Kultur als Code

Die Lesegruppe der Digitalen Allmend setzt ihren Bummel durch die Medientheorien des 20. Jahrhunderts fort und beschäftigt sich mit Vilém Flusser (1920-1991). Dieser hinterlässt ein vielgestaltiges Werk, das eher untergründig wirksam wurde.

Flusser positioniert sich in einem kulturellen Megatrend nach dem 2. Weltkrieg. Diese Strömung rückt technische und formale Aspekte von Kommunikation und Kultur ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Auf dieses Feld gehören Kybernetik, Semiotik und Strukturalismus.

Zu den methodischen Fundamenten gehört die Übertragung technischer Kommunikationskonzepte auf das gesellschaftliche Leben. Eine zentrale Bedeutung nimmt dabei der Code ein. Im Code überlappen sich die Welt des Sinns und die Welt der Übertragung. Statt kodifizierte Kommunikation im gesellschaftlichen Kontext zu analysieren, wird von den Kommunikationstheoretikern die Gesellschaft vom Code her interpretiert.

Das lässt sich durchaus auch von Flusser sagen. Er fasst Kultur als Code. In seiner Skizze von Flussers Denken arbeitet Dieter Mersch (1) drei Schwerpunkte heraus.

In einer Kommunikologie scheidet Flusser den kulturellen Code in zwei Momente. Im Diskurs fasst er das dauerhafte strukturelle Netz der Codes, die Infrastruktur der Kommunikation. Als dynamisches und kreatives Moment sieht er den Dialog. Einmal mehr scheint hier die seit Platon diskutierte Spannung zwischen Schrift und Rede auf. Flusser sieht den Code als zweite Wirklichkeit, die für den Menschen zur ersten Wirklichkeit wird. Flusser fasst allerdings den Begriff des Codes weiter als Schrift. Der Code bestimmt die Möglichkeiten, die Welt wahrzunehmen und zu handeln: Er ist Sinn und Kerker gleichzeitig.

Mit seiner These des Informationszeitalters etabliert Flusser eine Geschichtsphilosophie. Es folgen aufeinander die Perioden von Bild, Schrift und Technobild. Bilder sind statisch und flächig. Die Schriftkultur wird mit Erzählung, Drama und Kausalität in Verbindung gebracht und von Flusser durchaus negativ für die Herausbildung der westlichen linear denkenden Kultur in Verbindung gebracht.

Mit dem Konzept der Komputationen verweist Flusser auf das Potential von TV und Computern, frei gestaltbare Techno-Bilder zu generieren. Das Denken sei da nicht mehr buchstäblich, sondern numerisch. Das lineare Lesen würde abgelöst durch ein Verfolgen von Verweisen. Ganz allgemein erwartet Flusser, dass aus Modellen erzeugte visuelle Konstrukte eine neuartige und wichtige Rolle spielen würden.

Die Beschäftigung mit Flusser hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Zum einen entfaltet er produktive Momente eines codebasierten Ansatzes, wirft kreative Gedanken in die Diskussion und bringt relevante Fragestellung auf. Aber sein Diskurs bleibt inkonsistent, erratisch und faktenfern, sodass er gar nicht verifizierbar oder widerlegbar ist. Das ist die Freiheit der (Medien)Philosophen: in der Transitzone zur religionsförmigen Weltanschauung stehen keine Schranken.

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

Marshall McLuhan und die Kanadische Schule

Die Lesegruppe liest weiter Medientheorie von Dieter Mersch (1).

Marshall McLuhan ist der bekannteste einer gemischten Gruppe von Wissenschaftlern aus Anthropologie, Literaturwissenschaft und Geschichte, die von den 1950er Jahren an im Umkreis des Centre of Culture and Technology der Universität Toronto gearbeitet und in vielfältiger Weise Einflüsse der Schrift und anderer Kommunikationsmedien auf die Kulturentwicklung untersucht haben. Dieser so genannten Kanadischen Schule (dazu gehören unter anderen Harold A. Innis, Eric A. Havelock und später Derrick de Kerckhove) kommt nach Mersch das Verdienst der Etablierung einer eigentlichen allgemeinen Medientheorie zu, die nicht nur partiell die technischen Medien wie Film, Radio und Fernsehen behandelt, sondern ebenso Politik, Sozialstruktur und Technik mit einbezieht. Medientheorie versteht sich seither auch als Zeitdiagnose: Medien durchdringen Person, Politik, Ökonomie, Moral und Gesellschaft in ihrer Identität.

Mersch beschreibt in der Folge detaillierter, was die einzelnen Exponenten beigetragen haben und widmet sich am ausführlichsten Marshall McLuhan. Schreiben, wie Mersch über McLuhan schreibt, könnte sogar reizvoll sein; lieber wähle ich hier aber einen direkten Zugang zu McLuhan und schlage für einmal zwei Videolinks vor.

McLuhan wollte verstehen, wie Massenmedien unser Leben verändern – wie sie ihre User formatieren – und erfand dafür Metaphern und Schlagworte, die geradezu volkstümlich geworden sind. McLuhan prägte den Begriff des Globalen Dorfes, McLuhan sprach von der Gutenberg Galaxis und von Medien als Extensionen des menschlichen Körpers. Sein berühmtester Kernsatz ist “The medium is the message.”  (Das Medium ist die Botschaft.) Die Botschaft der elektronischen Medien lautet: Wir sind akustisch und visuell vernetzt. Die Welt ist ein globales Dorf. Wir haben extrem mit den Angelegenheiten aller andern Menschen zu tun. Seine ebenfalls sehr bekannte Unterscheidung zwischen heissen und kalten Medien bezieht sich auf ihre höhere oder niedrigere Auflösung und die damit verbundenen unterschiedlichen Wirkungen auf die Sinne. Hochauflösende Medien (“hot”) media, wie Druck oder Radio, seien voller Informationen und erforderten weniger Komplettierung oder Beteiligung des Lesers oder Zuhörers, als niedrig aufgelöste Medien (“cool”) media wie Telefon oder Fernsehen, denen es relativ an Informationen fehle und die damit eine höhere «Sinnenbeteiligung» des Benutzers mit sich brächten. Da jedes Medium mit einem verschiedenen Verhältnis in der Ordnung zwischen den Sinnen verknüpft sei, kreiere es andere Formen von Bewusstsein. Diese Transformationen von Wahrnehmungen seien Grundlagen von Bedeutungen der Botschaft, oder eben:  “The medium is the message.”

