Schillernder Medienbegriff

Am 19. September hat die Lesegruppe der Digitalen Allmend die neue Saison eröffnet. Wir beschäftigen uns mit Medientheorien und besprechen das entsprechende Buch von Dieter Mersch (1).

Mersch betont die Vielgliedrigkeit und schwere Fassbarkeit des Medienbegriffs. Die Vielgliedrigkeit rührt daher, dass ganz verschiedene Stränge in den Begriff eingegangen sind. Als die wichtigsten identifiziert Mersch die Wahrnehmungstheorie seit der Antike, die Sprachtheorie des 18. Jahrhunderts und die Kommunikationstechnologien seit dem 19. Jahrhundert. Die Betrachtung von Kommunikationsmedien setzt also relativ spät ein: mit der Sprachtheorie. Die Reflexion der Massenmedien beginnt mit deren Durchbruch in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Erst jetzt wird der Medienbegriff im Alltagsgebrauch darauf gerichtet. Noch um 1900 dachten die meisten Menschen beim Medium an eine spiritistische Sitzung.

Mersch betont die Negativität des Medienbegriffs. Weil es sich um eine Instanz der Vermittlung, des Dazwischen handelt, „kann es nicht positiv modelliert werden“ (S. 17). Hier wird in der Diskussion Kritik an der Absolutheit des Postulats laut: Wenn das gesellschaftliche Umfeld und die Akteure charakterisiert werden können, kann auch das Medium entsprechend gefasst werden. Anhand etwa des Begriffs der Mobilität überlegen wir, dass auch andere Konzepte lösgelöst von Zeit und Umständen nicht hinreichend beschrieben werden können.

In der Antike prägt Aristoteles den Medienbegriff als physikalisches Kozept. Beim Sehen braucht es ein Drittes, das dem Auge das Sehen eines Gegenstandes erlaubt. Dieses Notwendige ist aber nicht fassbar, es ist transparent und konturlos, eine Art eigenschaftsloser Zwischenraum. Das Medium besänftigt so auch die Angst vor dem Nichts, den horror vacui. Noch lange werden sich die Menschen im allgemeinen und die Wissenschafter im speziellen nicht vorstellen können, das sich im Nichts etwas fortbewegen kann. Als im 18. Jahrhundert Magnetismus und Schwerkraft intensiv diskutiert werden, lebt die Vorstellung des zwischenräumlichen Mediums erneut auf.

Bereits im 17. Jahrhundert erlebt die Medienthematik einen Aufschwung. Das Interesse an Optik und Akustik bringt die Frage nach Transportmedien für Licht und Schall aufs Tapet.

Die Romantik bringt eine radikale Verschiebung. Das Konzept des Mediums wird in die Kunstbetrachtung eingebracht. Medien sind in einem Kontext der Produktion Elemente der Ermöglichung. Medien ermöglichen die Hervorbringung von Abbildern. Weil diese Abbilder produziert sind und nicht einfach eine Kopie des Abgebildeten darstellen, bergen Medien das Potential der Entfremdung und Täuschung. Damit setzt eine negative Bewertung des Medialen ein die dem Begriff bis heute anhängt.

Sie scheint auch in der aktuellen Web 2.0 Diskussion auf, wenn den (verfälschten) institutionalisierten Massenmedien eine (ursprüngliche, unmittelbare) Medienszene von Citizen JournalistInnen und Bloggern gegenübergestellt wird.

Die Entwicklung der Nachrichtenübertragung, die im 19. Jahrhundert mit dem Telegraphen einsetzt, bewirkt eine neuerliche Verschiebung der Wahrnehmung des Medialen. Es erscheint ein neuer Bedeutungsstrang. Das Ökosystem der Zeichen wird mathematisiert und technisiert. Das Medium wird kybernetisch – zum Kanal für den reibungslosen Fluss der Signale.

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Nach den ersten paar Dutzend Seiten hinterlässt das Buch einen ausgezeichneten Eindruck. Knapp und doch verständlich werden Entwicklungslinien und die Vielfalt der Einflüsse ins Licht gerückt.

1) Dieter Mersch. Medientheorien zur Einführung. Junius. Hamburg 2006.

Neue Phase der globalen Massenkultur

Medienwandel 3: In historischer Perspektive

Mit einigen allgemeinen Bemerkungen kommen wir zum Schluss dieser kleinen Serie. Im Herbst wird sich die Lesegruppe der Digitalen Allmend einem neuen Themenschwerpunkt zuwenden.

Es ist nicht so, dass erst das Web 2.0 hat die Globalisierung der Kommunikation gebracht hat. Bereits im 19. Jh existierte ein weltumspannendes Kommunikationsnetz, das die Zentren über Seekabel mit Lichtgeschwindigkeit verband. Über den Börsencrash 1929 konnten sich die Funktionseliten praktisch live informieren. Neu ist in diesem Jahrhundert das Vordringen multimedialer Konnektivität in die Lebenswelt der breiten Bevölkerung.

Seit dem 19 Jahrhundert erlebt praktisch jede Generation einschneidende mediale Umwälzungen wie das Aufkommen einer politischer Presse, dann der Massenpresse Ende 19. Jahrhunderts, Radio, Filme und Zeitschriften in der Zwischenkriegszeit, TV und Kulturindustrie in der 2. Hälfte der 20. Jahrhunderts.

Den spektakulärsten Trend im 20. Jahrhundert bildet der Aufschwung der zentralisierten elektronischen Medien. Das Radio in den 30er und das Fernsehen in den 50er und 60er Jahren modifizierten den Medienkonsum massiv. Die Rolle der gedruckten Presse schrumpfte, insbesondere in den Bereichen Unterhaltung und Infotainment.

Die erste Generation elektronischer Medien brachte zentralisierte mediale Formen hervor. Die digitale Revolution treibt die Entwicklung auch am andern Ende voran und erlaubt sehr feingliedrige mediale Formen. Wie Medienhistoriker bei der Einschätzung des Fernsehens betont haben, bringen neue Medien die alten nicht einfach zum Verschwinden. Es entstehen neue Kombinationen. Wohin sich der Medienmix in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird, ist nicht voraus zu sehen.

Klar ist wohl, dass die Verschiebung auf der physischen Medieneben weitergehen wird. Die Digitaltechnik treibt den Trend voran, den Radio und Fernsehen angeschoben haben: Weg vom der dauerhaften Verbindung von Information und Papier, hin zu flüchtigeren Formen elektronischer Darstellung. Kulturgüter auf Papier dürften immer eine gewisse Rolle spielen. Wie bedeutend sie die im Alltagsleben der nächsten Jahrzehnte bleiben wird, wird sich weisen.

Es wandeln sich nicht nur die medialen Technologien und Formen. Es verändert sich auch die Medienkultur: die Art und Weise, wie die Menschen Medien und Kommunikationsmittel sehen, bewerten und in ihren Alltag einbauen.

Die neue Medienwelt ist vielfältiger in den Formen und banaler bei den Inhalten. Die neue Medienkultur ist geprägt von einem Kult des Augenblicks und des Infohäppchens. Es wäre interessant, die Leistungsfähigkeit der neuen Kommunikationskultur etwa an der jüngsten Finanzkrise zu testen. Da haben weder die alten noch die neuen Medien und schon gar nicht die Kommununikations- und Wissenskultur der Branche einen guten Eindruck hinterlassen. Hier stand die erste Generation von online-Managern auf den Kommandobrücken, den Blick auf den Blackberry geheftet. In Echtzeit versorgt mit Informationen zu Politik und Märkten. Die Bilanz ist bekanntlich verheerend. Wo es an Analyse und Tiefgang fehlt, führen Infos ins Verderben. Vielleicht hätten sich die Führungskräfte besser gelegentlich ein ökonomisches und wirtschaftshistorisches Grundlagenwerk zu Gemüte geführt, als ständig auf dem Smartphone herumzumachen.

