urs hat in diesem Blog eine Reihe von Thesen zum Urheberrecht zur Debatte gestellt. Diese haben bei mir einigen Widerspruch hervorgerufen. Auf These 1 und These 2 bin ich schon eingegangen. Die dritte These lautete:
Zentraler Gesichtspunkt bei der Regulierung kultureller Sphären ist das Gemeinwohl, das öffentliche Interesse. Weder eine Sparmentalität von KonsumentInnen noch die Spezialinteressen bestimmter Teile der Kreativwirtschaft gegenüber andern Teilen derselben können einfach Gemeinwohl definieren. Der Aspekt der öffentlichen Verfügbarkeit steht kaum bestritten im Zentrum, aber nicht allein. Es liegt ebenso im öffentlichen Interesse, Diversität und Qualität kultureller Produkte zu fördern. In diesem Zusammenhang macht es Sinn, angemessene Abgeltungsmechanismen zu etablieren. These 3: Es liegt im öffentlichen Interesse, bei kulturellen Gütern die öffentliche Verfügbarkeit, die Qualität, die Diversität und eine angemessene Abgeltung der ProduzentInnen zu optimieren.
Die These besagt, die Allgemeinheit habe ein Interesse, dass bei kulturellen Gütern
– öffentliche Verfügbarkeit
– Qualität
– Diversität
– angemessene Abgeltung der Hersteller
optimiert würden.
Ich bin nicht überzeugt, dass man schon so früh in der Diskussion das neoliberale Konzept von Kultur als Ware („Güter“) unwidersprochen annehmen sollte, lasse diesen Aspekt der vorliegenden These aber mal beiseite.
Dann fragt sich, was hier „optimieren“ heisst. Das deutet auf den berühmten und immer wieder angerufenen „Ausgleich“ hin. Dazu müssten die drei angeführten Punkte aber wenigstens teilweise im Gegensatz zueinander stehen. Dies ist nicht der Fall, wie etwa das Beispiel Goethe zeigt: er produzierte Qualität, Diversität, die öffentlich verfügbar waren, und verdiente verdammt gut dabei. Man müsste mindestens noch den Punkt der Verfügbarkeit dahingehend verfeinern, dass die Verfügbarkeit auch einen bezahlbaren Preis und eine wirklich freie Nutzung beinhaltet. Nur so wird eine „Optimierung“ draus.
Es fällt als erstes auf, dass dieser fromme Wunsch der These 3 nicht nur für Kultur sondern auch für Lebensmittel, Heilmittel, Wohnungen zutrifft. Es ist sozusagen die Grundfigur aller ökonomische „Optimierungen“ und aller frommen Optimierungswünsche. Aus diesem Grund eignet sich die These sicher schlecht, um daraus unterschiedliche Behandlung von Kultur und Birnen abzuleiten.
Schauen wir uns aber erst einmal die einzelnen Punkte an, die da optimiert werden sollen:
Die Forderung der Verfügbarkeit unterstellt, dass ein Werk schon existiert aber nicht publiziert wird oder momentan vergriffen ist. Man kann ja kaum einen Urheber dazu zwingen, dass er sein Manuskript publiziert, bevor er dies wünscht. Als „Kulturgut“ existiert es erst, wenn es publiziert ist. Somit scheint sich die Forderung der Verfügbarkeit auf die vergriffenen, verwaisten, vergessenen Werke zu beziehen. Diese wird sicher bei abwesendem Urheberrecht am besten erfüllt, da das Exklusivitätsmonopol des heutigen Urheberrechts der einzige Grund für Nichtverfügbarkeit ist. Beim Patentrecht ist das noch extremer: dort werden heute meistens Erfindungen geschützt, um sie vom Markt fernzuhalten.
Bei der Qualität stock‘ ich schon.
[Exkurs Qualität allgemein
Die Qualitas, das Wie-Sein, ist sicher nicht etwas, was „optimiert“ werden kann. Der Optimierung (Maximierung, Minimierung) zugänglich ist nur die Quantitas, das Wieviel-Sein. Jedes Ding hat schrecklich viele Qualitäten, wie Farbe, Ausdehnung, Geruch, etcetera. Jede dieser Qualitätsachsen ist möglicherweise quantitativ messbar: rot, röter, am rötesten.
Das – heute leider allgemein verbreitete – Gerede von der „hohen“ Qualität ist daher nichts als Schaumschlägerei. Bei der klassischen Qualitätssicherung (ISO 9000) geht es gerade nicht um das „Optimieren“ von Qualität, sondern um das „Sichern“ einer gleichbleibenden Qualitas, einem gleichbleibenden Wie-Sein. Es ist mir als Käufer neuer Reifen, neuer Pharmaka oder als Flugpassagier wichtig, dass die dabei relevanten Produktionsprozesse gleichbleibende Qualitäten erzeugt haben. Das besagt nun absolut nichts über die Nützlichkeit oder Verbesserbarkeit dieser Produkte und ob sie für mich von „hoher“ Qualität sind. Die Autoreifen sind mir nicht nützlich weil ich kein Auto habe, und somit für mich von tiefer Qualität. Die Medizin könnte durch eine besser gegen meine Krankheit wirkende, ebenfalls qualitätsgesicherte, abgelöst werden. Die Qualitätssicherung schützt nur davor, dass in einem Los plötzlich zuviel Arsen enthalten ist.
