Als letztem Schwerpunkt des Themas „Digitale Medien“ haben wir uns in der Lesegruppe zwei konkreten Medien zugewandt – Microblogs und Sozialen Online Netzwerken (OSN). Als Grundlage dient das Buch „Social Web“ aus der wissenschaftlichen Nachwuchsszene (1).
Die AutorInnen bieten reiches Material und liefern zu jedem Medium ein gut strukturiertes Kapitel. Twitter entstand 2006 aus einem firmeninternen Versuch. Im Buch werden diese Formen als Microblogging gefasst, mit dem ein abonnierbarer Strom von Kurznachrichten gespiesen wird. Als Inhaltstypen werden genannt: Nachrichten unter Privatpersonen, Breaking News, politische Mobilisierung, Fachinformation, Kundenkommunikation wie das erfolgreiche Dell Outlet. Dass die bekannte Notlandung auf dem Hudson zuerst über Twitter verbreitet wurde, wirkt eher anekdotisch als beweiskräftig für die Relevanz dieses Kanals.
Leider fehlt hier wie andernorts eine distanzierte Einordnung und kritische Wertung. Gerade bei Twitter ist ein Kernelement diskutabel, wenn der Anspruch eines öffentlichen Mediums erhoben wird: die hierarchische Struktur und das Konzept der Follower, der Gefolgschaft. Das erinnert etwas an sektenförmige Muster – weniger an kritische Medienrezeption. Problematisch ist natürlich nicht der Grossteil der pragmatischen Nutzungen, sondern die kulturelle Akzeptanz des Gefolgschaftskonzepts. Sie entspricht durchaus einem Aspekt des Zeitgeistes, der sich von Institutionen ab und Führungsfiguren zuwendet.
Die Verbreitung und Relevanz von Twitter ist beschränkt geblieben. Die AutorInnen zitieren eine Umfrage aus Deutschland. Intensive Twitternutzung findet sich bei jüngeren, akademisch gebildeten Männern, die in Städten leben und der IT nahestehen. Das entspricht in etwa den Erfahrungen der Diskussionsteilnehmer. Zur Möglichkeit, Mircroblogs in der betrieblichen Kommunikation einzusetzen, wird in der Diskussion die Effizienzfrage aufgeworfen: Bringt die Vermehrung der Aufmerksamkeit heischenden Kanäle wirklich etwas?
Soziale Netzwerke respektive Online Social Networks (OSNs) haben sich in den letzten Jahren massiv verbreitet, allerdings nicht im ersten Anlauf, wie die AutorInnen feststellen. Bereits 1997 kam der Dienst Sixdegrees auf den Markt, ohne auf relevantes Echo zu stossen.
Die AutorInnen referieren das „Small World“ Konzept aus den 1960er Jahren, das auf die Feststellung hinausläuft, dass alle mit allen über maximal sechs Knoten verbunden sind. Wenn auch mit etwas Vorsicht präsentieren sie OSNs als Realisationsmöglichkeit für globales Beziehungspotential. Fragwürdig ist dieser Hang zur Stilisierung, wenn OSNs als wichtiges Akkumulationsinstrument für „soziales Kapital“ (Bourdieu) präsentiert werden. Wohl eher trifft das Gegenteil zu: Je relevanter die Gelegenheiten sind, bei denen Menschen ihr soziales Kapital mobilisieren, desto irrelevanter ist die Zahl der Facebook-Freunde.
Kein Zweifel: OSNs schaffen auch soziale Beziehungen. Was sich auf OSNs abspielt und repräsentiert, ist aber nur ein sehr limitierter Teile des sozialen Ganzen. Dieses Verhältnis zwischen Teil und Ganzem würden wir in einer akademischen Publikation gern diskutiert sehen. Ebenso das entsprechende illusionäre Potential, das einen Teil der Nutzer verleiten mag, den Gehalt der auf einem technischen System repräsentierten Beziehungen zu überschätzen.
Die meisten NutzerInnen der OSNs machen sich im Alltag wohl kaum allzu viele Illusionen. Interessant wäre es zu sehen, welche Nutzungsmuster in welchen Schichten verbreitet sind. Attraktiv dürften verschiedene Elemente sein: Die Directory-Struktur garantiert Individuen und Organisationen ein dauerhafte, auffindbare Präsenz: Facebook als Telefonbuch 2.0. Neu ist nun aber, dass sich an diese Directory-Präsenz vielfältige mediale Formen anhängen lassen, die von Präsentationen bis zu Kontaktaufnahme gehen. OSNs sind ein hybrides Kommunikationsmittel, das Elemente von Directory, Kontaktbörse, personaler Kommunikation und Massenmedium zusammenfügt.
In der Diskussion sind keine Kontroversen hochgeschwappt. Der Social Network Hype der letzten Jahre ist abgeklungen. Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang sich OSNs dauerhaft in die Alltagskulturverwurzeln. Die Directorystruktur, die NutzerInnen ohne grossen Aufwand eine dauerhafte Präsenz ermöglicht, dürfte OSNs mehr Zukunftsfestigkeit verleihen, als anderen Erscheinungen. Zu hoffen ist, dass OSNs zu von einer Plattform zu einem Protokoll werden. Statt auf der Infrastruktur eines Grosskonzerns zu kleben, könnten kleinere Netze und Einzelinstanzen als kompatible Module miteinander interagieren.
1) Anja Ebersbach, Markus Glaser, Richard Heigl: Social Web. 2. überarbeitete Auflage. 2011, 316 Seiten ISBN 978-3-8252-3065-4. Das Buch bietet eine faktenreiche Übersicht.