Urheberrecht: Thesen zur Debatte

Moderne pluralistische Gesellschaften leben von freier Kommunikation und vielfältigen kulturellen Inhalten. Content ist auch in der digitalen Medienwelt das Lebenselixier. Die grossen Geldströme fliessen allerdings an den Kulturproduzenten vorbei, hin zu den Geräteherstellern und Werbeplattformen. Die KonsumentInnen zeigen sich durchaus spendabel. Allerdings eher für harte Ware, weniger für kulturelle Inhalte. Ist in diesem Umfeld das Urheberrecht ein geeignetes Mittel, um berechtigte Interessen der SchöpferInnen von flüchtigen Inhalten zu schützen?

Die Lesegruppe der Digitalen Allmend hat sich mit der Problematik beschäftigt (1). Erstaunlicherweise ist bei deutlicher Kritik in einzelnen Punkten die Grundhaltung zum Urheberrecht erstaunlich moderat geblieben. Das ruft nach Debatte, in der das Spektrum der Einschätzungen auf der Digitalen Allmend sichtbar wird. Dem dienen die folgenden Thesen. Sie wollen einige gesellschaftspolitische Aspekte in zugespitzter Form zur Diskussion zu stellen.

Ist es überhaupt nötig und legitim, dass die Gesellschaft mittels staatlicher Gesetzgebung in die Produktion und Distribution kultureller Güter eingreift?  Es wäre durchaus denkbar, einfach nur generelle Marktregulierung des Obligationenrechts wirken zu lassen. Das allerdings ergäbe eine massive Marktverzerrung zugunsten kultureller Leistungen, die an unikate materielle Objekte (Malerei) oder an Performance (Events) gebunden sind. Und zugunsten von kulturellen Leistungen, die der Staat im Angestelltenverhältnis entschädigt, etwa im Bildungswesen. Darum die These 1: Es ist durchaus gerechtfertigt, dass  schöpferische Leistungen gesetzlich geschützt werden.

Wenn schon gesetzliche Regulierungen, dann sollten sie auf realitätsnahen Konzepten beruhen. Trifft das auf die Kerngriffe der Urheberschaft und des Werks zu? Als Reaktion auf den Geniekult des späten 19. Jahrhunderts haben soziologische respektive strukturalistische Positionen an Gewicht gewonnen. Sie relativieren oder negieren subjektive kreative Leistungen. Solche Ansätze wirken in zugespitzter Form weder alltagstauglich noch plausibel. Bei den meisten kulturellen Produkten erscheint ein zweischichtiges Modell angemessen. Soziokulturell ist jedes Werk eingebettet und basiert gebrochen oder direkt auf Traditionen, vorhandenen Materialien und Leistungen anderer.  Die Entstehung des konkreten Werks ist eine subjektive Leistung eines oder mehrere Individuen. Das spricht für These 2: Urheberschaft und Werkbegriff sind brauchbare Konzepte im Hinblick auf eine pragmatische Konfliktregulierung.

Zentraler Gesichtspunkt bei der Regulierung kultureller Sphären ist das Gemeinwohl, das öffentliche Interesse. Weder eine Sparmentalität von KonsumentInnen noch die Spezialinteressen bestimmter Teile der Kreativwirtschaft gegenüber andern Teilen derselben können einfach Gemeinwohl definieren. Der Aspekt der öffentlichen Verfügbarkeit steht kaum bestritten im Zentrum, aber nicht allein. Es liegt ebenso im öffentlichen Interesse, Diversität und Qualität kultureller Produkte zu fördern. In diesem Zusammenhang macht es Sinn, angemessene Abgeltungsmechanismen zu etablieren. These 3: Es liegt im öffentlichen Interesse, bei kulturellen Gütern die öffentliche Verfügbarkeit, die Qualität,  die Diversität und eine angemessene Abgeltung der ProduzentInnen  zu optimieren.

Der übergeordnete Wert der Informations- und Meinungsfreiheit setzt Prioritäten. Schutzrechte wie das Urheberrecht dürfen Grundrechte nicht tangieren. Das Gesetz handhabt die Problematik, indem Information, Wissen oder Meinungen gar nicht reguliert werden, meint These 4: Das Urheberrecht stellt keine substantielle Einschränkung der Information- und Meinungsfreiheit dar. Es reguliert nicht den Fluss von Informationen, Wissen oder Meinungen, sondern die Handhabung konkreter Instanzen, der Werke. Auch Zusammenfassungen, Informationen, Wissen oder Meinungen zu Werken können frei zirkulieren.

Das Urheberrecht begrenzt die Ansprüche der Rechtinhaber im Alltag der Zivilgesellschaft und im Bildungswesen. Das Urheberrecht schützt etwa den Anspruch der Individuen, urheberrechtlich geschützte Werke im Rahmen von Freundeskreis und Familie zu kopieren und weiterzugeben. Im Bibliotheksbereich kann Ausleihe nicht unterbunden werden. Die Interessen der Allgemeinheit sind allerdings in manchen Bereichen zu wenig geschützt. Krass ist vor allem die lange zeitliche Dauer des urheberrechtlichen Schutzes. So legitim es ist, die Ansprüche von Kreativen zu schützen – Generationen von Erben mit Tantiemenströmen zu versorgen, hat nichts mit der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Kulturproduktion zu tun.  These 5: Das Urheberrecht implementiert im öffentlichen Interesse substantielle Beschränkungen der Ansprüche von Rechteinhabern. Die öffentlichen Interessen bleiben aber untergewichtet, insbesondere bei der Dauer des urheberrechtlichen Schutzes.