Marshall McLuhans Theorien aus den 1960er Jahren sind noch heute in aller Munde und scheinen auch perfekt auf das Internet zu passen. Dabei geht gerne vergessen, dass er über die Rechenzentren von damals sprach – und weder über das Internet, noch die Laptops oder iPhones von heute. In diesem Sinn war die These des Globalen Dorfes vielleicht noch weniger eine Diagnose denn eine – allerdings äusserst hellsichtige – Vorhersage.

Dass er später auch “The medium ist the massage“ gelten liess, eine Version, die aufgrund eines Druckfehlers entstanden ist, weist Marshall McLuhan zudem als einen Wortspieler aus, der Witz und Pointierung liebte. Seinen Kritikern war er damit definitiv zu unsystematisch. Vielleicht hätte man ihn im Original erlebt haben müssen, um etwas von der Tonalität, vom Duktus, vom Zugriff seines Denkens und seiner Äusserungen zu verstehen; dieses Video gibt immerhin noch mediale Gelegenheit dazu: http://www.youtube.com/watch?v=Orm-urRidH8&feature=related

McLuhan war ein Medien-Guru der ersten Stunde, eine Art intellektueller Popstar mit einer grossen Anhängerschaft unter den Hippies. Das hiess damals und heisst auch heute, dass er fleissig zitiert und selten gelesen wird. Ihn ebenfalls nur so bruchstückhaft zu rezipieren ist da ziemlich unbehaglich. Weil er zwar häufig zitiert, dabei aber eben auf seine drei oder vier Schlagwörter reduziert wird, lautet der zweit-berühmteste «McLuhanismus»: “You know nothing of my work!” Darauf spielt dann sogar eine Szene aus Woody Allens Stadtneurotiker an, die man sich ebenfalls nicht entgehen lassen sollte: http://www.youtube.com/watch?v=9wWUc8BZgWE

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

Medien ohne Aura

Die Lesegruppe der Digitalen Allmend ist am 12. Dezember im 20. Jahrhundert angelangt. Zur Diskussion standen marxistische Ansätze der Medientheorie aus der Zwischenkriegszeit. Mersch (1) weist darauf hin, dass im späten 19. Jh das Aufkommen der Massenpresse und die Diskussion um die Massengesellschaft völlig neue Voraussetzungen für die Debatte um die Medien geschaffen haben.

Der Literat und Filmkritiker Béla Balász rückt allerdings nicht die gedruckte Massenpresse, sondern die Fotografie und den aufkommenden Film ins Zentrum des Interesses. Mit Bild versus Wort und Text stellt er zwei Mediensysteme einander gegenüber. Er kritisiert vehement einen Primat der Sprache und verweist auf die Mächtigkeit des bildhaften Ausdrückens und Zeigens. Balász vermittelt die Vorstellung einer universellen Bildsprache.

Walter Benjamin positioniert seine Medienbetrachtungen im Kontext des marxistischen Unterbau/Überbau Schemas. Das heisst nun aber nicht, dass Elemente wie Macht, Besitz, Entfremdung oder Ideologiekritik als Instrumentarium dienen würden. Vielmehr rück Benjamin die Technik ins Zentrum und bindet auch seinen Aura-Begriff daran. Aura wird einmal mit Singularität und Echtheit assoziiert – Aura kann darum den technisch reproduzierten Objekten nicht mehr anhaften. Aura wird aber an verschiedenen Stellen von Benjamins Werk mit weiteren Bedeutungen angereichert, etwa als „Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“. In diesem Sinn gefasst sind wären aureatische Momente eigentlich auch für Betrachter multimedialer Produkte vorstellbar.

Mersch bezeichnet Benjamins Aura-Begriff wohlwollend als „schillernd“. In der Leserunde schwappte eine interessante Diskussion hoch, ob da überhaupt eine Theorie oder auch nur ein analytisches Konzept vorliegt. Die eine Seite betont die Fruchtbarkeit von Benjamins Ansätzen, die andere sieht kein Gerüst eines konsistenten begrifflichen Systems, was als Theorie bezeichnet werden könnte.

Neben der Aura ist der Begriff der Montage zentral bei Benjamin. Die Montage, die Zersplitterung als Produktionsbedingung, bildet das mediale Kernelement des Films. Benjamin konstatiert beim Film auch einen neuen Illusionsmechanismus. Der produzierende Mechanismus bleibt verhüllt, es gibt keinen Bühnenrand, der die Grenze zu einer andern Sphäre markiert.

Benjamin folgert nun nicht, dass diese neuen Illusionsmechanismen in eine dauerhafte Verblendung der Massen durch die kapitalistische Kulturindustrie führen würden. Vielmehr diagnostiziert er, dass die Abkehr vom aureatischen Kunstwerk das Wahrnehmungsverhalten umwälzt und politisches Emanzipationspotential freisetzt.

Das Thema der Verblendung wurde durch Adorno und Horkheimer im Konzept der Kulturindustrie ausgearbeitet. Die technischen Medien sind das Distributionsnetz und Verkaufsinfrastruktur von kulturellen Waren, welche an Stelle einer zerfallenden politischen Öffentlichkeit tritt.

