesen Pauschalabgaben wandern mehr als 80% in die USA, deren Kultur von der Schweiz auf diese Weise grosszügig subventioniert wird, während die Bürger in den USA keine Pauschalgebühren auf Leergut, Geräten, Fotokopien oder Smartphones entrichten und schon gar kein Geld für in den USA erfolgreiche Schweizer Gruppen oder Filme in die Schweiz fliesst. (Genaueres findet man in den Jahresberichten der Verwertungsgesellschaften.)

Die heftig für eine Kriminalisierung des Downloads agitierenden Gruppen hätten an deren Konsequenzen vielleicht keine Freude.

Abschaffung der Verwertungsgesellschaften und der Musikerpfründe!

Eine Kriminalisierung des Downloads müsste begleitet sein von einer Abschaffung sämtlicher Pauschalabgaben an die Verwertungsgesellschaften (also 300 Mio Franken weniger für die Musik), von einer völligen Privatisierung der kollektiven Verwertung und der damit einhergehenden Streichung aller auf die Verwertungsgesellschaften bezogenen Artikel im Urheberrecht, welches diesen Organisationen und ihren Mitgliedern – unter Berufung auf die Straffreiheit des Konsums – fette staatlich garantierte Subventionen und Monopole beschert hat. Auch die Urheberrechtsgebühren des Fernsehens und des Rundfunks müssten dann eben nach – heute leicht erhebbarer – Einschaltquote pro Stück statt pauschal abgegolten werden.

Obligatorische Eingebettete Metadaten mit ausgewiesenen Rechtsansprüchen

Ausserdem müsste der das Recht respektierende Bürger befähigt werden, nicht unfreiwillig zum Opfer der Abmahnfallensteller zu werden. Ein Obligatorium für eingebettete Metadaten mit Hinweis auf Rechteinhaber und Verwerter müsste eingeführt werden, damit die Lehrlinge, Schüler und Suchmaschinen eine Chance haben, sich rechtskonform zu verhalten und unerwünschtes geistiges Eigentum von sich fernhalten können. Eine Änderung oder Falschzuweisung in solchen Metadaten müsste wie andere Urkundenfälschungen geahndet werden.

Strafbarkeit der privaten Nutzung gemeinfreier und offener Inhalte

Ausserdem müsste auch die fälschliche Beanspruchung von Rechten an gemeinfreien oder der Öffentlichkeit mit offenen Lizenzen frei zur Verfügung gestellten Inhalten genauso hart bestraft werden, wie der private Download. Also etwa

  • die Behauptung von Jörg Schneider, er sei Rechteinhaber der Kasperlitheatermelodie TriTraTrullala,
  • diejenige des Diogenes-Verlags, er habe sämtliche Rechte an den gemeinfreien Werken Kafkas,
  • die unstatthafte Privatisierung und das Publikationsverbot der Zentralbibliothek Zürich für Musiknoten aus dem 16. Jahrhundert,
  • die Privatisierung der gemeinfreien Melodien Johann Sebastian Bachs durch Rechteinhaber von James Bond Filmen, deren Komponisten sich grosszügig bei ihm bedient haben,

und viele andere mehr. Der Schaden müsste analog berechnet werden wie heute die Rechteinhaber argumentieren. Megabyte der gesamten Wikipedia-Artikel verglichen mit Megabyte der jährlichen weltweiten Buchproduktion oder Kasperlitheater-Zuschauer mal Eintrittspreis …

 

Die Piraten und die Ideologie

Manfred Schneider, deutscher Literaturprofessor, richtet sich in der NZZ vom letzten Freitag mit reichlich akademischer Unterfütterung gegen die Netzgemeinde. Zentral ist die Kritik am Satz des Programms der deutschen Piraten, gemäss dem “die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden sollte.” Herr Schneider hält diesen Bezug auf die Natur für ideologisch, ja für einen nicht ernst zu nehmenden “Blütentraum”.

Ich denke, man sollte Schneider einen anderen, einen regulierungstheoretischen, Ansatz entgegen halten.

