e-rara – Anfrage zur widersprüchlichen Nutzungslizenz bei Public Domain Werken

Wir haben heute folgendes E-Mail an das e-rara Projekt geschickt, um sie auf ein Problem ihrer Nutzungslizenz aufmerksam zu machen. Auf E-rara werden digitalisierte alte Drucke aus Schweizer Bibliotheken zur Verfügung gestellt.

Mit grossem Interesse haben wir die Publikation wichtiger Dokumente des kulturellen Erbes auf der Website e-rara.ch zur Kenntnis genommen.

Als Verein “Digitale Allmend” setzen wir uns für einen möglichst offenen Zugang zu Informationen ein. Daher begrüssen wir Ihre Dienstleistung sehr und würden Sie gerne als “Vorbild” in unserem Blog und anderen Auftritten erwähnen.

Was uns irritiert sind allerdings die Nutzungsbedingungen.

Soweit wir das beurteilen können, handelt es sich vollumfänglich um Werke, deren Urheberrechtsschutz abgelaufen ist und damit gemeinfrei sind. In den Nutzungsbedingungen schreiben sie jedoch, dass sämtliche Werke unter einer Creative Commons “by-nc-sa”-Lizenz stehen. Zusätzlich gibt es einen Widerspruch zwischen der durch die Angabe einer CC Lizenz erlaubten Weiterverbreitung eines Werkes und ihrer Angabe, dass die Werke nicht auf anderen Servern gespeichert werden dürfen.

Es ist ihnen selbstverständlich unbenommen, für die Dienstleistung der Erstellung der Scans Gebühren zu erheben. Wenn diese Scans jedoch veröffentlicht werden, sind sie gemeinfrei, denn durch den Vorgang des Scannens entsteht kein urheberrechtlich geschütztes Werk.

Als Schweizer Vertreter von Creative Commons möchten wir Sie darauf hinweisen, dass diese Lizenzform nicht korrekt ist. Gemeinfreie Werke können nicht unter eine CC-Lizenz gestellt werden, sondern sind eben gemeinfrei. Jedermann ist befugt mit den Werken zu machen was er will.

Gerne erwarten wir Ihre Stellungnahme und stehen Ihnen bei Fragen rund um Creative Commons jederzeit gerne zur Verfügung.

Mit bestem Gruss und Gratulation für die Bemühungen um das kulturelle Erbe der Schweiz.

Für die Digitale Allmend und Team_CC Switzerland.

23.3.2010 – Domaine public Referat an der OpenExpo in Bern

An der OpenExpo vom 23/24. März in Bern gibt es einen Tag zum Thema “Digitale Nachhaltigkeit”. An der Veranstaltung gibt es auch ein Referat von Allmend Mitglied Wolf Ludwig zu:

Domaine public Oder die Sicherung des öffentlichen Raums im Internet

Comunica-ch, die Schweizer Plattform zur Informationsgesellschaft, widmet sich der Vision einer Domaine public in der Schweiz und hat dazu eine Kampagne lanciert, die im Rahmen des Referats ausführlich erläutert wird.

Details zur Veranstaltung und den vielen anderen spannenden Vorträgen.

Austritt aus der Koalition für kulturelle Diversität

Die Digitale Allmend ist per sofort aus der Koalition für kulturelle Diversität ausgetreten, da unser Gesuch für einen tieferen Jahresbeitrag abgelehnt wurde. Die Digitale Allmend bedauert den Entscheid des Vorstandes der Koalition. Die Digitale Allmend unterstützt zwar im Prinzip die Anliegen der Koalition und findet es deshalb schade, dass die Mitgliedschaft vorwiegend an die Finanzierung der Koalition gebunden ist und damit kleinere und finanzschwache Gruppen ausschliesst.

Die Digitale Allmend wünscht der Koalition ein gutes Weiterbestehen und hofft, dass trotz ihrem Austritt in Zukunft auch kontroverse Anliegen wie Creative Commons, Open Access, Public Domain und Free/Open Cultures behandelt werden.

1.1.2010 13-19 Uhr Public Domain Day

Generationenübergreifender Neujahrsbrunch für Kinder und Erwachsene ebenso

Wir begrüssen an diesem Tag eine Reihe von Werken, die als Gemeineigentum verfügbar sind. Dabei handelt es sich um all jene Werke, die von Menschen erstellt wurden, die im Jahr 1939 gestorben sind.

