Es gärt mal wieder da draussen. “Kinder” sollen durch Netzfilter vor terroristischer Beeinflussung geschützt werden. Und der Begriff des Terrorismus bleibt natürlich mal wieder undefiniert. In dem Zusammenhang werden zudem auch andere gruselige Ideen diskutiert, wie der Zwang, richtige Namen zu nutzen im Internet. Und sonderlich demokratisch scheint die Sache auch auch nicht abzulaufen, sondern es wird wieder einmal hinter verschlossenen Türen gesprochen.
CleanIT ist ein Projekt von verschiedenen europäischen Regierungen und privaten Organisation. Das Hauptziel ist die Eindämmung der Nutzung des Internets durch Terroristen. Dargestellt wird die Sache so, wie wenn es um den Schutz von Kindern vor terroristischen Inhalten ginge, und um anderweitig einfach beeinflussbarer Personen. Solche Personen sollten nicht radikalisiert oder anderweitig geschädigt werden durch den Kontakt mit entsprechenden Inhalten (vgl. den Link).
Pascal Gloor, Vize der Piratenpartei Schweiz und zugleich Präsident eines Schweizer Provider-Verbands, geht davon aus, dass Partizipation in solchen Prozessen mehr bewirkt als Verweigerung, weshalb er sich engagiert. Das kann ich nur unterstützen. Denn ich will wissen, was diese Leute genau vorhaben, und ich hoffe, dass Pascals Bestrebungen, in der Gruppe für mehr Transparenz zu sorgen, erhört werden.
Zur Sache selber: Dass man Parental Control (Jugendschutz im Netz) nun plötzlich auf Terrorismus ausdehnt, überrascht mich. So gross scheint mir das Problem, dass Teenager von islamistischen oder rechts- oder linksextremistischen Gruppen gekapert werden können, nicht. Und wer glaubt denn ernsthaft an die Wirksamkeit von solchen Mechanismen? Ein paar Spinner wird es immer geben. Zudem betrifft die Massnahme am Ende ja nicht nur “Kinder” und “leicht beeinflussbare Personen”, sondern die Inhalte werden generell vom Netz ferngehalten. Es geht also um eine generelle Zensurmassnahme, nicht nur um Jugendschutz!
Zensur als Mittel zur politischen Steuerung sollten wir aber in jedem Fall sehr kritisch sehen. Oder hat die chinesische Methode wirklich schon Eingang in unser westliches Denken gefunden? Zudem gibt es bereits eine Strafnorm in der Schweiz, die in letzter Zeit auch öfters zur Anwendung gelangt (nicht zuletzt dank einem sehr engagierten Zürcher Anwalt).
Dass Eltern ihre Kinder vor sexuellen Schweinereien schützen wollen, ist nachvollziehbar. Was diesen Schutz angeht, bin ich aber der Auffassung, dass solche Filter vollständig durch die Eltern kontrollierbar sein müssen. Das Argument für eine netzbasierte Implementierung solcher Filter (anstelle von lokaler Software auf dem PC) geht dabei dahin, dass netzbasierte Filter weniger einfach zu umgehen seien als Schutzsoftware auf dem Computer selber. Gut möglich, denn Sohnemann versteht oft einiges mehr von IT als Mama und Papa. Andererseits besteht ein Risiko, dass bei einer netzbasierten Lösung plötzlich Begehrlichkeiten geweckt werden, die Filter doch noch etwas zu pimpen: Was spricht dagegen, wenn die Zensurinfrastruktur schon mal vor Ort ist, nicht noch einzwei weitere Suchbegriffe und Webseiten einzubauen? Zum Beispiel “Piratenpartei”? Oder “Grüne”? Oder “Musikdownload”? Oder “Anti-WEF-Demo”?
Die zentrale Frage ist, ob eine solche Zensurinfrastruktur demokratisch irgendwie kontrollierbar wäre. Und da bin ich sehr skeptisch: Denn die meisten Leute haben wenig Verständnis von den Vorgängen im Netz und schenken der Sache zu viel Vertrauen. Hinzu kommt, dass Überwachungsmassnahmen gar nicht so unpopulär sind. Das Argument “Terrorismusbekämpfung” taucht daher wohl nicht von ungefähr als Begründung für das Projekt auf. Ich meine, wer kann da schon ernsthaft dagegen sein?
Unter dem Strich:
1) Filtermassnahmen im Netz sind des Teufels, da nicht kontrollierbar. Von mir aus kann man die Eltern technisch unterstützen bei ihren eigenen Bemühungen, z.B. indem man sie mit einem Router ausstattet, der Filterung unterstützt, und der durch ein nicht filterndes Gerät ersetzt werden kann, wie der Kommentator im zitierten Artikel das vorschlägt. Aber auch da muss die Filterung absolut transparent sein. Und selbstverständlich nur “opt-in”, d.h. wenn die Eltern den Schutz explizit wünschen.
2) Ein Zwang, auf dem Netz mit Realnamen zu kommunizieren, ist strikte zu bekämpfen: Ich tue das auch öfters, denn es gibt durchaus Gründe, nicht immer mit offenem Visier zu kämpfen, und nicht jeder muss wissen, auf welchen Nerd-Sites ich mich so rumtreibe. Ganz abgesehen davon, dass ich mich auch politisch mal pointiert äussern will, ohne einen Teil meiner Freunde zu verlieren. Das gehört zum Spiel. Last but not least ist Anonymität für Oppositionelle in nichtdemokratischen Ländern oft überlebensnotwendig.
3) Gloors Idee, anstatt auf technische Massnahmen auf die Erziehung der Kinder (und damit auf offene demokratische Auseinandersetzung mit den Themen) zu setzen, ist mir deutlich sympatischer
Und 4) gibt es für mich, schon angesichts des Reizworts Terrorismusbekämpfung, das bisher noch meist für illegitime, demokratisch nicht kontrollierte Aktionen gestanden hat, nur eins: Die Gruppe muss an die Öffentlichkeit. Sonst endet die Sache wie bei ACTA.