Urheberrecht ist eine staatliche Regulierung von Märkten wie viele andere auch, wie zum Beispiel das Konsumentenrecht oder das Umweltrecht. Als Begründung für Urheberrecht wird regelmässig die Bekämpfung “positiver externer Effekte” angegeben. Wenn auch selten explizit. Es heisst, es gehe darum, dass, wenn andere die Werke eines Autors frei kopieren können (also mit anderen Worten von positiven externen Effekten profitieren können, ohne zu zahlen), dieser Autor keine Motivation mehr habe, kreativ zu sein. Aus Ökonomensicht führt solches zu Marktversagen, und damit zu einem gesamtwirtschaftlichen Verlust. Darin liegt, nach traditioneller ökonomischer Auffassung, ein legitimer Grund für den Eingriff in den freien Markt.

Zunächst ist es nun aber so, dass heute diverse andere Fälle von Marktversagen gerade aus “ideologischen” Gründen unreguliert bleiben: So wenden sich “Liberale” beispielsweise regelmässig gegen Subventionen im Bereich grüne Energie, obwohl es dabei um einen absolut vergleichbaren Vorgang geht: Die Gemeinschaft finanziert Tätigkeiten, die gesamtwirtschaftlich vorteilhaft sind, um einen Anreiz für diese Tätigkeiten zu geben, genau so wie das Urheberrecht einen Anreiz für die Kreativität des Urhebers geben soll. Die “Liberalen” bekämpfen die Regulierung im Umweltbereich mit dem Argument, Regulierung an sich sei schlecht. Das sie damit selber einer liberalistischen Ideologie verfallen sind, merken sie nicht.

Das Urheberrecht ist natürlich auch schon lange in der Welt. Auch die “Liberalen” haben deshalb verinnerlicht, dass es diese Regulierung gibt. Womöglich um kognitive  Dissonanzen zu vermeiden, reden sie allerdings nicht von Marktregulierung, sondern von “Geistigem Eigentum”.

Dabei ist der Effekt, dass der Autor vom Gesetz ein Ausschliesslichkeitsrecht zugesprochen erhält, mit dem er sich gegen die Nutzung seiner Werke wehren oder einen finanziellen Vorteil erwirtschaften kann, gar nicht Zweck der Üœbung. Das Ausschliesslichkeitsrecht ist vielmehr nur ein Mittel zum Zweck, um das beschriebene Marktversagen zu korrigieren, und der finanzielle Vorteil blosse Reflexwirkung. Dass sich die Leute im Lauf der Zeit daran gewöhnt haben, Geld für ihre durch das Urheberrecht geschützten Werke verlangen zu können, sodass sie angefangen haben, von “Eigentum” zu sprechen, ändert daran nichts.

Das Überraschende an der Sache ist nun, dass der Ansatz der Piraten genau besehen genau zu dem hinführt, was die Liberalen eigentlich wollen: Zu freiem Markt, frei im Sinn von “ohne staatliche Eingriffe”.

Und aus eben dieser liberalen Sicht muss doch die Frage erlaubt sein, ob das heutige Urheberrecht seine Funktion als wirtschaftspolitisches Instrument zur Förderung der Kreativität noch wirksam wahrnehmen kann. Gerade die neue Wirklichkeit des Internets, die eine Verfolgung von Urheberrechtsverstössen faktisch verunmöglicht und angesichts derer Millionen von Internetnutzern kriminalisiert werden für Tätigkeiten, die sie seit Jahren als selbstverständlich erachten, sollte uns veranlassen, diese Frage erneut aufzuwerfen.

In eine solche Neubeurteilung sollten auch ältere kritische Argumente Einfluss finden, die bislang wohl zu wenig Überzeugungskraft hatten, um eine grundsätzliche Neubeurteilung auszulösen: So führt dieses “geistige Eigentum” seit jeher nur selten zu einem wesentliche Nutzen derjenigen, deren Kreativität gefördert werden soll: Der Grossteil der erzielten Erträge versickert nämlich in einer langen Wertschöpfungskette, in der sich die Kreativen meistens am kürzeren Verhandlungshebel wieder finden. Es ist denn auch nicht verwunderlich, wenn sich auf Seiten der “Künstler”, die sich in den letzten Wochen gegen die Netzgemeinde gestellt haben, um das “Urheberrecht” zu verteidigen, fast ausschliesslich Leute finden, die das Glück haben, aufgund ihrer Bekanntheit einen längeren “Verhandlungshebel” zu besitzen. Das ist aber eine kleine Minderheit aller Kreativen, und sicher nicht jene Minderheit, deren Kreativität das Urheberrecht allein fördern sollte. Hinzu kommt, dass heute viele die Wirksamkeit staatlicher Eingriffe zur Förderung der Kreativität als solche bezweifeln. So hatte die deutsche Literatur ihre Blütezeit zu Zeiten, als es noch kaum urheberrechtlichen Schutz gab. Es ist also keineswegs erwiesen, dass es das heutige Urheberrechtssystem wirklich braucht, um Kreativität zu ermöglichen.