Alle gesammelten Werke sind online verfügbar. Auf wildprovider.freehostia.com wird von 1.-30.Dezember täglich ein Link zu einem freien Werk vorgestellt.

Gemeinsam mit unseren Kindern verändern und bearbeiten wir eine Auswahl dieser Werke, die ab sofort unseren Kindern gehören.

So singen wir vereint das Dachaulied nach Jura Soyver im Karaokestil mit Ekaraoke.net, bereiten das grösste Müesli der Welt zur Freude von Maximilian Bircher-Benner, produzieren eine originale kollaborativ-dadaistische Collage mit Werken von Alphonse Mucha, Hermann Hirzel und Adolf Brütt, übersetzen Gedichte von
Roth, Duun und Aav während Filme nach Zane Grey und von Max Skladanowsky zum kostenlosen Download sowie bedeutende Jazzwerke in den Röhrenapparaten laufen. Daneben haben wir Zeit für einen gemütlichen Kaffee und brunchen ins neue Jahr mit der Gesamtausgabe von Sigmund Freud’s Psychoanalyse als Kopie.

So retten wir ein Stück kulturelles Erbe für unsere Kinder mit Top Unterhaltung.

Eine Veranstaltung von Dock18, Digitale Allmend und Wikimedia Schweiz.

Was ist Public Domain?
Unter Public Domain werden frei verfügbare Werke verstanden, wie zum Beispiele Literatur Musik oder Software. Werke im Public Domain unterliegen nicht oder nicht mehr dem Urheberrecht. Das Urheberrecht für Werke ist zetlich beschränkt, weshalb alle Werke längerfristig in den Public Domain fallen. Die zeitliche Beschränkung führt dazu, dass die Werke frei genutzt, d.h. vervielfältigt und verändert werden dürfen. Es ist ein Kompromiss zwischen den Interessen der Öffentlichkeit und des Urhebers. In den meisten Ländern ist dies 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers der Fall. Am 1.1.2010 werden alle Werke von Urhebern, welche 1939 gestorben sind frei. Zum Teil gibt es noch kürzere Übergangsfristen, weshalb in gewissen Staaten Werke schon früher im Public Domain sein können.

Public Domain Day
Für Kinder und Erwachsene ebenso
Cabaret Voltaire, Spiegelgasse 1, Zürich
http://www.cabaretvoltaire.ch/

1.1.2010
13-19 Uhr

Bericht zum VI. COMMUNIA-Workshop, Oktober 09 in Barcelona

Die Digitale Allmend ist neues Mitglied von Communia des europäischen Netzwerkes zum Thema Digitaler Public Domain. Wolf hat einen Bericht des letzten Workshops geschrieben:

Bericht zum VI. COMMUNIA-Workshop, Oktober 09 in Barcelona

Nach der ziemlich aufwändigen Formalisierung unserer Neu-Mitgliedschaft im Communia- Netzwerk, die Dank Daniels Unterstützung zügig abgeschlossen werden konnte, war ich ziemlich gespannt auf Einstieg und Inhalte beim Workshop in Barcelona zum Thema: Memory Institutions and Public Domain. Die Veranstaltung fand in der altehrwürdigen Universität im Stadtzentrum statt, was atmosphärisch sehr angenehm und vorteilhaft war. Im Vergleich zu einem früheren WS in London gab es diesmal auch einen guten Internet-Zugang, lediglich mit der Stromzufuhr haperte es, wenn sich Dutzende von Teilnehmenden um wenige Steckdosen rangelten.

Der Vor-Workshop am ersten Tag hatte eher informellen Charakter. Beim ersten Traktandum am Vormittag ging es um die Vorbereitung der nächsten (und vorläufig letzten) Communia-Konferenz 2010 und erste Planungsentwürfe. Bei diesem Topic wie auch beim nächsten Policy Ad-hoc Group Meeting, wobei die ersten Policy Recommendations (Entwurf siehe Website) diskutiert wurden, war es nicht nur für Neulinge schwierig, einen Einstieg oder Zugang zu finden. Der Raum (eine kleine Neben-Bibliothek) war viel zu klein für die Anzahl der Teilnehmenden; die Netzwerk-Leader versammelten sich um einen Konferenztisch, der Rest sass dicht gedrängt auf den hinteren Plätzen an den Wänden, was für eine inklusive Diskussionsdynamik nicht sehr zuträglich war. Dementsprechend debattierten am Vormittag die Schlüsselpersonen und Wortführer im Netzwerk weitgehend unter sich, der überwiegende Rest hörte zu und versuchte sich zu orientieren. Für Neulinge nachteilig war ausserdem, dass es in den spärlichen Konferenzunterlagen keine Teilnehmerliste gab, womit man besser Namen und Gesichter in einem neuen Umfeld hätte zuordnen können. Die ersten zögerlichen Kontaktaufnahmen fanden daher in den Kaffee- und Mittagspausen statt; u. a. mit Peter Troxler (einigen von euch sicher bekannt), der mir dann noch einige Hintergrundinfos lieferte, was die Orientierung verbessern half.