Die entsprechende Manipulationsthese hatte in den 70er Jahren grossen Anhang. Enzensberger kritisierte die Absolutheit der These. Es ist nicht möglich, aus einen Zentrum heraus widerspruchsfreie Ideologie zu produzieren. Kommunikation bringt immer Widerspruchsmöglichkeiten mit sich. Das aktuelle Mediensystem liesse sich auch ganz anders nutzen. Baudrillard hat Enzensberger kritisiert. Er gehe von einem naiven Kommunikationsmodell aus. In der Tat nahm dann Enzensberger Abstand von seinem Konzept eines formbaren Medienbaukastens.

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

Medientheorien von Platon zu Nietzsche

Wie von der Lesegruppe der Digitalen Allmend bereits berichtet, befasst sich das erste Kapitel des Übersichtsbandes von Dieter Mersch (1) mit  dem Medienbegriff. Im zweiten nun verfolgt der Autor – und wir mit ihm – frühe Medientheorien, resp. Theorien, die er als solche zu betrachten vorschlägt, da sie Phänomene behandelten, die denen ähnelten, welche heute unter einem Medienbegriff gefasst werden.

Was die frühesten medientheoretischen Reflexionen zunächst provoziert habe, ist gemäss Mersch das «Rätsel der Schrift»: Annahme war, dass die Schrift den Menschen irgendwie übersteigt und daher das Werk eines höheren Instanz sein müsse. Kenntnis oder Unkenntnis der Schrift sei zudem immer auch mit sozialen und kulturellen Absetzungsbewegungen verbunden gewesen.

Ausführlich referiert Mersch in der Folge dann Platon, der die Schrift zur Darstellung philosophischer Gedanken für ungeeignet hält, da deren Medium vielmehr das Gespräch sei, wo Rede auf Gegenrede trifft und dadurch Argumente erst schärfe. Die teilweise durchaus widersprüchlichen Äusserungen Platons zur Schrift liest Mersch nicht als eine Kritik an der Schrift generell, sondern als eine Kritik an einem Schriftgebrauch der sich verselbständigt. Wenn wir seine Überlegungen auf die aktuellen Techniken des Internets zu übertragen versuchen, ist neben der Betonung der Chance der interaktiven Lebendigkeit auch der Hinweis bemerkenswert, den Mersch im Bezug auf die Schrift formuliert, dass es nämlich keine Technik gebe, die nicht zugleich aufzeichne und dokumentiere, wie sie im selben Mass als Dokument oder Archiv die Erinnerung transformiere.

Unter dem Titel «Metaphorisierungen des Medialen im 18. und 19. Jahrhundert» behandelt Mersch in der Folge Lessing, Herder und Hegel: So bei G. E. Lessing die Erörterung des Verhältnisses von Poesie gegenüber der bildenden Kunst anhand der Betrachtung über die spätantike Figurengruppe «Laokoon», bei J. G. Herder die Fokussierung auf die Sprache und ihre Bestimmung als Medium jeder Erkenntnis, also die intime Abhängigkeit des Denkens vom Medium der Sprache und bei G. W. F. Hegel die strenge Hierarchie zwischen Kunst, Religion und Philosophie. Dabei steht die Kunst durch ihr Angewiesensein auf Materialität in Hegels Taxonometrie auf der untersten Stufe, während Vernunft und Geist zuoberst rangieren.

Warum wir gerade diese Klassiker der Geistesgeschichte als Eckpunkte der Mediengeschichtsschreibung entdecken sollten, nur weil sie über Sprache und Erkenntnis reflektieren, leuchtet nicht in jedem Fall gleichermassen ein. Und was dagegen fast völlig fehlt, ist die Beschäftigung mit dem Sehen – Mersch zufolge hätte sie als Vorläufer von Medientheorien keine grosse Rolle gespielt. Dabei hat die Auseinandersetzung mit der Frage, was überhaupt ein Medium sei, durchaus auch anhand des Sehens Niederschläge gefunden: so etwa die Auseinandersetzung mit Spiegelung in der Sage des von seinem eigenen Bild gefesselten Narziss, Fragen der Repräsentation, Illusion und Imagination in der Malerei, wiedergegeben etwa in der Anekdote des Maler-Wettstreites zwischen Parrhasios und Zeuxis oder im negativen Sinn auch im Bilderverbot des Alten Testamentes.

Der längere Abschnitt zu F. Nietzsche ist dagegen vielfältig und anregend zu lesen: Nicht nur verbindet Mersch hier den von Nietzsche formulierten Gegensatz der Prinzipien des Apollinischen und Dionysischen mit medialen Überlegungen, sondern bezieht auch die sich mit Beginn des 19. Jahrhunderts rasant entwickelnde Technik (etwa die Illusionstechnik Fotografie) mit ein und zeigt ein reiches Bezugsfeld geistesgeschichtlicher Entwicklungslinien auf (zu Derrida, den Zeichentheoretikern, Cassirer und anderen), die zunächst mehrheitlich vom Medium der Sprache ausgehend, nach und nach Elemente entwickeln zur allmählichen Herausbildung von allgemeineren Medientheorien.

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

 

Schillernder Medienbegriff

Am 19. September hat die Lesegruppe der Digitalen Allmend die neue Saison eröffnet. Wir beschäftigen uns mit Medientheorien und besprechen das entsprechende Buch von Dieter Mersch (1).