Die Endgeräte können nichts dafür. Technik und Medien brechen neue Möglichkeitenräume auf. Es sind aber gesellschaftliche Kräfte und kulturelle Präferenzen, welche die konkrete Gestalt und den Einfluss der Medien in weitere Sphären des Lebens gestalten. Ein Anschwellen des Informationsflusses führt nicht automatisch zu mehr Pluralismus und angemessenen Einschätzungen. Wenn die Qualität der Lagebeurteilungen mit den Bitflüssen auf europäischen Internetanschlüssen und Smartphones korrelieren würde, hätte sich die aktuelle Währungs- und Schuldenkrise nicht in dieser Tiefe entwickeln können.

Ermächtigung der Machlosen?

Medienwandel 2:  Zivilgesellschaft und politische Öffentlichkeit

Das Internet und die günstig gewordenen Endgeräte haben völlig neuartige low cost Medien ermöglicht. Ohne grossen Aufwand kann mit einem Blog oder einem Facebook-Konto weltweit zugängliches Material publiziert werden. Das Potential für eine Ermächtigung der Machtlosen erscheint verheissungsvoll. Konnte dieses Potential von individuellen BürgerInnen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen in einer Weise ausgeschöpft werden, die ihre Position gegenüber grossen Playern verbessert hat? Einige Hypothesen mit Blick auf entwickelte Gesellschaften mit demokratischen Traditionen.

Quantitativ haben die öffentlich sichtbaren politischen Äusserungen dank den neuen Medien substantiell zugenommen: Blogs oder manchmal in die hunderte gehenden Kommentare auf Zeitungs-Webseiten. Politische Meinungsäusserung ist unverzichtbar. Lebhafte Diskussionen im persönlichen Umfeld oder am Arbeitsplatz, in der Bar oder Web-Kommentarspalte bilden die unverzichtbare Basis für demokratische Einflussnahme auf gesellschaftlicher Ebene.

Die Vervielfachung der neumedialen Meinungsäusserungen kann aber nicht einfach mit einer Bereicherung der öffentlichen Debatte gleichgesetzt werden. Einmal sind Beiträge zu zentralen Themen wie Klimawandel, Finanzkrise, Staatsverschuldung oder EU-Entwicklung eher dünn gesät. Zweitens ist ein Verortungsproblem sichtbar geworden.

Es gibt eine Menge berechtigte Äusserungen am ‚falschen‘ Ort:  Mündliche Statements (Pausendiskussion) erscheinen nun schriftlich etwa in Kommentarfunktionen der Tageszeitungen. Die gesellschaftliche Öffentlichkeit wird mit personalen Äusserungen geflutet. Was in einer Pausendiskussion ein spannender Beitrag ist, mutiert im öffentlichen Forum zum gähnend langweiligen weil meist nicht originellen Kommentarspaltenfüller. Drei Sätze lange Statements in einer Pausendiskussion sind dank der sprechenden Person und dem ganzen Kontext mit reichhaltigen Verweisen aufgeladen. In der anonymisierten schriftlichen Äusserung wirken die gleichen Sätze erheblich substanzärmer.

Weil manche Medienformen gratis und einfach nutzbar sind, ergiessen sich riesige Contentmengen in die Medienkanäle. Das Aufmerksamkeitsvolumen hat sich aber nicht vergrössert. Ein Aufmerksamkeitsdilemma platzt auf. Es ist keineswegs so, dass immer mehr Individuen immer mehr individuelle Meinungsäusserungen zur Kenntnis nehmen und verarbeiten. Ironischerweise werden überbordende Kommentarspalten am ehesten von den JournalistInnen des Hauses ausgewertet, als gratis angeliefertes Quellenmaterial.

In den neunziger Jahren haben digitale Medien die Utopie genährt, dass spontane mediale Selbstorganisation die traditionellen Massenmedien und ihre Auswahlfunktion überflüssig machen könnte. Die Erwartung, dass sich nun Individuen direkt und ohne Institutionalisierung auf gesellschaftlicher Ebene zur politischen Diskussionen formieren könnten, erfüllt sich nicht. Ja, die staatsfreie zivilgesellschaftliche Assoziation von Individuen für eine lebendige Gesellschaft essentiell. Andererseits sind Institutionalisierung und Professionalisierung unverzichtbar, wenn es um grosse Gebiete, grosse Volumen und Dauerhaftigkeit geht. Wenn sich die beispielsweise Umweltbewegung auf Quartiernetze und Mailinglisten beschränkt hätte, wäre der Einfluss gering geblieben.

Sicher, die Glaubwürdigkeit von Organisationen und Institution ist in den letzten zwei Jahrzehnten erodiert. Wie wird das Orientierungsvakuum gefüllt? Entwickelt haben sich Spielarten von Cyberpoupulismus zu, bei dem sich „Friends“ um charismatische Führungsfiguren scharen. Mehrere charismatische Kampagnen der letzten Jahre zeigen die Möglichkeit, auch desinstitutionalisierte und dezentrale Medien im Takt des zentralen Kampagnenmanagements tanzen zu lassen.

Bei der Betrachtung der öffentlichen Diskussion geht es keineswegs nur um den ethischen Aspekt der Bürgerbeteiligung. Es geht auch um das gute Funktionieren moderner Gesellschaften: Nur wenn ein Dutzend wichtiger Themen kritisch und intensiv diskutiert werden, können einigermassen angemessene Strategien gefunden werden. Blicken wir auf die Entwicklung in den USA oder Europa in den letzten zehn Jahren.  Da wird sich kaum jemand mit der These aus dem Fenster lehnen, die Verbreitung der Web 2.0 Medien sei Hand in Hand mit einer Verbreiterung und Belebung des gesellschaftlichen Diskureses einher gegangen.

Eher muss eine gewisse Qualitätsverschlechterung der öffentlichen Diskussion konstatiert werden. Das Gewicht professionell aufbereiteter Inhalte ist gesunken (Pressekrise in  den USA) – das relative Gewicht nicht argumentierender Äusserungen hat zugenommen. Das kann bestimmt nicht einfach den digitalen Medien angelastet werden. Hier müsste eher ein Kulturwandel im gediegenen Mittelstands diskutiert werden, der ausserhalb des Arbeitsplatzes weniger bereit ist, anspruchsvollen Inhalten Aufmerksamkeit und Geld zu widmen. Dazu passt, dass es in der Medienindustrie nur zwei von drei Branchen glänzend geht, der IT-Branche und der Werbewirtschaft. Sie sichern sich den Löwenanteil der Wertschöpfung. Die professionelle Contentproduktion zum politischen Diskurs befindet sich in einer Krise, insbesondere das journalistische Segment in den USA.