Das System des Urheberrechts, wie es heute besteht, ist damit wohl weniger eine ökonomische Notwendigkeit und eine Reaktion auf ein tatsächlich vorhandenes Marktversagen, als das Ergebnis fleissiger Lobbyisten, die an diesem System mehr und mehr zu verdienen hoffen. Nur solche “regulatory capture”, also Beeinflussung der Gesetzgebung durch Partikulärinteressen, erklärt beispielsweise, dass die angeblich so kreativitätsfördernden urheberrechtliche Schutzfristen dieser Tage wieder einmal verlängert werden sollen, und zwar auch rückwirkend für Werke, deren Autoren längst verstorben sind…

Wir sollten die aktuelle Debatte über das Urheberrecht dazu nutzen, uns einige grundsätzliche Fragen zu stellen und das Urheberrecht auch einmal neu zu denken. Ideologievorwürfe sind zu diesem Zweck wenig geeignet.

Simon Schlauri*

*Der Verfasser ist Rechtsanwalt und Privatdozent an der Universität Zürich. Vor nicht allzu langer Zeit hat er eine Summe im Wert eines kleineren Gebrauchtwagens an einen renommierten Verlag überwiesen, um seine Habilitationsschrift drucken zu lassen. Was u.a. auch das Zürcher Steueramt bis heute nicht versteht ist, dass der Verfasser aus einem solchen Verlagsvertrag niemals Gewinn erzielen wird. Urheberrechte (zumindest jene, die dem Verfasser einen finanziellen Vorteil hätten verschaffen können) spielten als Motivation für die Publikation also offensichtlich keine Rolle.

GV der Digitale Allmend am 23. April

Am 23. April findet die Mitgliederversammlung der Digitalen Allmend statt. Neben einem Rückblick über das vergangene Jahr, geht es auch um die Planung von 2012.
Ort:  VMK 1.7 – ZHDK, Sihlquai 131, 1. Obergeschoss, Zürich
Zeit: ab 19:00
Datum: 23. April 2012
1. Begruessung
2. Administratives
2.1 Jahresberichte 2011
2.1.1 Vorstand
2.1.2 Team CC
2.1.3 Projekte
2.1.3.1 Openaccess / Opendata
2.1.3.2 Veranstaltung Doctorow
2.1.3.3 ACTA und Vorratsdatenspeicherung
2.1.3.4 “Kritische Beobachtung” von Verwertunggesellschaften
2.1.4 Finanzen
2.2 Entlastung des Vorstands, Quästor
2.3. Neuwahlen
2.3.1 Vorstand Digitale Allmend
2.3.2 Team-CC
3. Inhaltliches
3.1 CC 3.0 CH: Launch, Übersetzungen
3.2 Website Allmend
3.3 Website Creative Commons CH
3.4 Mitarbeit an der CC 4.0 Portierung
3.5 Andere Aktivitäten 2012
3.6 Budget 2012
4 Diverses
Ein wichtiger Punkt ist die Besetzung des Vorstands,Ko-Präsidium der Digitalen Allmend und von Team_CC (Creative Commons Lead Schweiz). Beides wird jeweils an der GV gewählt. Gemäss letzter GV sind im Vorstand: Alessandro Rimoldi (Ko-Präsident),  Philippe Perreaux (Ko-Präsident), Andreas Trottmann (Kassier), Daniel Boos, Hartwig Thomas, Simon Schlauri, Wolf Ludwig
Daniel Boos tritt aus dem Vorstand zurück. Ale Rimoldi möchte das Ko-Präsidium abgeben. Vakant ist also insbesondere das Ko-Präsidium. Zudem können durchaus weitere Vorstandsmitglieder gebraucht werden.
Gemäss letzter GV sind im Team_CC: Simon Schlauri, Melanie Bosshard, Philippe Perreaux, Claude Almansi
Bei Team_CC sind einige Personen in den letzten Monaten aktiver dazugestossen, welche nun formell bei Team_CC aufgenommen werden können. Beispielsweise haben wir für das Blog Unterstützung erhalten und auch für die Romandie. Weitere Aktive sind aber immer sehr hilfreich.
Bitte meldet euch auf der Mailingliste, wenn ihr beim Vorstand oder
 beim Team CC (Creative Commons Schweiz Lead) aktiv werden möchtet.
Wir bitten alle Mitglieder, an die GV zu kommen. Interessierte sind ebenso
 herzlich willkommen und können an der MV teilnehmen.