Mersch betont die Vielgliedrigkeit und schwere Fassbarkeit des Medienbegriffs. Die Vielgliedrigkeit rührt daher, dass ganz verschiedene Stränge in den Begriff eingegangen sind. Als die wichtigsten identifiziert Mersch die Wahrnehmungstheorie seit der Antike, die Sprachtheorie des 18. Jahrhunderts und die Kommunikationstechnologien seit dem 19. Jahrhundert. Die Betrachtung von Kommunikationsmedien setzt also relativ spät ein: mit der Sprachtheorie. Die Reflexion der Massenmedien beginnt mit deren Durchbruch in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Erst jetzt wird der Medienbegriff im Alltagsgebrauch darauf gerichtet. Noch um 1900 dachten die meisten Menschen beim Medium an eine spiritistische Sitzung.

Mersch betont die Negativität des Medienbegriffs. Weil es sich um eine Instanz der Vermittlung, des Dazwischen handelt, „kann es nicht positiv modelliert werden“ (S. 17). Hier wird in der Diskussion Kritik an der Absolutheit des Postulats laut: Wenn das gesellschaftliche Umfeld und die Akteure charakterisiert werden können, kann auch das Medium entsprechend gefasst werden. Anhand etwa des Begriffs der Mobilität überlegen wir, dass auch andere Konzepte lösgelöst von Zeit und Umständen nicht hinreichend beschrieben werden können.

In der Antike prägt Aristoteles den Medienbegriff als physikalisches Kozept. Beim Sehen braucht es ein Drittes, das dem Auge das Sehen eines Gegenstandes erlaubt. Dieses Notwendige ist aber nicht fassbar, es ist transparent und konturlos, eine Art eigenschaftsloser Zwischenraum. Das Medium besänftigt so auch die Angst vor dem Nichts, den horror vacui. Noch lange werden sich die Menschen im allgemeinen und die Wissenschafter im speziellen nicht vorstellen können, das sich im Nichts etwas fortbewegen kann. Als im 18. Jahrhundert Magnetismus und Schwerkraft intensiv diskutiert werden, lebt die Vorstellung des zwischenräumlichen Mediums erneut auf.

Bereits im 17. Jahrhundert erlebt die Medienthematik einen Aufschwung. Das Interesse an Optik und Akustik bringt die Frage nach Transportmedien für Licht und Schall aufs Tapet.

Die Romantik bringt eine radikale Verschiebung. Das Konzept des Mediums wird in die Kunstbetrachtung eingebracht. Medien sind in einem Kontext der Produktion Elemente der Ermöglichung. Medien ermöglichen die Hervorbringung von Abbildern. Weil diese Abbilder produziert sind und nicht einfach eine Kopie des Abgebildeten darstellen, bergen Medien das Potential der Entfremdung und Täuschung. Damit setzt eine negative Bewertung des Medialen ein die dem Begriff bis heute anhängt.

Sie scheint auch in der aktuellen Web 2.0 Diskussion auf, wenn den (verfälschten) institutionalisierten Massenmedien eine (ursprüngliche, unmittelbare) Medienszene von Citizen JournalistInnen und Bloggern gegenübergestellt wird.

Die Entwicklung der Nachrichtenübertragung, die im 19. Jahrhundert mit dem Telegraphen einsetzt, bewirkt eine neuerliche Verschiebung der Wahrnehmung des Medialen. Es erscheint ein neuer Bedeutungsstrang. Das Ökosystem der Zeichen wird mathematisiert und technisiert. Das Medium wird kybernetisch – zum Kanal für den reibungslosen Fluss der Signale.

* * *

Nach den ersten paar Dutzend Seiten hinterlässt das Buch einen ausgezeichneten Eindruck. Knapp und doch verständlich werden Entwicklungslinien und die Vielfalt der Einflüsse ins Licht gerückt.

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

Neue Phase der globalen Massenkultur

Medienwandel 3: In historischer Perspektive

Mit einigen allgemeinen Bemerkungen kommen wir zum Schluss dieser kleinen Serie. Im Herbst wird sich die Lesegruppe der Digitalen Allmend einem neuen Themenschwerpunkt zuwenden.

Es ist nicht so, dass erst das Web 2.0 hat die Globalisierung der Kommunikation gebracht hat. Bereits im 19. Jh existierte ein weltumspannendes Kommunikationsnetz, das die Zentren über Seekabel mit Lichtgeschwindigkeit verband. Über den Börsencrash 1929 konnten sich die Funktionseliten praktisch live informieren. Neu ist in diesem Jahrhundert das Vordringen multimedialer Konnektivität in die Lebenswelt der breiten Bevölkerung.

Seit dem 19 Jahrhundert erlebt praktisch jede Generation einschneidende mediale Umwälzungen wie das Aufkommen einer politischer Presse, dann der Massenpresse Ende 19. Jahrhunderts, Radio, Filme und Zeitschriften in der Zwischenkriegszeit, TV und Kulturindustrie in der 2. Hälfte der 20. Jahrhunderts.

Den spektakulärsten Trend im 20. Jahrhundert bildet der Aufschwung der zentralisierten elektronischen Medien. Das Radio in den 30er und das Fernsehen in den 50er und 60er Jahren modifizierten den Medienkonsum massiv. Die Rolle der gedruckten Presse schrumpfte, insbesondere in den Bereichen Unterhaltung und Infotainment.

Die erste Generation elektronischer Medien brachte zentralisierte mediale Formen hervor. Die digitale Revolution treibt die Entwicklung auch am andern Ende voran und erlaubt sehr feingliedrige mediale Formen. Wie Medienhistoriker bei der Einschätzung des Fernsehens betont haben, bringen neue Medien die alten nicht einfach zum Verschwinden. Es entstehen neue Kombinationen. Wohin sich der Medienmix in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird, ist nicht voraus zu sehen.

Klar ist wohl, dass die Verschiebung auf der physischen Medieneben weitergehen wird. Die Digitaltechnik treibt den Trend voran, den Radio und Fernsehen angeschoben haben: Weg vom der dauerhaften Verbindung von Information und Papier, hin zu flüchtigeren Formen elektronischer Darstellung. Kulturgüter auf Papier dürften immer eine gewisse Rolle spielen. Wie bedeutend sie die im Alltagsleben der nächsten Jahrzehnte bleiben wird, wird sich weisen.