Am Nachmittag standen dann Gruppenarbeiten in den verschiedenen Communia-Working groups auf dem Programm. Habe davon die WG 1/5 EduScience gewählt (in die ich mich vorab schon eingetragen hatte und auf die ich mich weiterhin konzentrieren werde). Einen richtigen Einstieg und Zugang fand ich erst in dieser Arbeitsgruppe, die offen und strukturiert diskutierte. Dabei ging es erstmal um den zu überarbeitenden Entwurf eines Fragebogens, mit dem Mitglieder in den jeweiligen Ländern die Open-Access- Voraussetzungen von Universitäten verifizieren können (Musterexemplare habe ich nur als Handouts und kann euch diese für unser nächstes Kerngruppen-Treffen kopieren). Mit der überarbeiteten (End-)Fassung des Fragebogens sollen dann im nächsten Jahr – je nach Kapazitäten – ein bis zwei Universitäten pro Land befragt und erfasst werden. Für die Schweiz naheliegend wären die Uni St. Gallen (via Urs Gasser) und die Uni ZH (via unsere Kerngruppe). Den Rest des Nachmittags verbrachten wir mit einer angeregten Diskussion über den Entwurf der Policy Recommendations insbesondere in Bezug auf unseren WG-Focus Bildung (Education) und Forschung (Research). Bei der Diskussion wurde angemerkt, dass der bisherige Entwurf eine relativ enge Public Domain-Definition setzt und einige gesellschaftliche Bereiche aussen vor lässt, die durchaus einbezogen oder zumindest reflektiert werden sollten. Grundsätzlich gehört dieses Thema jedoch eher zur WG 6 zum Mapping the Public Domain. Die Policy Recommendations zählen zu den zentralen Empfehlungen zum (evtl. vorläufigen) Abschluss des Projekts im Herbst 2010. (Weitere Infos zur WG 1/5 siehe am Ende des Berichts unter „Notes“)

Communia-WS on Memory Instutions

Der eigentliche Communia-WS fand am zweiten Tag in einem offizielleren Rahmen statt unter Beteiligung zahlreicher ReferentInnen zu den Erfahrungen verschiedener Memory Institions (überwiegend aus Spanien – siehe Programm http://communia-project.eu/ws06).
Am zweiten Tag dachte ich mehrmals, dass eigentlich besser Hartwig hier sein sollte, der an diesem Thema Memory Institutions viel näher dran ist als ich. Die Vorträge und Präsentationen an diesem Vormittag könnte man durchaus als wohlgemeinten „Overkill“ an Informationen bezeichnen; zwischen 9.00 und 14.00 Uhr reihten sich (mit einer Pause) neun Referate aneinander, recht unterschiedlich auch in der Form und englischsprachigen Präsentation (z. T. schwer verständlich). Ich hatte zwischendurch jedenfalls Mühe, diesen geballten Darbietungen konzentriert zu folgen. Unklar war dabei teilweise auch, in wieweit die vorgestellte Arbeit und Projekte der verschiedenen Memory Institutionen mit der Public Domain zu tun haben? Oder: kann/muss man davon ausgehen, dass alle diese Institutionen per se zur Public Domain gehören? Bei einzelnen Referaten wie von Ben White von der British Library war das klar heraus gearbeitet. Dieser konzentrierte sich im Wesentlichen auf die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen und nötigen Ausnahmeregelungen für Langzeitarchivierung und Nutzung. Eine seiner zentralen Empfehlungen (policy recommendations) war, dass es europaweit vermehrt Investitionen bedarf, um die vorhandenen Bestände zu digitalisieren, und dies sollte mit dem klaren Focus auf die Public Domain erfolgen. Siehe auch WS-Tagesprogramm unter http://communia-project.eu/ws06.