Wie ergeht es zivilgesellschaftliche Organisationen und Bewegungen im digitalen Zeitalter? Sie sind auf Medien mittlerer Reichweite angewiesen, zur Selbstorganisation, zur Strukturierung und Mobilisierung des Umfelds und zum Einwirken auf die Öffentlichkeit. Basisbewegungen erscheinen prädestiniert, von den neuen Medien erheblich zu profitieren. Sie haben denn die neuen Möglichkeiten auch produktiv und phantasievoll aufgegriffen. Der Wandel hat aber trotzdem nicht zu einer relativen Stärkung zivilgesellschaftlicher Player beigetragen. Eine unmittelbare Verbesserung der medialen Infrastruktur wurde kompensiert, indem auch Wirtschaftsverbände, Konzerne und staatliche Institutionen mit grossen Ressourcen die Medien des Web 2.0 bespielen. Offenbar hängt die Stärke zivilgesellschaftlicher Bewegungen von andern Faktoren ab als von Kommunikationstechnologien.

Es gibt so etwas  wie eine machtpolitische Indifferenz medialen Wandels. Langfristig und unter demokratischen Bedingungen lässt sich die These formulieren: Medialer Form- und Technologiewandel ist machtpolitisch indifferent, solange grundlegende Mechanismen der Zugänglichkeit und Distribution nicht tangiert werden. Die Schwelle breiter medialer Handlungsfähigkeit wurde durch zivilgesellschaftliche Bewegungen bereits im 19. Jh überschritten, etwa durch das Aufkommen von Presseerzeugnissen der Arbeiterbewegung und billiger Flugblätter. Das mag ein Grund dafür sein, dass die Verbreitung digitaler Medien in demokratischen Staaten nicht zu einer Ermächtigung zivilgesellschaftlicher Bewegungen geführt hat.

Hyperplastische neue Medien

Was Medien genau sind, ist gar nicht einfach zu beschreiben (mehr dazu im Anhang unten). In der Lesegruppe der Digitalen Allmend haben wir uns ein Jahr lang mit digitalen Massenmedien und Kommunikationsmitteln beschäftigt. Manches ist nebulös geblieben, einiges ist klarer geworden. Eine vorläufige Bilanz bringen wir in knapper Form in drei Beiträgen vor.

Medienwandel 1: Charakteristika digitaler Medien

Jede Generation von Medien hat die Möglichkeiten der Kommunikation erweitert und umgestaltet. Was sind die spezifischen Eigenschaften digitaler Medien?

Digitale Medien sind hyperplastisch. Bereits ältere Medientechnologien haben vielfältige mediale Formen ermöglicht. Digitaltechnologien erlauben insbesondere in der visuellen Gestaltung und bei der funktionalen Verknüpfung äusserst breite Gestaltungsmöglichkeiten. Kontrapunkt: Der Mangel an gestalterischem Knowhow und kulturellen Leitplanken hat zu ausufernder Low Quality geführt. Als Reaktion darauf hat sich stellenweise eine restriktive gestalterische Orthodoxie etabliert – definiert etwa von Apple oder Facebook. Die Plastizität öffnet auch ein Potential in der institutionellen Dimension. Vielfältige Formen der Trägerschaft sind potentiell denkbar.

Digitale Medientechnologien sind potentiell preiswert. Extrem hoch ist die Rate der Produktivitätserhöhung bei der Verarbeitung von Informationen auf Bitebene. Das ergibt günstige Skalierungsmöglichkeiten für standardisierte Enduserangebote (Blogs, Speicher, Social Network Konto). Andererseits steigt die Einstiegsschwelle, um skalierbare Services zu betreiben (Clouds, Suchmaschinen). Das Gewicht der Grosskonzerne nimmt zu.

Mediale Formen sind neutral in Bezug auf IT-Produkte. Es gibt keine Entsprechung bestimmter IT-Produkte oder Plattformen mit medialen Formen. Die Medienschicht kann auf jeder Plattform aufsetzen, welche die entsprechenden Netzwerk- und Webprotokolle sowie die nötigen Datenbank- und Programmiertools implementiert. Anders formuliert: Technologie und Kultur sind treibende Kräfte auf zwei verschiedenen Ebenen. Technologie treibt die Ausweitung der Möglichkeitsräume voran, kulturelle Präferenzen entscheiden darüber, welche Medientypen entwickelt werden und Resonanz finden.

Hybride Medientypen entstehen. Neue Medien können hybride mediale Dimensionen integrieren. Sogenannte Soziale Netzwerke integrieren Aspekte von Directory, Repository, Micromedium und personalem Kommunikationsmittel. Auch auf einer institutionellen Ebene haben sich hybride Medienkonglomerate herausgebildet, welche traditionelle und neue Medien in eine Medieninstitution integrieren, etwa unter dem Label einer Tageszeitung oder Fernsehstation, aber auch in der medialen Infrastruktur von grösseren NGOs.

Verschiedene Aspekte der Usability neumedialer Endgeräte sind weiterhin schlechter als die Papierreferenz, insbesondere bei mobilen: Erweiterte Funktionalität bei mässiger Usability. Der saisongerechte SzenenBadi-Test: Wie viele Leute lesen Texte mit mehr als hundert Worten auf einem Smartphone oder Pad? Es gilt das Diktat: Mobility is King! Der Mobilität werden in den entsprechenden Geräteklassen ergonomische Basics wie grosse Bildschirme und optimierte Tastaturen untergeordnet. Hier ist die Stärke der Informationszugriff in Echtzeit, nicht die Qualität der Darbietung.

 

ANHANG: Was sind Medien?

Der Medienbegriff ist weit und schillernd. Er reicht von philosophischer Allgemeinheit über die Kühlmedien im Maschinenbau bis zum Verbindungsglied ins Jenseits. Wir beschäftigen uns hier mit Medien der Kommunikation.

Um den Begriff etwas zu klären, kann ein Schichtenmodell verwendet werden: Die Mediale Infrastruktur umfasst Bauten, IT Produkte, Services, Firmen. Beispiel: Eine Webserver- und Datenbankinstanz in der Cloud. In der medialen Form werden Elemente der Infrastruktur, gestalterische und strategische Elemente in einen Auftritt geformt. Beispiel: Webauftritt des Tages-Anzeigers. Der Content als kulturelles Artefakt umfasst Sinn und Bedeutung tragende Objekte, die in die Mediale Form gefüllt werden.

Eine zweite Differenzierung kann entlang der Skalierung erreichbarer Publika vorgenommen werden. Dabei können Medien (im engeren Sinn) von Mitteln interpersonaler Kommunikation unterschieden werden.

Social Web – ein Anspruch

Als letztem Schwerpunkt des Themas „Digitale Medien“ haben wir uns in der Lesegruppe zwei konkreten Medien zugewandt – Microblogs und Sozialen Online Netzwerken (OSN). Als Grundlage dient das Buch „Social Web“ aus der wissenschaftlichen Nachwuchsszene (1).

Die AutorInnen bieten reiches Material und liefern zu jedem Medium ein gut strukturiertes Kapitel. Twitter entstand 2006 aus einem firmeninternen Versuch. Im Buch werden diese Formen als Microblogging gefasst, mit dem ein abonnierbarer Strom von Kurznachrichten gespiesen wird. Als Inhaltstypen werden genannt: Nachrichten unter Privatpersonen, Breaking News, politische Mobilisierung, Fachinformation, Kundenkommunikation wie das erfolgreiche Dell Outlet. Dass die bekannte Notlandung auf dem Hudson zuerst über Twitter verbreitet wurde, wirkt eher anekdotisch als beweiskräftig für die Relevanz dieses Kanals.