Es wandeln sich nicht nur die medialen Technologien und Formen. Es verändert sich auch die Medienkultur: die Art und Weise, wie die Menschen Medien und Kommunikationsmittel sehen, bewerten und in ihren Alltag einbauen.

Die neue Medienwelt ist vielfältiger in den Formen und banaler bei den Inhalten. Die neue Medienkultur ist geprägt von einem Kult des Augenblicks und des Infohäppchens. Es wäre interessant, die Leistungsfähigkeit der neuen Kommunikationskultur etwa an der jüngsten Finanzkrise zu testen. Da haben weder die alten noch die neuen Medien und schon gar nicht die Kommununikations- und Wissenskultur der Branche einen guten Eindruck hinterlassen. Hier stand die erste Generation von online-Managern auf den Kommandobrücken, den Blick auf den Blackberry geheftet. In Echtzeit versorgt mit Informationen zu Politik und Märkten. Die Bilanz ist bekanntlich verheerend. Wo es an Analyse und Tiefgang fehlt, führen Infos ins Verderben. Vielleicht hätten sich die Führungskräfte besser gelegentlich ein ökonomisches und wirtschaftshistorisches Grundlagenwerk zu Gemüte geführt, als ständig auf dem Smartphone herumzumachen.

Die Endgeräte können nichts dafür. Technik und Medien brechen neue Möglichkeitenräume auf. Es sind aber gesellschaftliche Kräfte und kulturelle Präferenzen, welche die konkrete Gestalt und den Einfluss der Medien in weitere Sphären des Lebens gestalten. Ein Anschwellen des Informationsflusses führt nicht automatisch zu mehr Pluralismus und angemessenen Einschätzungen. Wenn die Qualität der Lagebeurteilungen mit den Bitflüssen auf europäischen Internetanschlüssen und Smartphones korrelieren würde, hätte sich die aktuelle Währungs- und Schuldenkrise nicht in dieser Tiefe entwickeln können.

Ermächtigung der Machlosen?

Medienwandel 2:  Zivilgesellschaft und politische Öffentlichkeit

Das Internet und die günstig gewordenen Endgeräte haben völlig neuartige low cost Medien ermöglicht. Ohne grossen Aufwand kann mit einem Blog oder einem Facebook-Konto weltweit zugängliches Material publiziert werden. Das Potential für eine Ermächtigung der Machtlosen erscheint verheissungsvoll. Konnte dieses Potential von individuellen BürgerInnen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen in einer Weise ausgeschöpft werden, die ihre Position gegenüber grossen Playern verbessert hat? Einige Hypothesen mit Blick auf entwickelte Gesellschaften mit demokratischen Traditionen.

Quantitativ haben die öffentlich sichtbaren politischen Äusserungen dank den neuen Medien substantiell zugenommen: Blogs oder manchmal in die hunderte gehenden Kommentare auf Zeitungs-Webseiten. Politische Meinungsäusserung ist unverzichtbar. Lebhafte Diskussionen im persönlichen Umfeld oder am Arbeitsplatz, in der Bar oder Web-Kommentarspalte bilden die unverzichtbare Basis für demokratische Einflussnahme auf gesellschaftlicher Ebene.

Die Vervielfachung der neumedialen Meinungsäusserungen kann aber nicht einfach mit einer Bereicherung der öffentlichen Debatte gleichgesetzt werden. Einmal sind Beiträge zu zentralen Themen wie Klimawandel, Finanzkrise, Staatsverschuldung oder EU-Entwicklung eher dünn gesät. Zweitens ist ein Verortungsproblem sichtbar geworden.

Es gibt eine Menge berechtigte Äusserungen am ‚falschen‘ Ort:  Mündliche Statements (Pausendiskussion) erscheinen nun schriftlich etwa in Kommentarfunktionen der Tageszeitungen. Die gesellschaftliche Öffentlichkeit wird mit personalen Äusserungen geflutet. Was in einer Pausendiskussion ein spannender Beitrag ist, mutiert im öffentlichen Forum zum gähnend langweiligen weil meist nicht originellen Kommentarspaltenfüller. Drei Sätze lange Statements in einer Pausendiskussion sind dank der sprechenden Person und dem ganzen Kontext mit reichhaltigen Verweisen aufgeladen. In der anonymisierten schriftlichen Äusserung wirken die gleichen Sätze erheblich substanzärmer.

Weil manche Medienformen gratis und einfach nutzbar sind, ergiessen sich riesige Contentmengen in die Medienkanäle. Das Aufmerksamkeitsvolumen hat sich aber nicht vergrössert. Ein Aufmerksamkeitsdilemma platzt auf. Es ist keineswegs so, dass immer mehr Individuen immer mehr individuelle Meinungsäusserungen zur Kenntnis nehmen und verarbeiten. Ironischerweise werden überbordende Kommentarspalten am ehesten von den JournalistInnen des Hauses ausgewertet, als gratis angeliefertes Quellenmaterial.

In den neunziger Jahren haben digitale Medien die Utopie genährt, dass spontane mediale Selbstorganisation die traditionellen Massenmedien und ihre Auswahlfunktion überflüssig machen könnte. Die Erwartung, dass sich nun Individuen direkt und ohne Institutionalisierung auf gesellschaftlicher Ebene zur politischen Diskussionen formieren könnten, erfüllt sich nicht. Ja, die staatsfreie zivilgesellschaftliche Assoziation von Individuen für eine lebendige Gesellschaft essentiell. Andererseits sind Institutionalisierung und Professionalisierung unverzichtbar, wenn es um grosse Gebiete, grosse Volumen und Dauerhaftigkeit geht. Wenn sich die beispielsweise Umweltbewegung auf Quartiernetze und Mailinglisten beschränkt hätte, wäre der Einfluss gering geblieben.