Anti-ACTA Kundgebung in Zürich

Am 11. Februar hat Hartwig Thomas hat eine kurze Ansprache bei der Anti-Acta Demo am zürcher Helvetia Platz gehalten.

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=jhnLyU2zgNg

Ich bin […] da, weil ich der Meinung bin, dass die Abschaffung der Meinungsfreiheit oder die schwere Gefährdung der Grundrechte etwas ist, was auch Nichtpolitiker interessieren sollte.

Wenn ich mit den Politikern spreche, habe ich den Eindruck dass diejenigen die im nächsten Jahr darüber entscheiden, ob die Schweiz ACTA ratifizieren soll zu einem grossen Teil keine Ahnung haben und sie müssen von der Strasse, von jedem einzelnen von uns genau und detailiert informiert werden warum dieser Staatsvertrag ein schlimmer Eingriff in die Freiheit der Menschen wäre.

ACTA steht für Anti Counterfeit Trade Agreement also Anti Fälschungs-Handelsabkommen und es geht, wie schon Herr Glättli gesagt hat, nicht wirklich in erster Linie um pirateske Themen sondern es geht darum, dass sogenannte Geistige Eigentum bis zum Letzen zu verteidigen; dass Leute die Krokodilannäher auf Hemden kleben wirklich mehrere Jahre ins Gefängnis kommen; dass Unfallverhütungtechniken im Autobau keinesfalls von den Chinesen kopiert werden dürfen damit sie weniger Unfälle haben; dass Videodateien von Hollywoodfilmen nicht herunter und hochgeladen werden dürfen; dass patentierte Medikamente auf keinen Fall so billig hergestellt werden dürfen wie sie hergestellt werden könnten – auch wenn dabei Millionen Leute an AIDS sterben. Wer das geistige Eigentum an solchen Sachen hat, der hat das Recht den Anderen zu verbieten das zu kopieren oder eben so günstig herzustellen wie man es herstellen könnte.

Dieses Verbotsmonopol bewirkt, dass man die Preise beliebig in die Höhe treiben kann, auch auf Kosten davon, dass Menschen massenweise sterben, weil niemand Kopien von patentierten Unfallverhütungssoftware machen darf, oder von einem AIDS-Medikament, oder von schädlingsresistentem Saatgut. Die Rechteinhaber vorallem in den USA oder der EU hatten mit ihrer Einschüchterungstaktik bisher schon viel Erfolg. Wir sind alle so blöd, dass wir bereits mit vorauseilendem Gehorsam uns sogar die Sachen nicht mehr trauen die wir noch dürfen

Ich habe gerade gestern wieder in 20 Minuten gelesen, man müsse die illegalen Downloads verbieten. Erstens ist es ja ein wenig idiotisch etwas Illegales zu verbieten.. (Gelächter) Zweitens sind in der Schweiz Downloads immer noch legal, selbst wenn derjenige der das hochgeladen hat das illegalerweise hochgeladen hat. Das Lesen eines geklauten Buchs ist nicht strafbar, das Klauen schon.