Die Tatsache, dass das Urheberrecht bisweilen zu Prozessen und Polizeiaktionen führt, nährt gelegentlich den Eindruck, dass hier der Staat selbständig zugunsten von Partikularinteressen agiert. Produzierende Individuen und ganze Szenen von potentiellen Rechteinhabern können das Gesetz aber einfach ignorieren. Nach 20 Jahren Electronica Remixes hat man nicht davon gehört, dass diese Szene von einer Prozesswelle nach der andern heimgesucht wird. Die Frage nach den Akteuren und dem Charakter des Urheberrechts muss also geklärt werden. Dazu These 6: Das Urheberrecht ist ein optionales Framework, das KünstlerInnen selektiv nutzen können durch: Ignorieren, modellierte Nutzungsrechte (Creative Commons), Benützen als Drohgebärde, Abtretung, aktive Rechtsdurchsetzung. Die Kreativen sind die Player.


Ausklang: Im Getümmel der dramatischen globalen Umwälzungen, die durch die digitale Revolution mit befeuert werden, erscheint das Urheberrecht eher als Nebenschauplatz im Schatten der grossen ökonomischen, soziokulturellen und medialen Konfliktzonen. Auf diesen grossen Feldern läuft das Spiel klar zu Gunsten von ein paar Dutzend globalen Hardware-, Service- und Telekomkonzerne. Sie breiten sich in der Wertschöpfungskette zu Lasten der professionellen Content Produzenten aus.

Wer die Wertschätzung kreativer Leistungen und kultureller Wertarbeit fern von Staatstellen in sein Verständnis von Gemeinwohl einbaut, kann mit dem schweizerischen Urheberrecht als pragmatischem Instrument leben, solange keine eleganteren Alternativen sichtbar sind. Viele praktische Konflikte sind eher auf das Verhalten der Akteure oder die Modalitäten des Vollzugs zurückzuführen, weniger auf die Grundzüge der Gesetzgebung. Als Beispiele können die SUISA oder die Verhandlungen um ACTA dienen, wo es um Modalitäten des Vollzugs geht, nicht um die Grundzüge des Urheberrechts. Für die Zukunft ist es wünschenswert, dass das gesetzliche Instrumentarium zurückgefahren werden kann. Das fordert aber auch die Konsumenten heraus. Sie bereit sein müssen, für hochwertige kulturelle Arbeit so selbstverständlich zu bezahlen, wie für ein adrettes Halbleitergadget oder den Internetanschluss.

1) Zusammenfassungen der Lesegruppen-Diskussionen:
Zur historischen Entwicklung von Urheberrecht und Geistigem Eigentum
Freiheit und Urheberrecht
Einführung ins Immaterialgüterrecht
Paragrafen browsen

2 thoughts on “Urheberrecht: Thesen zur Debatte

  1. Hm, sollen sich die Thesen vom jetzigen Zustand abheben oder ihn rechtfertigen? Ich kann das nicht erkennen. Schon sprachlich werden die üblichen Euphemismen verwendet.

    Ein paar Aspekte:

    These 1: “…gesetzlich geschützt”: »Schutz«? Es handelt sich um eine künstliche Verknappung. Wer dafür ist, soll das so auch sagen.

    These 2: “Urheberschaft und Werkbegriff” rechtfertigen sich nur durch den zu regulierenden “Konflikt”. Das ist eine Drittbegründung, denn sie besitzen keine eigene Begründung. Maschinen, die tausend Arbeiter erbauten, tragen auch nicht deren Namen. Warum eigentlich nicht?

    These 3: Noch eine Fremdbegründung: Die “Abgeltungsmechanismen” haben nichts mit der Verfügbarkeit zu tun. Sie können Regulierungen per Staat nicht rechtfertigen. Freiheit erzeugt die größte Vielfalt und Qualität (das ist doch nun hinreichend gezeigt).

    These 4: Ein Zusammenhang, der nicht besteht, bedeutet, dass es kein Problem gibt. Ergo: Überflüssige These.

    These 5: Erst künstlich Verknappen (These 1) und dann “Huch!” rufen. Dann doch gleich die Verknappung sein lassen.

    These 6: Erst Zwangsverknappen (These 1), dann es als Option ausgeben? Urheberrecht funktioniert nur allgemein, also als Recht, also als Zwang für alle. So geht Rechtsstaat. Und dann muss auch durchgesetzt werden. Darauf hoffen, dass es im Zweifel kein Kläger gibt? Das kann es wohl nicht sein.

    Der Status der Thesen auf einem Allmend-Blog ist mir nicht klar.