Partizipationsformen im Web 2.0

Das Buch von Roberto Simanowski (1) untersucht gegenwärtige Phänomene der digitalen Medien –Weblogs, Werbung, Identitätstourismus, interaktive Kunst – vor dem Hintergrund einer postmodernen Spass- und Erlebnisgesellschaft. Eine Fülle von Beispielen macht es zum Fundus für verschiedene Auseinandersetzungen; kulturelle, künstlerische und utopische Aspekte werden ebenso aufgenommen wie historische Kontexte. Der Autor behält dabei eine ausgewogene, kritische wie positive Offenheit gegenüber den einzelnen Phänomenen.

Das dritte Kapitel «Kultur der Mitgestaltung», das die Gruppe besprochen hat, handelt zu Beginn ausführlich von Blogs: solche, die das Private öffentlich machen, Watchblogs als praktizierte Medienkritik oder Orte der politischen Auseinandersetzung, literarische Tummelfelder. Der Autor konfrontiert dabei die hoffnungsvolle Vorstellung von den basisdemokratischen Chancen des Web 2.0 mit der kulturpessimistischen Position – harsch vertreten aktuell etwa durch Andrew Keen (2) –, es handle sich dabei doch wohl eher um ein «Überhandnehmen des Banalen» und eine «Herrschaft des Mittelmässigen. Dass sich für beides ungezählte Belege auf dem Netz finden lassen, ist in der Gruppe unbestritten; auch wird darauf verwiesen, dass Blogs über unterschiedlichste Formen, Qualitäten und Dynamiken verfügen, in den verschiedenen Dimensionen sehr ausdifferenziert und daher kaum auf einen Nenner zu bringen sind. Die Diskussion beschäftigt sich dann mit der Frage, ob Blogs so etwas wie ein digitaler Ersatz für den früheren Dorfplatz oder -laden sind; da klingt das «Global Village» von Marshall McLuhan aus den 60-er Jahren nochmals mit an. Während die Dorfgemeinschaft sich aber lokal formiert und über Bewegungsradien natürliche Zwängen unterworfen ist, gruppieren sich Blogs eher um thematische Schwerpunkte und scheinen dadurch erst einmal grössere Beweglichkeiten und Wahlfreiheiten zuzulassen.

Simanowski führt weiter aus, dass bestimmte Phänomene des Web 2.0, etwa politische Blogs oder Wikipedia, angemessener als eine Kultur von Autodidakten als eine von Amateuren zu beschreiben seien – gerade das Wort Amateur transportiert ja auch eine Abwertung im Vergleich zur professionellen Expertenwelt. Die Gruppe nickt und ergänzt, dass es allerdings bis vor nicht allzu langer Zeit auch keine «klassische» Journalistenausbildung gab, sondern sich grosse Anteile der Professionalität dieses Berufsstandes durch «learning on the job» entwickelt haben. Andere Formen dagegen wie z.B. You tube, so Simanowski weiter, werden dagegen als ausschliesslicher Ort von Amateuren gehandelt. Es gehe um einen Wettbewerb, wer am professionellsten wirke, mit dem Grundverständnis und einer Art internem Ehrenkodex, dass kein Profi an diesem Wettstreit teilnehme.

Die abschliessende, beschreibende Darstellung des Bereichs der Computerspiele (Adventure Games, Strategie- oder Rollenspiele) mit verschiedensten Formen der Interaktion (vom Mitspielen bis zum Hack) verhindert zwar eine kontroverse Diskussion in der Gruppe, liest sich aber flüssig und anschaulich, auch wenn man selber nicht spielt. Der Autor verfolgt dabei die Frage nach der Erweiterung des Spielraums für das Publikums, die verschiedenen Formen der Partizipation, durchaus auch mit Anschluss an die alte Vorstellung von der Verwandlung des Zuschauers in den Stückeschreiber. Die Motivation, den Fortgang der Geschichte selber zu prägen, ist dann gleichfalls ein Aspekt der Fan-Fiction zu Spielen, Filmserien oder Büchern, ebenso wie gegebenenfalls sogar eine Korrektur, wenn etwa bei Star Track das weibliche Publikum mit der stereotypischen Darstellung der schwachen und inkompetenten weiblichen Charaktere nicht zufrieden war.

Simanowski bleibt bis zum Schluss neutral: Ob es sich dabei nämlich eher um subversive Äusserungen oder eine Bestätigung der Kulturindustrie handelt, bleibe nicht nur im einzelnen abzuwägen. Angesichts der friedlichen Koexistenz und Kooperation vertritt er die These, es herrsche eine Art kultureller Sozialfrieden zwischen Avantgarde und Kulturindustrie. Diese Betrachtungsweise scheint nun ja der postmodernen Erlebnisgesellschaft recht gut zu entsprechen.

1) Digitale Medien in der Erlebnisgesellschaft. Kultur – Kunst – Utopien. Roberto Simanowski, Reinbek 2008. – Besprochen in der Lesegruppe Wissensgesellschaft der Digitalen Allmend.

2) The cult of the amateur: how today’s internet is killing our culture and assaulting our economy. Andrew Keen, London 2007

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