Auch bei den meisten nachfolgenden Präsentationen ging es im Wesentlichen immer wieder um rechtliche Beschränkungen des geltenden Urheberrechts und die Frage, wie Nachhaltigkeit, Langzeitarchivierung, offener Zugang etc. am besten gewährleistet werden können. Auch der Vortrag von Georg Eckes (deutsches Filminstitut, Frankfurt) über das EU-geförderte European Film Gateway behandelte die Schwierigkeiten beim Ausbau der Europeana, Europas digitaler Bibliothek, der massiv von einem altertümlichen Urheberrechtsschutz behindert wird. Und auch Eckes machte deutlich, dass solche Projekte ohne einen einheitlichen Rechtsrahmen wie eine Reform des gängigen UHR immer wieder an ihre Grenzen stossen, worüber die EU-Kommission nun zumindest nachdenken will.

Spannend waren auch einzelne Präsentationen wie die von Maja Bogataj vom Slowenischen Institut für geistiges Eigentum, die über Besonderheiten des erst spät an europäische Standards angeglichenen slowenischen Urheberrechts sprach (A mistake or an opportunity?). Interessante Fallbeispiele waren auch solche der nordspanischen Stadt Girona, wo der Stadtrat eigene Open-Access-Regelungen fürs Stadtarchiv entwickelte. Oder auch private Initiativen, Projekte und digitale Plattformen für Kunst, die mit freier Software und freien Lizenzen geschaffen wurden (Fundacio Antoni Tapies, Barcelona).

Die meisten dieser Präsentationen des WS-Programms können inzwischen von der Communia-Website herunter geladen werden – siehe: http://communia-project.eu/ws06 . Die meisten Vorträge des überfüllten Vormittag-Programms waren naheliegenderweise aus Spanien, wohl auch um der erstaunlichen Vielfalt solcher Projekte dort Rechnung zu tragen. Auch ich war überrascht, dass sich diese Grundsatzfragen um die Public Domain offenbar nicht mehr auf den wissenschaftlichen/universitären Bereich beschränken, sondern inzwischen viele Archive und Bibliotheken beschäftigen. Beim Nachmittagsprogramm und Abschluss des Barcelona-Workshops war meine Konzentrationsfähigkeit schon arg strapaziert. Die beiden abschliessenden Referate von Victoria Reich (Standford University) über Preserving the Public Domain sowie von David Giaretta (Rutherford, UK) über Future demands on memory institutions in the digital world könnt ihr auch unter dem o. g. Link von der Website einsehen ;-).

Für mich war dieser erste Communia-WS ein interessanter und geballter Auftakt mit viel Inhalten
und neuen Leuten, die für unser DA-Networking gewiss wichtig sind (bei allen erwähnten Anlaufschwierigkeiten). Anzumerken bleibt, dass wir erst spät zu diesem Projekt als Mitglied kamen, wo das vorläufige Ende der Übung im nächsten Jahr bereits absehbar ist. Doch den Endspurt sollten wir noch nutzen.

Neuchâtel, Oktober 09 / Wolf
Ludwig

Ökologie der Information

In seinem Buch «The Public Domain» fordert James Boyle „an environmentalism for information“ – ein Ökologie(bewegung) für Information. Dabei sucht er einen Weg zwischen allgemeinen Konzepten einerseits und konkreten Forderungen andererseits (1).

Im entsprechenden Kapitel 10 geht Boyle von der Frage aus, was denn eigentlich zu den unpraktischen und behindernden Einschränkungen bei Regulierungen zum geistigen Eigentum führt. Dabei ortet er kognitive Voreingenommenheit als wichtige Ursache: Er spricht von kultureller Phobie gegenüber Offenheit – von Agoraphobie. Diese Haltung führt dazu, immer die Bedenken und Risiken (wie Spam, Viren, Piraterie) in den Vordergrund zu rücken. Als Beispiele nennt der Autor Trusted Computing und Netzneutralität. Boyle räumt durchaus ein, dass Offenheit nicht immer angemessen ist. Als Grundhaltung hilft sie aber, das Potential von Wissenschaft und Kultur zu entfalten.

Die Lesegruppe der Digitalen Allmend diskutiert, wie weit Agoraphobie wirklich eine Mainstreamhaltung des westlichen Mittelstands sei. Immerhin sind ja auch zahlreiche Menschen bereit, in Bewegungen und Vereinen eine Reihe von Leistungen und Publikationen gratis und ohne Kontrolle in die Öffentlichkeit zu entlassen.