Leider fehlt hier wie andernorts eine distanzierte Einordnung und kritische Wertung. Gerade bei Twitter ist ein Kernelement diskutabel, wenn der Anspruch eines öffentlichen Mediums erhoben wird: die hierarchische Struktur und das Konzept der Follower, der Gefolgschaft. Das erinnert etwas an sektenförmige Muster – weniger an kritische Medienrezeption. Problematisch ist natürlich nicht der Grossteil der pragmatischen Nutzungen, sondern die kulturelle Akzeptanz des Gefolgschaftskonzepts. Sie entspricht durchaus einem Aspekt des Zeitgeistes, der sich von Institutionen ab und Führungsfiguren zuwendet.

Die Verbreitung und Relevanz von Twitter ist beschränkt geblieben. Die AutorInnen zitieren eine Umfrage aus Deutschland. Intensive Twitternutzung findet sich bei jüngeren, akademisch gebildeten Männern, die in Städten leben und der IT nahestehen. Das entspricht in etwa den Erfahrungen der Diskussionsteilnehmer. Zur Möglichkeit, Mircroblogs in der betrieblichen Kommunikation einzusetzen, wird in der Diskussion die Effizienzfrage aufgeworfen: Bringt die Vermehrung der Aufmerksamkeit heischenden Kanäle wirklich etwas?

Soziale Netzwerke respektive Online Social Networks (OSNs) haben sich in den letzten Jahren massiv verbreitet, allerdings nicht im ersten Anlauf, wie die AutorInnen feststellen. Bereits 1997 kam der Dienst Sixdegrees auf den Markt, ohne auf relevantes Echo zu stossen.

Die AutorInnen referieren das „Small World“ Konzept aus den 1960er Jahren, das auf die Feststellung hinausläuft, dass alle mit allen über maximal sechs Knoten verbunden sind. Wenn auch mit etwas Vorsicht präsentieren sie OSNs als Realisationsmöglichkeit für globales Beziehungspotential. Fragwürdig ist dieser Hang zur Stilisierung, wenn OSNs als wichtiges Akkumulationsinstrument für „soziales Kapital“ (Bourdieu) präsentiert werden. Wohl eher trifft das Gegenteil zu: Je relevanter die Gelegenheiten sind, bei denen Menschen ihr soziales Kapital mobilisieren, desto irrelevanter ist die Zahl der Facebook-Freunde.

Kein Zweifel: OSNs schaffen auch soziale Beziehungen. Was sich auf OSNs abspielt und repräsentiert, ist aber nur ein sehr limitierter Teile des sozialen Ganzen. Dieses Verhältnis zwischen Teil und Ganzem würden wir in einer akademischen Publikation gern diskutiert sehen. Ebenso das entsprechende illusionäre Potential, das einen Teil der Nutzer verleiten mag, den Gehalt der auf einem technischen System repräsentierten Beziehungen zu überschätzen.

Die meisten NutzerInnen der OSNs machen sich im Alltag wohl kaum allzu viele Illusionen. Interessant wäre es zu sehen, welche Nutzungsmuster in welchen Schichten verbreitet sind. Attraktiv dürften verschiedene Elemente sein: Die Directory-Struktur garantiert Individuen und Organisationen ein dauerhafte, auffindbare Präsenz: Facebook als Telefonbuch 2.0. Neu ist nun aber, dass sich an diese Directory-Präsenz vielfältige mediale Formen anhängen lassen, die von Präsentationen bis zu Kontaktaufnahme gehen. OSNs sind ein hybrides Kommunikationsmittel, das Elemente von Directory, Kontaktbörse, personaler Kommunikation und Massenmedium zusammenfügt.

In der Diskussion sind keine Kontroversen hochgeschwappt. Der Social Network Hype der letzten Jahre ist abgeklungen. Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang sich OSNs dauerhaft in die Alltagskulturverwurzeln. Die Directorystruktur, die NutzerInnen ohne grossen Aufwand eine dauerhafte Präsenz ermöglicht, dürfte OSNs mehr Zukunftsfestigkeit verleihen, als anderen Erscheinungen. Zu hoffen ist, dass OSNs zu von einer Plattform zu einem Protokoll werden. Statt auf der Infrastruktur eines Grosskonzerns zu kleben, könnten kleinere Netze und Einzelinstanzen als kompatible Module miteinander interagieren.

1) Anja Ebersbach, Markus Glaser, Richard Heigl: Social Web. 2. überarbeitete Auflage. 2011, 316 Seiten ISBN 978-3-8252-3065-4. Das Buch bietet eine faktenreiche Übersicht.

Unter Kontrolle?

Inmitten des spektakulären Aufschwungs, den das Internet nach 1995 nahm, hat Andrew Shapiro die Möglichkeiten der neuen Technologien ausgelotet. Mit der These einer „control revolution“ betont er den Spielraum für eine Ermächtigung der Individuen. Die Lesegruppe der Digitalen Allmend hat den Text am 14.3. diskutiert.

Shapiros Statement ist von den Umständen Ende 90er Jahre geprägt. Er profitiert davon, dass die Wellen von medialen Moden noch nicht im Jahrestakt über den Globus schwappen. Weil er sich auf grössere Trends konzentriert, altert sein Buch erheblich besser als manche jüngere Texte zu Blogs oder Second Life, die nach wenigen Jahren bereits ziemlich antiquiert wirken.

Shapiro beginnt mit einer Episode aus der Schlussphase der Sowjetunion, wo das Regime die Faxverbindung von einem Freund in Moskau zum amerikanischen Autor einfach kappen konnte. Einen e-Mail Nachrichtenfluss hätten die Behörden nicht stoppen können. „Wahrscheinlich“ nicht, präzisiert der Autor, der sich immer wieder vor groben Vereinfachungen hütet. An diesem Punkt setzt eine Diskussion ein, wie weit eben auch das Internet von Machthabern nicht einfach nur weggeschaltet, sondern auch selektiv überwacht und beschränkt werden kann, wie etwa in China. Eher einfach ist das beim grenzüberschreitenden Verkehr und bei einer geringen Zahl von Providern möglich.

Etwas unbeholfen wirken die kurzen Äusserungen zum politischen Charakter von Technologie, welche durch Randbedingungen in die eine oder andere Richtung entfaltet werden könne. Shapiro sieht das Netz als „defined mostly by code“. Darum diskutiert er Eigenschaften wie Interaktivität oder Interoperabilität hauptsächlich auf technischer Ebene, als Codeeigenschaften eben. Damit verpasst Shapiro einen zentralen Aspekt der digitalen Infrastruktur: Diese ist extrem plastisch und definiert keine medialen Kanäle. Die konkreten Medien werden auf einer sozialen Ebene konstruiert. Blogs, Second Live, Twitter, Facebook sind mediale Formen, die auf den immer gleichen Technologien beruhen. Die Ende 90er Jahre angesagte Gleichsetzung von technischer Kontrolle (über den Code, das Betriebssystem) mit Kontrolle über seine Lebensumstände ist verblasst.

Der Autor selber präzisiert den Aspekt der „Bändigung der Maschine“ mit dem Aufkommen grafischer Userinterfaces. So erschien der MacIntosh gegenüber den kalten und verwirrenden Kommandozeilen-Betriebssystem als „menschlich, warm und liebenswert“. Er bringt das Konzept einer direkten Manipulation von Gegenständen auf dem grafischen Interface als Beweis für Kontrollgewinn. Da wäre zu unterscheiden. Wenn der User arbeitend oder spielend grafische Objekte manipuliert, kontrolliert er Elemente auf einem von Dritten inszenierten Spielplatz. Den Spielplatz kontrolliert er nicht.

