Wenn sich Nate Silver über hunderte von Seiten mit der Berechenbarkeit der Zukunft auseinandersetzt (1), darf das Thema Wetter nicht fehlen. Die Lesegruppe der Digitalen Allmend beugt sich über Gittermodelle und Wetterprognosen.
Erst ziemlich spät, ab Mitte des 19. Jahrhunderts, wenden sich Naturwissenschaftler auch dem Wetter zu. Das Verständnis des Wettergeschehens und die Prognosefähigkeit bleiben vorerst bescheiden. Ein methodischer Durchbruch gelang Lewis Fry Richardson 1916, als er die Idee des Gittermodells aufs Papier brachte und erste Berechnungen versuchte. Die scheiterten allerdings aufgrund der grossen Kantenlänge, der Beschränkung auf zwei Dimensionen und der fehlenden Rechenkapazitäten.
Das wird von Silver eingängig präsentiert. Weiter geht es allerdings nicht. Dabei würde uns ja mindestens in grossen Zügen interessieren, was denn so gerechnet wird für diese Grids. Immerhin macht Silver mit dem Gridmodell mehr deutlich, als das etwa bei der Erdbebenprognose geschieht.
Der Autor beleuchtet grundsätzliche Probleme von Prognosen über das Wetter und andere dynamische Systeme. Eine Problematik wird unter dem Titel Chaostheorie seit den siebziger Jahren diskutiert. Damals stiess der Meteorologe Edward Lorenz beim Hantieren mit einem Computermodell darauf, dass minimste Änderungen an einem Parameter zu völlig anderen Ergebnissen führen können. Die von mechanistischem Determinismus beseelte naturwissenschaftliche Community war perplex.
Der Volksmund hat das Problem allerdings schön längst im Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, gefasst – die Philosophiegeschichte im dialektischen Umschlagen von Quantität in Qualität. Das nun stammt allerdings nicht von Silver.
Der weist darauf hin, dass die Naturwissenschaften seit der Quantentheorie eigentlich auf die Relativität allen Prognostizierens vorbereitet war. Jahrhunderte lang hatte die Hypothese starke Anhängerschaft, dass die Position und Dynamik der Atome im Universum potentiell analysierbar und die Zukunft darum determiniert und voraussehbar sei. Damit war mit der Quantenmechanik Schluss. Wenn das System nicht deterministisch funktioniert, gibt es auch kein perfektes Modell dafür.
Silver macht uns also eindringlich auf die prinzipiellen Grenzen aufmerksam. Das führt aber zu einem Problem, das dem Autor gar nicht aufzufallen scheint: Wenn das Universum respektive das Wetter so indeterminiert sind, warum sind denn überhaupt Prognosen möglich? Welche Systemeigenschaften erlauben Wetterprognosen mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auf fünf Tage hinaus möglich? Warum nicht nur auf zwei Minuten? Warum nicht auf zwei Jahre hinaus?
Weder beim Thema Erdbeben noch beim Thema Wetter macht uns der Autor einigermassen klar, was ein Modell in Bezug auf Realität überhaupt ist und leisten kann. Wir sind gespannt, was noch folgt. Der Text ist lesenswert und wartet mit interessanten Details auf. Wer hätte gedacht, dass es bei einer 14Tage Wetterprognose besser ist, den langfristigen Durchschnitt zu präsentieren als die Modellergebnisse?
1) „Die Berechnung der Zukunft“
Lesetipp für Laien zum Thema:
James Gleick: Chaos