Qualitätssicherung im Dienstleistungs- und sozialen Bereich ist sogar oft kontraproduktiv, weil die Garantie gleichbleibender Qualität eine grundsätzlich konservative Forderung ist. Viele sozial Tätigen sollten hingegen darauf hin arbeiten, sich überflüssig zu machen, statt ihre Stellung zu zementieren. So etwa in der Arbeitslosen- oder Behindertenindustrie.
Ende Exkurs Qualität allgemein]
Gut gefällt mir an der Qualitätsforderung, dass der Autor dieser These auf ein gewisses Überangebot von Kultur zu reagieren scheint. Wenn uns heute – finanziert von Pauschalabgaben, gegen die wir uns nicht wehren können – in jeder Bahnhofunterführung, in jeder Beiz, in jedem Warenhaus Hintergrundsmusik (auch Muzak genannt) nervt, sodass wir uns nur mit Stöpseln in den Ohren und Gegenlärm von – ebenfalls über Pauschabgaben finanzierter – Musik der eigenen Wahl aus dem iPod dagegen abschirmen können, ist die für die Allgemeinheit nützliche Qualität sicher nicht mehr gegeben.
Gratiszeitungen, die unsere Trams und unsere Hirne verschmutzen, haben wie Muzak offenbar das wünschbare nachgefragte Ausmass an „kulturellen Werken“ überschritten, obwohl sie zu den wichtigsten vom Urheberrecht geschützten und geförderten Kulturzweigen gehören, und – wie das vielgescholtene Internet – die allgemeine Gratismentalität fördern. Es ist also nicht alles, was heute als „Werk“ geschützt ist, im Interesse der Allgemeinheit.
Die Forderung der Diversität, also der Vielfalt, steht auf den ersten Blick im Gegensatz zur konservativen Forderung nach Qualität. Zum mindesten ist dies ein Instinkt, den wir aus dem industriellen Zeitalter geerbt haben. Bei der für dieses Zeitalter typischen Massenproduktion kommt Diversität unweigerlich unter die Räder. Aber gerade bei Kultur, bei der Verfertigung von Romanen oder Symphonien, dürfte es schwierig sein, etwas anderes als Diversität zu erreichen, da verschiedene Werke eben verschieden sind. Also kann Diversität in diesem Kontext höchstens noch mit der Anzahl neuer Titel gemessen werden. (Die Anzahl alter Titel kann man ja nicht mehr steigern. Ausserdem interessiert sich die Rezeption vor allem für Neues.)
Man sollte also eher eine angemessene Anzahl Neuerscheinungen fordern – allerdings unter dem Vorbehalt, dass diese die nachgefragte Menge bei Nullpreis nicht überschreitet, wie dies bei Muzak der Fall ist.
Die Forderung der angemessenen Abgeltung der Produzenten klingt auf den ersten Blick sympathisch. Wer kann dagegen sein, dass jemand für seine Arbeit angemessen entlöhnt wird. Wenn man sich das aber genauer anschaut, ist es weniger offensichtlich. Was unterscheidet den nicht angemessen bezahlten Künstler von anderen Dienstleistern? Der Künstler arbeitet ohne Auftrag und produziert ein nicht nachgefragtes Produkt. Sonst hätte er ja schon ein angemessenes Honorar beim Auftraggeber vereinbart. Warum soll nun jemand, der etwas herstellt, was niemand bestellt hat, „angemessen“ entlöhnt werden? Letztlich läuft diese Forderung auf ein bedingungsloses Grundeinkommen hinaus. Jeder kann sich zum „Urheber“ erklären und irgendwelche „Werke“ herstellen, auf die niemand gewartet hat. (Ich sehe zwar durchaus ein paar politische Vorteile bei einem bedingungslosen Grundeinkommen. Ein solches steht aber hier nicht zur Diskussion und ist sicher nicht über ein Urheberrechtsgesetz einzuführen.)
Fazit 1: Die These ist im Zusammenhang mit der Urheberrechtsdiskussion nicht zielführend, da sie auf jegliche andere ökonomische Tätigkeit mit gleichem Recht zutrifft.
Fazit 2: Die folgende Umformulierung, die schon in meiner Antwort auf These 1 angedeutet wurde, könnte an die Stelle von These 3 gesetzt werden und für die Begründung von Urheberrechtsregeln als Basis dienen:
Antithese zur These 3:
Die Allgemeinheit hat zwei, möglicherweise widersprechende, Interessen:
- freien, preisgünstigen Zugang zu kulturellen Werken,
- Vorhandensein von kulturelle Werke nach Massgabe ihrer Nachfrage.
Es ist denkbar, dass urheberrechtliche Regelungen zwischen diesen beiden Zielen einen „Ausgleich“ herstellen müssen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die kulturelle Produktion völlig eingestellt wird, wenn der Zugang zu kulturellen Werken frei und preisgünstig oder gratis ist.