urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt. Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 bin ich schon eingegangen. Die zweite These lautete:
Wenn schon gesetzliche Regulierungen, dann sollten sie auf realitätsnahen Konzepten beruhen. Trifft das auf die Kerngriffe der Urheberschaft und des Werks zu? Als Reaktion auf den Geniekult des späten 19. Jahrhunderts haben soziologische respektive strukturalistische Positionen an Gewicht gewonnen. Sie relativieren oder negieren subjektive kreative Leistungen. Solche Ansätze wirken in zugespitzter Form weder alltagstauglich noch plausibel. Bei den meisten kulturellen Produkten erscheint ein zweischichtiges Modell angemessen. Soziokulturell ist jedes Werk eingebettet und basiert gebrochen oder direkt auf Traditionen, vorhandenen Materialien und Leistungen anderer. Die Entstehung des konkreten Werks ist eine subjektive Leistung eines oder mehrere Individuen. Das spricht für
These 2: Urheberschaft und Werkbegriff sind brauchbare Konzepte im Hinblick auf eine pragmatische Konfliktregulierung.
Unser Urheberrecht ist einerseits als übertragbares, handelbares Copyright für die Verwerter (Verleger, Labes, Studios) konstruiert. Andererseits als Droit Moral, als Persönlichkeitsrecht für die Urheber.
Diese doppelte Verankerung resultiert daraus, dass das Verlegerprivileg nach Abschaffung der Zünfte mit Einführung der Gewerbefreiheit nicht mehr richtig vertretbar war. Das ursprüngliche „Eigentum“ eines Urhebers an seinem Werk schien philosophisch und juristisch leichter formulierbar und begründbar.
Schon seit der allerersten Einführung des Urheberrechts war es so, dass die „hungernden Künstler“ als Legitimierung herhalten mussten, warum man den reichen Verwertern Monopolrechte einräumen müsse. Ausserdem seien die Investitionen in Kulturvervielfältigung und das Risiko so hoch, dass nur mittels Exklusivrechten Kultur ökonomisch überhaupt entstehen könne.
In der These 2 geht es um die Begriffe Urheber und Werk, die eindeutig zur Sphäre des Droit Moral, der Persönlichkeitsrechte, gehören. Die angesprochene pragmatische Konfliktregulierung betrifft aber Konflikte zwischen Nutzern und Verwertern, welche auch am verbissensten um eine stets zu verschärfende Regelung und um das Immaterialgut als auf einem „freien Markt“ handelbare Ware kämpfen.
Obwohl das Urheberrecht jeweils bei Urheber und Werk verankert wird, spielen Urheber und Werk bei der eigentlich intendierten ökonomischen Wirkung kaum eine Rolle. Man kann auch beide Aspekte recht gut trennen, wie die angelsächsische Tradition beweist, wo es mehr um übertragbare, handelbare, kulturelle Exklusivrechte für Verwerter, und der naturrechtlich abgestützte Werkbegriff und das Konzept Urheber weniger wichtig sind.
Der heute oft angeführte Gegenpol zur naturrechtlichen Begründung des Urheberrechts ist vor allem eine Argumentation des maximalen gesellschaftlichen Nutzens, basierend auf einem eher am Modell des Gesellschaftsvertrags orientierten Rechtsverständnis. Die im Vorspann der These angeführten nebulöseren strukturalistischen, soziologischen Gegenpositionen zur einsamen Originalgenie-Schöpfung sind da eher ein Nebenschauplatz.
Ich spalte die These 2 deshalb in zwei Teile: Copyright und pragmatische Konfliktregelung einerseits und moralisches Recht des Urhebers andererseits.
Eine pragmatische Konfliktregelung ist erwünscht. Die Konfliktpartner sind aber Nutzer und Verwerter und die Konzepte „Werk“ und „Urheber“ sind zur Konfliktregelung wenig hilfreich. Wenn man dieses Konzept von Kultur als handelbare Ware schützen will, muss man auf den Publikationszeitpunkt und nicht den Todeszeitpunkt des Urhebers abstellen. Ausserdem ist vom ökonomischen Nutzen und allfälligem Schaden auf beiden Seiten zu reden und nicht von den moralischen Rechten des Urhebers. Letztere werden dem Urheber in Europa traditionellerweise auf immer und ewig in den unfairsten Verträgen von Anfang an von den Verwertern abgekauft. So verbietet der allgemein übliche europäische Verlagsvertrag etwa dem Urheber jegliche Nutzung selbst wenn der Verlag entscheiden sollte, das Werk nicht zu publizieren! Vor allem müsste auch zur Sprache kommen, welche kulturellen Güter aufgrund der monopolistischen Exklusivrechte im Urheberrecht gar nicht geschaffen werden, wodurch ja Urheber und Nutzer am meisten geschädigt werden. (Höffner argumentiert überzeugend, dass Goethes Faust wohl nicht geschrieben worden wäre, wenn das Urheberrecht schon in Kraft gewesen wäre …)
Nun zum moralischen Recht des Urhebers an seinem geistigen Eigentum. Das steht auch auf ziemlich unsicherem Fundament. Solange der Urheber nicht publiziert, ist er in derselben günstigen Situation des Unikatbesitzers wie die gemäss These 1 von der Abwesenheit jeglichen Urheberrechts bevorzugten Maler, Bildhauer und Performer. Was für den Maler sein Gemälde ist, ist für den Schriftsteller sein Manuskript.