Seiner Zeit voraus war Shapiro mit der These, dass die Postulierung eines Cyberpace als eigenständiger Sphäre wenig realitätsnah und sinnvoll ist. Symbolische Interaktionen auf dem Internet seien nicht entkoppelt von Auswirkungen auf reale Menschen und ihre Beziehungen.

Kontrollgewinn sieht Shapiro im Bereich von Medien und Kommunikation. Er bringt das Beispiel einer Bulletin-Board Kampagne, welche das Time Magazine zum Rückzug falscher Behauptungen über die Pornolastigkeit des Internets gezwungen hat. Das Internet senkt massive die ökonomischen Eintrittsschwellen für „digitale Autoren“. Shapiro hält sich zu euphorischen Position Distanz, sieht aber durchaus online Publizistik als Gegengewicht zu den stark konzentrierten Massenmedien: Individuen würden „more control over the flow of information“ ausüben.

Ein zentrales Konzept ist für den Autor die Tendenz zum Verschwinden von Intermediären. Darunter fällt bei der Meinungsbildung ein Glaubwürdigkeitsverlust von Institutionen wie Medien, Unis oder Behörden. Vorsichtig tönt Shapiro die Möglichkeit von Dezentralisierung und elektronischer Demokratie an. In der Diskussion konstatieren wir allerdings, dass eine Tendenz zu Dezentralisierung und politischer Ermächtigung der BürgerInnen nach fünfzehn Jahren Web in den entwickelten Ländern kaum festgestellt werden kann. Im Gegenteil: In Europa wurden in der Zwischenzeit permanent Kompetenzen hin zu einem für die Zivilgesellschaft wenig kontrollierbaren Zentrum verlagert.

Der Autor greift grundlegende Fragen in einer Weise auf, die auch zehn Jahre nach der Publikation noch interessant ist. Wie weit das Hantieren mit digital unterlegten Medien und Kommunikationsmitteln auch mit einer Ermächtigung der Individuen gleichzusetzen ist, bleibt weiter zu diskutieren. Genauso wie der Begriff der Kontrolle, der in verschiedenen Kontexten Unterschiedliches bezeichnen kann.

An einer Stelle vergleicht der Autor die Ermächtigung durch die vernetzten Rechner mit der Ermächtigung durch das Auto. Das ist für den amerikanischen Kontext nicht ganz unwichtig. Gerade in der kulturellen Tradition der USA ist Kontrolle mit zwiespältigen Elementen Verknüpft. Es gibt nicht nur eine urban adrette Lesart von Ermächtigung. Wir sehen ja auch eine Gun, Car und Einfamilienhaus Version, die etwa mit der Tea Party Bewegung auf dem Web erfolgreich ihre Vorstellungen von Kontrollgewinn propagiert.

Andrew L. Shapiro. The control revolution : how the Internet is putting individuals in charge and changing the world we know. New York : PublicAffairs, 1999.

Big (Media) Science mit Lücken

Der kritische Kommentar zum Beitrag über die Qualitätsstudie weist durchaus auf einen wunden Punkt hin, der vielleicht weniger die Imhof-Studie, wohl aber die Kommunikationswissenschaften generell betrifft: Die digitale Medienszene wird weitgehend im Kontext traditioneller Medien analysiert. Neue kommunikative und mediale Formen werden eher oberflächlich gestreift, der Medienbegriff bleibt wenig konturiert. Die entsprechenden Phänomene werden an das Spezialgebiet „New Media“ ausgelagert.

Wir wollen einige Schwächen und Stärken des Mainstream-Ansatzes anhand eines Grundlagenwerks aus den USA ansehen. „Understanding Media in the Digital Age” (1). Es richtet sich an StudentInnen und anspruchsvolle Interessente aus Publizistik und Werbewirtschaft.

Einleitend werden unverzichtbare Basics zu Kommunikation diskutiert: Kommunikation, Sprache, Kultur, Symbole. Ein Grundmodell menschlicher Kommunikation bezieht sich auf die Kette von Shannon-Weaver: Quelle – Sender – Signal – Empfänger – Ziel, beeinflusst durch Störungen. Dieses lineare Modell wird heute als allzu vereinfachend eingeschätzt. Die Autoren bringen weitere Elemente ein: Erfolgreiche Kommunikation basiert auf Elementen wie Genauigkeit, Feedback und Rollenverhalten. Da wird eine Menge Relevantes auf 19 Seiten gepackt.

Was ist ein Massenmedium?

Der Text nennt eine Reihe von Kriterien, welche Massenmedien kennzeichnen: 1. Professionelle Kommunikatoren als Sender  2. Gewünschte Bedeutungen werden von Produktionsspezialisten codiert  3. Als Information via spezialisierte Medien übermittelt  4. Grosse diversifizierte Massenpublika als Empfänger  5. Individuelle Empfänger konstruieren eine Interpretation der Nachricht  6. Empfänger werden beeinflusst. Der Text nennt drei Typen von Massenmedien: Publikationen (so Bücher, Magazine, Zeitungen) Film (vor allem kommerzielle Produktionen) und Elektronische Medien (vor allem Radio und TV, aber auch DVD).

Das sind wertvolle Elemente, das Problem liegt eher beim Ausgelassenen. Neben den herkömmlichen Massenmedien werden keine anderen Medientypen in vergleichbarer Tiefe entwickelt. Es werden keine Tools bereitgestellt, um etwa soziale Netzwerke oder Blogs zu analysieren und allenfalls in verschieden Segmente gliedern zu können. Letzteres ist vermutlich sinnvoll, um eine breit gefächerte Realität vertieft analysieren zu können. Letztlich bleibt darum der Medienbegriff vage, sobald die Welt der grossen Massenmedien verlassen wird.

Aufstieg des Digitalen

Die Forschungscommunity ist seit 1996 gewarnt: „If mass communication researchers continue to largely disregard the research potential of the Internet, their theories of communication will become less useful. Not only will the discipline be left behind, it will also miss an opportunity to explore and rethink answers to some of the central questions of mass communication research, questions that go to the heart of the model of source–message–receiver with which the field has struggled.” (Morris/Ogan).

Die Warnung wird im vorliegenden Band ernst genommen – mit Kapitel 2: Navigating Change – The Rise of Digital an Global Media. Die Geschichte des Internet wird kurz rekapituliert. Die Autoren stellen fest, das digtiale Zeitalter sei „radically different“ vom bisher gekannten. Es gelingt ihnen aber nur in Ansätzen, diese Radikalität zu fassen und zu vertiefen.

Gerne weisen wir auf die beiden interessanten und leider nur kurz angesprochenen Ansätze hin. Es geht um die Begriffe persönliche Medien und intermediäre Kommunikation: Neben Massenmedien gibt es Kommunikationsformen, die in neuer Weise hin zu Individuen adressierbar und von diesen verwendbar sind. Smartphones und Sharingmechanismen sind Beispiele von persönlichen Medien. YouTube ist vorerst ein persönliches Medien, das aber Züge eines Massenmediums annimmt. Auf einer mittleren Ebene können interessierte Personen via intermediäre Kommunikation untereinander in Kontakt treten.