Sicher, die Glaubwürdigkeit von Organisationen und Institution ist in den letzten zwei Jahrzehnten erodiert. Wie wird das Orientierungsvakuum gefüllt? Entwickelt haben sich Spielarten von Cyberpoupulismus zu, bei dem sich „Friends“ um charismatische Führungsfiguren scharen. Mehrere charismatische Kampagnen der letzten Jahre zeigen die Möglichkeit, auch desinstitutionalisierte und dezentrale Medien im Takt des zentralen Kampagnenmanagements tanzen zu lassen.

Bei der Betrachtung der öffentlichen Diskussion geht es keineswegs nur um den ethischen Aspekt der Bürgerbeteiligung. Es geht auch um das gute Funktionieren moderner Gesellschaften: Nur wenn ein Dutzend wichtiger Themen kritisch und intensiv diskutiert werden, können einigermassen angemessene Strategien gefunden werden. Blicken wir auf die Entwicklung in den USA oder Europa in den letzten zehn Jahren.  Da wird sich kaum jemand mit der These aus dem Fenster lehnen, die Verbreitung der Web 2.0 Medien sei Hand in Hand mit einer Verbreiterung und Belebung des gesellschaftlichen Diskureses einher gegangen.

Eher muss eine gewisse Qualitätsverschlechterung der öffentlichen Diskussion konstatiert werden. Das Gewicht professionell aufbereiteter Inhalte ist gesunken (Pressekrise in  den USA) – das relative Gewicht nicht argumentierender Äusserungen hat zugenommen. Das kann bestimmt nicht einfach den digitalen Medien angelastet werden. Hier müsste eher ein Kulturwandel im gediegenen Mittelstands diskutiert werden, der ausserhalb des Arbeitsplatzes weniger bereit ist, anspruchsvollen Inhalten Aufmerksamkeit und Geld zu widmen. Dazu passt, dass es in der Medienindustrie nur zwei von drei Branchen glänzend geht, der IT-Branche und der Werbewirtschaft. Sie sichern sich den Löwenanteil der Wertschöpfung. Die professionelle Contentproduktion zum politischen Diskurs befindet sich in einer Krise, insbesondere das journalistische Segment in den USA.

Wie ergeht es zivilgesellschaftliche Organisationen und Bewegungen im digitalen Zeitalter? Sie sind auf Medien mittlerer Reichweite angewiesen, zur Selbstorganisation, zur Strukturierung und Mobilisierung des Umfelds und zum Einwirken auf die Öffentlichkeit. Basisbewegungen erscheinen prädestiniert, von den neuen Medien erheblich zu profitieren. Sie haben denn die neuen Möglichkeiten auch produktiv und phantasievoll aufgegriffen. Der Wandel hat aber trotzdem nicht zu einer relativen Stärkung zivilgesellschaftlicher Player beigetragen. Eine unmittelbare Verbesserung der medialen Infrastruktur wurde kompensiert, indem auch Wirtschaftsverbände, Konzerne und staatliche Institutionen mit grossen Ressourcen die Medien des Web 2.0 bespielen. Offenbar hängt die Stärke zivilgesellschaftlicher Bewegungen von andern Faktoren ab als von Kommunikationstechnologien.

Es gibt so etwas  wie eine machtpolitische Indifferenz medialen Wandels. Langfristig und unter demokratischen Bedingungen lässt sich die These formulieren: Medialer Form- und Technologiewandel ist machtpolitisch indifferent, solange grundlegende Mechanismen der Zugänglichkeit und Distribution nicht tangiert werden. Die Schwelle breiter medialer Handlungsfähigkeit wurde durch zivilgesellschaftliche Bewegungen bereits im 19. Jh überschritten, etwa durch das Aufkommen von Presseerzeugnissen der Arbeiterbewegung und billiger Flugblätter. Das mag ein Grund dafür sein, dass die Verbreitung digitaler Medien in demokratischen Staaten nicht zu einer Ermächtigung zivilgesellschaftlicher Bewegungen geführt hat.

Hyperplastische neue Medien

Was Medien genau sind, ist gar nicht einfach zu beschreiben (mehr dazu im Anhang unten). In der Lesegruppe der Digitalen Allmend haben wir uns ein Jahr lang mit digitalen Massenmedien und Kommunikationsmitteln beschäftigt. Manches ist nebulös geblieben, einiges ist klarer geworden. Eine vorläufige Bilanz bringen wir in knapper Form in drei Beiträgen vor.

Medienwandel 1: Charakteristika digitaler Medien

Jede Generation von Medien hat die Möglichkeiten der Kommunikation erweitert und umgestaltet. Was sind die spezifischen Eigenschaften digitaler Medien?

Digitale Medien sind hyperplastisch. Bereits ältere Medientechnologien haben vielfältige mediale Formen ermöglicht. Digitaltechnologien erlauben insbesondere in der visuellen Gestaltung und bei der funktionalen Verknüpfung äusserst breite Gestaltungsmöglichkeiten. Kontrapunkt: Der Mangel an gestalterischem Knowhow und kulturellen Leitplanken hat zu ausufernder Low Quality geführt. Als Reaktion darauf hat sich stellenweise eine restriktive gestalterische Orthodoxie etabliert – definiert etwa von Apple oder Facebook. Die Plastizität öffnet auch ein Potential in der institutionellen Dimension. Vielfältige Formen der Trägerschaft sind potentiell denkbar.