Ich denke, wir sollten uns nicht länger von der Pharmaindustrie und Hollywood einschüchtern lassen, sondern unsere Rechte wieder maximal beanspruchen und die zynischen Rechteinhaber im schlimmsten Fall boykottieren. Es gibt sehr schöne Hemden ohne Krododilaufnäher. (Gelächter). Man hört immer wieder das uns ACTA vor gefälschten Medikamenten schützen soll, weil sonst irgendwelche unverantwortlichen alten Herren gefälschtes Viagra kaufen und nachher eingehen – (Gelächter) – jeweils übers Internet. Das ist natürlich Unsinn, wir haben schon sehr harte Gesetze gegen Brunnenvergifter und Leute die gefälschte Nahrungsmittel herstellen und gegen Leute die andere vorsätzlich schädigen. Für das müssen wir auf kein Abkommen eingehen das es der Industrie von den Rechteinhabern erlaubt, ohne Umweg über die Polizei, über den Richter direkt bei den Providern Informationen über uns einzuholen und über ihre Konkurrenten natürlich, damit sie noch besser Kapitalismus betreiben können. (Applaus)

Es gibt einen Punkt ganz am Schluss vom ACTA-Vetrag. Ich habe mir die Mühe gemacht, das durchzulesen und habe dazu ein kleines oranges Flugblatt geschrieben (http://www.enterag.ch/hartwig/acta-fragen.pdf) das schrecklich seriös und trocken ist und jeden einzelnen Punkt aufgezählt, von dem ich der Meinung bin, dass er problematisch ist. Ganz am Schluss von ACTA ist eine heisse Sache drin: dort geht es nämlich um den berühmten Aquis-Communautaire. Das heisst ACTA besagt, es wird eine Kommission eingesetzt, eine internationale Kommission die dieses Vertragswerk laufend weiterentwickelt und, dass Leute, die diesem Vertragswerk heute beitreten automatisch laufend alle weiteren Änderungen mitübernehmen, die diese Kommission dann beschliesst.

Das heisst, selbst wenn es heute sozusagen wenig an der Schweizer Situation ändern würde, hätte man dann die fremden Richter und die fremden Gesetzgeber anstelle unserer Richter und unserer Parlamentarierer gesetzt. Und da wundert es mich, dass ich hier auf diesem Platz so wenig Vertreter von der Partei [die SVP, Red.] sehe die sonst gegen fremde Richter ist. (Breites Gelächter und Applaus.)

Beim Aushandeln der endgültigen ACTA Vertragsversion war das Institut für Geistiges Eigentum auf Schweizer Seite dabei. Der Schweizer Botschafter hat an seiner offiziellen Unterzeichnungszeremonie in Japan schon unterschrieben aber das war nur für das Fernsehen. Das ist noch nicht wirklich schon gültig und jetzt kommt es darauf an, dass der Bundesrat die Unterzeichung, die Ratifizierung des Vertrags dem Parlament vorlegt und bis.. ich glaube Mai 2013 muss das Parlament entschieden haben, ob die Schweiz diesem internationalen Vertragswerk beitritt oder nicht. Ich hoffe, dass ihr alle, jeder einzelne von euch ganz viele Mails an seine Lieblingsparlamentarier schreibt.

Transkription: http://www.denkmaschinen.ch leicht korrigiert.

Foto: CC-BY Roger Hunziker

Marshall McLuhan und die Kanadische Schule

Die Lesegruppe liest weiter Medientheorie von Dieter Mersch (1).

Marshall McLuhan ist der bekannteste einer gemischten Gruppe von Wissenschaftlern aus Anthropologie, Literaturwissenschaft und Geschichte, die von den 1950er Jahren an im Umkreis des Centre of Culture and Technology der Universität Toronto gearbeitet und in vielfältiger Weise Einflüsse der Schrift und anderer Kommunikationsmedien auf die Kulturentwicklung untersucht haben. Dieser so genannten Kanadischen Schule (dazu gehören unter anderen Harold A. Innis, Eric A. Havelock und später Derrick de Kerckhove) kommt nach Mersch das Verdienst der Etablierung einer eigentlichen allgemeinen Medientheorie zu, die nicht nur partiell die technischen Medien wie Film, Radio und Fernsehen behandelt, sondern ebenso Politik, Sozialstruktur und Technik mit einbezieht. Medientheorie versteht sich seither auch als Zeitdiagnose: Medien durchdringen Person, Politik, Ökonomie, Moral und Gesellschaft in ihrer Identität.

Mersch beschreibt in der Folge detaillierter, was die einzelnen Exponenten beigetragen haben und widmet sich am ausführlichsten Marshall McLuhan. Schreiben, wie Mersch über McLuhan schreibt, könnte sogar reizvoll sein; lieber wähle ich hier aber einen direkten Zugang zu McLuhan und schlage für einmal zwei Videolinks vor.