Der Text bleibt leider ziemlich verschwommen. Klarheit herrscht oben, beim Thema klassische Massenmedien, und an der Basis, bei persönlicher Kommunikation. Dazwischen bleibt es wolkig. Vermutlich wird hier ein langfristiger Mangel fortgeschrieben: Die ganze Welt zivilgesellschaftlicher Bewegung und nichtkommerzieller Aktivitäten hat die Medienwissenschaft traditionell kaum interessiert, obwohl hier bereits vor dem digitalen Zeitalter reges Treiben herrschte – vom Pfadiblatt bis zu Mark Morrisroes „Dirt“.

Die Klassiker

In einem späteren Kapitel zur Medienökonomie wird knapp konstatiert, dass die Verlagerung zu digitalen Publikationen das Geschäftsmodell mancher Massenmedien unterminiert und es werden die üblichen Vorschläge aufgelistet, wie dem begegnet werden könnte, etwa mit Stiftungen zugunsten publizistischer Projekte oder Subventionen.

Nach dem ziemlich dünnen Teil über die Digitalisierung schöpfen die Autoren wieder aus dem Vollen. Die klassischen Medien werden ausführlich besprochen, wobei die Autoren besonders dem gedruckten Magazin und dem TV eine vitale Zukunft voraussagen. Themen wie Populärkultur, Marketing, Medienpublikum, Medienwirkungen und Regulierungen werden erörtert.

Da werden Know How Ressourcen sichtbar, die auch bei der Diskussion digitaler und subkultureller Medien nicht ignoriert werden können: Ein Begriff des Politischen und Öffentlichen, Identifikation grosser relevanter Player und eine Top Down Karte, die grossräumige Orientierung erlaubt.

Schwachpunkt im Mainstreamdiskurs der publizistischen Wissenschaft ist die Analyse des digitalen Wandels. In einzelnen Zonen wird aber lebhaft geforscht und publiziert: Im schon genannten Segment der New Media, bei der Nutzungsforschung und zu den online-Standbeinen der traditionellen Medien.

(1) Everette E. Dennis, Melvin L. DeFleur. Understanding Media in the Digital Age. New York : Allyn & Bacon. 2010.

Medien im Qualitätstest

Wie entwickelt sich die Qualität der Schweizer Medien im Zeitalter von Gratiszeitungen und Internet? Dieser Frage geht ein Jahrbuch nach, welches ein Team um Professor Kurt Imhof an der Universität Zürich publiziert hat. Lesegruppe der Digitalen Allmend hat sich mit dem Kapitel über online-Medien beschäftigt. Untersucht wird der Web-Auftritt etablierter Printmedien.

Dreh- und Angelpunkt der Untersuchung bilden vier Qualitätskriterien, die aus einer aufklärerischen Konzeption von Öffentlichkeit und Politik begründet werden:

Vielfalt folgt aus dem Universalitätsanspruch öffentlicher Kommunikation, in der keine Meinung ausgeschlossen sein soll. Das Jahrbuch kritisiert die im online Bereich vorherrschende Boulevardisierung, welche für die Gesellschaft wichtige Ressorts wie Politik oder Wirtschaft an den Rand drängt. Wenn sie behandelt werden, dann in einer emotionalisierenden und personalisierenden Weise.

Relevanz meint gesellschaftliche respektive politische Bedeutung – das Allgemeine, was alle angeht, hat Vorrang. Auch bei diesem Kriterium monieren die AutorInnen, dass „die Onlineinformationsangebote deutlich stärker zu einer personalisierenden und privatisierenden Berichterstattungslogik als die Presseausgaben“ tendieren. Die Webauftritte der Abonnementszeitungen „fokussieren stärker als ihre Printausgaben auf Sport- und Human Interest-Themen“.

Aktualität wird als Kriterium neben der zeitlichen mit einer qualitativen Dimension ausgestattet, was bei uns zu kritischen Kommentaren geführt hat. Die Autoren fassen Aktualität so, dass Medien auch „auch Kontext- und Hintergrundinformation bereitstellen“ sollen. Sie konstatieren in der Folge eine Vorliebe für „episodische Weltbeschreibungen zulasten der reflexiven Einbettung“. Als Ursachen werden Deprofessionalisierung und Ressourcenmangel genannt.

Professionalität wird gefasst als Streben nach Objektivität im Rahmen einer journalistischen Berufskultur. Als entsprechende Normen werden Transparenz, Faktentreue, thematische Kompetenz und Sachlichkeit genannt. Die Studie konstatiert kritisch die vorherrschende Rezyklierung von Agenturmeldungen und Material aus andern Bereichen des Medienkonzerns.

Kritisch haben wir in der Lesegruppe den Objektivitätsbegriff diskutiert, der als absolutes Kriterium nicht fassbar ist. Heruntergebrochen auf konkretere Kriterien wie Faktentreue oder Fachkompetenz entschärft sich das Problem ein Stück weit.

Weiter wurden die zahlreichen Überlappungen im Text bedauert. Zudem macht der Text einen etwas eingleisigen Eindruck, als ob die Tiefqualitätsthese schon vor der Untersuchung festgestanden hätte. Allerdings haben die AutorInnen durchaus auf Material gebaut. Für den online Teil wurden etwa 2000 Samples analysiert. Im Text fehlt allerdings die Herleitung und die Befunde werden etwas hölzern präsentiert. Interessierte LeserInnen folgen fürs Erste besser den guten Fazit-Einschüben, als sich den ganzen Text zu Gemüte zu führen. Empfehlenswert ist ein Gespräch mit Kurt Imhof als DRS2 Download, in dem er das Kriterienset begründet und die wichtigsten Ergebnisse der Studie vorstellt.

Fazit: Die Studie untersucht einen wichtigen Teilaspekt des medialen Strukturwandels anhand von nachvollziehbaren Kriterien und Methoden, aufbauend auf erhobenen Daten. Das bringt ein Gegengewicht zur Masse von Beiträgen, die in Form flauschigen Impressionen daherkommen.

Urheberrecht: Replik auf Kritik

Die zugespitzten Thesen zum Thema Urheberrecht haben ihre Anschubfunktion erfüllt. Sie haben ein umfangreiches Set von kritischen Beiträgen ausgelöst. Lebhafte Debatten machen eine Initiative wie die Digitale Allmend stärker und attraktiver. Eine eingehende Diskussion der Antworten würde den Rahmen des Blogs jedoch sprengen. Hier folgt also keine heroische Verteidigung der Thesen und schon gar nicht des Urheberrechts. Letzteres hat allenfalls einen instrumentellen Status. Es gehört für mich in den Werkzeugkasten und nicht auf den Altar existentieller Fragen. Ich werde mich auf die Thematik konzentrieren, die ich als Gravitationszentrum der Meinungsverschiedenheiten sehe: Die (Un)Gleichbehandlung verschiedener kultureller Aktivitäten.

Die Diskussion dreht sich nicht um Aspekte der Kunst- oder Meinungsfreiheit, sondern um die Gestaltung von ökonomischen Spielräumen für kulturelle Produkte. Wenn es für kulturelle Produkte ein Marktpotential gibt, sind die Produzenten häufig daran interessiert, ihren Lebensunterhalt damit zu verdienen und ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Das gilt für Wissenschaftlerinnen und Psychiater, Stripperinnen und Programmierer.

