Nach der Industriegesellschaft

Die Lesegruppe Wissensgesellschaft der Digitalen Allmend beschäftigt sich mit Positionen zur Wissens- und Informationsgesellschaft. Am Montag haben wir uns mit dem Soziologen Daniel Bell auseinander gesetzt. Angeregt durch das von Marx postulierte Schema treibt Bell den Übergang von agrarischen zu industriellen Produktivkräften einen Schritt weiter: zur nachindustriellen Gesellschaft.
 
Bell analysiert 1976 „The Coming of Post-Industrial Society” – so der Buchtitel. Diese nachindustrielle Gesellschaft ist geprägt durch den Dienstleistungssektor. Entsprechend löst eine heterogen Schicht von teilweise hoch qualifizierten Angestellten und Wissenschaftlerinnen die Industriearbeiterschaft als Hauptgruppe der Lohnabhängigen ab. Entsprechend diagnostiziert Bell einen Niedergang der Gewerkschaftsbewegung.

In der Diskussion wurde kritisch hinterfragt, ob das einfach so ein stiller Wandel ist oder auch ein Folge politischer Auseinandersetzungen, wie sie etwa Thatcher in England geführt hat. Zudem sehen wir schon eine Plausibilität für die These der nachindustriellen Gesellschaft etwa für die USA in den letzten Jahrzehnten. Aber die Industrie bleibt, wenn auch teilweise in neuen Weltregionen wie China. Zudem bleibt der Konsum anhaltend auf Autos, Elektronik und andere materielle Güter zentriert, auch wenn etwa das Gesundheitswesen grösser geworden ist.

Interessant haben wir die Modell- und Algorithmengläubigkeit Bells gefunden. Der Autor nimmt ganz im Geist der 50er und 60er Jahre an, dass über konkrete technische Projekte hinaus die gesellschaftlichen Probleme mit kodifiziertem Wissen abgebildet und in Modelle gefasst werden können. Bell konzipiert die Wissensgesellschaft um eine „intellektuelle Technologie“ herum, welche die Welt mit mathematischen Methoden begreift.

Nun könnte man annehmen, dass Bell als gesellschaftliches Gegenstück einen starken, zentralen Staat mit einer technokratischen Elite konzipieren würde – eine Vorstellung wie sie etwa in Frankreich weiterhin beliebt ist. Aber nichts da. Bell skizziert in verschwommenen Pinselstrichen eine dezentralisierte kommunale Gesellschaft, in der verschiedene Communities wirken. Durchaus mit Sympathie sieht er, wie etwa im Bildungswesen Schwarze oder Frauen (damals in den 70ern) mit dem Postulat der Chancengleichheit Ernst machen.

Wir haben es etwas schwierig, aber ziemlich anregend gefunden, uns mit Bells Gedankenwelt vertraut zu machen.

Urs

Wir diskutieren anhand von: Jochen Steinbicker. Zur Theorie der Informationsgesellschaft : ein Vergleich der Ansätze von Peter Drucker, Daniel Bell und Manuel Castells. – Weiter geht es am 19. Mai mit Castells.

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