McLuhan wollte verstehen, wie Massenmedien unser Leben verändern – wie sie ihre User formatieren – und erfand dafür Metaphern und Schlagworte, die geradezu volkstümlich geworden sind. McLuhan prägte den Begriff des Globalen Dorfes, McLuhan sprach von der Gutenberg Galaxis und von Medien als Extensionen des menschlichen Körpers. Sein berühmtester Kernsatz ist “The medium is the message.”  (Das Medium ist die Botschaft.) Die Botschaft der elektronischen Medien lautet: Wir sind akustisch und visuell vernetzt. Die Welt ist ein globales Dorf. Wir haben extrem mit den Angelegenheiten aller andern Menschen zu tun. Seine ebenfalls sehr bekannte Unterscheidung zwischen heissen und kalten Medien bezieht sich auf ihre höhere oder niedrigere Auflösung und die damit verbundenen unterschiedlichen Wirkungen auf die Sinne. Hochauflösende Medien (“hot”) media, wie Druck oder Radio, seien voller Informationen und erforderten weniger Komplettierung oder Beteiligung des Lesers oder Zuhörers, als niedrig aufgelöste Medien (“cool”) media wie Telefon oder Fernsehen, denen es relativ an Informationen fehle und die damit eine höhere «Sinnenbeteiligung» des Benutzers mit sich brächten. Da jedes Medium mit einem verschiedenen Verhältnis in der Ordnung zwischen den Sinnen verknüpft sei, kreiere es andere Formen von Bewusstsein. Diese Transformationen von Wahrnehmungen seien Grundlagen von Bedeutungen der Botschaft, oder eben:  “The medium is the message.”

Marshall McLuhans Theorien aus den 1960er Jahren sind noch heute in aller Munde und scheinen auch perfekt auf das Internet zu passen. Dabei geht gerne vergessen, dass er über die Rechenzentren von damals sprach – und weder über das Internet, noch die Laptops oder iPhones von heute. In diesem Sinn war die These des Globalen Dorfes vielleicht noch weniger eine Diagnose denn eine – allerdings äusserst hellsichtige – Vorhersage.

Dass er später auch “The medium ist the massage“ gelten liess, eine Version, die aufgrund eines Druckfehlers entstanden ist, weist Marshall McLuhan zudem als einen Wortspieler aus, der Witz und Pointierung liebte. Seinen Kritikern war er damit definitiv zu unsystematisch. Vielleicht hätte man ihn im Original erlebt haben müssen, um etwas von der Tonalität, vom Duktus, vom Zugriff seines Denkens und seiner Äusserungen zu verstehen; dieses Video gibt immerhin noch mediale Gelegenheit dazu: http://www.youtube.com/watch?v=Orm-urRidH8&feature=related

McLuhan war ein Medien-Guru der ersten Stunde, eine Art intellektueller Popstar mit einer grossen Anhängerschaft unter den Hippies. Das hiess damals und heisst auch heute, dass er fleissig zitiert und selten gelesen wird. Ihn ebenfalls nur so bruchstückhaft zu rezipieren ist da ziemlich unbehaglich. Weil er zwar häufig zitiert, dabei aber eben auf seine drei oder vier Schlagwörter reduziert wird, lautet der zweit-berühmteste «McLuhanismus»: “You know nothing of my work!” Darauf spielt dann sogar eine Szene aus Woody Allens Stadtneurotiker an, die man sich ebenfalls nicht entgehen lassen sollte: http://www.youtube.com/watch?v=9wWUc8BZgWE

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

Pressemitteilung – Public Domain Jam – Neuesjahresbrunch & Night

Wir weisen sie auf folgende Veranstaltung hin:

Public Domain Neujahrsbrunch 2012
Generationenübergreifender Neujahrsbrunch für Kinder und Erwachsene
Sonntag, 1.01.2012, 12-20 Uhr
Kafi für Dich, Stauffacherstr. 141, 8004 Zürich