Völlig zutreffend weist Hartwig darauf hin, dass Ökonomie und Markt immer „auf den Rahmen der herrschenden Gesetze“ bezogen sind. Dem kann ich nur zustimmen. Weder Markt noch Gesetze oder die Justiz sind spontan entstandene überzeitliche Wesenheiten. Sie sind konstruiert und politisch verhandelbar. Das ist natürlich ganz etwas anderes als das neoliberale Gleichgewichtsmodell. Der Begriff „Marktverzerrung“ (bei These 1) bezieht sich also nicht auf ein imaginäres Marktgleichgewicht! Die Verzerrung bezieht sich auf das Postulat nach einer Gleichbehandlung verschiedener kultureller Schöpfungen.

Eine kurze Bemerkung zum Begriff der Kultur. Früher wurde der Begriff eher mit Kunst gleichgesetzt. Inzwischen bildet Kunst (auch populäre) eine Teilmenge der Kultur, diese wird aber breiter verstanden. Kultur umfasst die gesellschaftliche Sphäre symbolischer Handlungen. In einer zweiten Verwendung wird der Begriff noch weiter gefasst, etwa im Sinn von Kultur der Maya. Kultur umfasst so die Sphäre der symbolischen und materiellen Artefakte – Kultur als Gegenbegriff zu Natur. (Dazu Terry Eagleton – Was ist Kultur?)

Ellison hui – Madonna pfui?

Vor diesem breiten Kulturbegriff plädiere ich dafür, grundsätzlich mal allen ProduzentInnen eine gleiche Chance auf eine ökonomische Nische zuzugestehen. Hartwig sieht das anders und kann nicht nachvollziehen, „warum es schlimm wäre“ wenn gewisse Kategorien von Gütern bessere Marktchance hätten.

Da sehe ich schon ein Begründungsproblem bei Positionen, die einen „free flow“ kultureller Artefakte anstreben und diesen dann sehr selektiv nur bei ausgewählten Spezies einfordern, etwa bei gewissen popkulturellen oder journalistischen Produkten. Aufschlussreicher als die Beispiele (wie die ärmste Madonna…) sind die Auslassungen: einige nicht ganz marginale Zonen symbolischer Produktion beim Staat oder in der IT-Branche. Warum sollen Madonnas Millionen pfui – Ellisons (Oracle) oder Zuckerbergs (Facebook) Milliarden hui sein?

Ohne auf Spekulationen einzutreten darf angenommen werden, dass hier ein starker Mechanismus am Werke ist, der zum vornherein eine Einteilung von kulturellen Tätigkeiten in wertvolle und weniger wertvolle antreibt. Klare Werte und scharfe Urteile sind keine Problem – das „zum vornherein“ hingegen schon. Es ist eine ehrenwerte Haltung, Madonna und ihre Millionen Gaga zu finden. Den Damen (und zahlreicheren viel bescheideneren Mitbetroffenen) die Grundlagen ihres Geschäftsmodells wegknipsen zu wollen, ist jedoch etwas ganz anderes.

Zusatz oder Teil?

Ein wertvolle Stütze für Fundamentalkritik würde sich ergeben, wenn sich das Urheberrecht als aufgepfropft und systemfremd beweisen liesse. Hartwig bringt den Begriff des „zusätzlichen Schutzes“ in die Diskussion ein.

Selbstverständlich ist das Urheberrecht ein spezielles Gebilde, das spezifische Elemente ökonomischer Wertschöpfung schafft und absichert. Nur: Gleiches gilt auch für eine ganze Reihe von anderen Bereichen. Etwa für sexuelle Dienstleistungen, wo Spezialvorschriften Modalitäten der entsprechenden Geschäftsmodelle regeln. Oder für staatliche Aktivitäten. Hier wird nur schon in der Schweiz in Hunderten von Personalgesetzen und Verordnungen das Entgeltmodell für symbolische Produktion im Angestelltenverhältnis konstituiert.

So drehe ich die Idee vom „Rahmen der herrschenden Gesetze“ gegen jede willkürliche Ausgrenzung. Ein grosser Strauss von Gesetzen und juristisch-polizeilichen Einrichtungen bilden das staatliche Dispositiv, das Wertschöpfungsprozesse schafft und schützt. Das Urheberrecht ist eines unter vielen Elementen dieses Dispositivs. Es kann keine Rede davon sein, dass diese Prozesse basierend auf Vertragsmodell naturhaft ablaufen. Auch das hardwarezentrierte Business eines Applestore an der Bahnhofstrasse oder die Services der Cablecom gedeihen nur unter diesem gesetzlichen und polizeilichen Schutzschirm.

Musik, Motoren und Cancun

Die Industrialisierung hat eine anhaltende Verbilligung der materiellen Produktion angestossen. Das gilt auch für die physischen Einrichtungen, auf denen Informationen aufsetzen. Nach dem Bedrucken von Papier und den elektronischen Massenmedien treibt die Informationstechnologie diesen Trend weiter voran. Es entstehen neuartige mediale Kanäle für Kommunikation und Publikation – sowohl für private und zivilgesellschaftliche als auch für professionelle Formen symbolischer Produktion. Es kann also nicht von der Technologie her begründet werden, dass gewisse Formen ökonomischer Wertschöpfung obsolet werden.

Kurz und gut: Ich plädiere für eine Mehr an Berufs-, Existenz- und Geschäftsmöglichkeiten im Reich der Symbole. Seit den neunziger Jahren ist eine Tendenz zur vielschichtigen Entwertung der immateriellen Kultur festzustellen. Der dezente Mittelstand wirft seine Kaufkraft auf Prestige verheissende materielle Güter. Das ist aus zwei Gründen nicht ganz optimal.

Erstens treibt die abnehmende Zahlungsbereitschaft für manche künstlerische oder journalistische Güter die smarten jungen Talente in die Arme des Staates. Vermutlich steht im Grossraum Zürich inzwischen bereits eine Mehrheit von staatlichen Öffentlichkeitsarbeitern einer schrumpfenden Zahl von professionellen JournalistInnen gegenüber. Wer die Existenzmöglichkeiten für kulturelle Freelancer unterspült, darf sich über die ausufernde Staats- und Subventionskultur nicht wundern.

Schliesslich erinnert uns die Klimakonferenz in Cancun an folgendes: Einfach aus ökologischen Gründen würde der wohlhabende Mittelstand gut daran tun, etwas Herzblut und Cash von Blech, Benzin und Beton hin zu immateriellen Gütern zu lenken. Dem Klima würde ein Rebalancing des Branchenmixes sicher nicht schaden: Wie wär’s mit mehr Musik und weniger Motoren?

Urheberrecht: Thesen zur Debatte

Moderne pluralistische Gesellschaften leben von freier Kommunikation und vielfältigen kulturellen Inhalten. Content ist auch in der digitalen Medienwelt das Lebenselixier. Die grossen Geldströme fliessen allerdings an den Kulturproduzenten vorbei, hin zu den Geräteherstellern und Werbeplattformen. Die KonsumentInnen zeigen sich durchaus spendabel. Allerdings eher für harte Ware, weniger für kulturelle Inhalte. Ist in diesem Umfeld das Urheberrecht ein geeignetes Mittel, um berechtigte Interessen der SchöpferInnen von flüchtigen Inhalten zu schützen?

