Kurzbericht von Hartwig Thomas
Die Urheberrechtsgespräche des IGE finden einmal jährlich statt. Anwesend waren rund 50 Teilnehmer verschiedener am Urheberrecht interessierter Kreise. Diese konnten zu Themen referieren, die sie zum Urheberrecht ins Gespräch bringen wollen. Auf jedes Referat folgt eine Diskussion.
Agenda
1. Begrüssung
2. Vortrag: Dominique Diserens: Recht auf angemessene Entschädigung
3. Vortrag: Christoph Schütz: Lichtbildschutz
4. Vortrag: Peter Mosimann: Durchsetzung von Schranken im digitalen Umfeld
5. Vortrag: Hartwig Thomas: Urheberrechtsanmassung – Copyfraud
6. Varia
Zu 2. und 5. wurden schriftliche Unterlagen an die Teilnehmer verschickt.
1. Begrüssung
Felix Addor eröffnete die Sitzung und hielt fest, dass es in der Sitzung nicht um AGUR12 gehen werde. Der AGUR12-Schlussbericht ist veröffentlicht und an Bundesrätin Simonetta Sommaruga übergeben worden. Der Bundesrat hat noch nicht mitgeteilt, was mit dem Bericht geschehen wird. Die Interpellation Gutzwiller fordert den Bundesrat auf, seine Beurteilung des Berichts und die nächsten Schritte bekanntzugeben. Der Bundesrat wird die Interpellation im Nationalrat am 02.06.2014 beantworten.
Ausserdem ist die parlamentarische Initiative „Schluss mit der ungerechten Abgabe auf leeren Datenträgern“ in der WAK-NR zwar abgelehnt worden, dafür eine Kommissionsmotion (wusste nicht, dass es so was gibt – man lernt nie aus!) lanciert worden, die den Bundesrat beauftragt, Alternativen zur aktuellen Abgabe auf leeren Datenträgern zu unterbreiten.
Schliesslich erwähnt Felix Addor drei EuGH-Urteile
27.03.14: Zugangssperren können mit den Grundrechten vereinbar sein.
08.04.14: Vorratsdatenspeicherung kann mit Privatsphärenschutz kollidieren.
10.04.14: Download aus illegaler Quelle ist illegal [muss aber nicht unbedingt verfolgt werden HT].
Generell ist zu bemerken, dass das Geistige Eigentum die Politik bewegt und eine Flut von Eingaben vom IGE bearbeitet werden muss.
2. Vortrag: Dominique Diserens: Recht auf angemessene Entschädigung
Frau Diserens fordert ein Urhebervertragsrecht und ein im Gesetz verankertes Recht auf angemessene Entschädigung. URG Art 16a würde dann neu lauten:
1. Jedes Nutzungsrecht kann vom Urheber oder seinen Erben nur gegen eine angemessene Vergütung übertragen werden. Dieser Anspruch auf Vergütung ist nicht abtretbar und unverzichtbar.
2. Steht die vertragliche Vergütung in einem Missverhältnis zur Intensität der Nutzung, haben der Urheber oder dessen Erben Anspruch auf zusätzliche Vergütung.
Dieser Vorschlag war schon in der AGUR12 eingebracht worden, wo er keine Mehrheit fand.
Meine Frage, ob damit CC-Lizenzen verboten würden, wurde etwas spitzfindig damit beantwortet, dass man mit CC-Lizenzen keine Nutzungsrechte abtrete.
Der Vorschlag ist ein massiver Eingriff in die Vertragsfreiheit, der auch die Meinungsfreiheit streifen dürfte.
3. Vortrag: Christoph Schütz: Lichtbildschutz
Christoph Schütz und seine USPP stören sich an der Unterscheidung zwischen geschützten Foto-“Werken“ und Fotos ohne Urheberrechtsschutz – insbesondere die wenigen Urteile zu dieser Frage wenig überzeugend sind. Er möchte, dass alle Fotos einem „verwandten Schutzrecht“ unterstellt werden.
Das sei in vielen Ländern Europas heute die Norm.
In der Diskussion habe ich gelernt, warum man die „verwandten Schutzrechte“ des Schweizer URG nicht als „Leistungsschutz“ bezeichnen sollte. Richtiger wäre „Interpretenschutz“. Es geht nicht um das Erbringen einer Leistung – das tut jeder ehrlich arbeitende Mensch, ohne vom Urheberrecht geschützt zu werden – sondern um die Interpretation – etwa des Drehbuchs durch Regisseur und Schauspieler, oder der Komposition durch Musiker. Die Interpreten erbringen offenbar auch eine kreative Leistung, wenn auch anscheinend etwas minderer Art, wie man am Schutzfristenvergleich zwischen Urheberrechten und verwandten Schutzrechten ablesen kann. Darum werden sie im Urheberrecht geschützt. Für einen „Leistungsschutz für Zeitungsverleger“, wie er 2009 vom SP-Präsident Hans-Jürg Fehr im Postulat „Pressevielfalt sichern“ gefordert wurde, ist im URG kein Platz.
