Der kritische Kommentar zum Beitrag über die Qualitätsstudie weist durchaus auf einen wunden Punkt hin, der vielleicht weniger die Imhof-Studie, wohl aber die Kommunikationswissenschaften generell betrifft: Die digitale Medienszene wird weitgehend im Kontext traditioneller Medien analysiert. Neue kommunikative und mediale Formen werden eher oberflächlich gestreift, der Medienbegriff bleibt wenig konturiert. Die entsprechenden Phänomene werden an das Spezialgebiet „New Media“ ausgelagert.
Wir wollen einige Schwächen und Stärken des Mainstream-Ansatzes anhand eines Grundlagenwerks aus den USA ansehen. „Understanding Media in the Digital Age” (1). Es richtet sich an StudentInnen und anspruchsvolle Interessente aus Publizistik und Werbewirtschaft.
Einleitend werden unverzichtbare Basics zu Kommunikation diskutiert: Kommunikation, Sprache, Kultur, Symbole. Ein Grundmodell menschlicher Kommunikation bezieht sich auf die Kette von Shannon-Weaver: Quelle – Sender – Signal – Empfänger – Ziel, beeinflusst durch Störungen. Dieses lineare Modell wird heute als allzu vereinfachend eingeschätzt. Die Autoren bringen weitere Elemente ein: Erfolgreiche Kommunikation basiert auf Elementen wie Genauigkeit, Feedback und Rollenverhalten. Da wird eine Menge Relevantes auf 19 Seiten gepackt.
Was ist ein Massenmedium?
Der Text nennt eine Reihe von Kriterien, welche Massenmedien kennzeichnen: 1. Professionelle Kommunikatoren als Sender 2. Gewünschte Bedeutungen werden von Produktionsspezialisten codiert 3. Als Information via spezialisierte Medien übermittelt 4. Grosse diversifizierte Massenpublika als Empfänger 5. Individuelle Empfänger konstruieren eine Interpretation der Nachricht 6. Empfänger werden beeinflusst. Der Text nennt drei Typen von Massenmedien: Publikationen (so Bücher, Magazine, Zeitungen) Film (vor allem kommerzielle Produktionen) und Elektronische Medien (vor allem Radio und TV, aber auch DVD).
Das sind wertvolle Elemente, das Problem liegt eher beim Ausgelassenen. Neben den herkömmlichen Massenmedien werden keine anderen Medientypen in vergleichbarer Tiefe entwickelt. Es werden keine Tools bereitgestellt, um etwa soziale Netzwerke oder Blogs zu analysieren und allenfalls in verschieden Segmente gliedern zu können. Letzteres ist vermutlich sinnvoll, um eine breit gefächerte Realität vertieft analysieren zu können. Letztlich bleibt darum der Medienbegriff vage, sobald die Welt der grossen Massenmedien verlassen wird.
Aufstieg des Digitalen
Die Forschungscommunity ist seit 1996 gewarnt: „If mass communication researchers continue to largely disregard the research potential of the Internet, their theories of communication will become less useful. Not only will the discipline be left behind, it will also miss an opportunity to explore and rethink answers to some of the central questions of mass communication research, questions that go to the heart of the model of source–message–receiver with which the field has struggled.” (Morris/Ogan).
Die Warnung wird im vorliegenden Band ernst genommen – mit Kapitel 2: Navigating Change – The Rise of Digital an Global Media. Die Geschichte des Internet wird kurz rekapituliert. Die Autoren stellen fest, das digtiale Zeitalter sei „radically different“ vom bisher gekannten. Es gelingt ihnen aber nur in Ansätzen, diese Radikalität zu fassen und zu vertiefen.
Gerne weisen wir auf die beiden interessanten und leider nur kurz angesprochenen Ansätze hin. Es geht um die Begriffe persönliche Medien und intermediäre Kommunikation: Neben Massenmedien gibt es Kommunikationsformen, die in neuer Weise hin zu Individuen adressierbar und von diesen verwendbar sind. Smartphones und Sharingmechanismen sind Beispiele von persönlichen Medien. YouTube ist vorerst ein persönliches Medien, das aber Züge eines Massenmediums annimmt. Auf einer mittleren Ebene können interessierte Personen via intermediäre Kommunikation untereinander in Kontakt treten.
Der Text bleibt leider ziemlich verschwommen. Klarheit herrscht oben, beim Thema klassische Massenmedien, und an der Basis, bei persönlicher Kommunikation. Dazwischen bleibt es wolkig. Vermutlich wird hier ein langfristiger Mangel fortgeschrieben: Die ganze Welt zivilgesellschaftlicher Bewegung und nichtkommerzieller Aktivitäten hat die Medienwissenschaft traditionell kaum interessiert, obwohl hier bereits vor dem digitalen Zeitalter reges Treiben herrschte – vom Pfadiblatt bis zu Mark Morrisroes „Dirt“.
Die Klassiker
In einem späteren Kapitel zur Medienökonomie wird knapp konstatiert, dass die Verlagerung zu digitalen Publikationen das Geschäftsmodell mancher Massenmedien unterminiert und es werden die üblichen Vorschläge aufgelistet, wie dem begegnet werden könnte, etwa mit Stiftungen zugunsten publizistischer Projekte oder Subventionen.
Nach dem ziemlich dünnen Teil über die Digitalisierung schöpfen die Autoren wieder aus dem Vollen. Die klassischen Medien werden ausführlich besprochen, wobei die Autoren besonders dem gedruckten Magazin und dem TV eine vitale Zukunft voraussagen. Themen wie Populärkultur, Marketing, Medienpublikum, Medienwirkungen und Regulierungen werden erörtert.
Da werden Know How Ressourcen sichtbar, die auch bei der Diskussion digitaler und subkultureller Medien nicht ignoriert werden können: Ein Begriff des Politischen und Öffentlichen, Identifikation grosser relevanter Player und eine Top Down Karte, die grossräumige Orientierung erlaubt.
Schwachpunkt im Mainstreamdiskurs der publizistischen Wissenschaft ist die Analyse des digitalen Wandels. In einzelnen Zonen wird aber lebhaft geforscht und publiziert: Im schon genannten Segment der New Media, bei der Nutzungsforschung und zu den online-Standbeinen der traditionellen Medien.
(1) Everette E. Dennis, Melvin L. DeFleur. Understanding Media in the Digital Age. New York : Allyn & Bacon. 2010.