Inmitten des spektakulären Aufschwungs, den das Internet nach 1995 nahm, hat Andrew Shapiro die Möglichkeiten der neuen Technologien ausgelotet. Mit der These einer „control revolution“ betont er den Spielraum für eine Ermächtigung der Individuen. Die Lesegruppe der Digitalen Allmend hat den Text am 14.3. diskutiert.
Shapiros Statement ist von den Umständen Ende 90er Jahre geprägt. Er profitiert davon, dass die Wellen von medialen Moden noch nicht im Jahrestakt über den Globus schwappen. Weil er sich auf grössere Trends konzentriert, altert sein Buch erheblich besser als manche jüngere Texte zu Blogs oder Second Life, die nach wenigen Jahren bereits ziemlich antiquiert wirken.
Shapiro beginnt mit einer Episode aus der Schlussphase der Sowjetunion, wo das Regime die Faxverbindung von einem Freund in Moskau zum amerikanischen Autor einfach kappen konnte. Einen e-Mail Nachrichtenfluss hätten die Behörden nicht stoppen können. „Wahrscheinlich“ nicht, präzisiert der Autor, der sich immer wieder vor groben Vereinfachungen hütet. An diesem Punkt setzt eine Diskussion ein, wie weit eben auch das Internet von Machthabern nicht einfach nur weggeschaltet, sondern auch selektiv überwacht und beschränkt werden kann, wie etwa in China. Eher einfach ist das beim grenzüberschreitenden Verkehr und bei einer geringen Zahl von Providern möglich.
Etwas unbeholfen wirken die kurzen Äusserungen zum politischen Charakter von Technologie, welche durch Randbedingungen in die eine oder andere Richtung entfaltet werden könne. Shapiro sieht das Netz als „defined mostly by code“. Darum diskutiert er Eigenschaften wie Interaktivität oder Interoperabilität hauptsächlich auf technischer Ebene, als Codeeigenschaften eben. Damit verpasst Shapiro einen zentralen Aspekt der digitalen Infrastruktur: Diese ist extrem plastisch und definiert keine medialen Kanäle. Die konkreten Medien werden auf einer sozialen Ebene konstruiert. Blogs, Second Live, Twitter, Facebook sind mediale Formen, die auf den immer gleichen Technologien beruhen. Die Ende 90er Jahre angesagte Gleichsetzung von technischer Kontrolle (über den Code, das Betriebssystem) mit Kontrolle über seine Lebensumstände ist verblasst.
Der Autor selber präzisiert den Aspekt der „Bändigung der Maschine“ mit dem Aufkommen grafischer Userinterfaces. So erschien der MacIntosh gegenüber den kalten und verwirrenden Kommandozeilen-Betriebssystem als „menschlich, warm und liebenswert“. Er bringt das Konzept einer direkten Manipulation von Gegenständen auf dem grafischen Interface als Beweis für Kontrollgewinn. Da wäre zu unterscheiden. Wenn der User arbeitend oder spielend grafische Objekte manipuliert, kontrolliert er Elemente auf einem von Dritten inszenierten Spielplatz. Den Spielplatz kontrolliert er nicht.
Seiner Zeit voraus war Shapiro mit der These, dass die Postulierung eines Cyberpace als eigenständiger Sphäre wenig realitätsnah und sinnvoll ist. Symbolische Interaktionen auf dem Internet seien nicht entkoppelt von Auswirkungen auf reale Menschen und ihre Beziehungen.
Kontrollgewinn sieht Shapiro im Bereich von Medien und Kommunikation. Er bringt das Beispiel einer Bulletin-Board Kampagne, welche das Time Magazine zum Rückzug falscher Behauptungen über die Pornolastigkeit des Internets gezwungen hat. Das Internet senkt massive die ökonomischen Eintrittsschwellen für „digitale Autoren“. Shapiro hält sich zu euphorischen Position Distanz, sieht aber durchaus online Publizistik als Gegengewicht zu den stark konzentrierten Massenmedien: Individuen würden „more control over the flow of information“ ausüben.
Ein zentrales Konzept ist für den Autor die Tendenz zum Verschwinden von Intermediären. Darunter fällt bei der Meinungsbildung ein Glaubwürdigkeitsverlust von Institutionen wie Medien, Unis oder Behörden. Vorsichtig tönt Shapiro die Möglichkeit von Dezentralisierung und elektronischer Demokratie an. In der Diskussion konstatieren wir allerdings, dass eine Tendenz zu Dezentralisierung und politischer Ermächtigung der BürgerInnen nach fünfzehn Jahren Web in den entwickelten Ländern kaum festgestellt werden kann. Im Gegenteil: In Europa wurden in der Zwischenzeit permanent Kompetenzen hin zu einem für die Zivilgesellschaft wenig kontrollierbaren Zentrum verlagert.
Der Autor greift grundlegende Fragen in einer Weise auf, die auch zehn Jahre nach der Publikation noch interessant ist. Wie weit das Hantieren mit digital unterlegten Medien und Kommunikationsmitteln auch mit einer Ermächtigung der Individuen gleichzusetzen ist, bleibt weiter zu diskutieren. Genauso wie der Begriff der Kontrolle, der in verschiedenen Kontexten Unterschiedliches bezeichnen kann.
An einer Stelle vergleicht der Autor die Ermächtigung durch die vernetzten Rechner mit der Ermächtigung durch das Auto. Das ist für den amerikanischen Kontext nicht ganz unwichtig. Gerade in der kulturellen Tradition der USA ist Kontrolle mit zwiespältigen Elementen Verknüpft. Es gibt nicht nur eine urban adrette Lesart von Ermächtigung. Wir sehen ja auch eine Gun, Car und Einfamilienhaus Version, die etwa mit der Tea Party Bewegung auf dem Web erfolgreich ihre Vorstellungen von Kontrollgewinn propagiert.
Andrew L. Shapiro. The control revolution : how the Internet is putting individuals in charge and changing the world we know. New York : PublicAffairs, 1999.