4. Vortrag: Peter Mosimann: Durchsetzung von Schranken im digitalen Umfeld
In diesem interessanten Vortrag werden zwei Fehlentwicklungen des Urheberrechts vorgestellt und ein Vorschlag zu deren Behebung präsentiert, der offenbar in der AGUR12 auch keine Mehrheit fand.
Im ersten Teil ging es um explodierende Kosten für das Kopieren wissenschaftlicher Artikel durch Bibliotheken. Im zweiten Teil ging es um Mehrfachbelastungen durch die Kollektivverwertung bei Streaming am Beispiel von spotify. Im von Mosimann zitierten, abgeschmetterten AGUR12-Vorschlag des DUN zu einem neuen Artikel 28bis des URG wird das „Fehlen einer Aufsicht über das Verwertungs- und Vergütungssystem“ bemängelt.
Die für mich schockierendste Graphik dokumentierte die Kosten der Schweizer Universitätsbibliotheken für wissenschaftliche Artikel. Diese nahm in den letzten Jahren laufend zu und stieg 2011, im letzten Jahr der Statistik, um 100% auf das Doppelte des Vorjahrs an (von ca. 6 Mio CHF 2010 auf ca. 12 Mio CHF 2011 ) an.
5. Vortrag: Hartwig Thomas: Urheberrechtsanmassung – Copyfraud
Ich habe die massive Zunahme von Copyfraud an verschiedenen Beispielen dargestellt:
- UEFA zensiert Dokumentation der Greenpeace-Aktion im Basler Stadion auf YouTube am Tag nach der Aktion unter Berufung auf Urheberrechte, obwohl „News“ gemeinfrei sind.
- Der Diogenes-Verlag behauptet standfest – auch nach Anfragen – , dass das Urheberrecht an Kafkas Texten bei ihm liege, obwohl diese Texte gemeinfrei sind, weil Kafka 1924 gestorben ist.
- Eine obskure amerikanische Firma beansprucht Urheberrecht am Hintergrundsrauschen eines privaten Videos, der den Überflug eines AKW beinhaltet, unter dem Titel „Nuclear Sound“.
- Das Landesmuseum hat ein Plakat „Marie Curie im Labor“ zur Ausstellung 1900-1914 mit einer Fotografie publiziert, die mit dem Vermerk „1905, Fotograf unbekannt, © Bettmann/Corbis“. Der Vermerk bezieht sich eindeutig auf die Fotografie und nicht auf das gestaltete Plakte. Die Fotografie ist schon längst gemeinfrei.
Fazit
Copyfraud ist eine unrechtmässige private Aneignung geistigen Allgemeinguts.
Die Proliferation von Copyfraud mindert den Respekt vor berechtigten Urheberrechtsansprüchen.
Copyfraud kann praktisch nicht sanktioniert werden. Nur Ignorieren mutmasslich falscher Urheberrechtsanmassungen hilft.
Copyfraud wird von strengem Urheberrechtsschutz gefördert. Wer sich im Zweifelsfall ein unberechtigtes Urheberrecht anmasst, muss nicht mit denselben Sanktionen rechnen, wie jemand, der ein berechtigtes Urheberrecht verletzt.
Beim von der AGUR12 vorgeschlagenen Notice-Takedown-Verfahren ist darauf zu achten, dass es den Copyfraud nicht fördert.
Alle Massnahmen zum Schutz privaten geistigen Eigentums sollten auch zum Schutz des öffentlichen geistigen Eigentums eingesetzt werden.
In der Diskussion wird festgestellt, dass es sich um ein relativ unbekanntes Thema handelt. Es gibt nur ein Buch, das sich mit Copyfraud beschäftigt. Eigentlich sei der Missbrauch und die Anmassung in anderen Bereichen des geistigen Eigentums (Marken, Patenten, …) noch viel schlimmer. BioPiracy wird erwähnt. Das Abmahnwesen in Deutschland, das eine Folge der Kriminalisierung des „illegalen“ Downloads ist, lebt zu einem beträchtlichen Teil von ungerechtfertigten Urheberrechtsanmassungen. Dass man Urheberrechtsanmassungen bekämpfen müsse, wird nicht bestritten.
6. Varia
Unter Varia wurde gefragt, worum es bei der im Bericht des IGE erwähnten teilweise gutheissenen Beschwerde gegen eine Verwertungsgesellschaft ging. Die Antwort: Es handelte sich um ungenügende bis unrichtige Information der Mitglieder der Verwertungsgesellschaft bezüglich einer Tarifanmeldung.
Vorschläge zu Themen für das Urheberrechtsgespräch im April 2015 sollten bis Januar 2015 eingereicht werden.
Apéro
Nach der Sitzung habe ich im lockeren Gespräch mit Felix Addor erfahren, dass nächste Woche eine wichtige Patentrechtseinschränkung im Nationalrat unter dem Titel „Behandlungsfreiheit für Ärzte“ behandelt wird.
1. Mai 2014 Hartwig Thomas