Die Lesegruppe der Digitalen Allmend hat sich mit der Problematik beschäftigt (1). Erstaunlicherweise ist bei deutlicher Kritik in einzelnen Punkten die Grundhaltung zum Urheberrecht erstaunlich moderat geblieben. Das ruft nach Debatte, in der das Spektrum der Einschätzungen auf der Digitalen Allmend sichtbar wird. Dem dienen die folgenden Thesen. Sie wollen einige gesellschaftspolitische Aspekte in zugespitzter Form zur Diskussion zu stellen.

Ist es überhaupt nötig und legitim, dass die Gesellschaft mittels staatlicher Gesetzgebung in die Produktion und Distribution kultureller Güter eingreift?  Es wäre durchaus denkbar, einfach nur generelle Marktregulierung des Obligationenrechts wirken zu lassen. Das allerdings ergäbe eine massive Marktverzerrung zugunsten kultureller Leistungen, die an unikate materielle Objekte (Malerei) oder an Performance (Events) gebunden sind. Und zugunsten von kulturellen Leistungen, die der Staat im Angestelltenverhältnis entschädigt, etwa im Bildungswesen. Darum die These 1: Es ist durchaus gerechtfertigt, dass  schöpferische Leistungen gesetzlich geschützt werden.

Wenn schon gesetzliche Regulierungen, dann sollten sie auf realitätsnahen Konzepten beruhen. Trifft das auf die Kerngriffe der Urheberschaft und des Werks zu? Als Reaktion auf den Geniekult des späten 19. Jahrhunderts haben soziologische respektive strukturalistische Positionen an Gewicht gewonnen. Sie relativieren oder negieren subjektive kreative Leistungen. Solche Ansätze wirken in zugespitzter Form weder alltagstauglich noch plausibel. Bei den meisten kulturellen Produkten erscheint ein zweischichtiges Modell angemessen. Soziokulturell ist jedes Werk eingebettet und basiert gebrochen oder direkt auf Traditionen, vorhandenen Materialien und Leistungen anderer.  Die Entstehung des konkreten Werks ist eine subjektive Leistung eines oder mehrere Individuen. Das spricht für These 2: Urheberschaft und Werkbegriff sind brauchbare Konzepte im Hinblick auf eine pragmatische Konfliktregulierung.

Zentraler Gesichtspunkt bei der Regulierung kultureller Sphären ist das Gemeinwohl, das öffentliche Interesse. Weder eine Sparmentalität von KonsumentInnen noch die Spezialinteressen bestimmter Teile der Kreativwirtschaft gegenüber andern Teilen derselben können einfach Gemeinwohl definieren. Der Aspekt der öffentlichen Verfügbarkeit steht kaum bestritten im Zentrum, aber nicht allein. Es liegt ebenso im öffentlichen Interesse, Diversität und Qualität kultureller Produkte zu fördern. In diesem Zusammenhang macht es Sinn, angemessene Abgeltungsmechanismen zu etablieren. These 3: Es liegt im öffentlichen Interesse, bei kulturellen Gütern die öffentliche Verfügbarkeit, die Qualität,  die Diversität und eine angemessene Abgeltung der ProduzentInnen  zu optimieren.

Der übergeordnete Wert der Informations- und Meinungsfreiheit setzt Prioritäten. Schutzrechte wie das Urheberrecht dürfen Grundrechte nicht tangieren. Das Gesetz handhabt die Problematik, indem Information, Wissen oder Meinungen gar nicht reguliert werden, meint These 4: Das Urheberrecht stellt keine substantielle Einschränkung der Information- und Meinungsfreiheit dar. Es reguliert nicht den Fluss von Informationen, Wissen oder Meinungen, sondern die Handhabung konkreter Instanzen, der Werke. Auch Zusammenfassungen, Informationen, Wissen oder Meinungen zu Werken können frei zirkulieren.

Das Urheberrecht begrenzt die Ansprüche der Rechtinhaber im Alltag der Zivilgesellschaft und im Bildungswesen. Das Urheberrecht schützt etwa den Anspruch der Individuen, urheberrechtlich geschützte Werke im Rahmen von Freundeskreis und Familie zu kopieren und weiterzugeben. Im Bibliotheksbereich kann Ausleihe nicht unterbunden werden. Die Interessen der Allgemeinheit sind allerdings in manchen Bereichen zu wenig geschützt. Krass ist vor allem die lange zeitliche Dauer des urheberrechtlichen Schutzes. So legitim es ist, die Ansprüche von Kreativen zu schützen – Generationen von Erben mit Tantiemenströmen zu versorgen, hat nichts mit der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Kulturproduktion zu tun.  These 5: Das Urheberrecht implementiert im öffentlichen Interesse substantielle Beschränkungen der Ansprüche von Rechteinhabern. Die öffentlichen Interessen bleiben aber untergewichtet, insbesondere bei der Dauer des urheberrechtlichen Schutzes.

Die Tatsache, dass das Urheberrecht bisweilen zu Prozessen und Polizeiaktionen führt, nährt gelegentlich den Eindruck, dass hier der Staat selbständig zugunsten von Partikularinteressen agiert. Produzierende Individuen und ganze Szenen von potentiellen Rechteinhabern können das Gesetz aber einfach ignorieren. Nach 20 Jahren Electronica Remixes hat man nicht davon gehört, dass diese Szene von einer Prozesswelle nach der andern heimgesucht wird. Die Frage nach den Akteuren und dem Charakter des Urheberrechts muss also geklärt werden. Dazu These 6: Das Urheberrecht ist ein optionales Framework, das KünstlerInnen selektiv nutzen können durch: Ignorieren, modellierte Nutzungsrechte (Creative Commons), Benützen als Drohgebärde, Abtretung, aktive Rechtsdurchsetzung. Die Kreativen sind die Player.


Ausklang: Im Getümmel der dramatischen globalen Umwälzungen, die durch die digitale Revolution mit befeuert werden, erscheint das Urheberrecht eher als Nebenschauplatz im Schatten der grossen ökonomischen, soziokulturellen und medialen Konfliktzonen. Auf diesen grossen Feldern läuft das Spiel klar zu Gunsten von ein paar Dutzend globalen Hardware-, Service- und Telekomkonzerne. Sie breiten sich in der Wertschöpfungskette zu Lasten der professionellen Content Produzenten aus.

Wer die Wertschätzung kreativer Leistungen und kultureller Wertarbeit fern von Staatstellen in sein Verständnis von Gemeinwohl einbaut, kann mit dem schweizerischen Urheberrecht als pragmatischem Instrument leben, solange keine eleganteren Alternativen sichtbar sind. Viele praktische Konflikte sind eher auf das Verhalten der Akteure oder die Modalitäten des Vollzugs zurückzuführen, weniger auf die Grundzüge der Gesetzgebung. Als Beispiele können die SUISA oder die Verhandlungen um ACTA dienen, wo es um Modalitäten des Vollzugs geht, nicht um die Grundzüge des Urheberrechts. Für die Zukunft ist es wünschenswert, dass das gesetzliche Instrumentarium zurückgefahren werden kann. Das fordert aber auch die Konsumenten heraus. Sie bereit sein müssen, für hochwertige kulturelle Arbeit so selbstverständlich zu bezahlen, wie für ein adrettes Halbleitergadget oder den Internetanschluss.

1) Zusammenfassungen der Lesegruppen-Diskussionen:
Zur historischen Entwicklung von Urheberrecht und Geistigem Eigentum
Freiheit und Urheberrecht
Einführung ins Immaterialgüterrecht
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