Zenit des Fernsehens

Unermüdlich pflügt sich die Lesegruppe der Digitalen Allmend durch die bundesrepublikanische Mediengeschichte. Im neuesten Kapitel geht es um Aufstieg und Niedergang des Leitmediums Fernsehen.

Die 60er und 70er Jahre sieht Werner Faulstich im Zeichen des Fernsehens und einer medialen Alternativkultur. 1963 beginnt das ZDF als zweiter nationaler Kanal zu senden. Die Sendedauer expandiert und nähert sich einem Vollprogramm. Die Durchdringung mit TV-Geräten ist nun hoch. Vor allem wird das Fernsehen zu einer wichtigen Bühne gesellschaftlicher Meinungsbildung. Der Autor fasst das mit dem Begriff des Leitmediums im Sinne einer „Meinungsführerschaft in einer grösseren schichten- oder milieuübergreifenden Öffentlichkeit“. Er meint damit nicht einfach politische Themen sondern umfassender: Kultivierung, Agenda-Setting, Meinungsbildung. Das Leitmedium verändert das Leben vieler Menschen und strukturiert es neu (1).

In der Diskussion wird die generelle kulturelle Leitfunktion kaum angezweifelt. Bei der gesellschaftspolitischen Meinungsbildung dürften aber Zeitungen und Zeitschriften gerade bei den zwanzig Prozent am meisten Interessierten das Leitmedium geblieben sein. Und das Radio dürfte hier auch eine Rolle gespielt haben.

Auf Ebene des gesellschaftlichen Mainstreams erscheint die These des Leitmediums jedoch plausibel. Der Autor zeigt nun auf, dass das kein Zustand für die Ewigkeit war. Einerseits hat sich das Fernsehen selbst ausdifferenziert. Mit einem breit angelegten Mix vom anspruchsvollen Magazin wie „Monitor“ bis zu unterschiedlichsten Unterhaltungsformaten entwickelt es sich zum konturlosen Gemischtwarenladen. Hinzu kamen immer mehr private und ausländische Sender.

Andererseits schuf die Bindung an den biederen Mainstream die Voraussetzung für eine Absetzbewegung der Jugend. Die Jugendkultur der 60er und 70er Jahre wurde „von ganz anderen Medien getragen“ – Radio, Schallplatten und Tonband. Unter dem Stichwort alternative Medienszene geht Faulstich allerdings kaum auf die riesige Vielfalt kleiner Printmedien. Bei den Tonträgern zeigt er eindrücklich, wie die alternative musikalische Jugendkultur weitgehend vorerst am Tropf von ein paar nicht eben alternativ wirkenden Konzernen hing. Erst im Lauf der Zeit gewannen unabhängigere Trägermedien und Labels an Gewicht.

Der Aufstieg des Fernsehens setzte andere Medien unter Druck. Beim Buch konstatiert der Autor einen „Niedergang“, der noch von der wachsenden Zahl an Neuerscheinungen überdeckt wurde. In den 70er Jahren deutet sich „ein allmählicher Niedergang des Mediums Zeitung als öffentlichkeitskonstitutives Forum an“. In der Diskussion wurde die Frage erörtert, wie weit auf dem Feld der öffentlichen Debatte das Fernsehen eine produktive Rolle spielen kann. Es kann durchaus eine Verbindung hergestellt werden zwischen dem vergleichsweise qualitativ hochstehenden öffentlichen Fernsehen im Deutschland der letzten Jahrzehnte und dem im europäischen Vergleich überdurchschnittlichen Funktionsfähigkeit von Staat und Wirtschaft.

Faulstich sieht die Medienlandschaft im Trend einer massiven Kommerzialisierung. Die Konzentration im Zeitungswesen, die Bestseller-Kultur beim Buch und werbefinanziertes Fernsehen werden als Indizien herangezogen. Das müsste genauer angesehen werden. Möglicherweise gibt es eine seit Jahrzehnten zunehmende Bereitschaft des Mainstreams, Medienleistungen durch Werbeberieselung statt durch Kauf oder Gebühren abzugelten. Und eine Abnahme ideeller Motive zur Medienproduktion.

Anderseits waren seit je her private Medienunternehmen aus kommerziellen Motiven aktiv. Der Autor relativiert das insofern, als er auf den Hugenberg-Konzern der zwanziger Jahre verweist, der primär um eine politische Achse herum entwickelt wurde und letztendlich auch erfolgreich den Nationalsozialisten den Weg bereiten half. Faulstich sieht die modernen Grosskonzerne wie Springer primär von unternehmerischen Interessen getrieben, auch wenn sie sich jahrelang an vorderster Front in die gesellschaftspolitische Konfrontation einmischen, wie das die Springer-Presse gegen die Studentenbewegung gemacht hat.

1) Werner Faulstich. Die Mediengeschichte des 20. Jahrhunderts. Fink 2012.

 

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