Boyle nimmt seine Agoraphobie-These zum Ausgangspunkt, um eine Ökologie der Information zu skizzieren, die sich in Inhalt und Form an der Umweltbewegung orientiert. Er ruft Elemente wie die Forderung nach der Internalisierung externer Kosten in Erinnerung, ohne sie im Detail auf die Informationsfreiheit zu übertragen. Ihn interessiert mehr die Entstehung einer Bewegung, welche sich für die öffentlichen Interessen der Informationsgesellschaft einsetzt – gegen starre Vorurteile und verfestigte Geisthaltungen.

Wie in der Diskussion vermerkt wird, bleiben die konkreten Forderungen des Autors ziemlich moderat, verglichen mit dem gross angelegten Konzept einer Informationsökologie. So möchte Boyle das Copyright bei Literatur auf zwanzig Jahre beschränken, dann aber eine Erneuerung auf Antrag zulassen. Als Fehlschlag im Geiste von engstirnigen politischen Interessen und Geisteshaltungen taxiert er die Europäische Datenbankdirektive. Die Aufhebung von Pharmapatenten hält er für eine schlechte Idee.

Boyle ist also weder Fundi noch Anhänger eines ‚anything goes‘. Er will konkrete Probleme angehen – mit „Ausgewogenheit, Nachdenklichkeit und empirischen Belegen“ (S. 238).

 

1) The Public Domain. Enclosing the Commons of the Mind. James Boyle, New Haven Ct, 2008. Der Autor macht das Buch auch verfügbar unter einer Creative Commons Lizenz: http://thepublicdomain.org

Gemeinfreiheit des Geistes

In seinem Buch «The Public Domain» (1) beschreibt James Boyle, Rechtsprofessor an der Duke University School of Law und Mitbegründer von Creative Commons, die aktuellen Kämpfe um die Rechte des geistigen Eigentums und bezeichnet sie gar als «Gebietskriege des Informationszeitalters».

Unsere Musik, unsere Wissenschaft, unser wirtschaftliches Gedeihen, ja unsere gesamte Kultur würden abhängen von der heiklen Balance zwischen jenem Ideengut, das jemand besitzt und kontrolliert und jenem, das öffentlich und frei ist. Natürlich sei der Schutz des Geistigen Eigentums wichtig, so dann des Autors Position, der aktuelle Umgang mit den Rechten aber unausgewogen: eine allzu wegschliessende Geste von «Symbolen, Themen, Fakten, Genen und Ideen». Boyle prognostiziert für die aktuelle Praxis fatale Auswirkungen auf die freie Rede und Kreativität, zukünftige Bildung und wissenschaftliche Innovation.

Dabei geht es ihm erst einmal um Aufklärung: Er argumentiert, dass – genauso wie jeder informierte Bürger, jede Bürgerin wenigstens ein Minimum über Umwelt, Wirtschaft oder Bürgerrechte wissen müsse – auch alle etwas vom Prinzip des Geistigen Eigentums verstehen sollten, eben weil es dabei um Regelungen zum grundlegenden Gut der Informationsgesellschaft gehe. Als eines der Hauptprobleme identifiziert er das «weit verbreitete Nichtverstehen» der Bedeutung des «Public Domain» –  also der Gesamtheit des geistigen Kollektivgutes und Materials, das jedermann ohne weitere Genehmigung und ohne Kosten frei benutzen und weitergeben darf. Der «Public Domain» müsse im öffentlichen Verständnis als Wissensallmende und Gemeingut der modernen Informationsgesellschaft in einem gewissen Sinn erst erfunden und etabliert werden, bevor wir ihn schützen könnten – in dieser Hinsicht durchaus analog zur «Umwelt» und den Bemühungen um ihren Schutz.

Das erste Kapitel «Why Intellectual Property», das die Gruppe gelesen hat, verfolgt erst einmal die (guten) Gründe für Schutzregelungen. Während viele materielle Güter nach Bedarf erzeugt werden und sich ihr Preis an der Schnittstelle von Angebot und Nachfrage ergibt, stellen sich Probleme des Marktanreizes bei jenen, die aufwendig in der Entwicklung, aber billig zu kopieren sind. Wer würde beispielsweise die langwierige Entwicklung von wirksamen Medikamenten auf sich nehmen? Solche Güter schütze der Staat via den «Markt-schaffenden Kniff» des intellektuellen Eigentums (2): vor allem durch Patente und Copyrights. Gerade der Vorteil von Patenten sei doppelt: Durch die Möglichkeit, Entwicklungsaufwände wieder einzuspielen sicheren sie einerseits einer Erfindung überhaupt erst eine gewisse Lebenschance, durch ihre Registrierung verhindern sie andererseits, dass innovatives Wissen geheim gehalten und damit der Gesellschaft entzogen sei.

