Was Medien genau sind, ist gar nicht einfach zu beschreiben (mehr dazu im Anhang unten). In der Lesegruppe der Digitalen Allmend haben wir uns ein Jahr lang mit digitalen Massenmedien und Kommunikationsmitteln beschäftigt. Manches ist nebulös geblieben, einiges ist klarer geworden. Eine vorläufige Bilanz bringen wir in knapper Form in drei Beiträgen vor.
Medienwandel 1: Charakteristika digitaler Medien
Jede Generation von Medien hat die Möglichkeiten der Kommunikation erweitert und umgestaltet. Was sind die spezifischen Eigenschaften digitaler Medien?
Digitale Medien sind hyperplastisch. Bereits ältere Medientechnologien haben vielfältige mediale Formen ermöglicht. Digitaltechnologien erlauben insbesondere in der visuellen Gestaltung und bei der funktionalen Verknüpfung äusserst breite Gestaltungsmöglichkeiten. Kontrapunkt: Der Mangel an gestalterischem Knowhow und kulturellen Leitplanken hat zu ausufernder Low Quality geführt. Als Reaktion darauf hat sich stellenweise eine restriktive gestalterische Orthodoxie etabliert – definiert etwa von Apple oder Facebook. Die Plastizität öffnet auch ein Potential in der institutionellen Dimension. Vielfältige Formen der Trägerschaft sind potentiell denkbar.
Digitale Medientechnologien sind potentiell preiswert. Extrem hoch ist die Rate der Produktivitätserhöhung bei der Verarbeitung von Informationen auf Bitebene. Das ergibt günstige Skalierungsmöglichkeiten für standardisierte Enduserangebote (Blogs, Speicher, Social Network Konto). Andererseits steigt die Einstiegsschwelle, um skalierbare Services zu betreiben (Clouds, Suchmaschinen). Das Gewicht der Grosskonzerne nimmt zu.
Mediale Formen sind neutral in Bezug auf IT-Produkte. Es gibt keine Entsprechung bestimmter IT-Produkte oder Plattformen mit medialen Formen. Die Medienschicht kann auf jeder Plattform aufsetzen, welche die entsprechenden Netzwerk- und Webprotokolle sowie die nötigen Datenbank- und Programmiertools implementiert. Anders formuliert: Technologie und Kultur sind treibende Kräfte auf zwei verschiedenen Ebenen. Technologie treibt die Ausweitung der Möglichkeitsräume voran, kulturelle Präferenzen entscheiden darüber, welche Medientypen entwickelt werden und Resonanz finden.
Hybride Medientypen entstehen. Neue Medien können hybride mediale Dimensionen integrieren. Sogenannte Soziale Netzwerke integrieren Aspekte von Directory, Repository, Micromedium und personalem Kommunikationsmittel. Auch auf einer institutionellen Ebene haben sich hybride Medienkonglomerate herausgebildet, welche traditionelle und neue Medien in eine Medieninstitution integrieren, etwa unter dem Label einer Tageszeitung oder Fernsehstation, aber auch in der medialen Infrastruktur von grösseren NGOs.
Verschiedene Aspekte der Usability neumedialer Endgeräte sind weiterhin schlechter als die Papierreferenz, insbesondere bei mobilen: Erweiterte Funktionalität bei mässiger Usability. Der saisongerechte SzenenBadi-Test: Wie viele Leute lesen Texte mit mehr als hundert Worten auf einem Smartphone oder Pad? Es gilt das Diktat: Mobility is King! Der Mobilität werden in den entsprechenden Geräteklassen ergonomische Basics wie grosse Bildschirme und optimierte Tastaturen untergeordnet. Hier ist die Stärke der Informationszugriff in Echtzeit, nicht die Qualität der Darbietung.
ANHANG: Was sind Medien?
Der Medienbegriff ist weit und schillernd. Er reicht von philosophischer Allgemeinheit über die Kühlmedien im Maschinenbau bis zum Verbindungsglied ins Jenseits. Wir beschäftigen uns hier mit Medien der Kommunikation.
Um den Begriff etwas zu klären, kann ein Schichtenmodell verwendet werden: Die Mediale Infrastruktur umfasst Bauten, IT Produkte, Services, Firmen. Beispiel: Eine Webserver- und Datenbankinstanz in der Cloud. In der medialen Form werden Elemente der Infrastruktur, gestalterische und strategische Elemente in einen Auftritt geformt. Beispiel: Webauftritt des Tages-Anzeigers. Der Content als kulturelles Artefakt umfasst Sinn und Bedeutung tragende Objekte, die in die Mediale Form gefüllt werden.
Eine zweite Differenzierung kann entlang der Skalierung erreichbarer Publika vorgenommen werden. Dabei können Medien (im engeren Sinn) von Mitteln interpersonaler Kommunikation unterschieden werden.
Was mir bei dieser Charakterisierung fehlt:
– Informationsgehalt (math.: Information einer Meldung = negativer Logarithmus der Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens)
Mit der Digitalisierung verwandelt sich der Begriff Information von Wissensanhäufung zu Wissensfilterung. “Content” wird zunehmend zu “aussagekräftigen Inhalte”. Der Aufwand für das intelligente Auswählen steigt und wird nicht “preiswerter”. Was preisgünstiger wird, ist die Mechanik des Publizierens.
– Kontrolle
Mit der Digitalisierung geht die Kontrolle von den Produzenten der Massenmedien (Rupert Murdoch) an die Konsumenten von Information über. Massenmedien bestimmen die Agenda nicht mehr. Endkunden können sich mittels Filtern gegen unerwünschte Inhalte (Werbung, Porno, Missionierung, …) wehren.
– Werbung
Werbung wird umstrukturiert. Von marktschreierischer Markenpropaganda muss sie sich zu interessenweckendem Infomarketing entwickeln, weil sie sonst ausgefiltert wird.
– Politik
Zunehmend werden die zersplitterten Medien nicht mehr einfach vorhersagbar und lenkbar. Die Politik in einer Demokratie kann nicht mehr von einigen wenigen Agendasettern ausgejasst werden. Politiker nehmen dies als Zunahme der Instabilität politischer Verhältnisse wahr. Bürger erleben es eher als Zunahme der Bedeutung der demokratischen Meinungsbildung.
– Multicasting
An Stelle des Broadcasting einiger weniger Oligopolmedien (Vogel friss oder stirb!) tritt das unüberschaubarere Multicasting von Mailinglisten, Social Media.
Siehe auch meinen Vergleich alter und neuer Medien 1988:
http://www.enterag.ch/hartwig/RDZ-Studie-1-C.pdf