Digitale Medientechnologien sind potentiell preiswert. Extrem hoch ist die Rate der Produktivitätserhöhung bei der Verarbeitung von Informationen auf Bitebene. Das ergibt günstige Skalierungsmöglichkeiten für standardisierte Enduserangebote (Blogs, Speicher, Social Network Konto). Andererseits steigt die Einstiegsschwelle, um skalierbare Services zu betreiben (Clouds, Suchmaschinen). Das Gewicht der Grosskonzerne nimmt zu.

Mediale Formen sind neutral in Bezug auf IT-Produkte. Es gibt keine Entsprechung bestimmter IT-Produkte oder Plattformen mit medialen Formen. Die Medienschicht kann auf jeder Plattform aufsetzen, welche die entsprechenden Netzwerk- und Webprotokolle sowie die nötigen Datenbank- und Programmiertools implementiert. Anders formuliert: Technologie und Kultur sind treibende Kräfte auf zwei verschiedenen Ebenen. Technologie treibt die Ausweitung der Möglichkeitsräume voran, kulturelle Präferenzen entscheiden darüber, welche Medientypen entwickelt werden und Resonanz finden.

Hybride Medientypen entstehen. Neue Medien können hybride mediale Dimensionen integrieren. Sogenannte Soziale Netzwerke integrieren Aspekte von Directory, Repository, Micromedium und personalem Kommunikationsmittel. Auch auf einer institutionellen Ebene haben sich hybride Medienkonglomerate herausgebildet, welche traditionelle und neue Medien in eine Medieninstitution integrieren, etwa unter dem Label einer Tageszeitung oder Fernsehstation, aber auch in der medialen Infrastruktur von grösseren NGOs.

Verschiedene Aspekte der Usability neumedialer Endgeräte sind weiterhin schlechter als die Papierreferenz, insbesondere bei mobilen: Erweiterte Funktionalität bei mässiger Usability. Der saisongerechte SzenenBadi-Test: Wie viele Leute lesen Texte mit mehr als hundert Worten auf einem Smartphone oder Pad? Es gilt das Diktat: Mobility is King! Der Mobilität werden in den entsprechenden Geräteklassen ergonomische Basics wie grosse Bildschirme und optimierte Tastaturen untergeordnet. Hier ist die Stärke der Informationszugriff in Echtzeit, nicht die Qualität der Darbietung.

 

ANHANG: Was sind Medien?

Der Medienbegriff ist weit und schillernd. Er reicht von philosophischer Allgemeinheit über die Kühlmedien im Maschinenbau bis zum Verbindungsglied ins Jenseits. Wir beschäftigen uns hier mit Medien der Kommunikation.

Um den Begriff etwas zu klären, kann ein Schichtenmodell verwendet werden: Die Mediale Infrastruktur umfasst Bauten, IT Produkte, Services, Firmen. Beispiel: Eine Webserver- und Datenbankinstanz in der Cloud. In der medialen Form werden Elemente der Infrastruktur, gestalterische und strategische Elemente in einen Auftritt geformt. Beispiel: Webauftritt des Tages-Anzeigers. Der Content als kulturelles Artefakt umfasst Sinn und Bedeutung tragende Objekte, die in die Mediale Form gefüllt werden.

Eine zweite Differenzierung kann entlang der Skalierung erreichbarer Publika vorgenommen werden. Dabei können Medien (im engeren Sinn) von Mitteln interpersonaler Kommunikation unterschieden werden.

Social Web – ein Anspruch

Als letztem Schwerpunkt des Themas „Digitale Medien“ haben wir uns in der Lesegruppe zwei konkreten Medien zugewandt – Microblogs und Sozialen Online Netzwerken (OSN). Als Grundlage dient das Buch „Social Web“ aus der wissenschaftlichen Nachwuchsszene (1).

Die AutorInnen bieten reiches Material und liefern zu jedem Medium ein gut strukturiertes Kapitel. Twitter entstand 2006 aus einem firmeninternen Versuch. Im Buch werden diese Formen als Microblogging gefasst, mit dem ein abonnierbarer Strom von Kurznachrichten gespiesen wird. Als Inhaltstypen werden genannt: Nachrichten unter Privatpersonen, Breaking News, politische Mobilisierung, Fachinformation, Kundenkommunikation wie das erfolgreiche Dell Outlet. Dass die bekannte Notlandung auf dem Hudson zuerst über Twitter verbreitet wurde, wirkt eher anekdotisch als beweiskräftig für die Relevanz dieses Kanals.

Leider fehlt hier wie andernorts eine distanzierte Einordnung und kritische Wertung. Gerade bei Twitter ist ein Kernelement diskutabel, wenn der Anspruch eines öffentlichen Mediums erhoben wird: die hierarchische Struktur und das Konzept der Follower, der Gefolgschaft. Das erinnert etwas an sektenförmige Muster – weniger an kritische Medienrezeption. Problematisch ist natürlich nicht der Grossteil der pragmatischen Nutzungen, sondern die kulturelle Akzeptanz des Gefolgschaftskonzepts. Sie entspricht durchaus einem Aspekt des Zeitgeistes, der sich von Institutionen ab und Führungsfiguren zuwendet.

Die Verbreitung und Relevanz von Twitter ist beschränkt geblieben. Die AutorInnen zitieren eine Umfrage aus Deutschland. Intensive Twitternutzung findet sich bei jüngeren, akademisch gebildeten Männern, die in Städten leben und der IT nahestehen. Das entspricht in etwa den Erfahrungen der Diskussionsteilnehmer. Zur Möglichkeit, Mircroblogs in der betrieblichen Kommunikation einzusetzen, wird in der Diskussion die Effizienzfrage aufgeworfen: Bringt die Vermehrung der Aufmerksamkeit heischenden Kanäle wirklich etwas?