James Joyces “Ulysses”, Lisa Wengers “Joggeli” und Walther Ruttmanns “Sinfonie der Grossstadt” haben miteinander gemein, dass sie mit dem Jahreswechsel frei vervielfältigt und verändert werden dürfen. Sie gehören zu den unzähligen Werken, deren Eigentumsrecht am 1.1.2012 der Öffentlichkeit zufällt. Dabei geht es um ein fundamentales Element des Urheberrechts: nämlich die zeitliche Begrenzung der Urheberrechte als Ausgleich zwischen den Interessen der Autoren und der Öffentlichkeit. Alle Werke von Autoren, die seit 70 Jahren verstorben sind, werden weltweit gemeinfrei. Das bedeutet für jeden Einzelnen: Wir bekommen über Nacht – ob wir es wollen oder nicht – Tausende von Kunstwerken, Büchern, Bildern, Gemälden, Karten, Fotografien, Erfindungen, Filmen, Gedanken, Zitaten etc. geschenkt. Es ist vergleichbar mit einem Lottogewinn!

Der Public Domain Jam unterstützt alle Menschen beim Umgang mit diesen Werken. Wir zeigen Tools und Gestaltungstechniken, mit denen wir diese Kreationen verarbeiten und uns wieder aneignen können. Zum Teil kennen wir die Werke aus den Medien und Museen der Welt. Andere wiederum wurden aus Archiven ausgegraben. Gemeinsam ist allen, dass wir sie nun besitzen und irgendwie damit umgehen sollen. Der Public Domain Jam hilft!

Eltern spielen Figurentheater nach Max Neal, Lisa Wenger, Arthur Holitscher und James Joyce. Kinder machen Collagen mit Bildern von Emil Stumpp, Emile Bernard, Carl von Salis, Robert Delaunay, El Lissitzky und Alexej Jawlensky. Filme von Victor Schertzinger und Edwin S. Porter werden auf Videopong.net und auf dem VJ-Akkordeon von Effi Tanner gejammt. Während aus dem “Joggeli” von Lisa Wenger Stop-Motion-Filme produziert werden, hören wir eine Kurzlesung aus dem Audiohörspiel “Ulysses”. Die Playlist mit Songs von Jelly Roll Morton, Seven Foot Dilly, Rabindranath Thakur, Oskar Joost und Fritz Grünbaum begleitet uns akustisch ins neue Jahr, zusammen mit der visuellen Public-Domain-Meta-
Inspirations-Engine von Marc Lee. Während wir also bei einem gemütlichen Kaffee sitzen und ins neue Jahr brunchen, retten wir gleich das kulturelle Erbe für unsere Kinder!

Mit Tools und künstlerischen Gestaltungstechniken von Bruno Schlatter, Olivier Marti, Effi Tanner, Videopong.net, Marc Lee, Luc Gut, Mario Purkathofer, Daniel Boos, Robert Alexander, Alessandro Rimoldi, Michaelmusic u.a.

Die Veranstaltung wird organisiert und unterstützt von Dock18, Digitale Allmend, Wikimedia CH und dem Kafi für dich.
Aufrufe zum Mitmachen und Teilnehmen!
Die Werke unserer Vorahnen leben durch unsere direkte Benutzung und Weiterbearbeitung. Natürlich können wir sie auch einfach nur lesen.

MASHUPS GESUCHT aus Filmen von Walter Ruttman, Corrado D’Errico, u.a. Videopong.net
FIGURENTHEATERDARSTELLER GESUCHT für Theaterstücke nach Max Neal, James Joyce, Lisa Wenger, u.a. Deadline: 30.Dezember 2011
99 TOTE AUTORINNEN UND WERKE Der Public Domain Jam sucht ständig nach neuen Autorinnen und deren Werke, die vor 70 Jahren gestorben sind. Hier können auch die eigenen Grosseltern gemeldet werden. Wir übernehmen alle Arten von Nachlässen (geistiges Eigentum) Die neuesten Werke 2012 unter PD werden hier gesammelt und an ihrem Todestag publiziert http://pdjam.wordpress.com
24 KÜNSTLER GESUCHT die mithelfen, die Ulysses zu vertonen. Deadline 13.Januar 2012
18 PECHA KUCHA GESUCHT aus den alten Werken neue Präsentationsformen erstellen. Deadline: 30.Dezember 2011

Alle aktuellen Aufrufe zum mitmachen.
Kontakt: dock18@rotefabrik.ch

Gemeinfreie Werke und weitere Infos
Alle Infos in diesem Blog.
Public Domain Days in Europa.