Aber jegliche Kultur realisiert sich erst in der Kommunikation. Und zur Kommunikation gehören mindestens zwei. Und es ist nicht so völlig offensichtlich, ob ein Brief als „geistiges Eigentum“ mehr dem Absender oder dem Adressaten „gehört“. In einem gewissen Sinn ist der Erfolg der kulturellen Superstars mehr vom Publikum als vom Urheber hergestellt. Oscar Wilde hat jedenfalls die Kritiker als schöpferische Mitautoren eines Werks gewürdigt. Mit der unumkehrbaren Publikation hat der Urheber eben angefangen auf die völlige Verfügbarkeit zu verzichten und ist in einen Dialog mit dem Nutzer getreten.
Ausserdem ist das Konzept des einzelnen Urhebers völlig fragwürdig in einer Zeit der kulturellen Grossprojekte wie Oper, Kino, Hallenstadionspektakel. An solchen Projekten sind viele Geldgeber und viele Urheber beteiligt und die idealistische Konzeption des „geistigen Eigentums“ scheitert kläglich. Besonders stossend wird das bei den Filmen sichtbar, wo man Faute de mieux völlig ungerecht und hilflos den Regisseur als den alleinigen Urheber definiert, der sich die Rechte beim Drehbuchautor und beim Komponisten besorgen muss, damit man wenigstens weiss, von wessen Tod an die Schutzfrist läuft. Diese Ungerechtigkeit hat in den Neunzigerjahren in der Schweiz zu einem grossen gerichtlich ausgetragenen Konflikt zwischen Regie einerseits und Kamera/Schnitt/Maske/Bauten andererseits geführt. Dabei wurde mindestens Kamera und Schnitt eine Art minderes Urheberrecht am Film zugestanden. Das Ganze ist aber höchst unbefriedigend, da die juristisch in einem Nebensatz erwähnte Mehrfachurheberschaft als eine Art einfache Gesellschaft vom pragmatischen Standpunkt her eine sehr unpraktische Regelung ist.
Dass es den Urhebern selbst nicht wirklich ernst ist mit ihrem „geistigen Eigentum“, sieht man daran, dass sie zwar oft furchtbar Angst haben, man könnte Ihnen „Ideen klauen“, aber niemals bereit wären, eine solche klaubare Idee in ihrer Steuererklärung als entsprechenden Vermögenswert mit dem Betrag aufzuführen, den sie bei einer Abmahnung verlangen.
Ein letztes Ärgernis ist die immer „kleinere Münze“, die vom Urheberrecht aufgrund der etwas abstrusen romantisch-philosophischen Begründung des Eigentums des Urhebers an seinen Ideen geschützt wird. Auch aus psychologischer Sicht tut dieses individualisierte Urheberrecht den Künstlern nicht gut. Es produziert Verfolgungswahn: „Man könnte meine Ideen klauen“, und Verhältnisblödsinn. Denn jedermann hat viele Ideen, wenn der Tag lang ist. Genie = 1% Inspiration (Ideen) + 99% Perspiration (Umsetzung).
Wahrscheinlich ist heutzutage ein Schutz der Investition des industriellen Herstellers der Vervielfältigung der Werkexemplare (Bücher, CDs, Filme) bald überhaupt nicht mehr nötig, da im Zeitalter des Internets die Kosten des Urhebers diejenigen des Verwerters überholt haben und sinnvollerweise heute jeder Urheber als eigener Produzent (im Selbstverlag) publizieren und die Verwerter für ihre einzelnen Dienstleistungen bezahlen würde (Print-On-Demand-Modell).
Sollte aber der Schutz der grossen Investition und des Risikos der Verwerter als wesentlich erachtet werden, dann würde man dieses Copyright besser bei diesen juristischen Personen plazieren anstatt auf ein dubioses idealistisches Recht des Urhebers an seinem Eigentum bezugzunehmen. Ausserdem wäre der relevante Zeitpunkt nicht der Zeitpunkt der privaten Schöpfung, sondern derjenige der Publikation. Und letztere würde in Anbetracht der grossen Investitionen sinnvollerweise von einem offiziellen Registrierungsakt begleitet, wie dies früher im US-Copyright der Fall war. So gäbe es keine verwaisten Werke, es gäbe keine kleine Münze und es gäbe keine urheberrechtliche Rechtsunsicherheit. Auch allfällige Schäden und ökonomischen Folgen wären klar bezifferbar ohne Diskussionen über die Seele des Urhebers und seine moralischen Rechte.
Die einzigen Droits Morals, die einen gewissen Sinn haben, sind Attribution und die Forderung nach Integrität bei der Reproduktion. Die stehen aber auf einem anderen Blatt und hängen mit Betrug, übler Nachrede und Plagiat zusammen.
Zweite Antithese:
Die romantisch-idealistischen naturrechtlich abgestützten Begriffe von Urheber und Werk sind nur bedingt nützlich. Für eine pragmatische Konfliktlösung taugen sie nicht.