Soziale Netzwerke respektive Online Social Networks (OSNs) haben sich in den letzten Jahren massiv verbreitet, allerdings nicht im ersten Anlauf, wie die AutorInnen feststellen. Bereits 1997 kam der Dienst Sixdegrees auf den Markt, ohne auf relevantes Echo zu stossen.

Die AutorInnen referieren das „Small World“ Konzept aus den 1960er Jahren, das auf die Feststellung hinausläuft, dass alle mit allen über maximal sechs Knoten verbunden sind. Wenn auch mit etwas Vorsicht präsentieren sie OSNs als Realisationsmöglichkeit für globales Beziehungspotential. Fragwürdig ist dieser Hang zur Stilisierung, wenn OSNs als wichtiges Akkumulationsinstrument für „soziales Kapital“ (Bourdieu) präsentiert werden. Wohl eher trifft das Gegenteil zu: Je relevanter die Gelegenheiten sind, bei denen Menschen ihr soziales Kapital mobilisieren, desto irrelevanter ist die Zahl der Facebook-Freunde.

Kein Zweifel: OSNs schaffen auch soziale Beziehungen. Was sich auf OSNs abspielt und repräsentiert, ist aber nur ein sehr limitierter Teile des sozialen Ganzen. Dieses Verhältnis zwischen Teil und Ganzem würden wir in einer akademischen Publikation gern diskutiert sehen. Ebenso das entsprechende illusionäre Potential, das einen Teil der Nutzer verleiten mag, den Gehalt der auf einem technischen System repräsentierten Beziehungen zu überschätzen.

Die meisten NutzerInnen der OSNs machen sich im Alltag wohl kaum allzu viele Illusionen. Interessant wäre es zu sehen, welche Nutzungsmuster in welchen Schichten verbreitet sind. Attraktiv dürften verschiedene Elemente sein: Die Directory-Struktur garantiert Individuen und Organisationen ein dauerhafte, auffindbare Präsenz: Facebook als Telefonbuch 2.0. Neu ist nun aber, dass sich an diese Directory-Präsenz vielfältige mediale Formen anhängen lassen, die von Präsentationen bis zu Kontaktaufnahme gehen. OSNs sind ein hybrides Kommunikationsmittel, das Elemente von Directory, Kontaktbörse, personaler Kommunikation und Massenmedium zusammenfügt.

In der Diskussion sind keine Kontroversen hochgeschwappt. Der Social Network Hype der letzten Jahre ist abgeklungen. Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang sich OSNs dauerhaft in die Alltagskulturverwurzeln. Die Directorystruktur, die NutzerInnen ohne grossen Aufwand eine dauerhafte Präsenz ermöglicht, dürfte OSNs mehr Zukunftsfestigkeit verleihen, als anderen Erscheinungen. Zu hoffen ist, dass OSNs zu von einer Plattform zu einem Protokoll werden. Statt auf der Infrastruktur eines Grosskonzerns zu kleben, könnten kleinere Netze und Einzelinstanzen als kompatible Module miteinander interagieren.

1) Anja Ebersbach, Markus Glaser, Richard Heigl: Social Web. 2. überarbeitete Auflage. 2011, 316 Seiten ISBN 978-3-8252-3065-4. Das Buch bietet eine faktenreiche Übersicht.

Neue Medien und politische Öffentlichkeit

Die Lesegruppe der DA beschäftigt sich damit anhand eines Kapitels aus der Publikation «The 21st century media (r)evolution. Emergent communication practices» von Jim Macnamara, englisch erschienen 2010 im Verlag Peter Lang, New York.

Darin geht Macnamara, Professor für Öffentlichkeits-Kommunikation an der University of Technology in Sydney, Entwicklungen und Zukunftstendenzen medial vermittelter – und gestalteter – Politik nach.
Während der Zugang zur Verbreitung von Standpunkten via Massenmedien nur beschränkten Personengruppen offen steht – etwa Politikern, Journalisten, Industriegesellschaften, etc. – und dies auch als Verlust der Bürgerstimme verstanden werden kann, sehen viele die Neuen Medien mit ihren partizipativen Möglichkeiten als Chance, demokratische Politik wieder zu beleben und die Ideale einer Bürgerbeteiligung am Staat zu verwirklichen.

Der Autor stellt zuerst verschiedene Demokratiemodelle vor, die sich im Verständnis von Art und Ausmass der Beteiligung unterscheiden. Im Hinblick auf die Chancen des einzelnen Bürgers auf Teilhabe am öffentlichen Gemeinwesen belegt er in der Folge mit vielen Literaturhinweisen optimistische wie pessimistische Einschätzungen der Web2.0 Medien als diskursiven Ort des öffentlichen Gemeinwesens.
In der Gruppe fragen wir uns, ob die enthusiastischeren Positionen nicht doch ausblenden, dass heute zwar im Prinzip jeder und jede einen Blog einrichten kann, aber deswegen noch lange nicht zur gehörten politischen Stimme wird.
Konkrete Beispiele werden dann im Text genauer verfolgt, wie etwa die Kampagnen der verschiedenen Politiker für die Parlamentswahlen in Australien im November 2007 (da etwa der Aspekt der noch mangelnden Nutzung der Interaktionsmöglichkeiten) und internationale Entwicklungen in e-democracy und e-government. Interessant ist Macnamaras Plädoyer, anstatt über den Niedergang des politischen Engagements zu lamentieren, eher die aktuellen Entwicklungen zu beobachten: «[…] perhaps it is time to abandon the political elite view of the public sphere and relocate it, where it is more accessible and more culturally relevant. Both the location and language of the public sphere are changing.» Das Internet als «übervoller, lärmiger, chaotischer Ort wettbewerbsorientierter und erbitterter Kommunikation», der so in der modernen Konzeption der öffentlichen Sphäre zuverlässig nicht vorgesehen war.