Alle kommenden Public Domain-Termine im Überblick

  • 30. Dezember 2011: Public Domain NIGHT mit 18 Pecha Kucha Präsentationen, Poetry Slams, Kasperlitheateraufführungen, Mashups, Lesungen und anderen Formaten für Erwachsene von 18-70. Ab 20 Uhr im Dock18 Raum für Medienkulturen der Welt, Seestrasse 395, 8038 Zürich
  • 1. Januar 2012: Public Domain NEUJAHRSBRUNCH mit Kreidemalen, Collage basteln, Kasperlitheater und Livelesung für Kinder und Erwachsene. Ab 12 Uhr im Kafi für dich, Stauffacherstr. 141, 8004 Zürich
  • 16. Juni 2012 Public Domain BLOOMSDAY

Partner
Dock18: Raum für Medienkulturen der Welt
Digitale Allmend:Verein für öffentlichen Zugang zu digitalen Gütern
Wikimedia CH: Schweizer Förderverein der Wikimedia Foundation
Public Domain Project: Nutzbarmachung von gemeinfreier Musik und Film
Kafi für dich: Cafe.Bar.Kultur

Für Fragen und weitere Informationen
Webseite und Blog: http://pdjam.wordpress.com
Daniel Boos, boos@allmend.ch, +41 78 767 22 38
Mario Purkathofer, dock18@rotefabrik.ch, +41 78 659 32 63

Was ist der Public Domain?
Unter Public Domain werden frei verfügbare Werke verstanden, wie zum Beispiele Literatur, Musik oder Software. Werke im Public Domain unterliegen nicht oder nicht mehr dem Urheberrecht. Das Urheberrecht für Werke ist zeitlich beschränkt, weshalb alle Werke längerfristig in den Public Domain fallen. Die zeitliche Beschränkung führt dazu, dass die Werke frei genutzt, d.h. vervielfältigt und verändert werden dürfen. Es ist ein Kompromiss zwischen den Interessen der Oeffentlichkeit und des Urhebers. In den meisten Ländern ist dies 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers der Fall. Zum Teil gibt es noch kürzere Uebergangsfristen, weshalb in gewissen Staaten Werke schon früher im Public Domain sein können.

Public Domain Jam: Vorbereitungen 2.-4.12.11 / Apéro 30.12.11 / Brunch 1.1.12

Mit dem Jahreswechsel fallen tausende von Werken und somit Teile unseres kulturellen Erbes der Allgemeinheit zu und können künftig frei
vervielfältig und verändert werden. Neben James Joyce trifft es auch einige Schweizerinnen, wie bspw. Lisa Wenger (Joggeli gaht go Bierli schüttle) oder Albin Zollinger (Roman Pfannenstil).

Die Digitale Allmend, Dock18 und andere feiern das frei werden von Werken jeweils mit einen Neujahrsbrunch. Damit wir etwas zu feiern
haben, beginnen wir dieses Jahr mit einem Vorbereitungsworkshop. Ziel ist es Werke zu digitalisieren und neue künstlerische Überarbeitungen
zu schaffen. Einerseits wollen wir das kulturelle Erbe bewahren, andererseits aus die Rohstoffe kreativ nutzen.

Wie jedes Jahr haben wir Tools/Gestaltungstechniken und natürlich jede Menge Inhalte, die es neu zu verwursten gilt. Neu versuchen wir
richtige Produktionen umzusetzen:

24stündiges AUDIOBOOK nach Ulysses von James Joyce mit 24 Musikern, Künstlern. Während des Workshops von 2.-4.Dezember übersetzen und
lesen wir die 24 Stunden der Ulysses und übergeben die einzelnen Teile verschiedenen Musikern zur Vertonung.

2.-4.12.2011 Public Domain Jam 1/4 Werke, Tools/Gestaltungstechniken werden vorgestellt LIVE auch auf http://ulysses.dock18.ch/pd-jam/ und
kollaborativer Workshop, Grafiklabor
30.12.2011 Public Domain Jam 2/4 Pecha Kucha und Apero, Dock18
1.1.2012 Public Domain Jam 3/4 Wir feiern den diesjährigen Public Domain Neujahrsbrunch am 1.1.2012 im Kafi für Dich, Zürich
13.1.2012 Public Domain Jam 4/4 Publikation des Audiohörbuchs ULYSSES in der Edition für Medienkulturen der Welt am 71.Todestag von James
Joyce.