Medien ohne Aura

Die Lesegruppe der Digitalen Allmend ist am 12. Dezember im 20. Jahrhundert angelangt. Zur Diskussion standen marxistische Ansätze der Medientheorie aus der Zwischenkriegszeit. Mersch (1) weist darauf hin, dass im späten 19. Jh das Aufkommen der Massenpresse und die Diskussion um die Massengesellschaft völlig neue Voraussetzungen für die Debatte um die Medien geschaffen haben.

Der Literat und Filmkritiker Béla Balász rückt allerdings nicht die gedruckte Massenpresse, sondern die Fotografie und den aufkommenden Film ins Zentrum des Interesses. Mit Bild versus Wort und Text stellt er zwei Mediensysteme einander gegenüber. Er kritisiert vehement einen Primat der Sprache und verweist auf die Mächtigkeit des bildhaften Ausdrückens und Zeigens. Balász vermittelt die Vorstellung einer universellen Bildsprache.

Walter Benjamin positioniert seine Medienbetrachtungen im Kontext des marxistischen Unterbau/Überbau Schemas. Das heisst nun aber nicht, dass Elemente wie Macht, Besitz, Entfremdung oder Ideologiekritik als Instrumentarium dienen würden. Vielmehr rück Benjamin die Technik ins Zentrum und bindet auch seinen Aura-Begriff daran. Aura wird einmal mit Singularität und Echtheit assoziiert – Aura kann darum den technisch reproduzierten Objekten nicht mehr anhaften. Aura wird aber an verschiedenen Stellen von Benjamins Werk mit weiteren Bedeutungen angereichert, etwa als „Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag“. In diesem Sinn gefasst sind wären aureatische Momente eigentlich auch für Betrachter multimedialer Produkte vorstellbar.

Mersch bezeichnet Benjamins Aura-Begriff wohlwollend als „schillernd“. In der Leserunde schwappte eine interessante Diskussion hoch, ob da überhaupt eine Theorie oder auch nur ein analytisches Konzept vorliegt. Die eine Seite betont die Fruchtbarkeit von Benjamins Ansätzen, die andere sieht kein Gerüst eines konsistenten begrifflichen Systems, was als Theorie bezeichnet werden könnte.

Neben der Aura ist der Begriff der Montage zentral bei Benjamin. Die Montage, die Zersplitterung als Produktionsbedingung, bildet das mediale Kernelement des Films. Benjamin konstatiert beim Film auch einen neuen Illusionsmechanismus. Der produzierende Mechanismus bleibt verhüllt, es gibt keinen Bühnenrand, der die Grenze zu einer andern Sphäre markiert.

Benjamin folgert nun nicht, dass diese neuen Illusionsmechanismen in eine dauerhafte Verblendung der Massen durch die kapitalistische Kulturindustrie führen würden. Vielmehr diagnostiziert er, dass die Abkehr vom aureatischen Kunstwerk das Wahrnehmungsverhalten umwälzt und politisches Emanzipationspotential freisetzt.

Das Thema der Verblendung wurde durch Adorno und Horkheimer im Konzept der Kulturindustrie ausgearbeitet. Die technischen Medien sind das Distributionsnetz und Verkaufsinfrastruktur von kulturellen Waren, welche an Stelle einer zerfallenden politischen Öffentlichkeit tritt.

Die entsprechende Manipulationsthese hatte in den 70er Jahren grossen Anhang. Enzensberger kritisierte die Absolutheit der These. Es ist nicht möglich, aus einen Zentrum heraus widerspruchsfreie Ideologie zu produzieren. Kommunikation bringt immer Widerspruchsmöglichkeiten mit sich. Das aktuelle Mediensystem liesse sich auch ganz anders nutzen. Baudrillard hat Enzensberger kritisiert. Er gehe von einem naiven Kommunikationsmodell aus. In der Tat nahm dann Enzensberger Abstand von seinem Konzept eines formbaren Medienbaukastens.

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

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