Etwas anders noch stellt sich die Problematik schützen/frei lassen bei kulturellen Gütern, wie etwa Musik, Bilder, Texte, Filme, literarische Werke, die – heute oft gar nicht mehr an materielle Publikationsformen gebunden – durch den Gebrauch nicht etwa weniger werden, sondern durch ihre Verwendung und Vervielfältigung via Internet und mittels der verblüffenden Informationsverarbeitungskapazität von Millionen von Menschen die Chance auf neue Gebrauchszusammenhänge erst eröffnen. Im ungünstigen Fall aber, etwa als «orphan works» (verwaiste Werke, deren Urheber oder Rechtsinhaber nicht oder nur sehr schwer zu ermitteln ist) stellen sie ein Problem dar, da eine Nutzung, die die Zustimmung des Urhebers oder der Rechteinhaber voraussetzt, nicht möglich ist. Das ist eines der Beispiele, die der Autor anhand der Library of Congress etwas breiter ausführt; hier schreibt er dann explizit an gegen unsinnige Copyright Bestimmungen und das, was er als Exzesse des Rechtes auf Geistiges Eigentum ansieht.

Die Gruppe stimmt ihm grundsätzlich zu und die Diskussion beschäftigt sich in der Folge einige Male mit dem, was wir eben nicht so genau wissen: Einerseits geht es um ein Auseinanderhalten von sehr verschiedenen Rechten im Zusammenhang mit dem Geistigen Eigentum: copyright, patent und trademark. (Was z.B. ist genau patentierbar bei der Software-Entwicklung, das Verfahren? Ist das Urheberrecht ebenfalls so ein «Markt-schaffender Kniff»?) Dann sind historische Entwicklungen, und Bedeutungen einzelner Aspekte in den USA zuverlässig verschieden von europäischen (in den USA wird offenbar seit längerem heftig über orphan works debattiert; Relevanz bei uns, z.B. wissenschaftlich?). Und nicht zuletzt kann die Bedeutung englischer Begriffe wie «Copyright» und «Public Domain» nicht ohne weiteres auf die deutschen Begriffe «Urheberrecht» und «Gemeinfreiheit» übertragen werden (Neben «Public Domain» als «Gemeinfreiheit» bezeichnet der Begriff gelegentlich offenbar auch Werke, «deren Urheber mindestens einer nichtkommerziellen Verbreitung zugestimmt hat» (3). So ist das rechtliche Prinzip des Copylefts – zumindest gemäss dem, was die Schreiberin nachgelesen hat  – «nicht vereinbar mit dem der Gemeinfreiheit, da Copyleft auf das Urheberrecht aufbaut, anstatt wie die Gemeinfreiheit darauf zu verzichten.… «Public Domain» ist «keine Lizenzvariante, sondern der generelle Verzicht auf eine Lizenzforderung». (3))

Der Text liest sich anschaulich und wir wollen es gern noch etwas genauer wissen. Beschluss: ein zweites Kapitel wird gelesen.

 

1 The Public Domain. Enclosing the Commons of the Mind. James Boyle, New Haven Ct, 2008. Der Autor macht das Buch auch verfügbar unter einer Creative Commons Lizenz: http://thepublicdomain.org

2 («market-making» device) der Autor zitiert hier seinen Kollegen Jerry Reichmann

3 http://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinfreiheit (02/05/09)

Neun Thesen zur Remix-Kultur

Heute ist mein umfangreiches Essay zur Remix-Kultur bei irights.info online gegangen. Es berührt viele Themen, die auch die Digitale Allmend behandelt.

Der Remix ist die kulturelle Form der Netzwerkgesellschaft. Felix Stalder beleuchtet in neun Thesen medienhistorische, technologische, politische, rechtliche, kulturtheorische, soziale und ökonomische Dynamiken, die den Aufstieg und die aktuelle Entwicklung des Remix prägen. In den Konflikten, die damit verbunden sind, spiegelt sich die Tiefe des aktuellen gesellschaftlichen Wandels.

Ganzes Essay als PDF (600 kb)