Passend zu den Minusgraden wendet sich die Lesegruppe der Digitalen Allmend wärmeren Gefilden zu und diskutiert “Das wilde Netzwerk. Ein ethnologischer Blick auf Facebook” (1). In einem für uns wenig vertrauten Kontext arbeitet Daniel Miller Züge der neuen Medienkultur plastisch heraus. Allzu plastisch?
Der Autor präsentiert das Material seiner Feldforschungen auf Trinidad in sieben Portraits, die nicht reale Personen sondern verdichtete Figuren präsentieren. Das ist nachvollziehbar, soweit der Autor typische Elemente klarer herausarbeiten und den Figuren mehr Kontur verleihen will. Das wird aber auch zum Problem, weil dem Leser die Möglichkeit zum Kalibrieren fehlt. Die Figuren wirken überkoloriert, was der Schilderung einen exotistischen Drall verleiht.
Da ist Marvin, der sein geschäftliches Kontaktnetz auf Facebook nicht nur für Geschäfte nutzt, sondern mit weiblichen Kundinnen gerne anbändelt. Seine Frau sieht das eher ungern. Es hilft nun auch nicht, dass Marvin für vertrauliches Geplauder in geschlossene Chats ausweicht. Die Ehe ist futsch.
Dann wird uns Vishala näher gebracht, anfangs zwanzig, mit Kind aber ohne dessen Papa unterwegs. Sie nutzt Facebook, um sich in Bildern und erotisch expliziten Texten als attraktive Zeitgenossin zu präsentieren. Sie dokumentiert eindrücklich den zentralen Stellenwert, den die Internetplattform für ihre Identitätsproduktion und Selbstwertgefühl einnimmt. Sie stilisiert das Web zur dynamischen Quelle von Wahrheit, wo aufgrund von Kommentaren und Interaktionen niemand auf die Länge seinen wahren Charakter verbergen könne.
Das alles lässt den Leser etwas ratlos zurück. Die Phänomene sind bekannt. Sind die jungen Mittelständler in Trinidad einfach noch etwas impulsiver und unbedarfter? Es entsteht der Eindruck, sie würden noch weniger als manche Jugendliche hier die Folgen ihres Tuns überblicken. Der Autor lässt den Stereotyp der naiven naturhaften Tropen aufscheinen – wohl gegen seine Absicht.
1) Suhrkamp, 2012