Prognosen-Elend

Weitere zwei Abende hat sich die Lesegruppe der Digitalen Allmend mit Nate Silver beschäftigt und der sich mit der „Berechnung der Zukunft“.

Zu den Stärken von Silver gehört sein journalistisches Vorgehen. Wo er nicht auf eigene Erfahrung zurückgreifen kann, spricht er mit Experten und benennt diese Quellen. Ein Beispiel ist Jan Hatzius, Chefökonom von Goldmann Sachs. Silver ist von dessen Prognoseleistungen und einer nüchternen Haltung beeindruckt. Hatzius hält es für anhaltend schwierig, den Konjunkturzyklus zu prognostizieren, auch wenn in den USA 45‘000 Indikatoren zur Verfügung stehen.

Die Identifikation von Ursache und Wirkung bereitet Probleme. Kritisch merkt Silver an, dass manche Ökonomen einfach eine Handvoll Indikatoren in den Mixer werfen und das Resultat als Haute Cuisine verkaufen würden. Nicht alles, was etwa mit Rezessionen in den USA korreliert, muss einen ursächlichen Zusammenhang haben. Etwas unglücklich illustriert Silver die Möglichkeit nichtkausaler Korrelation mit Glacéverkäufen und Waldbränden. Tatsächlich verursacht der Glacékauf keinen Waldbrand. Trotzdem sind beide insofern kausal verknüpft, als es eine gemeinsame steuernde Grösse gibt, die Lufttemperatur. Echte nichtkausale Korrelationen lagen zeitweise etwa zwischen der National Football League und der Börsenentwicklung vor.

Mit Hatzius sieht Silver in der ständigen Veränderung der Wirtschaft eine zweite Ursache für die Prognoseproblematik. Eine Kausalität und der entsprechende Aspekt eines Modells mögen eine Zeitlang hinreichend stabil sein, um als Baustein einer Prognose zu dienen. Irgendwann ändert sich die Konstellation so stark, dass Kausalität und Korrelation unscharf werden oder wegfallen.

Beide Problemkreise – Zufallskorrelation und Strukturwandel – würden eigentlich den Schluss nahelegen, dass ein Verstehen des Systems respektive eine qualitative Analyse nötig wären, um die Qualität und Reichweite von Parametern wie Modellen klären zu können. Das ist aber nicht Silvers Ding.

Er nimmt aber eine wohltuend nüchterne Haltung und identifiziert mit Hatzius einen dritten Grund für die Unzuverlässigkeit von Konjunkturprognosen: Die zur Verfügung stehenden Daten „sind auch nicht besser“ als die Prognosen selbst (S. 229). Als Beispiel nennt er den Indikator des Konsumentenvertrauens. Da rückt er das Element in den Vordergrund, dass Konsumenten möglicherweise als letzte merken, wenn etwas schief zu laufen beginnt.

In weiteren Kapiteln geht der Autor dann auf Schach und Poker ein, wobei er genüsslich ein das Thema Mensch gegen Maschine in Form eines Showdowns inszeniert: Kasparow versus BigBlue. Neu ist das nicht. Er bringt aber weiteres interessantes Material und bleibt auch hier lesenswert.

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