Wird Wissen zur neuen zentralen Produktivkraft moderner Gesellschaften? Peter Drucker postulierte vor Jahrzehnten ein entschiedenes „Ja“. Der Autor hat schon früh den Aufstieg einer neuen Schicht von Wissensarbeitern beobachtet und daraus eine verminderte Bedeutung von Kapital und Arbeit abgeleitet.
Die Lesegruppe Wissensgesellschaft der Digitalen Allmend hat sich anhand einer Übersichtsdarstellung am 31. März mit diesen Fragen beschäftigt (1). Dabei wird deutlich, dass Drucker verschiedene Aspekte der Modernisierung berechtigterweise ins Zentrum gerückt hat, die etwa von den 68ern kaum gewürdigt wurden. In der neomarxistischen Debatte dominierten Industriearbeiter und Produktionsanlagen das Bild.
Peter Drucker stellt Wissen und die neuen (männlichen) Wissensarbeiter als zentrale Triebkräfte der modernen Wirtschaft dar. Mit ihnen entstehen völlig neue Arbeitsverhältnisse. Wissensarbeiter sind hoch qualifiziert und schwer zu führen. Sie arbeiten in einer neuen, widersprüchlichen Situation. Einerseits stehen sie als Angestellte in der Tradition des traditionellen Facharbeiters, sind im Betrieb abhängig von Chef und Institution. Andererseits sind sie in einer aktiven, unternehmerischen Position, weil sie das wichtigste Produktionsmittel direkt kontrollieren: ihr Wissen.
In der Diskussion wird lebhaft besprochen, wie weit hier Drucker schon das Phänomen der IT-Twens vorhergesehen hat, die seit den achtziger Jahren mit Pizza und Cola im Büro die Nacht verbracht und eine neuen Subkultur von Arbeit ausgebildet haben. Etwas weniger direkt mit Drucker in Bezug gebracht werden können wohl die neuen Kreativen – Drucker hatte vor vierzig, fünfzig Jahren eher die Ingenieure und Manager im Blick.
Eine Stärke von Druckers Konzept der Wissensarbeit ist die klare Abgrenzung zu anderen Formen von Dienstleistungstätigkeiten, wo die Lohnarbeitenden eine deutlich weniger starke Position innehaben. Im Gespräch wird darauf hingewiesen, dass es auch innerhalb der Wissensarbeitenden grosse Unterschiede gibt. Nicht alle arbeiten in der chicen Lounge-Atmosphäre von Google, die durch sprudelnde Werbemillionen gespiesen wird.
Umstritten ist in der Diskussion geblieben, wie weit von einer massiven Modifikation des Kapitalismus durch den Aufstieg der Wissensgesellschaft gesprochen werden kann. Der Aufstieg neuer Schichten, eine Bedeutungsverlust von Arbeitern und Kapitalisten, die steigende Kontrolle des Kapitals durch die Pensionskassen werden von Drucker als Argumente vorgebracht.
Druckers Sicht ist auf die Wirtschaft und das Management des Wissens fokussiert. Ob das die abschliessende Perspektive sein kann, wurde von Diskutierenden bezweifelt. Die Bedeutung materieller Prozesse ist gerade im Zusammenhang mit der Umwelt überhaupt nicht verschwunden. Womit die Rund dann auch auf den Anteil von Wissensarbeit in einer Gabel Spaghetti zu sprechen kam.
Schliesslich bleibt eine wichtige Frage im Raum: Wenn sich die Wissensgesellschaft in den 50er, 60er und 70er Jahren herausgebildet hat, dann ist sie gar nicht an digitalen Informationstechnologien gebunden. Die Informationstechnologie wäre als Kind – nicht als Mutter – der Wissensgesellschaft zu betrachten.
Urs
1) Jochen Steinbicker. Zur Theorie der Informationsgesellschaft : ein Vergleich der Ansätze von Peter Drucker, Daniel Bell und Manuel Castells. – Die Lesegruppe diskutiert am 21. April weiter – über Daniel Bell.